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Die neuen Fälle des Dr. K.: Pferde und Kinder, eine Risikosituation
13.07.2024 / News

Kinder fühlen sich zu Pferden geradezu magisch hingezogen, doch leider kann es bei dieser Begegnung zu vielerlei Zwischenfällen kommen, die nicht immer glimpflich ausgehen, wie Splitter aus div. Gerichtsfällen zeigen und jüngst auch durch eine Studie bestätigt wurde.

 


Sowohl an mir selber, wie auch an vielen beachtenswerten Menschen, deren Lese- und Studiergewohnheiten ich im Laufe der Jahre näher betrachten konnte, habe ich immer wieder zwei Eigentümlichkeiten bemerkt:

Ein neuer Text wird zunächst als Überblick „überlesen“ (allgemein als „querlesen“ bekannt) und dann erst das Augenmerk – im zweiten Durchgang -mit freiem Geist und offenem Sinn auf jene „Neuigkeiten“ fokussiert, die vorher bekannt erschienen, doch nicht bekannt  und mit eigenen Anschauungen in Einklang zu bringen sind; bei Texten, die zu z.B. Studienzwecken, wiederholt gelesen werden müssen, haben ebenfalls diejenigen Passagen Vorrang, die bereits gefestigt in der Erinnerung verankert sind, Erinnertes wird wiederholt gelesen – der  Sinn dieser Verhaltensweisen ist schnell durchschaubar: er gibt Sicherheit und Selbstbestätigung – die Gefahr, die allerdings damit verbunden ist, kann ebenfalls rasch erkannt werden: das bewusste Denken verschließt sich zunächst gegenüber unbekanntem Neuen und Nicht- Komfortablem.

Diese Beobachtungen und Gedanken kamen mir in den Sinn, als ich vor Kurzem hier auf ProPferd die bedeutsame Studie des Vereins „Große schützen Kleine“ mit Untersuchungen an der Grazer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendchirurgie (beide unter dem Dirigat von Univ. Prof. Dr. Holger Till)  fand und studierte. Im Vergleich zu anderen, früheren Publikationen zu diesem Thema [Püschel; Hessler, Meenen, Lockemann: Reitunfälle, Verlag Dr. Kovac 2014; Eckert, Hessler: Verletzungsmuster von Reitunfällen, Südwestdeutscher Verlag 2013] schien diese Arbeit zunächst substanziell nichts Neues von Relevanz zu enthalten, sieht man, davon ab, dass sich die prozentuale Aufteilung innerhalb der einzelnen Verletzungskategorien etwas verschoben darstellen.

Bei neuerlicher, vertiefter und „innerlich offener“ Lektüre traten dann doch einige sehr bemerkenswerte Punkte zutage [zit.]:

– „Knapp 42 % der insgesamt 1215 Unfälle ereigneten sich in den letzten 3 Jahren.
– Knapp 96 % der behandelten Kinder und Jugendlichen waren weiblich.
– Der Altersdurchschnitt bewegt sich um die 12 Jahre.
– Die Anzahl der Unfall-Wiederholer:innen ist mit 11.4% viermal so hoch wie im klinischen Gesamtgut.
– Die verunfallten Kinder und Jugendlichen schätzten sich selber mit mehr als 90% als sehr routiniert ein.
– Für fast jeden zweiten Vorfall wird das Pferd verantwortlich gemacht – nur 19 % der Kinder und Jugendlichen sehen sich selber in der Verantwortung.“   

Es bedarf keinesfalls eines überragenden Scharfsinns, zu erkennen, dass

– die Unfallhäufigkeit innerhalb von drei Jahren im Zunehmen begriffen war,
– überwiegend Mädchen im Pubertätsalter betroffen sind,
– Selbstüberschätzung und mangelnde Lernwilligkeit erkennbar sind
– und in der Hälfte der Fälle das Pferd als Unfallverursacher betrachtet wird.

Mit Recht werden die, in der Studie von „Große schützen Kleine“ aufgezeigten Konsequenzen im Hinblick auf Gefahrenbewusstsein, Unterricht, Ausrüstung gefordert, der wesentlich Satz scheint mir aber der Letzte zu sein:

„Nach jedem Unfall sollte eine Ursachenanalyse im Sinne einer Lernmöglichkeit in das Training integriert werden!“

Diese Ursachenanalyse ist genau das Tätigkeitsfeld, das der Autor dieser Zeilen seit über 35 Jahren als Gerichtsgutachter verfolgt und seit noch längerer Zeit als Vortragender und Lehrender Reitern, Fahrern und anderen, im Verkehr mit Pferden befassten Menschen vermittelt.

