Seit Menschen Pferde an andere Menschen verkaufen, wird dabei auch getrickst, getäuscht und manipuliert – das zeigt nicht nur ein kleiner Blick in die Geschichte, sondern auch der Fall eines Fohlenkaufs vor einigen Jahren, zu dem Dr. K. ein Gutachten erstellen sollte.
John Solomon Rarey (1827-1866) – Monty Roberts (* 1935) – Linda Tellington- Jones (*1937)
Mit den Thesen und Auftritten von Linda Tellington-Jones und Monty Roberts - hochprofessionell vermarktet in „good old Europe“ mit Kursen und Degrees sowie Büchern und Accessoirs - ging ein Beben durch die Pferdewelt der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, das etwas auslaufend, noch immer anhält. Sowohl die Kanadierin wie auch der US-Amerikaner zeigten – wenn auch aus verschiedenen Richtungen und „Lehrmeinungen“ kommend – aus ihrem eigenen Blickwinkel gewaltarme und sanfte Umgangsmethoden mit Pferden, die in den einschlägigen Verkehrskreisen bekannt sind und dort praktiziert werden.
Weniger bekannt hingegen ist der erste, auch in Europa und bis an den damaligen russischen Zarenhof bekannte, gefeierte und bewunderte „horse whisperer“ und „horse tamer“ John Solomon Rarey, dessen Methoden, wilde, böse und ungebärdige Pferde zu zähmen, im England und Deutschland Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bei „Pferde-Erleuchteten“ zunächst Skepsis und Ablehnung erfuhr, um wenig später enthusiastisch bejubelt und kopiert zu werden.
Rareys Methoden hielten als „Rarey-fication“ Einzug in Fachpresse und Fachjargon – insbesondere auch verbunden mit dem legendären Hengst „Cruiser“, dessen Bösartigkeit und Aggressivität (das „verkörperte Böse“) vor dem Zusammentreffen mit Rarey im Jahre 1858 auf den Gütern Murrel`s Green des Lord Dorchester allgemein bekannt war – aber er war als Zweijähriger das schnellste Rennpferd Englands gewesen und sollte in der Zucht sein Tempo weitervererben.
Nach intensivem Studium der spärlichen und glaubwürdigen Unterlagen über den Pferdemenschen Rarey, der als schlanker, drahtiger, angenehmer und höflicher Mann mit guten Manieren beschrieben wird, komme ich zum Schluss, dass das „System Rarey“ aus zwei unterschiedlichen Komponenten bestanden hat:
– Seine Technik bestand darin, einem wilden Pferde zunächst – meist – das linke Vorderbein zu heben und mittels eines Gurtes in – im Karpalgelenk – gebeugter Haltung zu fixieren. Im zweiten Schritt wurde das Pferd seitlich abgelegt und mittels menschlichen Körpergewichts im Liegen gehalten und am gesamten Körper berührt, gestreichelt und geklopft, bis es sich vollkommen entspannte und den Menschen nicht länger als seinen Feind betrachtete.
John S. Rarey gibt im Januar 1858 im Buckingham Palace vor Königin Victoria eine Vorstellung über die Kunst des Pferdezähmens. [Bild- Quelle: Josephine Haworth: The Horsemasters; Methuen London (Die Kunst, mit Pferden umzugehen; Albert Müller Verlag) 1985]
– Das ureigenste Talent des Pferdemannes Rarey bestand jedoch nach meiner Meinung darin, dass er frei von (erkennbarer) Angst und mit besonders positiver Ausstrahlung seine Pferde-„Kontrahenten“ sofort in ihrer aggressiven Dominanz verunsicherte, sie neugierig werden ließ und – blitzschnell – sie am Halfter zu fixieren wusste, wobei er offensichtlich die Ruhe und mentale Stärke eines „Brennglases“ ausstrahlte, wenn er unbeirrt und ohne irgendeiner Ablenkung anheimzufallen, Pferde „fokussierte“ – was nichts mit anstarren zu tun hat – der Mann hatte offensichtlich „Persönlichkeit“ – „no acting required“.
Im Magazin einer großen deutschen Wochenzeitung erschienen kürzlich unter der Überschrift: „Was ich gern früher gewusst hätte“ neben einigen anderen zwei bemerkenswerte Statements der mit olympischem Gold verbrämten Dressur-Reiterin Isabell Werth:
– „Eine Beziehung zwischen Reiter und Pferd muss über Jahre wachsen.“
– „Fehler macht der Reiter und nicht das Pferd.“
John Solomon Rarey hatte schon im Alter von 12 Jahren begonnen, sein Talent und seine Methode – mit Pferden gut, ruhig und Sicherheit ausstrahlend umzugehen – „erfunden“ und lebenslang durch Herausforderungen weiter- entwickelt – Pferde waren sein Lebensinhalt, er strafte nicht, er forderte Respekt, gab ihnen dafür Würde, Zuneigung und Sicherheit – die wichtigsten „Nährstoffe“ für ein verzagtes Pferd, für jedes Pferd! Der einst so böse Hengst „Cruiser“ starb 1875, er hatte seinen „Meister und Freund“ ganze neun Jahre überlebt.
