Eine Reiterin hatte von einem Sportpferde-Händler einen Dressur-Wallach um 12.000,– Euro erworben – der sich jedoch nach intensiverem Training zunehmend als unreitbar erwies, sie klagte auf Rücktritt vom Kauf wegen gesundheitlicher Probleme. Erst Gutachter Dr. K. konnte die wahre Ursache aufdecken...
Unfälle, Erkrankungen, Mängelrügen, Behandlungsfehler – mannigfaltig sind Gründe und Ursachen, die Pferde mit Tierärztinnen und Tierärzten zusammenführen – nicht selten entwickelt sich aus diesem „Kontakt“ ein Versicherungsanspruch oder ein Gerichtsverfahren; beide führen dann – meist – sekundär zur Bestellung von Sachverständigen, deren Aufgabe es in der Folge regelmäßig ist, den Sachbearbeitern einer Versicherung oder der Richterschaft angerufener Gerichte als „Gehilfen zur Wahrheitsfindung“ zu dienen, und dergestalt eine Entscheidung oder ein Urteil zu ermöglichen.
So „bunt“ wie die Gründe zur Beiziehung und Bestellung Sachverständiger beschaffen sind, so facettenreich stellen sich die > Gutachtensaufträge dar – allen gemeinsam ist, dass in jedem Fall zunächst auf den > Einzelfall bezogene Befunde (wie Krankengeschichten, Polizeiprotokolle, Fotodokumentationen, Gerichtsprotokolle mit Aussagen von Beteiligten und Zeugen) erhoben und vorliegen müssen, um, in einem weiteren Schritt, eine > fachliche Analyse erstellen zu können, die dann in ein > Gutachten mündet.
Die Grundlage und gleichzeitig die Begrenzung jeder gutachterlichen Arbeit stellt der, vom erkennenden Gericht verfasste Gutachtensauftrag dar, der bei der Sachverständigenbestellung zusammen mit den Parteienvertretern formuliert wird, was bedeutet, dass jede Partei Einfluss auf die Breite und Tiefe sachverständiger Arbeit hat, selbstständige „Erkundungen“ ohne gerichtlichem Auftrag sind Gutachtern verwehrt, meist aber bedient sich das erkennende Gericht der Formel: Notwendige Unterlagen mögen im eigenen Wirkungsbereich beigeschafft werden! Festzuhalten ist jedoch unbedingt, dass ein mangelhafter Gutachtensauftrag oder ein lediglicher Querverweis auf Aktenstellen nicht der Sphäre der Sachverständigen zuzuordnen ist.
Beispiele für Gutachtensaufträge:
Mängelrüge wegen Lahmheit:
– War zum Übergabezeitpunkt eine erhebliche Erkrankung des Pferdes im Sinne einer Hufrollenentzündung bereits gegeben?
Verletzung eines Fohlens durch ausschlagenden Hengst
– Wie gestaltete sich der Heilungsverlauf beim Fohlen?
– Sind Dauerfolgen absehbar?
– Wie beziffert sich zur Zeit die Schadenshöhe?
Verkehrsunfall mit Pferd und PKW
– Rekonstruktion des Unfallverlaufs
– Verletzungsmuster beim Pferd
– Spät- und Dauerfolgen beim Pferd
Erkrankung eines Pferdes
– Ob das Pferd „L“ der Klägerin an Hufrehe erkrankt war, wenn ja
– ob dies auf eine unrichtige Fütterung (überdurchschnittliche Erhöhung der Futterration) zurückzuführen ist, und
– ob die von der klagenden Partei behaupteten Aufwendungen für Heilkosten und Hufschmied notwendig waren und angemessen sind.
Vorwurf einer Futtervergiftung
– Ist die Verpilzung des Schwarzhafers als Ursache der Erkrankung der Pferde anzusehen?
– Sind unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes auch andere Ursachen denkbar?
– Kann auch verpilztes Heu schadensursächlich sein?
– Kann es durch Verfütterung des verpilzten Schwarzhafers zu einem Leistungsabfall bei Trabern, insbesondere bei Jungtieren, gekommen sein?
Ausschlagen eines Pferdes in der Reithalle
– Ist der geschilderte Vorfall mit Todesfolge für das Pferd des Klägers nachvollziehbar?
– Detaillierte Unfallrekonstruktion
Unfall bei einer Pferdeschau
– Befundaufnahme an Ort und Stelle
– Befundaufnahme am verfahrensgegenständlichen Pferde
– War die Art und Durchführung der Verwahrung des Pferdes (Noriker, ca. 700 kg) des Beklagten bei der Pferdeschau am 22.10.2XXX ausreichend?