Große schützen Kleine nach Ansicht des Verfassers dann am besten, wenn sie mit Wertschätzung, aber alters- und entwicklungskonformer Begrenzung, Kinder und Jugendliche nur an die Aufgaben und denjenigen Verkehr mit Pferden heranführen, zu denen sie – erkennbar, nachvollziehbar und verlässlich – körperlich, geistig und psychisch bereits in der Lage sein können. Selbsteinschätzung durch Kinder und Jugendliche ist – auch vor Gericht – kein belastbares Fundament.

Ich halte das „Hochjubeln“ von Kindern und Jugendlichen im Sattel und am Kutschbock für gefährlich und kontraproduktiv, wenn nicht zeitgleich (!!) und immer (!!) ein meisterliches, erwachsenes Regulativ (ein „Großer“)  zur Stelle ist, das offensichtliche „Fehler des Kleinen“ (wozu auch Fehl-Verhalten, wie Grobheit, Respektlosigkeit und Zäumungsfehler zu rechnen sind) sofort und pädagogisch richtig erklärend  zurecht rückt – denn, wie sattsam bekannt: Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen, sondern eben „Heran- Wachsende“, die geistig, körperlich und psychisch der behutsamen Pflege und gekonnten Führung bedürfen – ein Sämling kann (noch) nicht geerntet werden, ebenso wenig wie ein Keimling oder ein Pflänzchen – Reife ist jeweils die Bedingung.

„Sicherheit beginnt im Kopf“ – mit dieser Überschrift – als Motto und Flagge über das wichtige Thema gehisst – habe ich in den vergangenen 50 Jahren wohl unzählige Artikel, Vorträge, Vorlesungen verfasst und gehalten - der gleichbleibende Titel bei jeweils angepasstem Inhalt war nicht etwa Ergebnis meiner Geist- oder Einfall-Losigkeit, – nein – in keinem anderen Satze war die Bestrebung besser zusammengefasst:

(Aus-)Bilden und Lernen – Nach- und Vorausdenken – Konsequenzen erwägen und Risiken vorher erkennen; daraus muss bei denkenden Menschen zwingend und der Logik folgend, Eigenverantwortung und Verantwortung für Andere (z.B. Pferde) erwachsen – der Leuchtturmblick der Reiter und Fahrer (und Ausbildner) steht für die Sicherheit der Pferde.
 

 

Sturz vom Pferd – verrutschter Sattel- Urteil (16 C 59/XX f)  
Zwischen der minderjährigen Klägerin (Reitschülerin) und der Beklagten (Reitlehrerin) bestand ein Vertrag unter anderem mit dem Inhalt der Erteilung von Reitunterricht gegen Entgelt. Die Beklagte hat daher im Rahmen dieses Vertrages für die nach § 1299 ABGB gebotene Sorgfalt einzustehen. Insbesondere gemessen an dessen erhöhtem Sorgfaltsmaßstab trifft die Beklagte am Zustandekommen des Reitunfalles ein Verschulden. Als Reitlehrerin wäre sie verpflichtet gewesen, vor dem Übergang von Schritt auf Trab den Sattel entsprechend nachzugurten. Der unerfahrenen (damals) minderjährigen Klägerin ist kein Mitverschulden anzulasten, zumal sie erst wenige Einheiten an der Longe absolviert hatte, das Pferd nicht einmal selbstständig sattelte und gar nicht hätte freireiten sollen.

 

 

Sturz vom Pferd bei Proberitt- Protokoll der TS (2 Cg 116/XXm)
Klägerin, minderjährig:

„Zum Unfallzeitpunkt war ich Reitanfängerin. Ich hatte rund ein halbes Jahr Reiterfahrung, ich hatte noch nicht sehr viele Reitstunden, ca. 10 Longe-Stunden. Erfahrung hatte ich vor dem Unfall mit zwei Pferden, einem eigenen und einem anderen. Das Pferd des Beklagten war also das dritte Pferd, das ich geritten bin.

Reitunterricht habe ich von meiner Mutter bekommen. Longe-Unterricht hatte ich aber bei einer Reitlehrerin, diese ist geprüft: ich hatte 10 Longe-Stunden, dann bin ich frei geritten.
….
Meine Mutter hat mir nach dem Proberitt nichts Besonderes gesagt, ich soll mir eben selber ein Bild machen.
…..
Dann habe ich es angaloppiert…. da begann das Pferd zu buckeln und ich bin dann nach vorne auf die rechte Seite heruntergefallen.
…….
Meine Mutter ist Freizeitreiterin, ich glaube, sie hat einmal einen kleinen Freizeitbewerb geritten, mehr jedoch nicht.