Gekauft – wie besichtigt – ein Realfall
Gutachtensauftrag:
Befund zu erheben und ein schriftliches Gutachten darüber erstatten,
welchen Wert das verfahrensgegenständliche Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme am 10.x.20xx hatte, wobei zu berücksichtigen ist,
– dass das Pferd zuvor einen – zum Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme verheilten - Abriss der Strecksehne an der rechten Vorderextremität erlitten gehabt hatte,
– das Pferd aber zum Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme nicht gelahmt hat.
Sachverhalt
Die Klägerin hat bei der Beklagten im Zuge ihrer Suche nach einem für sie geeigneten Pferde das verfahrensgegenständliche Pferd gefunden und gekauft. Dieses Pferd, ein Fohlen namens XX., hatte einige Zeit vor dem Kauf einen Abriss der Strecksehne an der rechten Vorderextremität erlitten, der jedoch zum Zeitpunkt der Kaufbesichtigung scheinbar abgeheilt war, lediglich als Folge einiger Hautläsionen infolge des Gipsverbandes waren weiße Pigmentierungen am Deckhaar der rechten Vorderextremität sichtbar. Das Pferd lahmte zum Zeitpunkt der Besichtigung und des Kaufes bei normaler Bewegung auf der Koppel nicht.
Es wurde ein Kaufvertrag abgeschlossen, der Kaufpreis von € 7500.00 entrichtet und das Pferd in Besitz und Eigentum der nunmehrigen Klägerin überstellt. Diese beabsichtigte, in gebotener Zukunft, das Pferd für den Reitdienst im Turniersport – Sparte Dressur – einzusetzen.
Infolge einiger Zwischenfälle am Betrieb der Klägerin musste das Pferd zweimal in jeweils verschiedenen Pferdekliniken behandelt werden, wobei sich im Rahmen einer röntgenologischen Durchuntersuchung an der rechten Vorderextremität im Bereich der tiefen Beugesehne in der Fesselbeuge eine Verkalkung fand, die als ursächlich für eine mittlerweile aufgetretene Lahmheit angesehen wird.
Da die Klägerin vermutet, dass diese Verkalkung auf einen Druck durch den Gipsverband anlässlich der Strecksehnenruptur zurückzuführen ist und dies der Sphäre der Verkäuferin zuzuordnen ist, versuchte sie zunächst im Verhandlungswege eine Lösung zum Schadensersatze zu finden; dies ist nicht gelungen, weshalb die nunmehrige Klägerin das Gericht anrief.
Als behandelnder Tierarzt des damaligen Strecksehnenrisses fungierte der bayrische Veterinär Dr. B. von der Tierklinik YY., dem die nunmehrige Beklagte den Streit verkündete und der sich dem Verfahren als Nebenintervenient angeschlossen hat.
Befunde
Beilage ./1: Pferdekaufvertrag vom 10.x.20xx
Der zwischen der Beklagten als Verkäuferin und der Klägerin als Käuferin unterzeichnete Kaufvertrag bezieht sich auf das Fohlen „xxxxxxxxxxx“, 6 Monate alt, Stute und braun. Als Vater ist der Hengst xxxxxxx und als Mutter xxxx xxxxxxxx angeführt.
Ausdrücklich festgehalten ist:
Unter § 1: Zuchtbescheinigung noch nicht vorhanden.
Unter § 2: gesundheitliche Beschaffenheit: Ohne tierärztliche Untersuchung, das Pferd hat beim Vorbesitzer keine Krankheiten gehabt.
Unter § 3: Der Kaufpreis beträgt € 7500.00.
Beilage./2: Lichtbilder ohne Datum (Computerausdruck): Das Fohlen war beim Kauf etwa 6 Monate alt.
Befundaufnahme im April 2011 (etwa 3 Jahre nach dem Ankauf)
Untersuchung des Pferdes durch den bestellten SV:
– Das Pferd präsentiert sich als „hochgeschossene“ Dreijährige und wirkt unreif
– Die rechte Vorderextremität wird im Stand der Ruhe normal aufgesetzt und durchgetreten.
– Bei aufgehobener Extremität und Provokation einer Flexion treten Abwehrbewegungen auf.
