Dass tierärztliche Behandlungen nicht immer auf die Heilung, sondern mitunter auch auf den schnellen Turniereinsatz abzielen, zeigt der Fall des Turnierpferdes Rodrigo, zu dem Dr. K. ein entlarvendes Gutachten erstellte. Zudem legt er uns ein hippologisches Lehrbuch von besonderer Strahlkraft und Qualität ans Herz.
Symbolfoto: Archiv ProPferd/Petr Blaha
Als ich kürzlich auf einem Feldweg – begleitet vom Hund- gedankenverloren an der Grenze zu Mähren dahinging, blieb „Aidan“ abrupt stehen und starrte gebannt himmelwärts: an einer langen, einer langen Fischerrute nicht unähnlichen, biegsamen Stange flatterte ein „Flugobjekt“ im Winde, an einen Greifvogel erinnernd – geeignet, die Aufmerksamkeit des Red & White Irish Setters zu bannen, geeignet aber auch dazu, bei starkem Wind Pferde in die Flucht zu schlagen – ein neues sehr flatterhaftes „Monster“, das Pferdeleute (bei Ausritten) beachten sollten – aber, wie jeder Windbeutel erschlafft auch dieses Monster, sobald die treibende Kraft ausbleibt.
„Rodrigo“ – das erfolgreiche Turnierpferd
Vor 29 Jahren ritten zwei junge Frauen auf der Gemeindestrasse von S. nach Sch., als ihnen auf der schneebedeckten Straße der Beklagte mit seinem PKW entgegenkam, ein Zusammenstoß mit dem 14 jährigen Hengst „Rodrigo“ unvermeidbar war und ein Schaden am Kraftfahrzeug sofort sichtbar wurde. Der Hengst schien zunächst unverletzt, begann aber zwei Wochen nach der Kollision zu lahmen. Aus einem fernen Bundeslande wurde ein Fachtierarzt für Pferde beigezogen, der dann sieben Monate später bescheinigte, dass die starke Zerrung der Kreuz-Darmbeinbänder und der Bänder beider Kniegelenke auf den Zusammenstoß mit dem PKW zurück zu führen sind.
Auf Grund dieser Befunde wird voraussichtlich, um das Pferd gebrauchsfähig zu halten zwei bis dreimal jährlich in Zukunft eine intensive Behandlung notwendig werden, die vom konsultierten Fachtierarzt durchgeführt werden wird.
Das erkennende Gericht empfand bei der Klageerzählung einen schalen Geschmack und wollte von bestellten Sachverständigen u.a. wissen:
– Sind die behaupteten Verletzungen des Turnierpferdes „Rodrigo“ auf den gegenständlichen Unfall zurückzuführen?
– Sind die Verletzungen des Pferdes unfallkausal, welcher Natur sind sie gewesen?
Die Befunderhebung:
– „Rodrigo“ Hengst, Holländisches WB, 14 a;
– Eine Lahmheit des Pferdes an beiden Hinterbeinen ist erst drei Wochen nach dem Unfall aufgetreten.
– Die tierärztliche Bestätigung, dass eine unfallkausale Verletzung vorliegt, wurde zweieinhalb Jahre nach dem Ereignis ausgestellt.
– „Rodrigo“ ist ein Turnierpferd der Klasse „S Springen“ und wurde fünfjährig um öS 250.000.00 erworben und ausgebildet – das Pferd hatte vorher bereits Turniererfahrung.
– Unmittelbar nach dem Unfall konnten beim Pferd keine Verletzungen oder Lahmheiten festgestellt werden.
– Zwei Wochen nach dem Ereignis hat sich ein Fachtierarzt für Pferde „Rodrigo“ angesehen und ist zum Ergebnis gekommen, dass diese Lahmheit die Folge eines Unfalles sein kann.
– Das Pferd ist vor dem Unfall schon „S“ gegangen, der Wert zum Unfallzeitpunkt wird von der klagenden Partei mit öS 700.000.00 eingeschätzt.
