Pferde können erfolgreich Buchstaben unterscheiden 14.12.2022 / News
Die Testanordnung mit großem Touchscreen: Eine in der Mitte des Bildschirms montierte Holzstange sorgte dafür, dass die Pferde nur die eine oder andere Seite berühren und nicht ,über den Bildschirm wischen' konnten. / Foto: Clara-Lynn Schubert et.al.
Ein internationales Forscherteam konnte zeigen, dass Pferde in einem automatisierten Testsystem in der Lage waren, zwischen den Buchstaben O, B, Z, V und X zu unterscheiden – mit einer Genauigkeit von erstaunlichen 80,4 %.
Das internationale Forscherteam rund um Clara-Lynn Schubert von der Pierre & Marie Curie Universität in Paris verwendete für seine Untersuchung ein automatisiertes Testsystem, um sicherzustellen, dass ihr Experiment frei von dem „Clever-Hans-Phänomen“ war – so benannt nach dem berühmten Pferd ,Kluger Hans’, das scheinbar rechnen konnte, bei dem sich jedoch herausstellte, dass es lediglich auf subtile, unbewusste Körpersignale seines menschlichen Gegenübers reagiert und damit eine Trefferquote von nahezu 90 % erreicht hatte. Heute bezeichnet man als ,Kluger-Hans-Effekt’ allgemein die unbewusste Beeinflussung des Verhaltens von Versuchstieren – insbesondere in die vom Experimentator erwartete bzw. erwünschte Richtung.
Clara-Lynn Schubert und ihre Kollegen untersuchten die visuelle Unterscheidungsfähigkeit bei Garrano-Pferden, einer bedrohten iberischen Ponyrasse. Sie testeten fünf Pferde im Alter von 13, 8, 5, 4 und 2 Jahren, die zusammen in einer halbfreien, Offenstall-ähnlichen Haltung in der Nähe ihres natürlichen Lebensraums in der Serra d’Arga im Norden Portugals lebten. Die Gruppe bestand aus einem Hengst, zwei erwachsenen Stuten und zwei Jungpferden. Das älteste Tier, eine Stute, konnte nur auf einem Auge sehen.
Die Pferde wurden darauf trainiert, schwarze Kreise, die auf dem Bildschirm erschienen, mit der Nase zu berühren. Dann wurden sie auf ihre Fähigkeit getestet, zwischen den Buchstaben O, B, V, Z und X zu unterscheiden, die in der Schriftart Arial angezeigt wird. Richtige Antworten bei einer Unterscheidungsaufgabe mit zwei Auswahlmöglichkeiten wurden mit einem Stück Karotte belohnt, das bei einer richtigen ,Antwort’ in eine Schüssel unter dem Touchscreen fiel.
Die Pferde wurden zuvor darauf trainiert, das X als negativen Reiz zu erkennen. Eine in der Mitte des großen Bildschirms montierte Holzstange sorgte dafür, dass die Pferde nur die eine oder andere Seite berühren und nicht ,über den Bildschirm wischen' konnten. Ein „Bip“-Ton wurde abgespielt, wenn die Buchstaben auf dem Bildschirm erschienen. Ein „Glockenspiel“ ertönte, wenn die Nasenberührung des Pferdes korrekt war – ein „Summer“-Ton wurde abgespielt, wenn sie falsch war.
Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Alle fünf Pferden eigneten sich die Fähigkeit an, den Touchscreen mittels Nasenberührungen zu steuern, und alle Pferde außer dem Hengst lernten, die in der Studie verwendeten Buchstaben des Alphabets zu unterscheiden. „Die Fehlermuster und die Analyse der Formmerkmale zeigten, dass die gebogenen Buchstaben O und B für die Pferde eher gleich aussehen, ebenso wie die geraden Buchstaben Z, V und X“, so das Studienteam. Bei diesen Buchstaben sei daher auch die Verwechslungsgefahr – und damit die Fehlerquote – erhöht. Insgesamt zeigten die Pferde eine durchschnittliche Unterscheidungs-Genauigkeit von erstaunlichen 80,4 %.
