Kurz nach dem Erwerb eines vermeintlich sicheren und braven Ausreitpferdes stellte sich heraus, dass es – aufgrund eines Senkrückens und „Kissing Spines“ – unreitbar war, es wurde Klage eingebracht und Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens betraut. Zudem erfahren wir, was ein ,Reitdouceur' ist ...
Mängelrüge bei einem Reitpferd – Senkrücken und „Kissing Spines"
„Sprinter“ war als Freizeitpferd vom Kläger bei den Beklagten erworben worden, und zwar um einen Betrag von € 2.900,00.
Der Kläger wollte ein sicheres und gutmütiges Ausreitpferd kaufen, mit Eigenschaften also, die von den Beklagten ausdrücklich zugesichert wurden, mit dem Hinweis allerdings, dass ein leichter Senkrücken vorliege und das Pferd in den letzten Monaten nur mehr in „Koppelkondition“ sei.
Zuvor hatte aber - nach Mitteilung der Beklagten - das Pferd bei mehrtägigen Wanderritten und bei einem Ausbildungskurs teilgenommen und seinen Dienst gut versehen.
Kurz nach der Überstellung von „Sprinter“ zum Stall des Klägers unternahm dessen Tochter einen Ausritt von der Dauer einer Stunde; am folgenden Tag war eine deutliche Empfindlichkeit im Rücken des Pferdes festzustellen, weshalb eine tierärztliche Intervention Dris. R. veranlasst wurde.
Dr. R. stellte einerseits fest, dass das Pferd wegen seines Rückens zum Vorfallzeitpunkt für Reitdienste nicht verwendbar wäre und stellte andrerseits die Verdachtsdiagnose „Kissing Spines“.
Auch ein anderer Tierarzt hatte – schon zuvor – das Pferd par distance gesehen und bei diesem flüchtigen Blick festgestellt, dass das Pferd wegen des ausgeprägten Senkrückens – seiner Meinung nach – für eine Reitverwendung nicht geeignet sei.
Da nach Ansicht des Klägers die für ihn maßgebenden Gründe für den Kauf von „Sprinter “ – nämlich ausreiten zu können – nicht vorhanden sind, und die Beklagten einer Wandlung nicht zustimmten, wird gerichtliche Klärung angestrebt.
Die aus der Sicht des Gutachters entscheidenden Fragen sind:
– Welche körperliche und /oder psychische Probleme bestehen bei „Sprinter“?
– Waren diese Probleme im Sinne von „Krankheit“ zum Zeitpunkt der Übergabe „in der Wurzel“ manifest?
– Bestehen durch diese Probleme Einschränkungen oder Hindernisse in der ordnungsgemäßen Verwendung von „Sprinter“ als Reitpferd?
„Sprinter“ wurde 1996 als Hengst bei einem tschechischen Züchter geboren, 1997 wurde das Pferd – von Geburt ein tschechisches Warmblut – in das Österreichische Warmblutregister aufgenommen und am linken Schenkel mit dem Fohlenbrand und der Nummer 2XX gebrannt.
Aus dem Pedigree ist festzuhalten, dass „Sprinter“ vom mütterlichen Großvater Vollblüter als Vorfahren hat.
Die beklagten Parteien haben das Pferd 200X gekauft. Ihren eigenen Angaben zufolge war das Pferd vor diesem Ankauf in einer finsteren Box, schlecht gehalten und sehr wild. Zum Zeitpunkt des Kaufes durch die beklagten Parteien war das Pferd 6 Jahre alt und es hat etwa eineinhalb Jahre gedauert, bis das Pferd als Reitpferd nutzbar war. Zu diesem Zeitpunkt war das Pferd dann 7 ½ Jahre. Aus der allgemeinen Lebenserfahrung ist abzuleiten, dass schlechte Haltung eines Pferdes kaum mit gutem Beritt verbunden ist. Es ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Ansätze für den Senkrücken in das Pferd „hineingeritten“ worden sind. Eine genetische Disposition ist auf Grund der mit einer Musterung verbundenen Aufnahme in das Warmblutregister (Abstammungsnachweis) eher auszuschließen.