– Wurde vom Beklagten die objektiv gebotene Sorgfalt bei der Verwahrung des Pferdes eingehalten?
– Wenn nicht, welche Maßnahmen wären erforderlich gewesen, damit die objektiv gebotene Sorgfalt eingehalten worden wäre?
Verletzung eines Pferdes in seiner Box - Schadenersatz
– Ist der geschilderte Verletzungsverlauf nachvollziehbar?
– Entsprach die Erstversorgung durch die Beklagte dem state of art?
– Hätte das Pferd infolge der gelenksnahen Verletzung früher in eine Klinik eingewiesen werden sollen?
– Liegen Behandlungsfehler vor?
Ausbruch von Pferden bei einem Gewitter
– Entsprach die Verwahrung und Beaufsichtigung der Pferde den Erfordernissen?
– War die Absicherung einer „Treibegasse“ durch zwei übereinandergespannte Weidebänder beim Aufziehen eines Gewitters ordnungsgemäß?
– Können die Verletzungen der Pferde ursächlich dem geschilderten Ereignis zugeordnet werden?
Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang für ein Pferd
– War die Erstversorgung des Pferdes am Unfallort ordnungsgemäß?
– Wie sind die Kratzspuren am Asphalt zustande gekommen?
– Welcher Art war der Aufprall des Pferdes auf den PKW?
– Wie war die, vom Pferd eingehaltene, Laufrichtung?
– Wie gestaltete sich die Loslösung des Pferdes vom PKW?
– Beurteilung der tierärztlichen Intervention dem Grunde und der Höhe nach.
Mängelrüge bei einem (sehr teuren) Dressurpferd
– Weist das Pferd im Hinblick auf die zugesicherte Eigenschaft der Verwendung als Dressurpferd laut dem Kaufvertrag oder auf die gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft einen Mangel auf (chronische Knochenentzündung mit subchondralen Knochenveränderungen am Kronbein vorne rechts, chronische Hufgelenksentzündung bzw. Lahmheit rechts vorne)?
– Lag diese festgestellte gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. der Mangel zumindest von ihrer /seiner Wurzel bereits bei der Übergabe des Pferdes vor?
– War der festgestellte Mangel vor bzw. bei Kaufvertragsabschluss für die Klägerin, ausgehend von ihrer Fach- und Sachkunde, erkennbar bzw. offenkundig?
– Ist die Ursache des Mangels eine falsche Behandlung des Pferdes durch die Klägerin oder ein Ausrutschen des Pferdes auf eisigem Boden? (Vergl. Vorbringen des Beklagten)
– Ist der festgestellte Mangel verbesserbar bzw. kann er behoben werden? Liegt bloß ein geringfügiger Mangel vor?
– Welchen Verkehrswert wies das Pferd bei Vertragsabschluss im Oktober/November 2XXX auf?
Mängelrüge bei einem Pferde
– Wurde seitens der Klägerin die Nachbehandlung des Pferdes nach der Chip-Operation im Jahre 2XXX vernachlässigt?
– Bejahendenfalls: Ist dies die Ursache für die im Jahre 20XX aufgetretene Lahmheit des rechten Hinterfußes?
– Falls die Fragen 1 und 2 bejaht werden:
– Waren die, von der Klägerin geltend gemachten Behandlungen und Therapien notwendig und sind die damit in Zusammenhang stehenden Kosten aus fachlicher Sicht angemessen?
– Welchen Verkehrswert wies das gegenständliche Pferd unter Zugrundelegung der Fragestellung zur Frage 1 im Kaufzeitpunkt auf, wenn man davon ausgeht, dass
– das Pferd keine Galoppwechsel konnte;
– das Pferd Galoppwechsel konnte?
– Sind die aus Beilage./F hervorgehenden Fragmente die Ursache für die im Jahr 20XX aufgetretene Lahmheit des Pferdes?
– Im Bejahungsfalle möge ausgeführt werden, ob eine Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der nunmehr durchgeführten Operation und weiteren Behandlung gemäß Klageausdehnung als angemessen zu betrachten ist?
– Sind aus tierärztlicher Sicht Spät- und Dauerfolgen auszuschließen?
In diesem, 1805 erschienen Buche entdeckte ich eines der ersten (mir bekannten) Formblätter für eine Krankengeschichte resp. Untersuchungsgang, das auf [zit.] Herrn Medicinae Doctor Ignaz Pessina von Czecherot, Professor der Anatomie, Physiologie und der Gestütskunde an der Wiener Schule zurückgeht.