Alle Pferde lernten auch, zwischen dem schwarzen Fleck und dem X zu unterscheiden – allerdings unterschied nur die vier Stuten zwischen allen fünf Buchstaben mit einer durchschnittlichen Genauigkeitsrate von 80 %. Sogar die halbblinde Stute lernte die Buchstabenunterscheidung, allerdings dauerte es bei ihr länger, so Carlos Pereira, und die drei jüngsten Pferde lernten schneller als die beiden älteren Pferde in der Gruppe.
Warum der Hengst größere Schwierigkeiten beim Lernen hatte als die vier Stuten, konnten die ForscherInnen nicht gänzlich enträtseln – äußerten aber eine Vermutung: „Wir nehmen an, dass die Schwierigkeiten des Hengstes beim Erlernen der Unterscheidung mit seiner sozialen Rolle als Hengst und Beschützer seiner Familiengruppe zusammenhängen könnten … und dies seine Aufmerksamkeit auf die Lernaufgabe und den Apparat verringerte. Ähnliche Untersuchungen mit größeren Stichproben (oder verschiedenen Gruppen) könnten weiteres Licht auf die möglichen geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Aufmerksamkeit und dem Lernen von Pferden werfen.“
Ihre Ergebnisse, so die AutorInnen, stehen im Einklang mit früheren Studien zur Formwahrnehmung bei anderen Tieren. Sie hoben auch hervor, dass das computergesteuerte Touchscreen-System gut funktioniere und eine präzise Steuerung des Experiments erlaube – es erwies sich als objektiver und innovativer Weg, Kognition in einer sozial organisierten Gruppe von Pferden zu studieren, ohne deren Wohlbefinden zu beeinträchtigen. Aufgrund der Natur des automatisierten Systems war die Touchscreen-Unterscheidung auch gänzlich frei von sozialen Hinweisen bzw. menschlichen Beeinflussungen, die als „Clever-Hans-Phänomen“ (siehe oben) bekannt sind.
Die Pferde wurden während des Experiments auch an keinem Führstrick gehalten: „Zusätzlich zu seinem Wert für psychophysische Tests bietet das System die Möglichkeit, Pferde in ihrem gewohnten sozialen Umfeld zu testen. Es stand ihnen völlig frei, sich an der Aufgabe zu beteiligen oder – was möglicherweise noch wichtiger ist – jederzeit die Sitzung zu beenden und zur Gruppe zurückzukehren“, so die ForscherInnen.
Die Studie „Garrano Horses Perceive Letters of the Alphabet on A Touchscreen System: A Pilot Study" von Clara-Lynn Schubert, Barbara Ryckewaert, Carlos Pereira und Tetsuro Matsuzawa ist am 12. Dez. 2022 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originlafassung (als Download) hier nachgelesen werden.
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Wieso manche Pferde schlaue Problemlöser sind – und andere nicht 21.02.2020 / News
Ob Pferde pfiffig und kreativ sind, sieht man ihnen meist auf den ersten Blick an – doch was genau macht sie dazu? Das wollten deutsche Wissenschaftler herausfinden ... / Symbolfoto: Archiv/Fotolia
Im Rahmen einer Studie fanden deutsche Wissenschaftler heraus, dass ein Viertel der getesteten Pferde in der Lage war, eine innovative Lösung für ein Futterproblem zu finden. Doch was machte diese Pferde schlauer als ihre Artgenossen?
Pferde werden heutzutage zwar ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert, dennoch wurde die spezifische Fähigkeit zu innovativem Verhalten und zu kreativen Problemlösungen bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht, wie die Wissenschaftlerin Laureen Esch und ihre Kollegen vorab feststellten. In ihrer 2019 veröffentlichten Studie wollten die Wissenschaftler daher herausfinden, ob eine Testgruppe von insgesamt 16 Pferden eine innovative Lösung entwickeln konnte, wenn sie mit einem neuen Futterautomaten konfrontiert wurden. In weiterer Folge wurde auch noch analysiert, ob das beobachtete innovative Verhalten möglicherweise durch Faktoren wie Alter, Geschlecht, Größe, Lateralität (also die Seitigkeit eines Pferdes), der Konzentration von Stresshormonen oder sonstige besondere Verhaltensweisen beeinflusst wurde.