Die sich durchziehenden Berichte über die Nervosität (Wildheit) des Pferdes lassen einen vorsichtigen Rückschluss auf eine Schmerzbehaftung über Jahre hin zu.
Solange das Pferd jedoch in einer mehr oder weniger regelmäßigen Bewegung unter dem Sattel Verwendung fand, konnte die Muskelmanschette der Wirbelsäule einen völligen Zusammenbruch der Statik der Brust- und Lendenwirbel verhindern.
Das fälschlicherweise als „Zuckfuß“ angesprochene Symptom des abwechselnden, krampfartigen „Hochziehens und Wegstreckens“ der Hinterextremitäten war jedoch während der Zeit, als das Pferd im Eigentum der Beklagten stand, bereits nachvollziehbar vorhanden und es wird berichtet, dass sich dieses Symptom bei Nervosität jeweils verschlimmert hat.
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Hahnentritt (Zuckfuß, engl. stringhalt): Beim Hahnentritt liegt eine typische Funktionsstörung an einer oder beiden Hintergliedmaßen vor, wobei die erkrankte Extremität, besonders im Schritt und aus dem Stand heraus, plötzlich zuckend gebeugt und manchmal dabei so in die Höhe gezogen wird, dass der Fesselkopf die untere Bauchwand berührt. Genauso schlagartig wird die Gliedmaße wieder aufgesetzt, so dass dies häufig paradeschrittartig aussieht.
(Dietz/Huskamp: Handbuch Pferdepraxis, Enke 2005, 3.Auflage, Seite 899)
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Das vorliegende Phänomen des „Hochziehens und Wegstreckens“ ist also aus sachverständiger Sicht nicht ein zweites, abgesondertes Krankheitsbild, sondern die „Folge des kranken Rückens“. Das „Hochziehen“ erfolgt nämlich nicht plötzlich zuckend und in der normalen Beugeebene, sondern es entwickelt sich dynamisch, krampfartig und endet im seitlichen Wegstrecken der betroffenen Hinterextremität. Im Gegensatz zu einem „Zuckfuß“ ist das Symptom durch Manipulation im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule reproduzierbar auszulösen.
Die Ursache für das Symptom ist ohne jeden Zweifel in Schmerz zu sehen.
Die in obiger Abbildung GELB gefärbten Strukturen kennzeichnen die Nervenstränge, die, vom Rückenmark kommend, durch die knöchernen Wirbelkanäle austreten und verschiedene Funktionsträger (Muskel, Haut usw.) der Hinterextremitäten versorgen.
(Nickel, Schummer, Seiferle: Lehrbuch der Anatomie der Haustiere, Band IV, 3. Auflage, Parey)
Eine „gesunde“ Wirbelsäule ist aufgerichtet und elastisch, die Dornfortsätze sind frei. (Pfeil)
(Präparat: Pferdespital PRO EQUO – Dr. Kaun)
Die Wirbelsäule eines Pferdes mit Senkrücken hängt durch, die Wirbelkörper werden aneinandergepresst (Kreis) und die Dornfortsätze treten in – schmerzhaften – Kontakt. Dieses Phänomen wird als „Kissing Spines“ bezeichnet. Auch wenn der Verfasser dieser Zeilen schon in fortgeschrittenem Alter ist, so kann er „kissing“ seiner Erinnerung nach nicht mit einem schmerzhaften „Akt“ verbinden – vielleicht wissen die Götter, wer diese unsinnige Bezeichnung verschuldet: „touching spines“ wäre durchaus eine Alternative.
(Präparat: Pferdespital PRO EQUO – Dr. Kaun)
Durch das Verengen der Austrittsöffnungen der Nerven werden diese chronisch gequetscht und entzünden sich. Die geringste Empfindung bei „optimaler“ Situation für das Pferd besteht in einem dauernden „Ameisenkribbeln“. Tritt das Nervenkostüm durch äußere Einflüsse (Unruhe, Wetterlage, Stress) in Alarmbereitschaft, dann kommt es zur Übererregbarkeit und zu schweren neurologischen Missempfindungen und Schmerzen, die im Sinne von „referred pain“ (Ausstrahlender Schmerz nach Bergsmann /McKenzie) bis in die Fußspitzen ausstrahlen können. In der Folge zieht das Pferd zur kurzzeitigen Entlastung das Bein hoch und streckt es – nach Abklingen der Schmerzattacke – wieder aus.