„Zur Erinnerung: 1765 war diese Lehrschule durch Maria Theresia als „Pferde-Curen und Operationsschule“ gegründet worden, den damaligen militärischen Bedürfnissen folgend, um dann mit der Neugründung 1777 als „k.k. Thierspital“ den modernen Bedürfnissen der Epoche zu entsprechen.“
[Daniela Haarmann in Festschrift 250 Jahre Veterinärmedizinische Universität Wien, Verlag Holzhausen 2015)
1 Sind die Sinne gegen äußere Eindrücke stumpf, unaufmerksam oder zu empfänglich und empfindlich? Ist des Pferdes Bewusstsein gegenwärtig, oder irre? Schaut es einen seiner Teile besonders oft an?
2 Sind die willkürlich zu bewegenden Teile, als der Kopf, Hals, Gliedmaßen müde, träge, hängend, still oder beweglich, tätig unruhig heftig? Ist Krampf, Lähmung, Konvulsion gegenwärtig? Legt sich das Tier gar nicht, oder oft nieder, mit oder ohne herumwälzen?
3 Atmet das Pferd sanft, langsam – viel Luft, ohne sichtbare Bewegung der Rippen und der Flanken, oder rauschend, geschwind, wenig Luft, mit aufgesperrten Nasenlöchern, mit sichtbarer Bewegung der Rippen und der Flanken ein? Mit oder ohne Husten?
4 Ist der Kreiskauf des Blutes, sind die Schläge des Herzens und der Arterien stark zu fühlen, geschwind oder unmerkbar, und langsam?
5 Welche Ab- und Aussonderungen sind vermehret oder vermindert? Tränen, Nasenrotz, Speichel, Schweiß, Harn und von welcher Beschaffenheit?
6 Die Fresslust, Durst, Verdauung – keine, wenige, groß? Der Mist oft, selten, wässrig, trocken, wenig oder stark gefärbt, verdaut, unverdaut?
7 Die Augen, die Nase, das Maul rot, lebhaft, matt, blass, feucht, trocken? Der Bauch hängend, aufgeschürzt? Die Haare glänzend, liegend, oder wollig geborsten? Der ganze Körper bei Leibe, oder wird magerer?
8 Sind Ausschläge, Geschwülste oder Geschwüre, und an welchen Teilen, von welcher Art vorhanden?
9 Ist die Krankheit wenig oder stark fieberhaft, entzündlich oder nerven- oder faulartig, gut oder bösartig, im Zu- oder Abnehmen? Und was hat man für ihren Ausgang zu hoffen oder zu fürchten?
10 Anzuwendende Heilmittel – innerlich - äußerlich
11 Verpflegung Stroh Heu Hafer
12 Angeordnete Bewegung keine Schritt Trab
13 Anatomie (Autopsie): Welche Veränderungen sind nach dem Abziehen des Tieres bemerkt worden? Im Kopfe, Halse, in der Brust- und Bauchhöhle und welche Schlussfolgerungen kann man daraus auf die Beschaffenheit der Krankheit und der Heil-Art machen?
Aufmerksamen Lesern – und in kühner Einschätzung der Interessenten an Pferde-Themen – gehe ich von solchen aus, wird die Themenvielfalt und der Nuancenreichtum der Gutachtensaufträge aufgefallen sein, beide bedingen ein profundes Wissen zur Bearbeitung, das eben auch eine intensive Recherchebemühung erfordert: wenn der Gutachtensauftrag medizinische Fragestellungen aufweist, sind Krankengeschichten logischerweise die einzig seriösen Quellen.
Die Dokumentationspflicht in der Veterinärmedizin wurde in den letzten zehn Jahren zu einer grundlegenden Nebenpflicht einer Behandlung erhoben – vor 30 oder 40 Jahren war noch der graue „Tierärztekalender“ die „Quelle schlechthin“ – was dort handschriftlich hineingekritzelt worden war, galt als nachvollziehbare Dokumentation – was nicht dort aufschien, war nicht dokumentiert: „ Quod non in actis, non est in mundo!“
Die Anforderungskriterien haben sich in Folge der rasanten technischen Fortschritte in der elektronischen Welt erheblich verschärft, jedem „Behandler“ ist das Führen einer Krankengeschichte für ein behandeltes Pferd zumutbar – und da eine Krankengeschichte deshalb auf Knopfdruck zur Verfügung stehen muss – kann ein, in einem Rechtsstreit befangener Pferdebesitzer auch mit Fug und Recht von „seinem Behandler“ (und dies sind nicht nur traditionelle Veterinärmediziner!) verlangen, dass ihm diese ausgehändigt wird – Ausflüchte in den Datenschutz müssen manchmal durch gerichtlichen Auftrag begegnet werden.
