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Blinzeln Pferde öfter oder weniger, wenn sie unter Stress stehen?
24.10.2022 / News

Ein Blick auf das Pferdeauge kann vieles offenbaren – insbesondere auch, ob ein Pferd erregt ist oder unter Stress steht ...
Ein Blick auf das Pferdeauge kann vieles offenbaren – insbesondere auch, ob ein Pferd erregt ist oder unter Stress steht ... / Symbolfoto: Archiv/Pixabay

Laut einer kanadischen Studie blinzeln Pferde, die mit einer herausfordernden oder stressigen Situationen konfrontiert sind, seltener als im Normalzustand. Doch auch ein weiterer Indikator sollte berücksichtigt werden, um den Erregungszustand eines Pferdes beurteilen zu können, so die AutorInnen.

 

Beim Menschen ist die Sache ganz eindeutig: Stehen wir unter Stress, dann steigt auch unsere Blinzel-Frequenz deutlich an. Während wir im Normal- bzw. Ruhezustand ungefähr 10- bis 15-mal in der Minute blinzeln, schließt und öffnet ein nervöser oder gestresster Mensch seine Lider bis zu 50-mal in der Minute. Als Grund dafür gilt die psychische Belastung (Aktivierung des Sympathikus, also des ,Anspannungsnervs’), die zu einer Minderung des Tränen- u. Speichelflusses führt. Dies versucht das Auge durch vermehrten Lidschlag auszugleichen, um für ausreichende Befeuchtung zu sorgen.

Im Jahr 2019  haben ForscherInnen der Universität von Guelph in Ontario (Kanada) untersucht, ob dieser Vorgang auch bei Pferden zu beobachten ist – ob sie also unter Stress auch ihren Lidschlag erhöhen und öfter blinzeln. Sie setzten insgesamt 33 Pferde jeweils vier verschiedenen Situationen aus, wobei drei davon mit besonderen Herausforderungen bzw. Stress verbunden waren:
1) mit einem Herdenkameraden auf einer vertrauten Koppel stehen;
2) Futterentzug zur normalen Fütterungszeit;
3) visuell vom Herdengenossen getrennt zu sein;
4) Schreck-Test, bei dem plötzlich ein Ball vor dem Pferd auf den Boden geworfen wird.

Die Situation 1 war gleichsam der ,Normalzustand’ und diente als Kontrolle und Vergleichsbasis. Das Verhalten sämtlicher Pferde – insbesondere die Bewegungen von Augen bzw. Lidern – wurden auf Video festgehalten, alle Pferde waren außerdem mit Herzfrequenz-Messgeräten ausgestattet.

Als die Forscher die Videobänder auf die Aktivität der Augenlider hin analysierten, stellten sie fest, dass die Pferde im Normalzustand durchschnittlich acht bis neun Mal pro Minute blinzelten, wenn sie auf einer vertrauten Koppel standen. Wenn jedoch ihr Futter eingeschränkt wurde, sie von ihren Artgenossen getrennt wurden oder sie erschreckt wurden, blinzelten die Pferde seltener.

Während des Futterentzugs und der Trennung vom Artgenossen blinzelten die Pferde etwa fünf Mal pro Minute, und wenn der Ball geworfen wurde, um sie zu erschrecken, blinzelten sie etwa vier Mal pro Minute. Darüber hinaus zeigten die Daten, dass die Herzfrequenz der Pferde während des Futterentzugs höher war und die Augenmuskeln häufiger zuckten.

„Unsere Ergebnisse zeigten eine Zunahme von Augenlidzuckungen während des Futterentzugs, was die Pferde als Stress empfanden. Umgekehrt führten die Trennung von Artgenossen und der Schrecktest nicht zu einer Zunahme des Augenlidzuckens, was darauf hindeutet, dass das Augenlidzucken häufiger in Stresssituationen auftritt, da die Pferde diese beiden letzteren Situationen anscheinend nicht als Stress empfanden“, so die Zusammenfassung des Forscher-Teams.

Ihr Resümee: „Diese Studie zeigt, dass die spontane Blinzelrate abnimmt, während das Augenlidzucken zunimmt, wenn das Pferd eine Stresssituation erlebt.“ Die Forscher ergänzten, dass diese Informationen – sprich: die Beobachtung der Frequenz des Blinzelns sowie des Augenlidzuckens – als nicht-invasive Methode verwendet werden können, um festzustellen, ob ein Pferd gestresst ist.

Widerspruch zu früherer Studie?

Doch ein Jahr zuvor – im Jahr 2018 – war eine ähnliche Untersuchung britischer WissenschaftlerInnen zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Hier beobachteten die AutorInnen nur während der ersten Minute eines 10-minütigen vorgetäuschten Scherens eine Abnahme der mittleren spontanen Blinzelrate. In den weiteren 9 Minuten des simulierten Schervorgangs kam es hingegen zu einer signifikanten Zunahme der spontanen Blinzelfrequenz, was darauf hindeutet, dass die anfängliche Verringerung charakteristisch für eine Kampf- oder Fluchtreaktion sein kann, die es dem Pferd ermöglicht, sich visuell auf den Reiz zu fixieren, bevor es entsprechend reagiert (siehe auch unsere ausführliche Meldung dazu, Anm.).

Für die AutorInnen der aktuellen kanadischen Studie liegt der Grund der divergierenden Ergebnisse möglicherweise in der unterschiedlichen Methodik bzw. dem unterschiedlich langen Beobachtungszeitraum der beiden Untersuchungen: „In unserer aktuellen Studie wurde die Blinzelfrequenz als Mittelwert über drei Minuten berechnet. Es könnte sein, dass ein längerer Zeitraum eine anschließende Zunahme der spontanen Blinzelfrequenz ähnlich der Studie von Mott et al. (also der britischen Studie von 2018, Anm.) festgestellt hat.“ Zudem wäre es interessant gewesen, wenn in der britischen Studie auch Daten zu unterschiedlichen Augenlidbewegungen – sprich: nicht nur Blinzeln, sondern auch Augenlidzuckungen – gesammelt worden wären.

Denn möglicherweise müssen beide Indikatoren gemeinsam betrachtet werden, um zu zuverlässigen Schlussfolgerungen zu gelangen, so die AutorInnen: „Das Überwachen von Änderungen in der Blinzelfrequenz und insbesondere von Augenlidzuckungen könnte den Beobachter auf Änderungen im Erregungsniveau des Pferdes aufmerksam machen. Eine Abnahme der spontanen Blinzelfrequenz, die mit einer Zunahme der Augenlidzuckungen einhergeht, kann auf eine Stresssituation für das Pferd hindeuten, während eine Abnahme des spontanen Blinzelns, das nicht von einer Zunahme der Augenlidzuckungen begleitet wird, auf eine Umgebung hinweisen kann, die für das Pferd zwar stimulierend, aber nicht stressig ist.“

Und weiter: „Die Überwachung der spontanen Blinzelrate ist ein sensibles Maß für die neuronale Aktivität, und die Unterscheidung von Augenblinzeln und Augenlidzuckungen kann einen Einblick in das Erregungsniveau des Pferdes geben.“ In jedem Fall seien weitere Forschungen wünschenswert, die spezifische Augenlidbewegungen in Bezug auf das Erregungsniveau untersuchen und einen Einblick in die emotionalen Reaktionen von Pferden geben könnten, so die AutorInnen.

Die Studie „Eye Blink Rates and Eyelid Twitches as a Non-Invasive Measure of Stress in the Domestic Horse" von Katrina Merkies, Chloe Ready, Leanne Farkas und Abigail Hodder ist am 15. Aug. 2019 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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