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Pferde können erfolgreich Buchstaben unterscheiden
14.12.2022 / News

Die Testanordnung mit großem Touchscreen: Eine in der Mitte des Bildschirms montierte Holzstange sorgte dafür, dass die Pferde nur die eine oder andere Seite berühren und nicht ,über den Bildschirm wischen
Die Testanordnung mit großem Touchscreen: Eine in der Mitte des Bildschirms montierte Holzstange sorgte dafür, dass die Pferde nur die eine oder andere Seite berühren und nicht ,über den Bildschirm wischen' konnten. / Foto: Clara-Lynn Schubert et.al.

Ein internationales Forscherteam konnte zeigen, dass Pferde in einem automatisierten Testsystem in der Lage waren, zwischen den Buchstaben O, B, Z, V und X zu unterscheiden – mit einer Genauigkeit von erstaunlichen 80,4 %.

 

Das internationale Forscherteam rund um Clara-Lynn Schubert von der Pierre & Marie Curie Universität in Paris verwendete für seine Untersuchung ein automatisiertes Testsystem, um sicherzustellen, dass ihr Experiment frei von dem „Clever-Hans-Phänomen“ war – so benannt nach dem berühmten Pferd ,Kluger Hans’,  das scheinbar rechnen konnte, bei dem sich jedoch herausstellte, dass es lediglich auf subtile, unbewusste Körpersignale seines menschlichen Gegenübers reagiert und damit eine Trefferquote von nahezu 90 % erreicht hatte. Heute bezeichnet man als ,Kluger-Hans-Effekt’ allgemein die unbewusste Beeinflussung des Verhaltens von Versuchstieren – insbesondere in die vom Experimentator erwartete bzw. erwünschte Richtung.

Clara-Lynn Schubert und ihre Kollegen untersuchten die visuelle Unterscheidungsfähigkeit bei Garrano-Pferden, einer bedrohten iberischen Ponyrasse. Sie testeten fünf Pferde im Alter von 13, 8, 5, 4 und 2 Jahren, die zusammen in einer halbfreien, Offenstall-ähnlichen Haltung in der Nähe ihres natürlichen Lebensraums in der Serra d’Arga im Norden Portugals lebten. Die Gruppe bestand aus einem Hengst, zwei erwachsenen Stuten und zwei Jungpferden. Das älteste Tier, eine Stute, konnte nur auf einem Auge sehen.

Die Pferde wurden darauf trainiert, schwarze Kreise, die auf dem Bildschirm erschienen, mit der Nase zu berühren. Dann wurden sie auf ihre Fähigkeit getestet, zwischen den Buchstaben O, B, V, Z und X zu unterscheiden, die in der Schriftart Arial angezeigt wird. Richtige Antworten bei einer Unterscheidungsaufgabe mit zwei Auswahlmöglichkeiten wurden mit einem Stück Karotte belohnt, das bei einer richtigen ,Antwort’ in eine Schüssel unter dem Touchscreen fiel.

Die Pferde wurden zuvor darauf trainiert, das X als negativen Reiz zu erkennen. Eine in der Mitte des großen Bildschirms montierte Holzstange sorgte dafür, dass die Pferde nur die eine oder andere Seite berühren und nicht ,über den Bildschirm wischen' konnten. Ein „Bip“-Ton wurde abgespielt, wenn die Buchstaben auf dem Bildschirm erschienen. Ein „Glockenspiel“ ertönte, wenn die Nasenberührung des Pferdes korrekt war – ein „Summer“-Ton wurde abgespielt, wenn sie falsch war.

Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Alle fünf Pferden eigneten sich die Fähigkeit an, den Touchscreen mittels Nasenberührungen zu steuern, und alle Pferde außer dem Hengst lernten, die in der Studie verwendeten Buchstaben des Alphabets zu unterscheiden. „Die Fehlermuster und die Analyse der Formmerkmale zeigten, dass die gebogenen Buchstaben O und B für die Pferde eher gleich aussehen, ebenso wie die geraden Buchstaben Z, V und X“, so das Studienteam. Bei diesen Buchstaben sei daher auch die Verwechslungsgefahr – und damit die Fehlerquote – erhöht. Insgesamt zeigten die Pferde eine durchschnittliche Unterscheidungs-Genauigkeit von erstaunlichen 80,4 %.

Alle Pferde lernten auch, zwischen dem schwarzen Fleck und dem X zu unterscheiden – allerdings unterschied nur die vier Stuten zwischen allen fünf Buchstaben mit einer durchschnittlichen Genauigkeitsrate von 80 %. Sogar die halbblinde Stute lernte die Buchstabenunterscheidung, allerdings dauerte es bei ihr länger, so Carlos Pereira, und die drei jüngsten Pferde lernten schneller als die beiden älteren Pferde in der Gruppe.

Warum der Hengst größere Schwierigkeiten beim Lernen hatte als die vier Stuten, konnten die ForscherInnen nicht gänzlich enträtseln – äußerten aber eine Vermutung: „Wir nehmen an, dass die Schwierigkeiten des Hengstes beim Erlernen der Unterscheidung mit seiner sozialen Rolle als Hengst und Beschützer seiner Familiengruppe zusammenhängen könnten … und dies seine Aufmerksamkeit auf die Lernaufgabe und den Apparat verringerte. Ähnliche Untersuchungen mit größeren Stichproben (oder verschiedenen Gruppen) könnten weiteres Licht auf die möglichen geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Aufmerksamkeit und dem Lernen von Pferden werfen.“

Ihre Ergebnisse, so die AutorInnen, stehen im Einklang mit früheren Studien zur Formwahrnehmung bei anderen Tieren. Sie hoben auch hervor, dass das computergesteuerte Touchscreen-System gut funktioniere und eine präzise Steuerung des Experiments erlaube – es erwies sich als objektiver und innovativer Weg, Kognition in einer sozial organisierten Gruppe von Pferden zu studieren, ohne deren Wohlbefinden zu beeinträchtigen. Aufgrund der Natur des automatisierten Systems war die Touchscreen-Unterscheidung auch gänzlich frei von sozialen Hinweisen bzw. menschlichen Beeinflussungen, die als „Clever-Hans-Phänomen“ (siehe oben) bekannt sind.

Die Pferde wurden während des Experiments auch an keinem Führstrick gehalten: „Zusätzlich zu seinem Wert für psychophysische Tests bietet das System die Möglichkeit, Pferde in ihrem gewohnten sozialen Umfeld zu testen. Es stand ihnen völlig frei, sich an der Aufgabe zu beteiligen oder – was möglicherweise noch wichtiger ist – jederzeit die Sitzung zu beenden und zur Gruppe zurückzukehren“, so die ForscherInnen.

Die Studie „Garrano Horses Perceive Letters of the Alphabet on A Touchscreen System: A Pilot Study" von Clara-Lynn Schubert, Barbara Ryckewaert, Carlos Pereira und Tetsuro Matsuzawa ist am 12. Dez. 2022 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originlafassung (als Download) hier nachgelesen werden.

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