Weigerungen, eine Krankengeschichte herauszugeben, haben meist Hintergründe: wenn dem Pferdeeigentümer eine „biologische und komplementäre Behandlung“ versprochen wurde, in der Krankengeschichte aber „die üblichen harten Medikationen“ aufscheinen, so ist eine Erschütterung des Vertrauens zu erwarten.
Schlaue Behandler haben deshalb immer wieder zu Symbol-Formeln gegriffen:
– Entzündungshemmende Maßnahmen
– Schmerzstillende Therapie
– Krampflösende Behandlung
– Wundheilende Manipulationen
– Entspannende Bewegung
– Regenerative Methoden,
um die detaillierte Offenbarung einer Therapie zu umgehen.
Da weder das Gericht noch seine (Gerichts-)Gutachter solche Formeln akzeptieren und tolerieren können und dürfen, hat der Autor dieser Zeilen schon vor Jahren ein Merkblatt verfasst, das der Anforderung einer Krankengeschichte regelmäßig beigelegt wird.
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MERKBLATT
Inhalt einer Krankengeschichte als Grundlage für ein Sachverständigengutachten ©
Die Krankengeschichte muss es dem Gutachter erlauben, jeden Schritt im Krankheitsverlauf, der Krankheitsdauer und in der Behandlung sowie den positiven oder negativen Genesungsverlauf eines Patienten nachzuvollziehen.
Honorarnoten können als Krankengeschichten nicht anerkannt werden.
Eine Krankengeschichte muss folgende Punkte enthalten:
– Genaues Nationale des Patienten
– Chip-Nummer, UELN
– Nachvollziehbare Anamnese zum verfahrensgegenständlichen Fall
– Klinischer Erstbefund und (tägliche) Folgebefunde mit genauen Angaben (entsprechend den jeweiligen propädeutischen Untersuchungsgängen)
z.B. Puls 64, hüpfend, unregelmäßig usw.; KFZ 3 sec., Nasenschleimhaut rosarot.
Angaben wie „o. b. B.“ oder „in der Norm“ sind subjektiv und daher für ein objektives Gutachten nicht brauchbar.
Bei infektiösen Krankheiten sind Verlaufsberichte über die innere Körpertemperatur notwendig.
– Unfälle bzw. Verletzungen bzw. Lahmheiten
o Fotos
o Video
o Genaue Beschreibung der Lokalisation
– Spezielle Untersuchungsergebnisse
o Blutbild und Labor
o Sonografie / Thermografie
o Röntgen
o Endoskopie
o usw.
– DIAGNOSE
o Erst- oder Notfalldiagnose
o Differentialdiagnosen
o Verdachtsdiagnose als Behandlungsgrundlage
o Endgültige Diagnose
– Therapie
o Genauer Name/Wirkstoff der Arzneimittel
o Dosis genau in ml oder mg
o Applikationsform
o Keine allgemeinen Angaben wie „muskelentspannendes oder schmerzstillendes Medikament“!!!
– Behandlung ambulant/stationär
– Genauer Verlaufsbericht mit exakter Datumszuordnung
– Bei Unfällen oder Notfällen ist die Uhrzeit zu dokumentieren
– Zustand am Beginn und am Ende der Behandlung
– Epikrise
– Prognose
– Bei Exitus
o Exitus letalis
o Euthanasie
o Form der Tötung
o Autopsie angeordnet/nicht angeordnet
o Autopsie nicht erwünscht
Ausdrücklich erbeten: Vorlage von
– Fotos
– Videos
– Röntgenbildern
– Labor – oder anderen Spezialuntersuchungen
– Jede andere Form zweckdienlicher Hinweise.
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Die schon sehr frühe Vereinnahme des Begriffes „Diagnose“ durch die Medizin führte dazu, dass – kurzsichtig - medizinnahen Berufen unter Hinweis auf „vorbehaltene Tätigkeiten“ untersagt wurde, eine solche „zu stellen“.
Dem aus der (alt-)griechischen Sprache stammenden Begriff wird ursprünglich die Übersetzung „unterscheidende Beurteilung, Erkenntnis“ zugeordnet, das Fremdwörterbuch des DUDEN (Band 5, 1990) fügt zum Beispiel noch hinzu: „auf Grund genauerer Beobachtungen, Untersuchungen abgegebene Feststellung; Beurteilung über den Zustand usw.“
Seitdem jede größere Werkstätte für Kraftfahrzeuge und andere technische Belange über eine „Diagnostik“ oder ein „Diagnose – Center“ verfügt, ist – wie bei vielen anderen Termini – ein inflationärer Gebrauch erfolgt.