Die Pferde waren zuvor noch nie mit dem ungewöhnlichen Futterautomaten konfrontiert worden – er war für sie völlig neu. Das System bestand aus einem hohlen, zylinderförmigen Behälter, in den 3 kg Futter gefüllt wurden und der auf einer drehbaren Stange montiert war. Jedes Mal, wenn das Pferd an der Stange drehte, fiel durch eine kleine Öffnung eine geringe Menge Futter in den Futtertrog darunter. Jedes Pferd hatte 38 Stunden Zeit, um herauszufinden, wie der Futterautomat funktioniert und so an das Futter zu kommen. Die Aufgabe galt als erfüllt, wenn das Pferd den Automaten komplett leeren konnte.
Die Ergebnisse der Tests waren auch für die Forscher zum Teil überraschend: Vier der 16 Pferde – also exakt 25 % – waren in der Lage, das Futter vollständig aus dem Automaten zu bekommen, entpuppten sich also als innovative Problemlöser. Weitere sechs Pferde (37,5 %) konnten den Mechanismus des Futterautomaten zufällig entschlüsseln, verbrauchten jedoch nur eine geringe Menge des Futters. Sie wurden als ,zufällige Problemlöser’ eingestuft.
Die sechs verbleibenden Pferden scheiterten völlig – sie konnten kein Futter aus dem Automaten bekommen und wurden von den Wissenschaftlern als ,Nicht-Problemlöser’ bezeichnet.
Die spannende Frage aber war: Welche Faktoren beeinflussten das jeweils erreichte Ergebnis – was genau entschied darüber, ob ein Pferd ein Problem auf kreative Weise lösen konnte oder an einer Aufgabe kläglich scheiterte?
Die Analyse ergab: Das Alter der Pferde und die Konzentration von Stresshormonen (gemessen im Kot der Pferde am Testtag) hatten keinen Einfluss auf die Fähigkeit zur innovativen Problemlösung und konnten als Faktor ausgeschlossen werden. Das galt auch für die Größe, die ebenfalls keinen signifikanten Einfluss darauf hatte, ob Pferde den Futterautomaten ,knacken’ konnten oder nicht.
Von den 16 Testpferden zeigten 10 eine linksmotorische Lateralität, zwei eine rechtsmotorische Lateralität und vier zeigten keine signifikante Präferenz. Obwohl statistisch gesehen die motorische und sensorische Lateralität keinen signifikanten Einfluss auf die Neigung zu innovativem Verhalten hatte, war es doch interssant, dass alle vier innovativen Problemlöser eine klare linksseitige Präferenz zeigten (also im menschlichen Sinn ,Linkshänder’ waren).
Auch das Geschlecht hatte keinen signifikanten Einfluss: Zwei der erfolgreichen Problemlöser waren männlich und zwei weiblich. Bemerkenswert war dennoch, dass vier der sechs Pferde, die das Problem zufällig lösten, männlichen Geschlechts waren. Diese Tendenz von Wallachen, innovativer zu sein, kann durch Unterschiede im Verhalten und in den Lernfähigkeiten erklärt werden, da männliche Pferde mehr Spielverhalten zeigen und als schneller lernen als Stuten gelten.
Was also war das Geheimnis der kreativen Problemlöser – wodurch zeichneten sie sich besonders aus? Die Wissenschaftler entdeckten zumindest einige spannende Zusammenhänge:
– So zeigte sich, dass innovative Pferde während des Tests aktiver waren. Dies wurde auch durch die Ergebnisse einer früheren Studie gestützt, in der Pferde mit höherer Aktivität bei einer Akquisitionsaufgabe besser abschnitten als Pferde mit niedrigerer Aktivität.
– Ein weiterer Faktor: Die innovativen und zufälligen Problemlöser-Pferde zeigten eine höhere Hartnäckigkeit, um das Problem zu lösen, als Nicht-Problemlöserpferde. Auch dies wird durch frühere Studien bestätigt, die gezeigt haben, dass Tiere, die ihre Umgebung langsamer erkunden, eine höhere Fähigkeit zur Problemlösung hatten, so die Wissenschaftler.