Die Mutter gibt auf Befragen durch den SV an:

Ich habe immer einen Reitlehrer gehabt, habe aber selbst keine Lizenz oder Prüfungen abgelegt. Die Aufforderung an meine Tochter, im Galopp zu reiten, kam von mir, ich wollte eben, dass sie alle Gangarten reitet. Meine Tochter ist insgesamt rund 5 Minuten geritten.

 


Pferde mit Eigenheiten- die Reiterstüberlmafia

Eine Gruppe Jugendlicher unternahm – Gesetze und Vorschriften missachtend, aber mit Billigung des Stallbetreibers – einen Ausritt „in der Nähe“. Mit dabei war auch Lara, die minderjährige Reitbeteiligung der Frau K., der nunmehrigen Beklagten, auf dem Pferde „Scotch 5“. Frau K., eine ältere Dame, war froh darüber, dass ihr Wallach von Lara bewegt wurde, wenngleich Frau K. im Reitstall häufig zum Gespött der Jugendlichen geworden war, weil sie einige – hier nicht zu erwähnende Eigenheiten aufwies.

Als Reitstrecke wurde die immer übliche „kleine Tour“ gewählt, die zwar über öffentliche Straßen führte, die Bundesstraße jedoch vermied. Diese kleine Route führte auch regelmäßig an einem Anwesen vorbei, bei dem in einem Offenstall mit an den Reitweg angrenzender großer Wiese zwei weiße Ponys gehalten wurden.

Als die Reitergruppe an dieser Wiese vorbeikam, stürmten die beiden weißen Ponys aus dem Unterstand zu den vorbeigehenden Pferden, „Scotch 5“ ging durch, warf Lara ab und schlug gegen das Pferd „Oskar“ des Reitstallbetreibers aus und verletzte es, mit beschlagenem Huf, schwer. Auch Lara war beim Sturz von „Scotch 5“ leicht verletzt worden, war aber noch mit Glück glimpflich davongekommen.

Der Reitstallbetreiber und Eigentümer von „Oskar“ verlangte als Kläger vor Gericht nun Schadenersatz für die Behandlung und Verletzungsfolgen des „Oskar“, Frau K. als Eigentümerin von „Scotch 5“ fand sich plötzlich als Beklagte wieder – die Stunde der Reiterstüberl-Mafia war gekommen, mit offensichtlich akkordierten Aussagen zu den Eigenschaften von „Scotch 5“ nahm man in den Zeugenaussagen die alte Dame über ihr geliebtes Pferd aufs Korn:

„Zum Verhalten und zu den Eigenschaften von „Scotch 5“ konnten im Rahmen des Beweisverfahrens mehrere Personen vernommen werden, die das Pferd „Scotch 5“ alle über Jahre kennen und es auch selbst geritten sind. Der Kläger, der das Pferd „Scotch“ seit über 15 Jahren sehr gut kennt, beschrieb ein doch grundsätzlich problematisches Pferd, das nach seiner Darstellung in der Halle immer wieder durchgegangen ist, aus nicht nachvollziehbaren Gründen unruhig geworden ist, zu tänzeln und zu hüpfen begonnen hat. Von fünf Ausritten seien lediglich drei bis vier normal verlaufen, bei den anderen habe es Probleme gegeben. Der Wallach verträgt sich einfach nicht mit anderen Pferden.“ [zit. aus dem Urteil zu 25 C 2218/XX k]

So hat einmal Zeugin Kerstin W. von einem Ausritt um Hilfe angerufen, weil sie „Scotch 5“ nicht mehr beherrschen konnte.

Eine andere Zeugin, die sich als gute Reiterin bezeichnete, berichtete, dass „Scotch 5“ bei einem Wanderritt plötzlich unruhig geworden und rückwärts (sic.! SV) eine Böschung hinuntergelaufen ist.

Eine weitere Zeugin berichtete, dass „Scotch 5“ – in einer Gruppe geritten – plötzlich zwei andere Pferde gesehen hat, zu steigen begonnen hat und unbeherrschbar wurde.

Von einer Pferdesegnung gab es den Bericht eines Zeugen, dass „Scotch 5“  sich geweigert hat, mitten unter sechzig anderen Pferden den Altar zum Empfang des Segens zu umrunden, was den Reiter zwang, abzusitzen.