Eine > Diagnose kann jedenfalls nur auf dem Fundament erhobener > Befunde gestellt werden, Befunde sind das Resultat von > Untersuchungen: bedeutet eingehende erkundende Befassung mit einem Patienten, einem Gegenstand oder einem Sachverhalt.
In der Medizin (und anderen akademischen Disziplinen) gleichermaßen wie in der Veterinärmedizin haben sich – richtungsweisend – im Laufe der Jahrhunderte „Schulen“ herausgebildet und etabliert, die - meist nach einer Universität oder Persönlichkeit benannt – Richtlinien und Leitlinien vorgeben, die eine einheitliche und vorurteilsfrei nachvollziehbare Vorgangsweise gewährleisten und ein „Vergessen wichtiger Punkte“ verhindern.
Die „Wiener Schule der Thier - Medicin“ hat in Form der „Klinischen Propädeutik“ schon sehr früh verbindliche Untersuchungsgänge [1934: Wirth Klinische Diagnostik (Urban & Schwarzenberg); 1976: Jaksch/Glawischnig Klinische Propädeutik der inneren Krankheiten und Hautkrankheiten (Parey)] geschaffen und somit auch Vorlagen für die nachvollziehbare Dokumentation dargestellt:
– Grundlage ist jeweils der Allgemeine Untersuchungsgang, in dessen Gefolge Spezialuntersuchungen durchgeführt werden können:
o Internistischer Untersuchungsgang
o Orthopädischer Untersuchungsgang
o Ophthalmologischer Untersuchungsgang
o Dermatologischer Untersuchungsgang
o Neurologischer Untersuchungsgang
o Andrologischer und gynäkologischer Untersuchungsgang
– Die Vorlage für eine Kaufuntersuchung nimmt eine Sonderstellung ein, weil sie zunächst von der Prämisse eines gesunden Pferdes ausgeht.
„Bei Tieren muss die Untersuchung stets so durchgeführt werden, dass kein Organ vergessen wird (Wirth). Der größte Teil aller Fehldiagnosen ist auf eine mangelhafte Ausführung der Untersuchung zurückzuführen. Damit bei dieser Untersuchung nichts vergessen wird, ist es zweckmäßig, sich an eine bestimmte Reihenfolge zu halten; also einem Untersuchungsgang zu folgen.“
[zit. aus: Jaksch/Glawischnig, s.o.; Pareys Studientexte 1976]
Allgemeiner Untersuchungsgang
– Kennzeichen, Nationale, Signalement
– Anamnese
– Umweltverhältnisse
– Allgemeinverhalten
– Ernährungszustand
– Haut und Hautanhangsgebilde, Haarkleid, Hautoberfläche
– Hautelastizität, Hauttemperatur
– Innere Körpertemperatur
– Auge und Lidbindehaut
– Nase und Nasenschleimhaut, Nebenhöhlen
– Mund und Mundschleimhaut, Mundhöhle
– Futter- und Getränkeaufnahme
– Obere Halsgegend
– Kehlkopf und Husten auf Reiz
– Hals und Drosselrinne
– Lymphknoten
– Puls, Kreislauf, Gefäßspannung, Stauprobe, Kapillarfüllungszeit
– Atmung
– Herzgegend: Adspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation
– Lunge: Adspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation, tiefes Inspirium
– Abdomen: Adspektion, Palpation, Auskultation
– Rektale Untersuchung, Kot und Kotabsatz
– Geschlechtsorgane
– Milchdrüsen
– Harnapparat
– Spezielle Untersuchungen: Hautgeschabsel, Laboruntersuchungen auf Erreger, Harnuntersuchung, Blutbild, EKG, Probepunktion, spezifische Diagnostik.