– Der Weichteilbereich der Fesselköpfe der rechten Vorderextremität und der rechten Hinterextremität ist vermehrt gefüllt.
– Die Palpation der Strecksehne und der Beugesehnen der rechten Vorderxtremität ist ohne pathologischen Befund.
– In der Folge wurde das Pferd an einem etwa 5 m langen Führstrick im Kreis bewegt, dies auf beide Hände. Videoaufnahmen dieser Vorführung sind Teil dieses Gutachtens.
Auf der rechten Hand beginnt das Pferd nach wenigen Runden vorne rechts im Sinne einer Stützbeinlahmheit nachzugeben, wobei aber keine klare und alleinige Zuordnung möglich ist, weil das Pferd in seiner Gesamtheit unkoordiniert („unwucht“) geht.
– Im Anschluss an die Bewegung wurde das Pferd in den Schatten verbracht und Aufnahmen mit der Infrarot-Kamera angefertigt. Das IR- Protokoll ist Teil dieses Gutachtens.
– Ein zusätzliches energetisches Ganzkörperscreening erbrachte von der Norm abweichende Befunde im gesamten Bereich des linken Rückens und im Bereich von Mittelhand sowie Mittelfuß und Zehen der rechten Vorder- und Hinterxtremität.
– Beide Extremitäten der linken Körperhälfte erwiesen sich als unauffällig.
Ergänzende informative Befragung der Klägerin:
– Das verfahrensgegenständliche Pferd hat, seit es in ihrem Eigentume steht, zwei Verletzungen erlitten.
– Eine Verletzung an der rechten Vorderextremität am Fesselkopf, hier befindet sich zu dieser Zeit noch eine Umfangsvermehrung. Die tierärztliche Behandlung erfolgte in der Tierklinik M..
– Eine Lahmheit an der linken Hinterextremität, hier wurde eine Fragmentoperation durchgeführt. Dies erfolgte in der Pferdeklinik T..
– Die Nachbehandlungen wurden jeweils von der Haustierärztin durchgeführt.
– Eine Kaufuntersuchung wurde beim Ankauf von xxxxxxxxxx nicht durchgeführt.
– Zum Zeitpunkt des Ankaufs hatte die Klägerin eine gewisse Pferdeerfahrung, war jedoch bis dahin reine Freizeitreiterin.
– Sie verfügt jetzt über die Lizenz RD1 und wollte sich mit xxxxxxx in den turniermäßigen Dressursport entwickeln.
– Zum Zeitpunkt der Übergabe war für sie erkennbar, dass die rechte Vorderextremität mit einem Gipsverband behandelt worden war. Dazu war ihr von der Beklagten mitgeteilt worden, dass dies wegen einer Instabilität erfolgt wäre. Die Beklagte vermutete in diesem Zusammenhang, dass der Gipsverband zu lange am Bein belassen worden war.
– Es stand für die Klägerin von Anfang an fest, dass sie die Stute als Dressurpferd nützen wolle.
– Bisher hat sie aber nur leichte Bodenarbeit im Sinne von Parelli mit dem Pferd durchgeführt.
Ergänzende informative Befragung der Beklagten:
– Sie hat bisher 10 bis 12 Fohlen verkauft
– Diese Fohlen hatten einen Durchschnittspreis von € 7500.00.
– Aus der Mutter des verfahrensgegenständlichen Pferdes ist bisher ein weiteres Fohlen um € 7000.00 verkauft worden
– Spitzenpreise für Fohlen sind ihr mit € 12.000.00 und mehr bekannt.
Ergänzende informative Befragung des NIV
– Er wurde als Tierarzt zum verfahrensgegenständlichen Pferde beigezogen, kurz nachdem sich eine Lahmheit gezeigt hatte.
– Als die Beklagte die Lahmheit bemerkt hatte, war das Fohlen etwa 2 Monate alt.
– Diese Lahmheit hat sich spontan entwickelt, die rechte Vorderextremität konnte nur mehr partiell im Sinne einer kurzen Zwischen-Fußung belastet werden.
– Er stellte klinisch, palpatorisch und auf Grund einer Schwellung am dorsalen Carpus die Diagnose „Strecksehnenabriss“. Ergänzende Untersuchungsmethoden wie z.B. Ultraschall-Untersuchung kamen nicht zum Einsatz.
– Auf Nachfrage: er ging von einer Totalruptur aus.
– In der Folge wurde ein Baycast –Stützverband angelegt, der etwa 14 Tage in situ geblieben ist.
– Bei Abnahme des Baycast – Verbandes zeigten sich etliche geschwürige und nekrotische Hautdefekte, die mit nunmehr erkennbaren weißen Haarstellen an der rechten Vorderextremität korrelieren.