(Präparat: Pferdespital PRO EQUO – Dr. Kaun)
Aus dieser Erkenntnis resultiert die Tatsache, dass nicht zwei getrennte Krankheitsbilder (Zuckfuß, Senkrücken) vorliegen, sondern dass das „Hochheben“ der Hinterbeine Symptom einer schmerzhaften, ausstrahlenden Erkrankung des Rückens ist.
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Senkrücken (med. Lordose): damit wird eine ventral konvexe Biegung der Wirbelsäule bezeichnet. Ein Senkrücken kann sich im Laufe des Lebens bei älteren Pferden, besonders bei Stuten nach zahlreichen Geburten, entwickeln.
Kissing Spines: Bei manchen Sportpferden kann es schon durch das Gewicht des Reiters oder aber beim Fußen nach dem Sprung zur Berührung der Dornfortsätze miteinander kommen, besonders im Bereich 13. bis 15. BW (Sattellage).
Aus „Praxisorientierte Anatomie und Propädeutik des Pferdes“
Wissdorf/Gerhards/Huskamp/Deegen; Schaper2002, Seite 310 ff)
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Wie dem Text zu entnehmen ist, fällt „Sprinter“ weder in die Risikogruppe der älteren Pferde noch in jene der viel gebärenden Stuten.
Eine Berührung der Dornfortsätze kann permanent sein und sogar zu Verwachsungen führen, sie kann aber auch – bei bestimmten Bewegungsabläufen – nur vorübergehend als schmerzhafte Funktionsstörung auftreten. Eine Röntgenuntersuchung im Stand der Ruhe ist deshalb nur bedingt aussagekräftig.
Die klinisch-orthopädische Untersuchung (Seite 7 bis 14 des GA) (Relativer Ruhepuls 72/Min, relative Ruheatmung 32/Min, IKT 38,00 Grad C) sowie die Untersuchung durch Infrared-Imaging mittels einer FLUKE-Wärmebildkamera (Seiten 14 ff dieses Gutachtens) beweisen zweifelsfrei eine Schmerzbehaftung und eine Funktionsstörungen im Bereich des Rückens, speziell der Brust- und Lendenwirbelsäule. Die Bilder der Wärmebildkamera zeigen eindrucksvolle lokale Erwärmungen, die den darunter liegenden Entzündungsprozessen der Wirbelelemente zuzuordnen sind.
Als „Nebenprodukt“ ergaben sich weiters schwere Funktionsveränderungen im Bereich der distalen Extremitäten, die auf Durchblutungs- und Nervenstörungen zurückzuführen sind.
Die korrekte klinische Untersuchung, vorliegend ergänzt durch den notwendigen orthopädischen Spezial-Untersuchungsgang, muss die Grundlage jedweder Diagnostik sein; zusätzliche besondere Untersuchungen wie Röntgen, Ultraschall, CT, Infrared-Imaging, Labor und viele andere sind „Hilfsuntersuchungen“, die eine provisorische (klinische) Diagnose erhärten, beweisen oder widerlegen. Das Herumtasten in einem schwammigen Schmerz- Symptomenbrei erzeugt – besonders bei jungen und noch nicht sehr erfahrenen Pferdebesitzern und Reitern (aller geschlechtlichen Varianten) mehr Unsicherheit als Sicherheit und führt zum „Abwarten“; das ist – wie ich aus über 50 Jahren als am Pferde Praktizierender feststellen konnte – stets kontraproduktiv und Leid verlängernd.
Die Ursache für diesen – mit ziemlicher Sicherheit – erworbenen Senkrücken des Pferdes ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in einer Kombination von schlechter und mängelbehafteter Aufzucht und zu frühem, sowie nicht fachgerechtem Beritt zu sehen.