– Die Forscher stellten zudem fest, dass die innovativen und zufällig-problemlösenden Pferde in der Studie erhöhte Grundwerte des Stresshormons Cortisol im Kot aufwiesen, was auf wiederholte Stimulationen in einer vielfältigen und herausfordernden Umgebung zurückzuführen sein dürfte. Mit anderen Worten: Die Lebensgeschichte und die täglichen Erfahrungen des einzelnen Pferdes können auch seine Fähigkeiten zur Problemlösung beeinflussen.
– Dies wäre auch eine mögliche Erklärung dafür, dass drei Viertel der innovativen Problemlöser-Pferde eine linksseitige Präferenz haben: „Frühe Erfahrungen haben möglicherweise die Entwicklung der hemisphärischen Spezialisierung beeinflusst und zu einer emotionalen, rechtshemisphärischen (dh linksmotorischen und sensorischen) kognitiven Verzerrung geführt“, so die Wissenschaftler. Man könne daher zusammenfassend feststellen, „ dass die erhöhten Basiskonzentrationen bei den innovativen und zufälligen Problemlöser (Stresshormon im Kot) und die Präferenz der innovativen Problemlöser für das linke Auge und das linke Vorderbein darauf hindeuten, dass Kreativität bei Pferden mit Emotionalität verbunden ist.“
Interessanterweise nahmen sich die innovativen Pferde mehr Zeit, um sich dem Futterautomaten zu nähern. Dies kann auf ihre höhere Hemmkontrolle zurückzuführen sein – aber auch darauf hindeuten, dass einige Pferde das Problem durch längeres Überlegen und damit durch höhere kognitive Fähigkeiten gelöst haben.
Das Resümee der Wissenschaftler: „Zusammenfassend sind wir der Ansicht, dass innovative Fähigkeiten zur Problemlösung bei Pferden durch inhärente Verhaltensunterschiede und frühere Erfahrungen im Leben des Einzelnen vermittelt werden können. Eine Anreicherung der Umwelt durch verbesserte Haltungsbedingungen kann zum psychischen Wohlbefinden von Pferden beitragen.“
Mit anderen Worten: Pferde werden nicht unbedingt intelligent geboren, sondern entwickeln ihre Fähigkeiten durch vielfältige Umweltreize, die sie stimulieren und herausfordern – und es sollte daher im ureigensten Interesse jedes Pferdehalters liegen, für eine abwechslungsreiche, anregende Umgebung mit möglichst vielen unterschiedlichen Anreizen und Aufgaben zu sorgen. Das hält Pferde nicht nur gesund, sondern auch schlau …
Die Studie „Horses’ (Equus Caballus) Laterality, Stress Hormones, and Task Related Behavior in Innovative Problem-Solving" von Laureen Esch, Caroline Wöhr, Michael Erhard und Konstanze Krüger ist im Mai 2019 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
30.06.2019 - Ausbruchs-Künstler: Wieso Pferde fast jedes Schloss knacken können
Ausbruchs-Künstler: Wieso Pferde fast jedes Schloss knacken können 30.06.2019 / News
Pferde haben mitunter viel Zeit, über Ausbruchs-Möglichkeiten nachzudenken – und sie lernen auch gerne von gewitzten Stallkameraden ... / Symbolfoto: Archiv Martin Haller Sämtliche hier abgebildeten Absperrungen bzw. Verriegelungen konnten von den Pferden der Studie geöffnet werden. / Foto: Krueger et al. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0218954 All diese Verschluss-Vorrichtungen konnten von Pferden geknackt werden – in zwei Fällen sogar das mit einem Schlüssel versperrte Schloss. / Foto: Krueger et al. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0218954
Erstmals haben Wissenschaftler die erstaunlichen Ausbruchs-Künste von Pferden dokumentiert: Es gibt kaum eine konventionellen Tür- oder Torverriegelung, sie sie nicht öffnen könnten – selbst Schlösser mit Schlüssel sind nicht vor ihnen sicher.