– In weiterer Folge wurde mit Stützschienenverbänden behandelt, wobei ein Human-Physiotherapeut dem NIV hilfreich zur Hand gegangen ist.
– Eine Stabilisierung der Extremität bis zur Lahmfreiheit erfolgte im Laufe eines Monats.
– Nach Beendigung der in der Krankengeschichte nachvollziehbaren Behandlungen war der NIV mit der verfahrensgegenständlichen Stute nicht mehr konfrontiert.
– Eine wie auch immer geartete rehabilitative Behandlung wurde nicht angewendet.
Analyse, Interpretation und fachliche Wertung der Befunde sowie Schlussfolgerungen für das Gutachten
Der Kaufpreis
Die Klägerin hat das verfahrensgegenständliche Pferd im Sommer 20xx um
€ 7500.00 gekauft. Die Beklagte bezeichnet diese Summe als einen „erheblich reduzierten Betrag“. Tatsächlich jedoch hat die Beklagte ein Fohlen aus derselben Mutterstute wie xxxxxxxxxx um € 7000.00 verkauft, die durchschnittlichen Verkaufspreise aus etwa einem Dutzend Fohlen aus ihrer Zucht lagen bei € 7500.00.
Auf diesen Widerspruch anlässlich der Befundaufnahme angesprochen bezog die Beklagte die „erhebliche Preisreduktion“ auf die Verkaufspreise von Spitzenfohlen.
Wertermittlung
Die Korrelation zwischen Wert und Preis klafft im Pferdehandel regelmäßig auseinander.
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wert und Preis ist dann gegeben, wenn die wertbestimmenden, die werterhöhenden und die wertreduzierenden Faktoren in die Preisbildung einfließen.
Im vorliegenden Falle können die den Grundwert bestimmenden Faktoren nur im Vergleichswertverfahren ermittelt werden, weil sowohl Ersatzwertverfahren wie auch Ertragswertverfahren nicht greifen.
Sowohl Pedigree (Abstammung) wie Erscheinungsbild bestimmen im Wesentlichen die Preisfindung eines Fohlens: im vorliegenden Falle ist von solider Abstammung zu sprechen, keineswegs aber prägen sehr viele herausragende Vorfahren das Leistungsblut des verfahrensgegenständlichen Fohlens. Auffallend ist, dass sowohl englisches Vollblut, Springpferdeblut und Dressurvererber aufscheinen.
Wie die Lichtbilder des Fohlens zeigen, hatte es zweifelsfrei gute Ausstrahlung, über das Bewegungsmuster und Gangvermögen wurden keine überprüfbaren Dokumente (Video, Fotos) vorgelegt.
Insgesamt ist das Fohlen als gutes Durchschnittsfohlen einzustufen, für das als Grundwert im Vergleichswertverfahren der Betrag von € 7000.00 (Mittel aus € 6000.00 bis 8.000.00) angemessen ist.
Weitere Faktoren, die der Werterhöhung dienen, können nicht nachvollzogen werden. Das Fehlen einer Lahmheit hat keine Werterhöhung zur Folge, weil dies eine conditio sine qua non für einen Pferd-(ver-) kauf ist.
Wertmindernd schlägt zu Buche:
Zum Zeitpunkt des Kaufes dokumentiert:
– Strecksehnenabriss mit etwa 3 Lebensmonaten > erhebliches Trauma
– Sehnenverkürzung und Rachitis (Krankengeschichte der Tierklinik T.,) > Funktionsbeeinträchtigung
– Deutlich erkennbare weiße Haare im sekundären Verletzungsbereich an der rechten Vorderextremität > Schönheitsfehler > Hinweis auf Verletzung
Nach dem Ankauf durch die Klägerin aufgetreten:
– Probleme mit den Hinterextremitäten mit traumabedingtem Fragment im linken Fesselgelenk und Deformation des rechten Röhrbeines (Krankengeschichte Pferdeklinik T.) mit operativer Behebung
– Kalkeinlagerung in der tiefen Beugesehne im Bereich des Fesselbeugensehnenscheide vorne rechts.
– Weichteiltrauma i.S. einer per secundam intentionem zur Abheilung gebrachten, an der Dorsalseite des rechten vorderen Fesselgelenks liegenden, etwa 12 Stunden alten Risslappenwunde (Krankengeschichte der Tierklinik M.).
Zum Zeitpunkt des Ankaufes durch die Klägerin lag also dokumentiert, und deshalb nachvollziehbar eine stattgehabte und lege artis versorgte Ruptur des Zehenstreckers an der rechten VE vor sowie eine Sehnenverkürzung und Rachitis.