– Aus 5 Honorarnoten sind fünf Behandlungen im Abstand von jeweils 3-4 Monaten nachvollziehbar, mit dem Inhalt [zit.]: „Kniescheibenbänder beiderseits eingespritzt, Rückeninfiltration, Ischiasnerv-Infiltration“.
– Der behandelnde Fachtierarzt für Pferde teilte auf Ersuchen durch den bestellten SV mit:
o Er kannte das Pferd vorher nicht und hat es auch vorher nie behandelt. Das Pferd wurde ihm anlässlich eines zufälligen Besuches im Reitstall H. vorgestellt.
o Zwischen den Behandlungen ist das Pferd erfolgreich auf Turnieren vorgestellt worden.
– Vor dem Unfall verzeichnete das Pferd nachvollziehbar 203 Starts, nach dem Unfall sind 83 Starts dokumentiert, wobei die Klassen A bis MB nachvollziehbar sind, Starts in der Klasse „S“ sind nicht nachweisbar. Vor dem Unfall war das Pferd bei 83 % der Starts platziert, nach dem Unfall betrug diese Quote 66 %.
Gutachten:
– Eine tatsächliche Verletzung des Pferdes „Rodrigo“ beim gegenständlichen Verkehrsunfall ist nicht nachvollziehbar, eine Berührung zwischen PKW und Pferd ist nicht auszuschließen.
– Zwischen Unfall und Erstuntersuchung durch den Fachtierarzt liegen zwei Wochen: das vorliegende Krankheitsbild hätte zwar durch den Unfall, aber auch durch andere Ereignisse zustande kommen können bzw. hätten „Probleme“ bereits vor dem Unfall bestehen können.
– Krankengeschichte und Behandlungskonzepte zielen erkennbar auf schnellen Turniereinsatz, nicht aber auf Heilung ab. Was als „neuraltherapeutische“ Behandlung dargestellt wird, bestand in Verabreichung von Cortison, Nicht steroidalen Antiphlogistika und Lokalanästhetika. Jeweils zwei Wochen nach einer Behandlung wurde das Pferd wieder gestartet: z.B. nach der sechsten Behandlung 13 Bewerbe in drei Monaten, nach der siebten Behandlung 21 Bewerbe in drei Monaten mit jeweils etwa 1/3 Platzierungen. Die Aussage des Klägers, dass das Pferd nach dem Unfall nur mehr sehr reduziert einsetzbar war, ist nicht nachvollziehbar.
– Die Angaben der Klagseite, dass sie für das verfahrensgegenständliche Pferd bis zum Unfall nie einen Tierarzt beiziehen musste, ist aus fachlicher Sicht wenig glaubhaft. Ein „Gesundheitszeugnis“ für die Zeit vor dem Unfall, das vom bestellten SV beim Kläger angefordert worden war, wurde nicht vorgelegt.
– Rückenschmerzen und Knieprobleme können als mögliche und erwartbare Berufskrankheiten stark beanspruchter Springpferde betrachtet werden.
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Ein sehr geschätzter Sattler – und Riemer- Meister, international renommiert als „Geschirrmacher“ meinte kürzlich im Rahmen eines Gespräches in kleinem Kreise: „Das Wissen um Pferde geht speziell bei der jüngeren Generation steil bergab!“ Eine bedenklich Erkenntnis, bedenkt man, welche unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten in unserer Zeit Lernwilligen zur Verfügung steht; war es früher alleine die mündliche Überlieferung und das Vorbild, durch die Folge- Generationen „erzogen“ wurden, standen bald Schriften, Bücher, Filme in üppiger Menge als Lehrmittel zur Verfügung, bis in heutiger Zeit die Flut an Bildungsangeboten nahezu unüberschaubar geworden ist – und der Wald von lauter Bäumen nicht mehr gesehen wird.