Nicht nur bei veterinärmedizinischen Untersuchungen von Pferden sind Untersuchungsgänge einzuhalten, die den Vorgang nachvollziehbar gestalten, auch Behandlungen durch Pferde-Physiotherapeuten, Osteopathen oder Energetiker (aller denkbaren Geschlechter und fachlicher Variationen) bedürfen der Grundlage einer nachvollziehbaren Untersuchung, die zu einem „Erkenntnis“ hinsichtlich der Behandlung geführt hat – jede Ausbildungsrichtung hat ihre diesbezüglichen, verbindlichen Richtlinien. Die in einem Streitfall vor einem Zivilgericht in gerichtlichem Auftrag (Angemessenheit der Behandlungskosten dem Grunde und der Höhe nach) angeforderte Auskunft, über Untersuchung und Chiro-Therapie mit [zit.] „1 x Chiro bei einem Pferd“ ohne nähere Beschreibung des Patienten, des Krankheitsbildes und der durchgeführten Behandlung zu beantworten, macht böses Blut (und ist dann auch eine Frechheit), wenn dafür € 250.00 in Rechnung gestellt wurden.
Die Geschichte kranker Pferde oder „wo es gerade weh tut, tut`s am Wehsten“[Eugen Roth]
Die Klägerin erwarb vom Beklagten, der einen Handel mit Sportpferden betreibt, um € 12.000.00 einen Wallach, wobei sie die Absicht hatte, ein Pferd für Turnierverwendung, speziell für den Dressursport, zu kaufen. Sie ersuchte um Durchführung einer Kaufuntersuchung, welche vom Beklagten beim FTA Dr. X. in Auftrag gegeben worden ist und von diesem durchgeführt wurde. Ohne das Protokoll dieser Kaufuntersuchung zu übergeben, teilte der Beklagte der Käuferin mit, dass „alles in Ordnung“ sei.
Noch am Tage der Kaufuntersuchung wurde das Pferd durch den Beklagten an die Klägerin übergeben, eine postalische Übersendung des Protokolls der Ankauf -Untersuchung wurde zugesagt.
Bald nach der Überstellung des Pferdes an den nunmehrigen Standort wurde der Wallach unter Beritt genommen und auch in der Folge ein Reittraining begonnen. Als das Reittraining Anfang November 200X intensiviert wurde, zeigten sich zunehmende und sich steigernde Probleme mit der Rittigkeit des Pferdes, bis es zuletzt als unreitbar eingestuft worden ist.
Die Klägerin führte das Benehmen des Pferdes auf Schmerzen an den Beinen zurück und wurde in ihrer Annahme durch das mittlerweile beschaffte Untersuchungsprotokoll der Ankaufuntersuchung bestärkt, in welchem von diversen Zubildungen an den Extremitäten berichtet wurde. Die Klägerin zog aus diesen Befunden den Schluss, dass der Wallach für den Turniersport ungeeignet ist und begehrt eine Wandlung bzw. einen Rücktritt vom Kauf.
Befundaufnahme (Auszüge)
An der Longe ging das Pferd ohne Probleme auf jede Hand in allen drei Grundgangarten willig und kooperativ.
Im Anschluss an die Longen-Arbeit wurde der von der Klägerin verwendete Sattel abgenommen und eine Infrarotaufnahme des Rückens angefertigt (siehe Bericht Infrared – Imaging).
Rücken von oben
Nach kurzer Longen-Arbeit mit dem Sattel der Klägerin: Deutliche Druckstellen mit niedriger Temperatur im Bereich der vorderen Sattelkammer (gelbe Pfeile); diese Stellen korrespondieren mit der hochgradigen Druckempfindlichkeit bei der klinischen Untersuchung und der Untersuchung mit dem Drucktensiometer (siehe unten).
Eine Untersuchung mit dem Drucktensiometer ergab eine deutliche Schmerzempfindlichkeit im Bereich des Widerristes an der Lage des Vorderzwiesels (1.5 bis 1.7 kg/cm²). Im hinteren Bereich der Sattellage und der Lende wurden Druckbelastungen von 4 – 5 kg /cm² problemlos toleriert.
Dann wurde der, vom Fremdreiter mitgebrachte Springsattel aufgelegt. Auf Betreiben des SV wurde das Pferd zusätzlich zu den Zügeln mit einem Führstrick verwahrt, um das Sicherheitsrisiko so gering wie möglich zu halten.
Aufsitzen und Angehen im Schritt waren unproblematisch, nach etwa 20 m löste die, das Pferd führende beklagte Partei den Führstrick und der Fremdreiter ritt frei. Vom Fremdreiter geritten, ging das Pferd – auf Kommandi des SV – in allen drei Gangarten und auf beide Hände problemlos, willig, durchlässig und ohne Widerstand. Zu keinem Zeitpunkt gab es auch nur den Ansatz einer Widersetzlichkeit. Die Hilfen wurden willig angenommen, die Übergänge waren fließend und geschmeidig. Der beschriebene Befund des Berittes ist filmdokumentarisch festgehalten (Beilage zum GA).