Wollte man die Diktion der Hippologie bemühen, so kann man auch sagen, das Pferd ist früh „niedergeritten“ worden.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben die beklagten Parteien ihrerseits das Pferd bereits in diesem Zustand gekauft (dazu ein Hinweis auf Aktenseite./17), das Pferd konnte allerdings in dieser Zeit, als es in ihrem Eigentume stand, durch sein geringes Alter noch Einiges kompensieren.
Als das Pferd jedoch dann ab 200X nicht mehr geritten wurde, baute es körperlich völlig ab, jedoch die Schmerzen und neurologischen Missempfindungen blieben. Die langjährige Erfahrung des bestellten SV bewahrheitete sich vorliegend dramatisch: wurde mit einem Pferd bis zu seinem siebten Lebensjahr keine körperliche Konstitution und Kondition aufgebaut, bleibt es „weich“ und „im Fundament krankheitsanfällig“.
Dieser, schon bei den beklagten Parteien eingeleitete Abbauprozess konnte auch durch Koppelgang von März bis November 200X nicht mehr gestoppt oder rückgängig gemacht werden, weil dauernde Schmerzsignale durch Spannungsvermeidung einerseits zu einer kontinuierlichen Muskelatrophie, anderseits zu Verkrampfungen führten – ein dauerndes pathophysiologisches Wechselspiel von Synergisten und Antagonisten.
Fest steht, dass eine körperliche Ruhephase bis zum Verkauf (also noch in der Sphäre der beklagten Parteien) bzw. eine solche von März bis November 200X (bereits in der Sphäre des Klägers) nicht ausgereicht hat, um die körperliche und nervliche Regeneration des Pferdes einzuleiten. Speziell in derjenigen Zeit, in welcher sich das Pferd schon beim Kläger befunden hat, wäre auf Grund der bergigen Koppeln ein natürlicher Muskelzuwachs am Rücken und an den „Hosen“ zu erwarten gewesen.
Folgt man zusätzlich den informativen Angaben des Klägers (Aktenseite./20 dieses GA), so hat er das Pferd mit 105 Megajoule verdaulicher Energie und 759 g verdaulichem Eiweiß in der täglichen Futterration versorgt. Für leichte Arbeit bei der Annahme von 600 kg Körpergewicht wäre der Tagesbedarf aber lediglich bei 73 bis 91 Megajoule und 410 g verdaulichem Eiweiß gelegen; bei physiologischer Stoffwechselbilanz hätte das Pferd mit diesem „Luxuskonsum“ an Gewicht zulegen müssen;
Dauerschmerz – unterschiedlicher Intensität – aber latent ständig vorhanden
zerrt an den Nerven und zehrt an der Substanz.
So ist auch schlüssig und mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad zu erklären, warum „Sprinter“ bis zur Beweissicherung durch den bestellten SV weiter abgenommen hat.
Anmerkung des Autors – im Juli 2024:
Wie bereits bei vielen anderen Publikationen der Verfassers auf dieser Plattform wird erneut darauf hingewiesen, dass die vielen – seit einiger Zeit in „Mode“ gekommenen – Symptomaufzählungen aller denkmöglich Schmerzäußerungen mehr Verwirrung als Klarheit schaffen. Die Kontrolle der PAT-Werte gibt jedoch einen sehr verlässlichen Hinweis für ernsthafte und bemühte Pferdeleute.
Jeder Pferdemensch (der für sich dieses Prädikat in Anspruch nimmt) sollte die PAT-Werte seines Pferdes kennen: der absolute Ruhewert von Puls, Atmung und Innerer Körpertemperatur wird von vertrauten Personen in gewohnter Umgebung und ohne Beunruhigung erhoben. Der relative Ruhewert wird gemessen von fremden Personen (Tierärztliche Untersuchung, PAT – Gehilfen usw.) und in ungewohntem Umfeld z.B. Turnier.