Als ich dann meine Bibliothek nach Lehrunterlagen früherer Tage durchforschte, stieß ich auf ein kleines handliches Büchlein mit 317 Seiten Umfang, das ich völlig vergessen hatte – unverzeihlich, denn der Verfasser ist ein Stern mit allerhöchster Strahlkraft am hippologischen Firmamente: Carl Gustav Graf Wrangel hatte 1890 das „Taschenbuch für Kavalleristen“ verfasst, das im Titel den Zusatz trägt: Enthaltend die Grundlagen der Pferdekunde, zum Selbststudium und zum Gebrauch an Militärischen Unterrichtsanstalten, erschienen mit 194 Abbildungen in Holzschnitt bei Schickhart & Ebner, Stuttgart.
Ich habe dieses Bändchen vor Jahren in einem Antiquariat in MVP erworben, der frühere Eigentümer hat sich verewigt und auch handschriftliche Eintragungen hinterlassen.
Das Besondere an diesem wunderbaren Werk beginnt bei den ersten Sätzen des, als Vorrede bezeichneten Vorworts:
„Was dem Infanteristen sein Gewehr, ist dem Kavalleristen sein Pferd, und ebenso wie ersterer nur durch genaue Kenntnis seiner Waffe in Stand gesetzt wird, den Anforderungen der Pflicht und der Ehre zu genügen, ist der Erfolg des letzteren an die Voraussetzung geknüpft, dass er gelernt habe, die Leistungsfähigkeit des Pferdes zu beurteilen, zu erhalten und, wenn möglich, weiter zu entwickeln. Der Kavallerist ist aber insofern im Nachteil gegen seine Kameraden von der Fußtruppe, als der Gebrauch der Schusswaffe verhältnismäßig leicht zu erlernen ist, während Niemand hoffen darf, von heut auf morgen ein tüchtiger Pferdekenner zu werden. Gelingt es doch manchem trotz Aufwand an Fleiß sein Lebtag nicht, jene Fertigkeiten zu erwerben, welche v o l l e Selbstständigkeit bei der Benützung des Pferdes gewähren. Zum Künstler muss man eben geboren sein und wer auf dem Gebiet der Pferdekunde das Wissen mit dem Können verbindet, darf sich mit Recht ein Künstler nennen!
Jedes Wissen kann erworben werden, das Können allein entzieht sich jenseits gewisser Grenzen der Herrschaft des Willens – aber auch nur jenseits jener Grenzen!“
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Fast 200 Abbildungen von Pferden, anatomischen Details und Stallbauten schmücken dieses Lehrmittel, es sind keine Fotografien, wie dies heute zu erwarten wäre, sondern sehr eindrucksvolle Holzschnitte, die als künstlerisch wertvoll einzuordnen und besonders stark im Ausdruck zu werten sind. Hier eine kleine Kostprobe – die Texte stammen jeweils aus dem Werk.
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Das Skelett besteht aus 252 Knochen – zu dieser Abbildung wurde handschriftlich vermerkt: „Vorderknie -Karpalgelenk“.
Am Pferdekörper befinden sich im Ganzen 520 Muskeln, deren Wirkung sich entweder unterstützt (koordinierte Muskeln) oder gegenübersteht (Antagonisten).
Zu den Verdauungsorganen zählt man alle jene Teile des tierischen Körpers, welche die Bestimmung haben, die Nahrungsmittel aufzunehmen, zu verkleinern, mit Säften zu mischen und in einen, Chymus genannten Nahrungsbrei umzuwandeln. Außerdem liegt diesen Organen noch ob, die unbrauchbaren Stoffe aus dem Körper fortzuschaffen.
Diejenigen Organe, durch welche die atmosphärische Luft zum Zwecke der Atmung in den Körper ein- und austritt, bezeichnet man als Atmungsorgane.
Diejenigen Organe, welche die Bestimmung haben, den im Blute befindlichen, zum Leben nicht mehr tauglichen Stoff, Harn oder Urin genannt, abzusondern und aus dem Körper auszuscheiden, werden Harnwerkzeuge genannt.
Mitten durch die meist dunkelbraune Regenbogenhaut geht ein ovales Loch – das Sehloch oder die Pupille – in welche schwarze Gebilde, die sog. Traubenkörner hineinragen.