Nach Abnahme des Sattels (des Fremdreiters) wurde eine neuerliche Untersuchung mit der Wärmebildkamera durchgeführt – es konnten keine Temperaturunterschiede im Bereich der Sattellage festgestellt werden.
Informative ergänzende Befragung der Klägerin:
– Nach Übernahme des Pferdes wurde diesem eine Eingewöhnungszeit von etwa 14 Tagen gewährt. In dieser Zeit wurde das Pferd im Schritt geführt, mit der Umgebung vertraut gemacht und gelegentlich longiert.
– Nach diesen 14 Tagen begann sie das Pferd zu reiten, Probleme traten dabei nicht auf. Es war zu diesem Zeitpunkt noch ein anderer Sattel in Verwendung.
– Kurz darauf wurde ein Kurs besucht, der an zwei Wochenenden absolviert wurde, und an dem sie pro Tag etwa 1 ½ Stunden geritten ist. Die Probleme mit dem Pferd begannen im November und entwickelten sich kontinuierlich steigernd.
– Zu keinem Zeitpunkt hat die Klägerin mit dem Pferd ein Aufbau- oder Muskeltraining durchgeführt. Ihrer Einschätzung war das Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe im Training gewesen.
– Eine tierärztliche Untersuchung oder eine Blutuntersuchung wurde nie durchgeführt, obwohl die Klägerin überzeugt davon war, dass die Verhaltensänderung des Pferdes durch Schmerzen verursacht wurde. Der Trainer hatte den Verdacht geäußert, der Rittigkeitsverlust gehe auf die Zähne zurück. Nach einer Zahnkorrektur hatte man auch zunächst für kurze Zeit den Eindruck, „es werde besser“.
– Ende Jänner des Folgejahres war das Pferd jedoch dann nicht mehr reitbar und wurde in der Folge außer Dienst gestellt.
– Die Klägerin hat die Lizenz RD1, die Prüfung erfolgte im Reitstall G.; spezielle Kenntnisse über Training und Aufbau von Pferden hat sie nicht.
– Zum Zeitpunkt der Übernahme war das Pferd beschlagen.
– Sowohl Zaumzeug wie auch Sattel – wie bei der Befundaufnahme gezeigt und verwendet - waren speziell für den Wallach angeschafft worden und standen ständig in Verwendung. Dies wurde später relativiert: bis Anfang Dezember wurde ein N. – Sattel verwendet, anschließend kam der K.-Sattel in Verwendung.
– Auf Befragen durch den SV teilte die Klägerin mit, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, dass der Rittigkeitsverlust mit dem Sattel zusammenhängen könnte.
– Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme durch den bestellten Sachverständigen war das Pferd über ein Jahr nicht mehr geritten worden, es war jedoch an der Longe und in der Führmaschine bewegt worden.
Analyse der Befunde
Der zum Zeitpunkt der Befundaufnahme etwa 8-jährige Wallach entspricht in Aussehen und Veranlagung einem weit förderbaren Dressurpferd. Im Zuge der Klagegeschichte wurde ausschließlich der Rittigkeitsverlust, nie jedoch eine Lahmheit berichtet.
Das Pferd hat vor dem Verkauf an die Klägerin in der Zeit von vierzehn Monaten 13 Bewerbe bestritten, darunter zwei Springprüfungen, unter den Dressurprüfungen waren 6 der Klasse A, 5 der Klasse L.
In der Klasse A lagen die Wertnoten im Bereich von 6.5 bis 7 (ziemlich gut), in der Klasse L bei 5.7 bis 6.3 (befriedigend). Sämtliche Dressurprüfungen wurden von Frau XY geritten, weshalb deren informative Mitteilung auch von besonderem Wert für den SV war.
Frau XY beschreibt das Pferd als willig, fleißig und problemlos. Wortwörtlich teilt sie mit: “Aufs Reiten selbst bezogen gab es auch nie Schwierigkeiten. Ich habe den Wallach als sehr williges, fleißiges Pferd in Erinnerung und wie gesagt, auch immer so kennengelernt. Ich war auf den Turnieren immer positiv von ihm überrascht, da man von einem jungen Pferd ja nicht erwarten kann, dass alles reibungslos abläuft.“
Bei dem letzten Bewerb vor dem Verkauf wurde von Frau XY etwa 3 Wochen, bevor das Pferd in das Eigentum der Klägerin übergegangen ist, ein Sieg errungen.