Prof. Dr. Konstanze Krüger zählt zu den führenden Expertinnen für Pferdeverhalten und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit sozialem Lernen und Kognition bei Pferden. Eines ihrer wissenschaftlichen ,Steckenpferde’ ist das Sammeln und Dokumentieren von sogenannten ,innovativen Verhaltensweisen' von Pferden – also von Beobachtungen, in denen Pferde gleichsam individuelle, kreative Lösungen finden müssen, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Ein beliebtes, immer wieder auftauchendes Thema sind dabei die erstaunlichen Ausbruchs-Künste mancher Equiden, die in der Lage sind, scheinbar mühelos verschlossene Boxentüren, Stalltore oder Koppelabsperrungen zu öffnen. Im Laufe der Jahre wurden so eine Vielzahl an persönlichen Berichten, Beobachtungen und Anekdoten zusammengetragen und in Form von Fragebögen erfasst. Darüberhinaus wurden, so Prof. Krüger, „auf der Internetplattform YouTube Videodokumentationen gesammelt, in denen Rohdaten von unbearbeiteten, klar beschriebenen und deutlich sichtbaren Fällen von Tieren ohne ausgeprägte Anzeichen einer Schulung oder von vermindertem Wohlbefinden ausgewählt wurden.“
Insgesamt hat Prof. Krüger – gemeinsam mit ihren KollegInnen Laureen Esch und Richard Byrne – auf diese Weise 513 Fallberichte über verriegelte Türen oder Tore gesammelt, die von Pferden geöffnet werden konnten. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler 49 Fälle ermitteln, in denen Schiebetüren und 33 Fälle, in denen vergitterte Türen oder Tore von den schlauen Vierbeinern aufgemacht werden konnten. Die von den Pferden dabei geknackten Schließmechanismen umfassten 260 Fälle von horizontalen und 155 Fälle von vertikalen Sperren bzw. Riegeln, des weiteren 43 Fälle, in denen Drehverschlüsse geöffnet wurden, dazu 42 Türgriffe, 34 Elektrozaun-Torgriffe, 40 Karabiner und sogar zwei mit Schlüsseln versperrte Schlösser.
Wie die AutorInnen ausführten, diente das Öffnen „in der Regel der Flucht, aber auch dem Zugang zu Futter oder zu Stallkameraden“, doch es gab auch Fälle, in denen die Pferde sich aus purer Neugier oder Verspieltheit als Ausbruchs-Künstler betätigten. Die Pferde bewiesen dabei erstaunliches Geschick und beachtliche Flexibilität: Während 56 Prozent der Pferde nur einen einzigen Mechanismus an einer Stelle öffneten, öffneten immerhin 44 Prozent verschiedene Arten von Mechanismen (Durchschnitt = 2, Min. = 1, Max . = 4) an verschiedenen Stellen (Durchschnitt = 2, Min. = 1, Max. = 5). Je komplexer der Mechanismus war, desto mehr Bewegungen wurden ausgeführt, von durchschnittlich 2 für Türgriffe bis 10 für Karabiner. Mechanismen, bei denen Kopf- oder Lippenverdrehungen erforderlich waren, erforderten mehr Bewegungen mit erheblichen Abweichungen zwischen den einzelnen Pferden.
Auch die Frage, woher die Pferde ihre bemerkenswerten Fähigkeiten hatten bzw. wie sie diese entwickeln konnten, wurde von den AutorInnen untersucht: 74 im Fragebogen berichtete Pferde hatten Möglichkeiten, das Verhalten bei Stallkameraden zu beobachten – doch beachtliche 183 Tiere hatten diese Möglichkeit nicht, was darauf hinweist, dass diese gelernt haben, Türen und Tore entweder individuelles Probieren oder durch das aufmerksame Beobachten von Menschen zu öffnen. Pferde scheinen beiden Varianten gegenüber aufgeschlossen zu sein, so die Wissenschaftler: „Ganz allgemein können wir das Lernen durch Versuch und Irrtum als wichtigsten Mechanismus, um das Öffnen von verschlossenen Türen oder Toren zu lernen, keinesfalls ausschließen. Pferde haben aber vielleicht auch gelernt, mit den Schließvorrichtungen umzugehen, in dem sie Menschen dabei beobachtet haben. In diesem Fall haben sich die Pferde innovative Techniken zum Öffnen angeeignet, indem sie Menschen beobachtet haben – denn sie mussten schließlich andere Körperteile verwenden und sich dem Verriegelungsmechanismen aus anderen Winkeln annähern. Interessanterweise waren Pferde, die zuvor Gelegenheit hatten, den Türöffnungs-Vorgang bei Stallkameraden zu beobachten, unter jenen Probanden überrepräsentiert, die auch nach dem Öffnen der verschlossenen Tür im Stall geblieben sind."