Traubenkörner sind bei 94 % der Pferde vorhanden, bestehen aus pigmentierten Epithelzellen und zystösen Hohlräumen. Die Aufgabe der Traubenkörner ist Produktion von Kammerwasser und Erleichterung des Sehens bei grellem Licht. Die Kontraktion der Pupillen wird durch die Traubenkörner effektiver. In Anzahl und Anordnung stellen sie ein unverwechselbares Merkmal dar.
[Quelle: Wissdorf, Gerhards, Huskamp, Deegen: Praxisorientierte Anatomie und Propädeutik des Pferdes, Schaper 2010]
Der Akt des Sehens erfolgt auf die Weise, dass die Lichtstrahlen durch die durchsichtige Hornhaut und das Sehloch in das Innere des Auges dringen, sich hier auf der Netzhaut vereinigen und ähnlich wie auf einer photografischen Platte ein verkleinertes Bild von dem erleuchteten Gegenstande, dessen Strahlen die Augen treffen, hervorrufen. Dies bewirkt eine Erregung der Sehnerven, welche zum Gehirn fortgeleitet wird und zur Wahrnehmung gelangt.
Das Seelenleben
Dass die Haustiere, wenn auch in beschränkterem Maße als der Mensch, mit Verstand begabt sind, lässt sich nicht leugnen. Was ihnen abgeht, ist Vernunft. Als Ersatz für die Lücken in ihrer Intelligenz ist den Tieren der Instinkt verliehen. Durch den Umgang mit dem Menschen wird der Instinkt der Tiere abgeschwächt, ihre Intelligenz dagegen verschärft.
Die Triebe des Pferdes – der Selbsterhaltungs- und der Fortpflanzungstrieb – wurzeln im Instinkte.
Der wohlgeformte Kopf wird in einem angemessenen Größenverhältnis zu dem übrigen Körper stehen, mit einer feinen Haut bekleidet sein, unter welcher die Knochenvorsprünge deutlich hervortreten (solche Köpfe nennt man „trocken“), eine freie Bewegung nach allen Seiten förderliche Verbindung mit dem Halse aufweisen und in eine feine, spitzige Nase auslaufen.
Die Stirne soll breit und zwischen den Augen etwas gewölbt sein. Diese Bildung zeugt beinahe immer von Intelligenz und Gutmütigkeit, wohingegen Pferde mit platter, schmaler Stirne meist dumme, bösartige Tiere sind.
Alles, was wir von den Ohren verlangen, ist, dass das Ohrenspiel mit demjenigen der Augen übereinstimme, und dass sie unserem Schönheitsbegriffe entsprechend, nicht schlaff zu beiden Seiten des Kopfes herunterhängen, sondern aufrecht getragen werden.
Das Auge soll groß und klar sein und einen milden Ausdruck haben. Kleine Augen, sowie solche, bei welchen viel Weißes sichtbar ist, deuten auf ein hinterlistiges, unbändiges Temperament.
Der Alte Weiberkopf mit tiefliegenden Augengruben, hängenden Ohren und Unterlippen.
Die Nasenlöcher und Nüstern werden schön genannt, wenn sie weit geöffnet sind und keine Falten zeigen.
Der Kehlgang kann kaum zu weit sein. Ein enger Kehlgang gibt nicht nur häufig Anlass zu Kehlleiden, sondern erschwert dem Tiere auch jene korrekte Kopfhaltung, die wir vom Reitpferd verlangen.
Eine gute Schulter lässt sich mit den Worten „lang, schräg und muskulös“ charakterisieren.
Das Taschenbuch des Kavalleristen schließt:
„…Wohl bliebe noch manches zu erörtern, aber diesem Werkchen eine größere Ausdehnung zu geben, würde sich mit dem Plane, den wir bei unserer Arbeit vor Augen gehabt, nicht vertragen. Wir legen daher, wenn auch widerstrebend, die Feder aus der Hand und wünschen, dass unser, der edlen Reiterwaffe gewidmetes Büchlein dazu beitragen möge, dem treuesten Gefährten des Kavalleristen das Dasein zu erleichtern.“
12.07.2024