Die Ruptur der Strecksehne wird in der Literatur – überwiegend – als Teil eines kongenitalen Syndroms beschrieben. Es muss allerding betont werden, dass hierbei meist von beiderseitiger Ruptur verbunden mit zusätzlichen Unreife-Symptomen die Rede ist, die vorliegend jedoch nicht nachvollziehbar sind, da über das Fohlen vom Zeitpunkt der Geburt bis zum Eintritt der Strecksehnenruptur nichts bekannt ist. Es kann daher von einem kongenitalen Fehler i.e.S. nicht zwingend ausgegangen werden, eher aber von einer erblichen Disposition im Sinne einer Unreife und Weichheit des Skeletts und Stützgewebes, was auch in der Krankengeschichte der Pferdeklinik T. einen Niederschlag findet.
Da eine Total -Ruptur der Strecksehne extrem selten vorkommt, kann sie mit Sicherheit nicht als „übliches Weidetrauma“ betrachtet werden.
Betrachtet man die Bilder des Pferdes als Fohlen, so ist leicht zu erkennen, dass die Karpal- und Sprunggelenke sowie die Zehengelenke weich und schwammig und nicht trocken sind, ein Umstand, aus dem sich eine weiche Konstitution ableiten lässt.
Aus den wenigen, in der Literatur überlieferten Fällen ist abzuleiten, dass die Prognose einer solchen Verletzung prinzipiell günstig zu sein scheint, weil Kollateralstrukturen die Funktionen übernehmen. Ein Zusammenheilen der Sehnenstümpfe ist eine unwahrscheinliche Variante.
Über die tatsächliche Belastbarkeit betroffener Pferde beim Eintritt in das Sportgeschehen ist nichts bekannt.
Es liegt jedoch auf Grund der betroffenen Strukturen auf der Hand, dass mit einer hundertprozentigen Restitutio ad integrum und voller Belastbarkeit nicht zwingend zu rechnen ist.
Zusammenfassendes Gutachten
Gutachtensauftrag:
Welchen Wert hatte das verfahrensgegenständliche Pferd zum Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Pferd zuvor einen – zum Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme verheilten - Abriss der Strecksehne an der rechten Vorderextremität erlitten gehabt hatte, das Pferd aber zu Zeitpunkt der Übergabe/Übernahme nicht gelahmt hat?
Gutachten:
Mithilfe des Vergleichswertverfahrens wurde der Grundwert eines vergleichbaren, aber gesunden und nicht verletzungsbehafteten Fohlens mit
€ 7000.00 (Durchschnittswert) geschätzt.
Auf Grund der Ruptur des Zehenstreckers, verbunden mit unsicherer Prognose quo ad functionem und bereits vorhandener Rachitis reduziert sich der ermittelte Grundwert um 30 bis 50 %.
Der Wert des verfahrensgegenständlichen Pferdes zum Zeitpunkt der Übergabe wird auf € 3500.00 bis 4900.00 geschätzt.
Eine exaktere Aussage ist nicht möglich, weil zwei - später aufgetretene -orthopädische Problemkreise die Entwicklung des Fohlens zum nunmehr dreijährigen Pferd verschleiern und die Entwicklung mit ausschließlich den zum Zeitpunkt des Kaufes behafteten Folgen nicht abschätzbar ist, zumal am selben Bein eine neuerliche Verletzung erfolgt ist.
Einige der Rosstäuscher-Künste
„Die mindeste, aber auch die allerhäufigste Täuschung im Handel mit den Thieren wird von Seiten des Verkäufers in der Weise begangen, dass vorhandene Mängel an der lebenden Ware verschwiegen werden, die vermöge ihrer Natur zur Zeit des Kaufes von Seiten des Käufers nicht wahrgenommen wurden.
[……]
Von allen unseren Haustieren ist es das Pferd, an welchem von Seiten des Verkäufers und des Käufers zahlreiche Mittel angewendet werden, sei es zum Zwecke der Dissimulation oder der Simulation von Fehlern, Gebrechen und Mängeln, die den Wert der Ware erhöhen oder erniedrigen sollen. Unter dem Namen „Rosstäuscherkünste“ sind jene betrügerischen Handlungen von alters her bekannt und als übliche Vortheile beim Kauf und Verkauf insofern geduldet, als damit kein Betrug im strafrechtlichen Sinne begangen wird.