Aus fachlicher Sicht ist aus der „Turniergeschichte“ mit hoher Wahrscheinlichkeit abzuleiten, dass der Wallach zum Zeitpunkt der Übergabe im Hinblick auf seine Rittigkeit in Ordnung war.
Als aber im folgenden September und Oktober das Pferd bei der Klägerin einer intensiven Reitverwendung unterzogen und zusätzlich ein neuer Sattel (eines sehr bekannten Herstellers) für das Pferd angeschafft worden war, schaukelte sich der Rittigkeitsverlust systematisch und kontinuierlich bis zur Un-Reitbarkeit auf.
Aus sachverständiger Sich ist nicht nachvollziehbar, warum seitens der Klägerin und deren reiterlichen Beratern S. P. und B. M. (beide erfahrene Turnierreiter und „private Pferdehändler“) keine intensivere Ursachenforschung betrieben wurde, wenn obendrein die Pferdesporttierärzte Dres. S. sowohl am 6.10.200X wie auch am 6.4.200X zur Impfung des Pferdes aus einem anderen Bundesland angereist waren.
Wie die Klägerin aber selber mitteilte, hatte man an den „Sattel“ als Ursache dieser negativen Entwicklung nie gedacht, wobei Passform von Sattel und Zäumung eine der Grundvoraussetzungen für die korrekte und seriöse Ausübung des Reitsportes ist. Für optimale Passform von Sattel und Zäumung zu sorgen, ist – nach dem Code of Conduct der FEI - eine der Kardinalspflichten eines jeden Reitsportausübenden.
Zusammenfassend ist also festzuhalten: Durch Verwendung ungeeigneter Zäumung – wie im vorliegenden Falle – und eines völlig unpassenden Sattels – wie im vorliegenden Falle – wurden dem Pferd „unnötige – weil vermeidbare -Qualen“ zugefügt.
Die, bei der Klägerin übliche Zäumung: Das Reithalfter ist zu klein, der Nasenriemen liegt zu hoch und ist zu eng geschnallt. Reit-Zaum und Stirnriemen sind am Ansatz zu eng eingestellt, das Gebiss wird in den Lefzen hochgezogen.
Verwendet wurde von der Klägerin ein neuer Sattel eines bekannten Herstellers; zur Druckentlastung wird – auf Rat des Sattelverkäufers – zusätzlich zur Satteldecke noch eine Fellunterlage benützt. Der Sattel war zu eng, drückte trotz der Unterlagen an den Ortspitzen und am Widerrist, und lag, weil in die Höhe geschoben, nicht stabil.
Die Untersuchung bei der Befunderhebung hat einen hochgradig empfindlichen Rücken gezeigt, dessen selbst nur leichte Berührung zu heftigen Ausweich- und Abwehrreaktionen des sonst gutmütigen Pferdes geführt hat.
Dieser Rücken ist „krank“ und bedarf- bevor das Pferd in weitere Reitverwendung kommt – einer zielgerichteten Behandlung. Der Austausch des Sattels alleine wird das Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht lösen.
Es ist aus fachlicher Sicht davon auszugehen, dass das Pferd Schaden genommen hat, ob dieser – speziell im Hinblick auf das Schmerzgedächtnis – ein bleibender und daher wertmindernder sein wird, kann aus heutiger Sicht nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
Fest steht, dass der Wallach zum Zeitpunkt der Übergabe die von der Klägerin ausbedungene Eigenschaft „Eignung zum Turniersport in der Sparte Dressur“ – nachvollziehbar auf Grund der Turnierergebnisse – aufgewiesen hat.
Eine gegenteilige Beurteilung durch den erfahrenen Fachtierarzt Dr. X. bei der Ankaufuntersuchung ist nicht nachvollziehbar.
Gutachten
– Der Zeitwert des verfahrensgegenständlichen Pferdes zum Tag der Übergabe wird mittels Vergleichswertmodell auf € 16.000.00 geschätzt.
– Der Rittigkeitsverslust gemäß der Klage ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die im Röntgenbefund festgehaltenen Veränderungen zurückzuführen.
– Der Rittigkeitsverlust gemäß der Klage ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Verwendung eines unpassenden, und unnötige Qualen zufügenden Sattels und unpassende Zäumung zurückzuführen.
– Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme war das Pferd „rückenkrank“; ein bleibender Schaden ist nicht auszuschließen.
(27 Cg 380/xxx))
Ein symbolhaftes Bild…..
Ein Mensch, der spürt, wenn auch verschwommen,
er müsste sich, genau genommen,
im Grunde seines Herzens schämen,
zieht vor, es nicht genau zu nehmen.
Eugen Roth
18.07.2024