Einmal habe „Scotch 5“ bei einem Ausritt – so eine weitere Zeugenaussage – in der Gruppe nicht aufgehört zu „drängeln“, weil der Weg zu eng gewesen sei und sei dabei dem Vorderpferd auf den Ballen getreten.

Ein anderes Mal – sagte eine weitere Zeugin aus – sei „Scotch 5“ von seiner Eigentümerin, der etwas älteren Frau K. und jetzt Beklagten – geritten worden, „…..habe zu tänzeln begonnen und nicht mehr damit aufgehört – diese Eigenheiten des Pferdes „Scotch 5“ sind auch stallbekannt gewesen, alle im Stall haben davon gewusst!“ [zit.]

Der Sachverständige nahm sich viel Zeit, um die Eigenschaften von „Scotch 5“ zu erforschen, Ausritte einzeln, in Gruppe, mit Begegnung und Pferden in der Ferne wurden rekonstruiert – „Scotch 5“ war ein normales und unauffälliges, verlässliches Reitpferd mit 19 Jahren, ein netter und liebenswerter Wallach.

Das erkennende Gericht wies die Klage des Reitstallbetreibers ab und beschwerte ihn mit den Verfahrenskosten.

 


 Die Unfallhäufigkeit mit Beteiligung von Pferden ist seit Jahren im Zunehmen begriffen, nicht nur, weil die Pferdepopulation ständig wächst, sondern auch, weil „Wissen rund ums Pferd“ der Durchschnittsbevölkerung weitgehend abhandengekommen ist und Tradition und Gepflogenheit im Umgang mit Pferden belächelt oder (bewusst) ignoriert wird.

Während Reitunfälle oder Verletzungen durch Pferde im täglichen, vielleicht unbedachten Umgang naturgemäß in erster Linie „Pferde-affine“ Personenkreise treffen, sind von folgenschweren „Kutschenunfällen“ Gesellschaftskreise betroffen, die üblicherweise keinen engen Kontakt zu Pferden pflegen: Urlauber auf Kremserfahrten, Hochzeits- oder Geburtstagsgäste bei bespannten Festen, Zuschauer bei Brauchtumsveranstaltungen, Fahrturnieren oder Gestütsparaden. Es ist also durchaus angebracht, Sicherheitsregeln zur Gefahrenvermeidung zu kennen, aber auch rechtliche und forensische Aspekte bei und nach Reit- und Kutschenunfällen näher zu beleuchten, es muss also ein Schadens-Ereignis gleichsam „von hinten“ aufgerollt werden  mit der Frage: „Was ist und war fachlich und rechtlich relevant?“

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„Die Erlangung von Sachverstand gepaart mit Sensibilität und Augenmaß, erfordert vom Pferdehalter und -nutzer eine lebenslange praktische und theoretische Fortbildung mit dem Bemühen um mehr Wissen und Können zu seinem tiergerechten Umgang mit dem Pferd.“

Diese Zeilen wenden sich zwar an „Profis“ [aus: Horst Brindel/Rolf Schettler: Gewerblich fahren mit Pferden – der sichere Weg, Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V. & Deutsche Reiterliche Vereinigung], bedeuten aber  nichts anderes, als dass eine Beschäftigung, die lebenslanges Lernen erfordert, Kindern und Jugendlichen nur in niedrigstem Niveau bei gleichzeitig verantwortungsbewusster Aufsicht in höchstem Niveau abverlangt oder zugemutet werden kann; ungesunder Ehrgeiz mancher Eltern ist Fehl am Platz!

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Die StVO in Österreich sieht unter § 70 (Lenken von Fuhrwerken) vor, dass der Lenker mindestens 16 Jahre alt sein muss – eine Ausnahme besteht expressis verbis nur

– für Gespanne im Rahmen der Ausbildung an einer landwirtschaftlichen Fachschule und wenn
– geprüfte Fahr-Instruktoren oder Fahrlehrer „dabei“ sind – dann gilt als Altersgrenze das vollendete 15. Lebensjahr.

Diese Ausnahme ist also klar an die beiden – oben fett dargestellten – Prämissen gebunden und gilt nicht für allgemeine Fahrkurse oder Turniere (auf öffentlichem Terrain).

Als Ergänzung sei ein Blick auf die in der Österreichischen Turnierordnung (ÖTO) vorgesehenen Alterskategorien empfohlen – verbunden mit der Frage: Welche Person ist als geeignet anzusehen, bei einem oder mehreren Pferden in einem Wettbewerb die Kontrolle zu behalten?