Befunde, die (reproduzierbar durch Messungen) deutlich und anhaltend über diesen beiden Werten liegen, sind Belastungswerte, die zu erheben sind, wenn ein Pferd körperlich und /oder psychisch „belastet“ ist: dies kann durch Bewegung (z.B. Training oder Prüfung) der Fall sein, aber auch eine Folge von Schmerz oder Qual darstellen – das bedeutet, dass man der Ursache auf den Grund gehen muss: Eine Forderung, die geradezu absurd anmutet, weil sie selbstverständlich ist!
Aber wir leben jetzt in einer Zeit, in der Forscher von Forschenden abgelöst wurden: Forscher haben sich lange Zeit mit einem Problem auseinandergesetzt – manche ein Leben lang – und haben es dann lösen können und die gefundene Lösung publiziert; Forschende unserer Tage publizieren ein Ergebnis schon, bevor sie eine Lösung „erforscht“ haben – regelmäßig verbunden mit dem Hinweis, dass man „eigentlich“ aus diesem Ergebnis keine Schlüsse ziehen könne, weil zu wenige Teilnehmer, zu kurze Zeit und kein belastbares Design vorlag – also: cui bono? frug schon Cicero im Jahre 80 v.Chr.
Vielleicht ein Sprachkünstler noch auf die Idee, dies dann als „anforschen“ zu bezeichnen – so wie manche einen Gedanken „andenken“, aber sicherheitshalber oder wegen beschränkter Kapazitäten nicht zu Ende denken.
Ein klassisches Stress-Zeichen bei Dauerschmerz ist außerdem Nervosität. Dieses Phänomen zieht sich vom Ankauf des verfahrensgegenständlichen Pferdes durch die beklagte Partei bis zum Zeitpunkt der letzten Befundaufnahme durch den, für dieses Verfahren bestellten SV.
Schmerz führt zu Unleidlichkeit und Berührungsangst, in der Folge auch zu „Wildheit“ (Aktenseite./17).
In diesem Zusammenhang sind aus fachlicher Sicht auch die Aussagen der Zeugen K.: „… ein sehr nervöses Pferd…“ und St.: „… war überrascht, dass der Proberitt so problemlos vor sich gegangen ist…“ zu verstehen, die offensichtlich die „schwierige Natur“ des Pferdes – speziell in ungewohnten Situationen – gekannt haben.
Die bisherigen Ausführungen werden auch durch den Umstand, dass das Pferd an einem Übungsleiterkurs mit der Zeugin G. teilgenommen hat, fachlich nicht berührt.
Solange ein Pferd nicht deutlich „lahm“ oder „krank“ ist, kann es teilnehmen. Eine tierärztliche Verfassungsprüfung findet bei derartigen Kursen nicht statt.
Der Kursleiter Otto S. ist zwar ein erfahrener Pferdemann, doch ist er vermutlich – ebenso wie die beklagten Parteien und die Zeugin G. – in gutem Glauben von der Einsatzfähigkeit des Pferdes ausgegangen.
Sehr wohl hätte der betreuende Tierarzt der beklagten Parteien die wahre Natur des Problems von „Sprinter“ erkennen können, wenn ihm das Pferd als mit Problemen behaftet vorgestellt geworden wäre.
Zur Zeit stellt „Sprinter“ einen chronisch schwerkranken Patienten dar, dessen Dienstverwendung durch den StGB § 222 (1) > rohe Misshandlung und Zufügen unnötiger Qualen< unmöglich ist. Aus sachverständiger Sicht ist auch die Sinnhaftigkeit eines „Gnadenbrotes“ bei Dauerschmerzen nicht gegeben – „Sprinter“ muss behandelt und aufgebaut werden, gelingt dies nicht, ist die Euthanasie durchzuführen.
Gerichtlicher Auftrag und Gutachten
1. Hätte zum Zeitpunkt der Vertragsgespräche „Sprinter“ geritten werden können?
„Sprinter“ war zu diesem Zeitpunkt bereits krank. Für einen kurzen Proberitt reichte jedoch seine Konstitution aus. Schwer erklärbar sind die Widersprüche der Aussage der Zeugin B., wonach das Pferd „total brav“ war, obwohl der Zeuge St. überrascht war, dass „der Proberitt so problemlos vor sich gegangen ist“ und der Erstbeklagte dem SV gegenüber erklärt hat, dass das Pferd zu diesem Zeitpunkt keiner medikamentösen Beeinflussung durch Schmerzmittel unterlegen ist.