Auch zunehmende Erfahrung begünstigte die Effizienz, mit der Türen geöffnet werden konnten; Pferde, die in der Lage waren, mehrere Türtypen zu öffnen, bewegten sich weniger pro Schloss als jene, die nur einen Türtyp öffnen konnten: „Diese Pferde scheinen verstanden und verallgemeinert zu haben, wie man verschlossene Türen oder Tore öffnet", so die AutorInnen.
Insgesamt zeigten sich die Wissenschaftler von den Ausbruchs-Künsten der gelehrigen Vierbeiner sichtlich beeindruckt – und kamen zu dem Schluss, dass Pferde in der Lage sind, eine viel breitere Palette von mechanischen Sperr-Vorrichtungen zu öffnen als bislang angenommen, wobei sie dies meist mit dem Maul tun. „Obwohl die meisten Pferde durch einfache Riegel oder Griffe gesichert werden und die meisten Berichte sich auch auf solche Vorrichtungen beziehen, erwiesen sich überraschend viele Verschluss-Mechanismen – darunter auch Karabiner und Elektrozaun-Torgriffe – als durchaus anfällig für das Öffnen durch Pferde."
Das Resümee der Wissenschaftler ist daher – jedenfalls in bestimmter Hinsicht – für Pferdebesitzer durchaus beunruhigend: Den herkömmlichen Verriegelungen kann man nur beschränkt vertrauen: „Wir konnten keinen Grad an Komplexität bei Sperr-Vorrichtungen feststellen, der über die Lernfähigkeit des Pferdes zum Öffnen hinausgegangen wäre. Daher sind alle im Alltag verwendeten Vorrichtungen, auch Karabiner und Elektrozaun-Torgriffe, potenziell anfällig für das Öffnen durch Pferde. Dies sollte im Hinblick auf die sichere Verwahrung von Pferden berücksichtigt werden, um durch Ausbrüche verursachte Schäden zu minimieren."
Mit anderen Worten: Pferden sind Ausbrüche jederzeit zuzutrauen – zumal dann, wenn sie gute Beobachter sind oder schlaue Stallkameraden haben, von denen sie sich manches abschauen können. Man sollte seine geliebten Vierbeiner jedenfalls nie unterschätzen – aber das wissen die meisten Pferdebesitzer ohnehin ...
Die Studie „Animal behaviour in a human world: A crowdsourcing study on horses that open door and gate mechanisms" von K. Krüger, L. Esch und R. Byrne ist am 26. Juni 2019 in der Zeitschrift PLoS ONE erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
Auch dieses Youtube-Video zeigt die erstaunlichen Ausbruchs-Künste eines wahren vierbeinigen Schlaumeiers: Hut ab!
22.09.2016 - Enorm intelligent: Pferde können durch Symbole kommunizieren
Enorm intelligent: Pferde können durch Symbole kommunizieren 22.09.2016 / News
Testpferd ,Poltergeist' entscheidet sich gerade dafür, an diesem Tag keine Decke zu tragen... / Foto: Applied Animal Behaviour Science Diese drei Symbole wurden beim Lern-Experiment verwendet: Der horizontale Balken (ganz links) bedeutete „Decke rauf", der vertikale Balken (ganz rechts) bedeutete „Decke runter" – und die weiße Tafel in der Mitte symbolisierte „keine Veränderung". / Foto: Applied Animal Behaviour Science
Norwegische Forscher konnten in einem spannenden Lern-Experiment nachweisen, daß Pferde in kurzer Zeit die Bedeutung von Symbolen erfassen und mit ihrer Hilfe auch kommunizieren können.