 


Ein Unfall mit Todesfolge
Sachverhalt und Hergang
Am xx.xx.199x hielt die Beschuldigte in ihrer Funktion als Reitlehrerin auf der Reitanlage XY eine Reitstunde ab. Nachdem alle Reitschüler von den Pferden abgesessen waren, verließ sie kurz vor der vollen Stunde den Reitplatz, um die nächste Gruppe an Reitschülern aus den Stallungen abzuholen.

Die auf dem Reitplatz zurückgebliebenen Reitschüler – Kinder und Erwachsene - hatten allesamt bereits gewisse Erfahrung mit den Schulpferden und hatten überdies von ihr den Auftrag erhalten, die Pferde am Hufschlag unter Einhaltung von zwei Pferdelängen Abstand im Schritt am Zügel zu führen.
Während dies geschah, kam es zu einem, auch bei intensiver Recherche nicht näher zu präzisierenden Zwischenfall, bei dem die Reitschülerin NN. am Schädel so schwer verletzt wurde, dass sie in der Folge starb.

 

Befunde:

Aus dem Akt

– Bei dem Pferd, mit dem NN. ritt, handelte es sich um eine elfjährige Kleinpferdestute S.
– Gegen Ende der Bahnstunde um ca. 16:50 Uhr stellten sich die Reitschüler in der Mitte des Vierecks auf, mit einem jeweiligen Seitenabstand von 3-4 Metern.
– Nach dem Absitzen wurden die Steigbügel versorgt und die Sattelgurte gelockert, dies als Vorbereitung für das „Abführen“.
– Anschließend gingen die Reiter, jeweils an der linken Seite der Pferde, auf die linke Hand am Rand des Vierecks.
– Zu diesem Zeitpunkt verließ die Beschuldigte die Gruppe und ließ sie unbeaufsichtigt.
– Unmittelbar danach kam es im Bereich der Buchstaben B-M zum Unfall, bei dem NN. durch ein ausschlagendes Pferd am Kopf getroffen wurde und regungslos liegen blieb.
– Es dürfte vermutlich ihr eigenes Pferd gewesen sein, durch welches sie verletzt wurde, wie und wodurch dies geschah, konnte nicht ermittelt werden.
– Der Vater von NN. habe angegeben, dass er den Helm, den NN. vorher während des Reitens getragen hatte, vor dem Abführen der Pferde an sich genommen hat.
– NN. dürfte bis zum Unfallzeitpunkt 15 Longe-Stunden und 20 Bahnstunden absolviert haben.
– Die Beschuldigte führt an, dass NN. zum Unfallzeitpunkt keinen Helm trug, diesen jedoch mit Sicherheit aufhatte, als sie kurz vor siebzehn Uhr die Gruppe verließ.
– Der Vater von NN. gab an, dass er gegen Ende der Reitstunde, vor dem Abführen der Pferde, zu seiner Tochter ging und ihr den Reithelm und den Sattel abnahm, welchen er gleich in die Sattelkammer brachte.


Autopsie-Bericht:
– Schädelfrakturen links parietal und links occipital
– Im linken Parietalbereich verläuft eine quere, 15 cm lange Frakturlinie über den Schädelknochen
– Links occipital verläuft eine hufeisenförmige, 8 cm lange Frakturlinie.
– Körpergröße 130 cm.

Sachverständige Befundaufnahme:
Da aus dem Gerichtsakt nur wenig Aufschluss zu gewinnen war, wurde am Unfallort unter Aufsicht des bestellten SV eine „simulierte“ Reitstunde mit den Gepflogenheiten des Betriebes abgehalten, an der auch die Pferde S. und M. teilnahmen. Bei Kontrolle der Pferde im Stall hatte sich S. zuvor als unauffälliges Reitpony präsentiert, das mit vier Hufeisen (wie am Vorfalltag) ohne Stollen beschlagen war.

Zur (Demo-)Schulstunde waren alle Pferde mit Hilfszügel ausgerüstet, S. mit Martingal und Schweifriemen.

Der Verlauf der (Demo-)Reitstunde unter dem Kommando der Beschuldigten verlief ruhig, professionell und ohne jede Aufregung. Die Pferde hielten korrekt Abstände von zwei bis drei Pferdelängen ein, keines der Pferde drängte nach vorne oder fiel zurück. Der bestellte SV gewann den Eindruck, dass diese „gestellte“ Reitstunde den Gewohnheiten des Betriebes entsprach, und nicht der Versuch unternommen wurde, etwas vorzuspielen.