Die Frage des Gerichtes unterstellt jedoch eine normale Reitverwendung. Eine solche wäre unter Beachtung der Grundregeln der korrekten Reiterei und unter Beachtung einer unnötigen Zufügung von Qualen NICHT möglich gewesen.
Das mindeste, was ein Reitpferd aufzuweisen hat, wird in der Hippologie als der „reine Gang“ bezeichnet:
– schwingender Rücken;
– Schritt, Trab und Galopp sowie Rückwärtsrichten im korrekten Takt und Gangmaß;
– rhythmisch pendelnder Hals und
– locker pendelnder Schweif bei ausreichender Losgelassenheit.
2. Wenn dies der Fall war, welche Zeitdauer hätten diese Ritte haben können?
Die Beantwortung dieser Frage erübrigt sich durch das Gutachten zu Frage 1.
3. Für den Fall, dass „Sprinter“ auf Grund seiner körperlichen Verfassung nicht reit- und dienstfähig gewesen ist, welche Maßnahmen wären nötig gewesen, um das Pferd reitbar zu machen.
„Sprinter“ hätte bereits in der Zeit nach Ankauf durch die klagende Partei der gezielten fachtierärztlichen Untersuchung zugeführt werden müssen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Diagnose geführt hätte, die den weiter oben dargestellten Ausführungen des SV entsprochen hätte. In weiterer Folge hätte dann möglicherweise – wenn man unterstellt, dass der Krankheits-Prozess damals noch reversibel war – durch eine Kombination von korrektem Beritt, medikamentöser und physikalischer Behandlung eine Sanierung des Pferdes stattfinden können.
4. Welche Mängel bzw. Erkrankungen haben bei „Sprinter“ zum Zeitpunkt der Übergabe bestanden, speziell im Hinblick auf ein „Kissing Spines – Syndrom“?
Das Pferd war zum Zeitpunkt der Übergabe durch die beklagten Parteien / Übernahme durch den Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit „chronisch Rücken – krank“.
Das zumindest zeitweise Auftreten von „kissing spines“ ist hoch wahrscheinlich, eine Dauerbelastung mit „kissing spines“ sehr wahrscheinlich.
Auf den Zusammenhang zwischen der Rückenerkrankung, die die Strukturen: Muskel, Wirbel, Nerven und Gefäße sowie Gelenke betrifft sowie dem fälschlich als Zuckfuß beschrieben Symptom der Rückenerkrankung sei verwiesen.
Ein ähnliches Krankheitsbild wird beim Menschen als Spinalkanalstenose beschrieben.
5. Für den Fall, dass Mängel bestanden haben, wurde durch diese der ordnungsgemäße Gebrauch des Pferdes verhindert?
Die bereits beschriebenen Veränderungen erlauben weder eine ordnungsgemäße Verwendung des Pferdes im Sinne korrekter Reiterei noch eine Dienstverwendung des Pferdes unter dem Aspekt des Tierschutzgedankens, wobei beim vorliegenden Bild nicht mehr mit dem § 5 TSchG das Auslangen zu finden ist, sondern aus fachlicher Sicht der § 222 (1) StGB anzuwenden ist.
6. Welche Maßnahmen wären zur Behebung der Mängel erforderlich?
Aus fachlicher Sicht kann es bis zu einem gewissen Grad möglich sein, die Schmerzen des Pferdes einzudämmen. Eine Wiederherstellung des Pferdes zur Reitverwendung ist aus fachlicher Sicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich.
7. Welchen Zeitraum würde die Mängelbehebung beanspruchen?
Eine Behebung der Mängel im Sinne einer „restitutio ad integrum“ ist nicht mehr möglich. Eine allfällige Besserung – wobei noch immer nicht an Reitverwendung zu denken ist – könnte möglicherweise unter völliger Ausklammerung des Kostenfaktors nach etwa eineinhalb Jahren erreicht werden.