Falls auch Sie an den kälteren Tagen des Jahres vor der Frage stehen, ob Sie Ihr Pferd eindecken sollen oder lieber nicht – dann fragen Sie doch einfach Ihr Pferd: Genau das haben vier norwegische Forscher getan – und damit die besten Erfahrungen gemacht.
Die Wissenschaftler Cecilie M. Mejdell, Turid Buvik, Grete H.M. Jørgensen und Knut E. Bøe haben mit insgesamt 23 Pferden ein spannendes Lern-Experiment durchgeführt: Sie brachten den Pferden die Bedeutung von drei einfachen Symbolen bei, die auf einfachen Schau-Tafeln aufgedruckt und jeweils mit einer bestimmten Handlung verknüpft waren: Ein Symbol bedeutete ,Decke rauf', eines ,Decke runter' – und das dritte stand für ,keine Veränderung', also für das Unterlassen jeglicher Handlung. Das Trainings-Programm war in zehn systematischen Schritten aufgebaut, wobei die Lern-Einheiten nicht länger als 10 bis 15 Minuten pro Pferd, also sehr kurz gehalten wurden. Die Pferde mussten eine bestimmte Anzahl korrekter Reaktionen bzw. Antworten zeigen, bevor sie den nächsten Lern-Schritt in Angriff nehmen konnten.
Mit einem einfachen Belohnungs-System – also positiver Verstärkung – wurden den Pferden nicht nur die Bedeutung der drei Symbole beigebracht, sondern auch, sich einer Schau-Tafel anzunähern und diese zu berühren. Zudem wurden die Trainings-Einheiten bei unterschiedlichen Außentemperaturen durchgeführt, um den Lerneffekt zu steigern und den exakten Verständnis-Grad besser überprüfen zu können. Auf der letzten Stufe des Trainings-Programms waren die Pferde in der Lage, durch das Hindeuten auf eines der Symbole selbst und völlig frei zu bestimmen, welche Handlung ausgeführt wird (Decke rauf, Decke runter – oder alles so lassen wie es gerade war) – zuvor hatten die menschlichen Betreuer noch diese Entscheidung für sie übernommen.
Nach durchschnittlich zehn Tagen waren alle 23 Pferde in der Lage, die Bedeutung der unterschiedlichen Symbole zu verstehen und diese in der Kommunikation mit dem Menschen gezielt einzusetzen. Diese Fähigkeit mussten die Pferde in unterschiedlichen Wetter-Situationen unter Beweis stellen, um mögliche Zufalls-Treffer bei der Auswahl verlässlich auszuschließen. Und tatsächlich beherrschten nach dem Trainings-Programm sämtliche Testpferde nach spätestens 14 Tagen diese durchaus erstaunliche Fähigkeit der „symbolischen Kommunikation" – und konnten ihren Trainern eindeutig und zuverlässig anzeigen, ob sie an diesem Tag eine Decke tragen wollten oder lieber nicht.
Wie die Wissenschaftler in ihrer Studie nachweisen konnten, erfolgte die Wahl des jeweiligen Symbols nicht zufällig, sondern war eindeutig von den herrschenden Wetterbedingungen abhängig: Wenn das Wetter schön war, wollten die Pferde keine Decke tragen – wenn das Wetter hingegen feucht, windig und kalt war, wählten sie eine Decke. Das beweist, so die Forscher weiter, daß die Pferde nicht nur die Konsequenzen ihrer jeweiligen Wahl verstanden hatten, sondern diese Wahl auch auf der Basis ihres eigenen Temperatur-Empfindens getroffen haben. Und sie hatten erfolgreich gelernt, ihre jeweiligen Präferenzen durch die Verwendung der Symbole mitzuteilen. Die im Rahmen der Studie entwickelte Methode könnte zudem ein neues Instrument darstellen, die Präferenzen von Pferden eingehender zu untersuchen.