Sachverständige Fallanalyse:
Auf Grund der Einschätzung durch die Beschuldigte und die Selbsteinschätzung der befragten, erwachsenen Zeugen kann angenommen werden, dass der Ausbildungsstand der Gruppe so weit gediehen war, dass sie frei – ohne Longe – reiten und im Anschluss die Pferde an der Hand abführen konnte. Das Opfer NN. hatte bis dahin etwa 15 Longe- Stunden und 20 Bahnstunden absolviert.

Zwischen dem 130 cm großen Opfer NN. und dem Kleinpferd S. gab es keine bedenkliche Größendiskrepanz. Anlässlich der Befundaufnahme war nachvollziehbar, dass das Pferd S., mit dem das Opfer vertraut war, ruhig und verlässlich war.

Seitens der TeilnehmerInnen an der Reitstunde wurde der Verlauf als ruhig und problemlos geschildert, der Vater des Opfers gab allerdings an, dass die Pferde auf Grund der herrschenden Schwüle nervös gewesen wären.

Mit dem „dienst-ältesten“ Zeugen K. (geb. 1969), der auch in der Gruppe geritten war, befand sich zumindest ein Erwachsener im Reitunterricht, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Monat als Angestellter am Betrieb tätig war, nachdem er schon früher als Pferdepfleger gearbeitet hatte.

Unfallrekonstruktion:

Version 1
Das Opfer NN. litt gegen Ende der Reitstunde an einer hitzebedingten, körperlichen Schwäche. Dafür spricht möglicherweise, dass ihr der Vater den Reithelm und den Sattel abgenommen und in die Sattelkammer geschafft hatte. Die Aussagen der Zeugen (kleine Tour, Überholen rechts von M.) untermauern dies.

Nimmt man nun an, dass das heranwachsende Mädchen infolge des kleinen Schwächeanfalles oder auch über ein Bodenhindernis gestolpert ist, den Zügel zu S. jedoch fest in der rechten Hand hielt, so hätte sie im Fallen einen Halbkreis mit Zentrum „Faust der rechten Hand“ beschrieben. Auf diese Weise hätte sie dem, vor ihr gehenden Pferd M. in die Hinterhufe fallen können, was dieses erschreckt hat, worauf hin es den – offensichtlich völlig lockeren Sattelgurt samt Sattel abwarf und mit den Hinterhufen nach diesem schlug. Dabei wurde NN. getroffen.

Eine Seitenzuordnung der Frakturstellen wäre möglich.

 
Version 2
Das Opfer NN. ist mit S. am Zügel dem Pferd M. von hinten zu nahegekommen, was dieser vermutlich toleriert hätte, wenn nicht auch zeitgleich sein Sattel zu rutschen begonnen hätte. M. schlug mit den Hinter-Extremitäten nach dem rutschenden Sattel und traf dabei das Opfer.
Frontale Schädel- und Gesichtsfrakturen wären bei dieser Annahme zu erwarten.

Version 3
Das Opfer NN. stolperte infolge eines Bodenhindernisses oder einer hitzebedingten Übelkeit und fiel dabei ihrem Pferd S. vor die Vorderbeine, das Pferd stieß dabei mit einem Vorderhuf dem Opfer rechts gegen den Schädel und stieg in der Folge mit einem Hinterhuf noch einmal auf den Kopf.

Die Verletzungsmuster wären bei diesem zweiphasigen Ablauf nachvollziehbar – wenn man annimmt, dass die beiden Frakturen in Bewegung einmal durch Anschlagen mit einem beschlagenen Vorderhuf und einmal durch Draufsteigen mit einem beschlagenen Hinterhuf zugefügt wurden.

Als einzige Möglichkeit einer unfallverhindernden Bedeutung der persönlichen Anwesenheit der Beschuldigten am Reitplatz sieht der bestellte SV eine verbale Kommunikation zwischen Opfer und Beschuldigter bzw. zwischen dem Vater des Opfers und der Beschuldigten, indem letztere verhindert hätte, dass der Reithelm vorzeitig abgenommen worden wäre.

Gutachten:

– Im Falle der Version 1 und Version 2 hätte die Beschuldigte – vorausgesetzt, sie hätte das Opfer ununterbrochen beobachtet, möglicherweise Unregelmäßigkeiten im Ansatz erkennen können- unklar bleibt, ob dann auch noch Zeit zu einem korrigierenden Eingreifen geblieben wäre.

– Im Falle der Version 3 hätte die persönliche Anwesenheit der Beschuldigten den Vorfall nicht verhindern können.