[……]
Bei den heutzutage üblichen und feineren Untersuchungsmethoden und Mitteln wird es wohl kaum gelingen, einen Sachverständigen irre zu führen, umso mehr, da die Rosstäuscherkünste als ein traditionelles Erbstück in derselben Weise wie früher geübt werden und in ihrer Ausführung keine wesentlichen Fortschritte gemacht haben.“
[zit.: Lehrbuch der gerichtlichen Thiermedicin“ - Dr. Johann Csokor, Wien 1902]
Der unterstrichene Teil des oben dargestellten Zitats aus dem bis heute als bahnbrechend und wegbereitend anzusehenden Lehrbuch aus dem Jahre 1902 ist jedoch zu ergänzen: mit den Fortschritten und Entdeckungen, die durch die Entwicklungen moderner Arzneimittel heute – 120 Jahre später – die Möglichkeit bieten, die – ebenfalls modern ausgedrückt – „Performance von Pferden“ in jede Richtung so zu beeinflussen, dass eine Täuschung auf der Hand liegt – und daran denkt der moderne Mensch auch sehr schnell – sei es berechtigt, sei es ein Verdacht oder (nur) eine Verdächtigung - oder sei es substanzlos! Die alten „Rosstäuscherkünste“, die sich bei Profis (heutzutage oft Pferdehändler im nicht konzessionierten Nebenberuf, dafür aber mit höheren Preisen) aber einer Renaissance erfreuen.
Resultat ist dann immer wieder einmal ein Gerichtsverfahren unter dem Titel „Mängelrüge bzw. Schadenersatz“ mit zwei klaren Polen: auf der einen Seite der Verkäufer, der seine (fehlerhafte) „Ware“ an den Mann oder an die Frau bringen will, auf der anderen Seite der (unzufriedene) Käufer, der die ihm (nicht mehr) zusagende „Ware“ loswerden möchte.
Bei Pferden mit Atemproblemen (hin bis zur Dämpfigkeit) kann die Symptomatik wesentlich vermindert werden, wenn sie einige Zeit nicht oder kaum bewegt werden. Geschickte Händler führen solche, häufig noch jungen Pferde rasch und in kurzen Schritten vom Stall möglichst weit weg, um nach einer Wendung das Pferd mit hochgehaltenem Kopf im Trabe rasch zurückzuführen. Ein eng angelegter Nasenriemen verhindert das starke Aufblähen der Nüstern. In kühlen und etwas feuchten Monaten zeigen sich Atembeschwerden weniger als bei trockener Hitze. Grünfutter anstatt Heu, mit Öl oder Butter befeuchtetes Kraftfutter sollte hinterfragt werden – Verabreichung von Cortison kann im Blut, Harn und (rückwirkend) den Haaren nachgewiesen werden.
Die Jahreszeit spielt auch bei anderen Verschleierungen ein gewichtige Rolle: Pferde mit Sommerekzem werden vorzugweise im Winter angepriesen -Vorsicht vor allem bei Füchsen!
Aber auch manchen unzufriedenen Käufern ist aber kein Mittel zu mies, um ein Pferd „schlecht“ zu machen und so die Wandlung des Kaufvertrages zu erwirken. Behindern der freien Atmung über längere Zeit mittels straffem Nasenriemen, zu engen Bauch- oder Sattelgurt, auf die Luftröhre drückendes Brustblatt oder Kummet können einem Pferd anhaltenden Schaden zufügen, aber auch allzu üppige „Futtermittel“ wie Weizenkleie, Rübenschnitte mit Melasse, Gurken, Veilchen und Buttermilch mit Essig richten beträchtliches Unheil an. Dass eine zu enge Kopf-Halshaltung auf Dauer nachteilig ist, liegt auf der Hand, zumal wenn dies mit Absicht und bei starker Belastung oder durch Ausbinden im Stalle geschieht.
Auch mit „Worten“ kann ein gutes Pferd „schlecht“ gemacht werden, Verleumdung und Unwahrheit ist das Gift von „Beratern, Kundigen und Schaumschlägern“.
[Der „originale“ Schaumschläger ist der Eber, also das männliche Schwein; sexuelle Erregung führt zu heftiger Kaubewegung, die den Speichel zu Schaum schlägt; die weibliche Variante, also eine Schaumschlägerin, gibt- es zumindest in der Tierwelt - nicht.]
Erschöpfte, müde oder nervlich stumpfe Pferde können durch „Pfeffern“ (Pfefferkörner in den After) oder „Schroten“ (Schrotkörner in den Gehörgang) deutlich aufgemuntert werden – extreme Schweifhaltung oder häufiges Ohren- und Kopfschütteln sollten Verdacht erregen.