8. War der Senkrücken und/oder eine allenfalls fehlende Rückenmuskulatur und/oder ein allenfalls bestehendes „Kissing Spines –Syndrom“ von außen erkennbar?
Senkrücken sowie atrophische Rückenmuskulatur waren und sind durch reine Adspektion von außen (auch für einen medizinischen Laien) erkennbar. Ein manifestes oder funktionelles „Kissing Spines – Syndrom“ ist nur durch weiterführende diagnostische Schritte feststellbar.
[5 C 393/XXX]
Das Reitdouceur: Belohnte Obsorge
Gemäß der Pferdezählung in den Jahren 1866-1876 waren in Europa ungefähr 33 Millionen Pferde nachgewiesen:
Russland 16,160.000
Österreich-Ungarn 3,569.434
Deutschland 3,352.231
Großbritannien 2,790.851
Frankreich 2,742.738
Italien 657.544
Schweden/Norwegen 655.456
Spanien 382.009
Holland 260.056
Schweiz 100.934
[Eine meiner Quellen]
Länder, die große Heere unterhielten, benötigten und verbrauchten auch eine große Anzahl von Pferden, die bei der Armee in den verschiedenen Truppenkörpern Dienst versahen:
– Reit-Pferde für die berittenen Truppen der Kavallerie
– Gespann-Pferde für die bespannte Artillerie
– Troß-Pferde für den Train (Nachschub an Kriegsmaterial, Verpflegung, Kleidung).
Die Remontierung der Truppenpferde erfolgte im Frieden aus Staatsgestüten, von Züchtern und Pferdehändlern, im Kriege zusätzlich durch „Einziehen von Privat-Pferden zum Kriegsdienst“.
Für jede erforderliche „Pferde-Kategorie“ gab es Alters- und Größenvorschriften, vielerorts wurden die, zur Remontierung angebotenen Pferde zu Sammelpunkten zusammengetrieben, wo sie - einzeln- einer „Remonten-Assent-Kommission“ vorgestellt wurden.
Die Tätigkeit des „Assentierens“ – von Tierärzten und Fahnenschmieden durchgeführt und von Militärs überwacht – ist der Beginn von geregelten Ankaufsuntersuchungen: „Assentieren“ bedeutete nichts anders als eine Untersuchung auf Militär-Diensttauglichkeit – der „Wegbereiter“ schlechthin war der Rossarzt Scotti, dem von manchen Pferdehändlern vorgeworfen wurde, dass er „allzu genau“ sei und – zum Beispiel – für die Untersuchung von 178 Pferden zwölf Tage „verschwendet“ habe. Die großen damaligen Pferdehändler wie Abraham Levy oder Samuel Julius hatten am Ort der Untersuchung, wo oft mehrere Hundert Pferde versammelt waren, ihre Gehilfen, die – so entgegnete der Rossarzt Scotti dem Vorwurf – ausgeschiedene Pferde immer wieder aufs Neue vorstellten, in der Hoffnung, dass es nicht auffällt und sie doch noch assentiert würden.
Das im Rahmen dieser Untersuchung obligat zu verwendende Bandmaß wurde versiegelt dem Präses der Kommission überantwortet, da es nicht selten vorgekommen ist, dass gefälschte Maßbänder „eingeschmuggelt“ worden waren oder auch zu Beginn der Untersuchungen dem, für Messung Zuständigen ein Kuvert mit Geld zugesteckt worden war. Bestechung, Betrug und Täuschung wurden - wie der Fall des Obristwachtmeisters Major Friedrich von Birkicht im Mai 1770 zeigt - von Untersuchungskommissionen akribisch aufgearbeitet und bestraft.
Bei den sogenannten Handkäufen wurden die, für die jeweilige „Pferde-Kategorie“ festgelegten Preise sofort ausbezahlt.