– Aus fachlicher Sicht ist der Unfall als schicksalhaftes, nicht vorhersehbares und im Spontan-Verlauf nicht abwendbares Ereignis einzustufen. Der tödliche Ausgang wäre möglicherweise zu verhindern gewesen, wenn sich der Schutzhelm noch am Kopfe des Opfers befunden hätte.


Nach dem Kenntnisstand des Autors erfolgte ein Freispruch durch das erkennende Gericht.

 

 

Pferde und Kinder – eine Risikosituation
Aufdringliches (Fress-) Verhalten von Pferden, wie es diese Bilder zeigen, wird häufig dadurch entwickelt, dass Kindern – aber nicht nur diesen – gestattet wird, Pferde mit Futter zu locken.

 

Ein kleiner Bub lief – von seiner, zu der Zeit reitenden, Mutter nicht beaufsichtigt – längere Zeit zwischen Stallgasse und angrenzender Wiese vor dem Stall hin und her und brachte den Pferden Grünfutter – plötzlich kam Geschrei auf, bei Nachschau wies der Junge eine schwere Gesichtsverletzung auf.

Im folgenden Gerichtsverfahren wurde das „Täter-Pferd“ sowohl von der Kindesmutter wie auch von deren Rechtsvertretung als „bekannt bösartig“ dargestellt, obwohl es noch nie einen negativen Vorfall mit diesem bisher unauffälligen Wallach gegeben hatte – die sachverständige Rekonstruktion des Unfalls kam zu dem Ergebnis, dass der Knabe gegen den eisernen Halfterring und den Pferdeschädel geprallt war, als das Pferd in Erwartung einer neuen „Lieferung“ den Kopf herausgestreckt hatte, während er vorbeilief.   Dabei hat sich der „in das Pferd laufende“ Bub eine Platzwunde zugezogen.

 

 

 

Das OLG Graz hielt in einer Entscheidung [RS 41 Cg 71/XX] zu diesem Thema fest:

– Der Mensch als das, dem Pferd übergeordnete Wesen muss ihm Sicherheit geben, um jederzeit Vertrauen, Kontrolle und Verwahrungssicherheit auszustrahlen.

– Diese grundlegende Vertrauensbrücke nach dem Ankauf eines Pferdes aufzubauen oder wieder herzustellen, ist das oberste Gebot des Pferdesportlers und ist nicht delegierbar.

– Ist dieses Grund- und Urvertrauen zwischen Pferd und Reiter nicht vorhanden, beginnt ein sensibles Pferd regelmäßig auszuloten, wie weit es die Grenzen zum Ungehorsam erweitern kann.

– Die Klägerin versuchte nach Ankauf des noch jungen und hoch im Blut stehenden Pferdes dieses Defizit mit Beritt durch einen anderen Reiter auszugleichen.

– Während die Klägerin ihrerseits nicht in der Lage war, dort anzuknüpfen, wo das Pferd unter der Beklagten im Ausbildungsstand positioniert war, vermeinte der, mit dem Beritt beauftragte Reiter, das Pferd „brechen“ und dessen vermeintlichen Ungehorsam austreiben zu müssen. Während der Dauer seines Berittes hat sich das Pferd kontinuierlich verschlechtert. Der beauftragte Reiter hat das Pferd auf grobe Art verritten und es somit weiter von der Klägerin entfernt.

 

 

 

„Überberittene“ Reiter (10 C 637/9X v)

Aus dem Gutachten:

Der Erst-Beklagte überließ sein Pferd der  Zweit- Beklagten XX., damit diese den minderjährigen Ch. beim Reiten in der Reithalle beaufsichtige und unterrichte. Zu dieser Zeit befanden sich der Reithalle mehrere Pferde unter dem Sattel, unter anderem auch die Klägerin, mit deren Pferd der minderjährige Ch. kollidierte, wobei sich die Klägerin den linken Knöchel brach.

Im Rahmen umfangreicher Befundaufnahmen ließ der bestellte Sachverständige die Klägerin und den minderjährigen Ch. mit den, am Vorfall   beteiligten Pferden vorreiten. Die beiden Warmblutpferde hatten etwa 175 cm Bandmaß und waren 11 bzw. 18 Jahre alt.

Befunde:
Die Klägerin ist mit ihrem Pferde deutlich „überberitten“ – das Können und Vermögen des Pferdes übersteigt jenes der Reiterin. Um diese Diskrepanz auszugleichen, wird ein Schlaufzügel (Schleifzügel) verwendet und das Pferd „tief“ eingestellt. Dem Kommando des SV kann die Klägerin jeweils unmittelbar folgen.
Der minderjährige Ch. ist mit dem 11 jährigen Holländer, der in allen Gangarten über starke Bewegung verfügt, ebenfalls stark überberitten, um das Pferd unter Kontrolle zu halten, wird ein Stoßzügel verwendet – in dieser Adjustierung kommt der Minderjährige mit dem Pferd gut zurecht.