Der Gewährsmangel Koppen kann durch Stress (Stallwechsel, Verlust von tierischen oder menschlichen Gefährten, laute Umgebung) ausgelöst, aber durch unsanfte Methoden zumindest für kurze Zeit auch verhindert werden: Verletzen der Zungenspitze, kleine Holzkeile zwischen die Zähne treiben, kleine Nägel an allen Aufsetzmöglichkeiten sind probate Tricks, wenn ein Kopper- Riemen nicht die Aufmerksamkeit des Käufers auf sich ziehen soll; letzterer hinterlässt jedoch als Verdachtshinweis seine Spuren im Fell, wenn er nur vorübergehend abgenommen wird.
Pferde mit Spat werden vor ihrer Präsentation ausgiebig mit Peitschen- oder Gertenhilfe bewegt, auch das Vorführen auf weichem Boden bei abgenommenen Hufeisen ist ein erfolgversprechendes Mittel – übrigens bei den meisten Lahmheiten hat sich „bewährt“: im Falle von Gang- Auffälligkeiten schiebt der gewitzte Verkäufer dies auf das Nicht-Beschlagensein.
Ein absichtliches Verletzen der (chronisch) lahmen Extremität z.B. kleine Hautwunden oder – verborgen – eine Stecknadel an den Weichteilen des Hufes – die Stecknadel ist überhaupt ein beliebtes, weil nahezu unauffälliges Utensil der Ross-Täuscher – in den Ballen der „nicht lahmen“ Extremität eingestochen, erzeugte sie Schmerz, worauf hin ein Pferd „beiderseits lahm“ geht – und so in den Augen Unerfahrener „gerade“ („sound“) ist.
Es sei an dieser Stelle (zum wiederholten Male) festgehalten:
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Lahmheit und Reiner Gang sind zwei Fachbezeichnungen, denen jeweils ein unterschiedlicher Sinngehalt innewohnt: Ein lahmes Pferd ist krank, hat Schmerzen und zeigt deshalb klare „Lahmheitszeichen“ wie z.B. Auffallen auf die gesunde Extremität, verkürztes Vorführen, steifer und unelastischer Rücken.
Demgegenüber ist ein Pferd, dem der Reine Gang abhandengekommen ist, in irgendeiner Weise während der Ausbildung „verritten“ worden, meist beginnend mit Verlust des reinen, taktmäßigen und raumgreifenden Schrittes und der Anlehnung an die leichte Hand, in weiterer Folge kommt der steife Hals, der verklemmte Schweif, der festgehaltene Rücken mit Verlust der Losgelassenheit.
Ohne Zweifel können Schmerzen (insbesondere zu Beginn des Trainings z.B. am Ansatz oder an den Hosen) den Reinen Gang behindern; nicht erkannt und in der Ursache abgestellt (bzw. behandelt), kann daraus auch eine Lahmheit manifest werden – der Übergang ist fließend; erhöhte Ruhe-PAT-Werte und (lokales) Nachschwitzen sind klare Hinweise.
Im Rahmen von Verfassungsprüfungen begutachten (meist erfahrene) Tierärzte zusammen mit Turnierrichtern die Pferde auf das Vorliegen von Lahmheiten – eine Beurteilung des Reinen Gangs hingegen ist Thema am Dressurplatz und fällt in die alleinige Kompetenz der Dressurrichter; im Zweifel wird ein tierärztliches Gutachten eingeholt. Wenn ein Pferd beim Vormustern nicht „rein“ im Sinne von „verlässlich ohne Schmerzen“ vortrabt, kommt es in die Holding-Box, wird dort beobachtet und kommt dann neuerlich zum Vorführen im Halt, Schritt und Trab – ist dabei in den Augen der Begutachter neuerlich keine überzeugende Schmerzfreiheit zu gewinnen, wird die Starterlaubnis durch die Turnierrichter nicht erteilt.
Verfassungsprüfungen sind Teile der Gesamtprüfung, auch sie müssen trainiert werden: das Ambiente einer Verfassungsprüfung (Kommission, Zuschauer, Hektik, Personen ohne Disziplin, fremde Pferde, Hengste, Hunde, Buchstaben oder Kegel auf der Vorführbahn) und das gekonnte Vorführen an der Hand sollte jedem Pferdesportler (welchen Geschlechts auch immer) bekannt sein und er muss sein Pferd auf diese Teilprüfungen vorbereiten, wenn er in der Gesamtprüfung reüssieren will!
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Hautkrankheiten wie Pilze, Mauke, Raspe werden von Routiniers entweder mit Schmutz oder Heilsalben bedeckt und als frische Wunden – eben erst zugefügt - bezeichnet.