Die Studie „Horses can learn to use symbols to communicate their preferences" von Cecilie M. Mejdell, Turid Buvik, Grete H.M. Jørgensen und Knut E. Bøe ist in der Zeitschrift ,Applied Animal Behaviour' Science erschienen und kann in vollständiger englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
10.04.2015 - Studie bescheinigt Pferden Intelligenz und Flexibilität
Studie bescheinigt Pferden Intelligenz und Flexibilität 10.04.2015 / News
Pferde können menschliches Verhalten interpretieren und flexibel auslegen – was italienische Forscher nun bestätigen konnten, wissen viele Pferdefreunde schon längst.... / Foto: Simone Aumair
Ein Forscher-Team der Universität von Pisa hat untersucht, inwieweit Pferde menschliche Verhaltensweisen interpretieren und darauf flexibel reagieren konnten. Die Ergebnisse waren erstaunlich.
Dass Pferde sehr intelligent sind, wurde bereits in vielen Studien nachgewiesen – doch es schien auch Grenzen für die pferdliche Intelligenz zu geben. So dachte man bislang, dass Pferde sogenannte Verstärkungs-Codes nur dann verstehen und anwenden konnten, wenn die menschliche Versuchsperson in unmittelbarer Nähe der Belohnung blieb – sie schienen also nicht die kommunikative Bedeutung des Menschen als zeitlichen und lokalen Verstärkungs-Code zu begreifen (etwa wenn der Mensch zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht anwesend war). An genau diesem Punkt setzte die Studie, die kürzlich in der Zeitschrift ,Applied Animal Behaviour Science' veröffentlicht wurde, an: Die Wissenschaftler Paola Lovrovich, Claudio Sighieri und Paolo Baragli wollten herausfinden, inwieweit Pferde menschliche Verhaltensweisen auch nach einer zeitlichen Verzögerung interpretieren und darauf flexibel reagieren konnten.
Für die Untersuchung wurde 24 Pferden beigebracht, einen Eimer umzudrehen und darunter eine versteckte Karotte zu finden. Die Pferde wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Tiere der Gruppe 1 mussten herausfinden, unter welchem von drei möglichen Eimern die Karotte liegt, nachdem sie die Person beim Verstecken der Karotte beobachtet hatten. Die Pferde der zweiten Gruppe überließ man gänzlich sich selbst und gab ihnen keinerlei Hilfestellung. Auf diese Weise sollte „die Fähigkeit der Pferde analysiert werden, menschliche Verhaltensweisen zu verstehen, zu erinnern und vom Menschen gegebene Hilfestellungen bei einer zeitlich verzögerten (10 Sekunden) Wahl zwischen drei Möglichkeiten anzuwenden."
Die erste Gruppe von Pferden hat die Karotte häufiger gleich beim ersten Versuch gefunden, sie brauchten aber dafür mehr Zeit. Als der Test wiederholt wurde, ohne den Pferden das Verstecken der Karotte zu zeigen, war die erste Gruppe weniger erfolgreich darin, die Karotte gleich beim ersten Versuch zu finden – aber dafür waren sie schneller. Interessant war, dass sie zuerst die Karotte unter jenem Eimer suchten, unter dem zuvor der Mensch die Karotte versteckt hatte – sie hatten also offensichtlich eine genaue Erinnerung von diesen Vorgang.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Pferde auch einer zeitlichen Verzögerung gut an jenen Ort erinnern können, an dem zuvor Fressen von einer menschlichen Person versteckt worden war. Die gleichen Pferde können aber ihre Entscheidungs-Findungs-Strategie rasch ändern – und von der genauen Beobachtung menschlicher Hilfestellungen auf größere Geschwindigkeit umschalten. Pferde haben also offensichtlich die Gabe, flexibel und selbstständig zu entscheiden, ob sie vom Menschen angebotene Hilfestellungen nützen oder nicht – abhängig von der Zeit, dem Aufwand, der Erfahrungen und auch der vermuteten Belohnung.
Eine Zusammenfassung der Studie „Following human-given cues or not? Horses (Equus caballus) get smarter and change strategy in a delayed three choice task" von Paola Lovrovich, Claudio Sighieri und Paolo Baragli ist hier nachzulesen.
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