Gutachtensauftrag:

– War die Beklagte befugt und in der Lage, den mj. Ch. zu beaufsichtigen bzw. zu unterrichten?
– War der mj. Ch. reiterlich in der Lage und befähigt, ein Pferd frei in der Halle zu bewegen?
– Hätte die Klägerin den Unfall durch rechtzeitige Reaktion ihrerseits verhindern können?

Gutachten:

– Die Erteilung von Reitunterricht bzw. Beaufsichtigung während eines solchen ist an keine Ausbildung oder staatliche Anerkennung gebunden. Es entspricht der Üblichkeit, dass (vermeintlich) Erfahrene ihr Wissen an Unerfahrene oder wenig Erfahrene weitergeben. Da die Zweitbeklagte von Berufswegen Lehrerin ist, wird man ihr Qualifikation als Aufsichtsperson unterstellen können.
– Zum Zeitpunkt des Unfalles befand sich der minderjährige Reiter Ch. am falschen Hufschlag, was zum Zusammenstoß führte. Nach Warnung durch seine Aufsichtsperson, die Zweitbeklagte, hat er nicht rechtzeitig reagiert: er ist weder ausgewichen noch hat er angehalten, beides wäre zum Zeitpunkt des Zurufs durch die Zweitbeklagte unfallverhindernd möglich gewesen. Davon abgesehen, war gegen das Freireiten des Ch. bei erwähnter (aber vom SV nicht gebilligter) Ausrüstung nichts einzuwenden.
– Die Klägerin hat den warnenden Zuruf der Zweitbeklagten ebenfalls rechtzeitig gehört, ohne zu reagieren: sie hätte ihr Pferd aus dem Galopp zum Schritt und Halt durchparieren können und müssen.
– Zum reibungslosen Betrieb in einer Reithalle/Reitplatz sind drei Regeln vorauszusetzen:
– Bedingungslose Einhaltung der Bahnregeln, wie: linke Hände begegnen einander.
– Disziplin der Reiter und Pferde
– Vertrauensgrundsatz:  gerät ein Reiter (jedweder vorstellbaren oder erwünschten geschlechtlichen Variante) in erkennbare Schwierigkeiten im Sattel (Durchgehen, Ungehorsam, Widersetzlichkeit, Verlust eines Bügels, Materialdefekte, erheblicher Verlust von Gleichgewicht und/oder Balance) reagieren alle anderen Reiter mit Durchparieren zu Schritt bzw. Halt.

Der bestellte Sachverständige kann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Fraktur des linken Knöchels der Klägerin auf den Zusammenstoß mit dem Steigbügel des Pferdes des mj. Ch. zurückzuführen ist; mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad ist ein „Hineinrutschen und Abquetschen“ in den eigenen Steigbügel anzunehmen.

 

Der Autor dieser Zeilen meint, dass die Frage „Große schützen Kleine – tun sie das tatsächlich??“ im realen Alltag durchaus angebracht ist.

…..also, noch einmal: Sicherheit beginnt im Kopf  - will man nicht durch den, von einen beliebten Comedian abgewandelten, Bibelspruch miterfasst sein:

„Und der Herr sprach: ICH bin der Rebstock und Ihr seid die Flaschen!“

In Presseaussendungen wie auch gleichermaßen in Klageschriften ist nach Unfällen mit Pferden der, schon fast zur Formel gewordene, grammatikalische Unfug und verhaltensphysiologische Unsinn zu lesen: „Das Pferd hat sich erschreckt“ oder – schlimmer noch – „das Pferd hat sich erschrocken“:

Ein Pferd ist entweder erschrocken z.B. vor einem Schatten oder Holzstoß oder ein Pferd wurde (aktiv aufge-) geschreckt z. B. durch einen Hund oder eine achtlos zugeworfene Türe – in der Folge war das Pferd dann entweder erschrocken oder mehr noch – aufgeschreckt:  dass Pferde schreckhaft sein können, ist eine Binsenweisheit, die der OGH in ein Erkenntnis gegossen hat -  jedoch, dass sie sich selber (er-)schrecken ist damit nicht gemeint!!

 

Dokumente, Fotos, Grafiken und Literatur – Archiv & ex libris Dr. Kaun seit 1963

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