Vielfältig sind Manipulationen an den Hufen; Hufrillen, die von Krankheit erzählen, werden erst weggeraspelt, dann feinsäuberlich mit Schleifpapier geglättet und mit Hufsalbe übertüncht. Hornspalten oder Defekte nach Hufoperationen können nahezu unkenntlich gemacht werden mit Kit oder Harz. Besonderes Augenmerk ist immer auf „Einlagen“ zwischen Huf und Eisen zu richten – Leder, Filz oder Kautschuk sind beliebte Materialien bei Platt- oder Vollhufen, wenn die Sohle empfindlich ist.
Charakterfehler und Verhaltensstörungen sind meist nur durch mehrmalige Untersuchungen aufzudecken – dabei dürfen die Pferde nicht „schon angerichtet“ sein, sondern sollen sich in ihrer Box befinden, um dort beobachtet zu werden: Boxengrant, Bissigkeit, Schlagen sind beim Betreten der Box – besonders durch Fremde – leichter zu provozieren. Der häufig gebrauchten Floskel bei weiblichen Kaufinteressenten „das Pferd mag keine Männer“ oder auch „es mag keine Tierärzte“ – (heute sind über 80 % der Tierärzteschaft weiblich) – sollte überprüft, jedenfalls aber erst genommen werden: benimmt sich ein in dieser Form diskreditiertes Pferd dann aber gut, weil ihm schon seit drei Tagen Trinkwasser entzogen worden war, bezeichnet der erfahrene Verkäufer dies als klares Zeichen, dass „das Pferd Sie mag“ oder schreibt dieses manipulierte Verhalten der besonderen Ausstrahlung der Kaufinteressentin zu. Auf Kennzeichnungen (rotes Band im Schweif = Schläger; Strohkranz an der Boxentüre = Beisser ) muss geachtet werden – sie sind als Offenlegung einer besonderen Eigenschaft anzusehen: also „wie besichtigt“!!
Die Zusicherung von Eigenschaften hinsichtlich der Ausbildung oder des Könnens eines Pferdes ist nur dadurch stichhaltig festzustellen, dass die jeweilige Eigenschaft von kundigen Personen an Ort und Stelle und mehrfach abgerufen und überprüft werden: Vorreiten lassen, Selbstreiten, Fremdreiter.
„Es ist zweifellos, dass in derartigen Fällen, wo es sich um bestimmte Zwecke der Verwendung handelt, auch von Seiten des Käufers unreell vorgegangen wird, indem derselbe absichtlich nicht darauf ansteht, sich vor der Leistung des Tieres vor dem Kaufe zu überzeugen, um dann nachträglich seinen Vortheil zu finden.“ [zit.: Lehrbuch der gerichtlichen Thiermedicin“ Dr.Johann Csokor, Wien 1902]
Erworbene und angeborene Abzeichen lassen sich manipulieren bzw. künstlich herstellen, um ein Pferd „seinem Pferdepass“ anzugleichen. Mit Färbepräparaten lassen sich weiße Abzeichen verfälschen, mit heißem Brot – auf die gewünschte Stelle aufgepresst - können weiße Haare erzeugt werden.
„Maulfehler“ jedweder Art können mit Backpulver, Pfeffer, Salz, Seifenpulver oder stimulierenden Substanzen zumindest für kurze Zeit übertüncht werden. Auch das Einlegen von Gebissen mit „Geschmack“ ist eine bewährte Methode, um unerfahrene Käufer zu blenden und eine erwünschte, besonders eifrige Kautätigkeit vorzugaukeln.
Brandzeichen, Gestütsbrände, Nummernbrände – die eine „besondere Abkunft“ anzeigen – lassen sich von geschickten Verkäufern mühelos mittels „eigener Gerätschaft“ vortäuschen oder abändern.
Noch nicht abgekommen ist die „Arsen-Kur“ – angewandt bei mageren und erschöpften Pferden, um innerhalb kurzer Zeit vor dem geplanten Verkauf eine Mastkondition zu erzeugen; ein Pferd kann mit dieser Methode – rein äußerlich – sehr gut „aufgebaut“ werden, fällt aber bei Entzug wieder zusammen bzw. muss in der Folge ständig mit „Arsen gekurt“ werden.
Über Täuschungen im Alter, durch Behandlung der Zähne und Manipulationen in der Abstammung wurde schon ausführlich in der Serie „Kriminelle Aspekte in der Hippologie“ auf Pro Pferd ® ausgeführt.
Gutachten, Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv und ex libris Dris. Kaun.
Eine Bitte: Meine Aufsätze, Publikationen und Kommentare sollen Pferdeleuten unserer Tage zur Orientierung, Selbsteinschätzung und Beziehung zu Pferden dienen. Personen, die kommerziell mit Pferden Kontakt haben, mögen die, von Anstand und Benehmen vorgegebenen Regeln respektieren, Quellen anführen und korrekt zitieren – danke!