Sobald die erworbenen oder verfügbaren Pferde das Stadium der jungen und – hierauf folgend – der alten Remonte mit vorbereitender Ausbildung durchlaufen hatten, wurden sie „in Dienst“ gestellt. Wie der Abschnitt III. der Vorschriften über das Pferdewesen des k. und k. Heeres zeigt, blieb die „Behandlung“ des Pferdes durch den Soldaten nicht dem Zufall überlassen.
Der, aus der französischen Sprache stammende Begriff „Douceur“ wird übersetzt mit „Süßigkeit, Geschenk, Trinkgeld“ - es liegt auf der Hand, dass man dem „Gemeinen“ – denn Offiziere waren ausgenommen - durch Aussicht auf Belohnung den guten und pfleglichen Umgang mit „seinem“ Pferde versüßen wollte. Hat er das ärarische Dienstpferd volle fünf Jahre ununterbrochen geritten, gebührten ihm – in den Vorschriften von 1892 festgelegt – 14 Gulden in Silber (etwa € 250.00), für jedes weitere Jahr mit diesem Pferd durfte er 5 Gulden in Silber erwarten. Wenn dieses Pferd nachfolgend von einem anderen Reiter übernommen werden konnte, dufte dieser für je zwei Jahre Obsorge 5 Gulden in Silber beanspruchen.
„Die Dienstpferde bilden ein kostbares ärarisches Gut; sie müssen daher tunlichst lange im diensttauglichen Zustande erhalten werden.
[……]
Ebenso darf die Verwendung ärarischer Dienstpferd zu Privatzwecken unter keinem Vorwande geduldet werden.
[…..]
Damit der Soldat einen Sattel-, Kummet- oder Gurtendruck nicht etwa aus Furcht vor Strafe verheimliche, soll er vorkommendenfalls nur dann bestraft werden, wenn er hiervon nicht sofort die Meldung erstattet hat.
[……]
Die Dienstpferde sind jede Woche – auf Märschen an jedem Rasttage – im Beisein des Unterabtheilungs-Commandanten durch einen Thierarzt oder Curschmied zu visitieren, wobei ein Hauptaugenmerk auf die Symptome ansteckender Krankheiten, auf entsprechende Wartung wie auf die Erhaltung eines guten Beschlages zu richten ist.
[…..]
Für jedes vorsätzlich getödtete, oder durch einen Deserteur entführte ärarische Dienstpferd wird der von dem Schuldtragenden dem Ärar zu leistende Entschädigungsbetrag mit dem ganzen Remonten-Durchschnittspreise festgesetzt.“ [zit.]
Tierärztliches Personal (v.l.n.r.): Obertierarzt in Paradeadjustierung – Professor der Tierärztlichen Hochschule in Paradeadjustierung – Tierarzt in Winterdienstadjustierung – Obertierarzt in Marschadjustierung zu Pferd – Kurschmied eines Husarenregiments in Paradeadjustierung - Kurschmied der Feldartillerie in Paradeadjustierung.
„Das für den tierärztlichen Dienst zuständige Personal gliederte sich in Tierärzte und Kurschmiede. Der militärtierärztliche Dienst – einschließlich des Hufbeschlags – wurde sowohl von Tierärzten als auch von Kurschmieden versehen. Militärtierärzte und Militärkurschmiede leisteten den Dienst in vollem Umfang. Militärkurschmiede, welche den tierärztlichen Kurs nicht absolviert hatten, wurden vorzugsweise zur Ausübung des Hufbeschlags herangezogen. Die Militärtierärzte gehörten zu den Militärbeamten und hatten folgende Rangbezeichnungen:
*Obertierärzte 1. bzw. 2. Klasse (Hauptmannsrang),
*Tierärzte (Oberleutnantsrang),
*Untertierärzte (Leutnantsrang).
Die Tierärzte versahen ihren Dienst hauptsächlich bei den Kavallerieregimentern, den Korpsartillerieregimentern, dem Train, den Remontendepots und den Remontenassentkommissionen.“
(Quelle für Bild und Text: Brüch/Dirrheimer: Das k.u.k. Heer 1895; Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums Wien, Band 10, 1983)
Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv & ex libris Dris.Kaun