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Die neuen Fälle des Dr. K.: vermeintlicher Unfall am Abreiteplatz
15.06.2024 / News

Auf dem Abreiteplatz eines Springturniers soll es zu einem Unfall gekommen sein, bei dem sich der Geschädigte eine schwere Knieverletzung zugezogen hat – die Versicherung des angeblichen Verursachers sollte für den Schaden aufkommen. Doch bei der Befunderhebung stößt Gutachter Dr. K. auf einige Ungereimtheiten ...

Der Abreiteplatz auf pferdesportlichen Veranstaltungen ist von einem Aufsichtsorgan zu überwachen – diesem müssten auch gravierende Zwischenfälle auffallen. Symbolfoto: Archiv Dr. Reinhard Kaun

 

Das Bächlein und der Feldhase
Zaghaft, unschuldig und klar springt das Bächlein zwischen Felsen hervor, strebt – den Gesetzen von Schwerkraft und Strömung folgend – in eine ungewisse, unbekannte Welt. Stellt sich ein Stein, eine Wurzel, ein Lebewesen behindernd in die Quere, weicht das junge, unverdorbene Wasser mit Behändigkeit – immer dem Wege des geringsten Widerstandes folgend – aus und sucht seinen Weg in leichten Bahnen. Jede Berührung hinterlässt Spur und Schwingung – gleichermaßen heilbringend und verderblich – das Überwiegen des Einen oder des Anderen wird dereinst das Gewicht haben, das Wässerchen rein und klar, oder trübe und undurchsichtig sein zu lassen. So mäandert das Bächlein – bis es zum Bache, zum Flüsschen wächst – lange herum, gerade Verläufe sind ihm solange fremd, bis es in die – vermeintliche – Obhut von Menschen kommt, die natürlich genau zu wissen glauben, was der Gebirgsbach benötigt: schnelle Bahnen, Wasser-Rennstrecken mit geradem Verlauf – bis die gebündelte Kraft in ihrer Unzähmbarkeit außer Kontrolle gerät.

Die tiefe Abneigung gegen lange, gerade Wege teilt das Bächlein mit dem Feldhasen; was beim Wasser Naturgesetzen folgt, ist beim Hasen Taktik – in vielen Generationen erworben, genetisch verankert, epigenetisch weiterentwickelt, die Taktik des Haken-Schlagens, ein Erfolgsmodell um Verfolger zu verwirren und zu ermüden. 

Das Mäandern des Wassers und der Zick-Zack des Feldhasen scheinen beliebtes – weil mittlerweile bewährtes – Verhaltensmodell der modernen Kommunikations- und Medien-Gesellschaft geworden zu sein: sich auf keinen Standpunkt, keine klare Meinung, vor Allem aber keine erkennbare Haltung festzulegen. Seitenlange Interviews in Qualitätsmedien mit „Experten“, tägliche Gespräche mit „Fachleuten“ in öffentlichen Sendungen bzw. Medien, „Kommentar – Abgeber“  bei Reitsportveranstaltungen – sie alle haben Eines gemeinsam: Am Ende steht eine Frage, nicht eine Antwort.

Um ihre Meinung Gebetene mäandern durch die „Welt von Wissen (und Halbwissen) und Erkenntnissen“, weichen jedem Hindernis einer Fragestellung elastisch und biegsam aus – Geradlinigkeit wird nach dem Vorbild eines schlängelnden Flüsschen und des plötzlich abbiegenden Feldhasen sorgfältig vermieden.

„Correctness“ – mit welchem Attribut auch immer versehen – ist ein Gebot von Anstand und Benehmen, das bedarf keiner „Frage“ – geheuchelte und gespielte „Correctness“ jedoch –  als regelmäßige Begleiterin führt sie die „Entrüstung“ mit sich – als Larve und Mäntelchen für Feigheit, hat in der Welt von Pferden nichts verloren – als Pendant wurde schon in vielen Aufsätzen auf dieser Plattform die Zivilcourage aufgezeigt.

Der Autor dieser Zeilen ist jedenfalls seit Jahren bestrebt, in seinen Texten, die hier erscheinen, Sachverhalte -  ohne zu schlingern, ohne Winkelzüge und frei von sprachlichen Serpentinen, also - geradlinig, darzustellen, gelegentliche Bocksprünge oder Ballotaden mögen „geneigte“ Leser gütigst nachsehen.

 

Pferdesportliche Veranstaltungen werden von der Behörde nur dann genehmigt, wenn – zumindest in der Annahme und Vorhersehbarkeit – keine Gefahr damit verbunden ist.


Ereignet sich dennoch ein Unfall im Rahmen einer pferdesportlichen Veranstaltung, haben Sachverständige – einem Gutachtensauftrag folgend – meist auch das multiple Beziehungsgeflecht eines möglichen Personenkreises aufzuzeigen. Die Verantwortungssphären überscheiden sich in der Regel, die einzelnen Beziehungen sind aber bei Kausalitätsüberlegungen zu beleuchten.

 

Jede Person, die mit oder auch ohne Pferd an einer pferdesportlichen Veranstaltung teilnimmt, hat ihre Obliegenheiten und (gesellschaftlichen) Verpflichtungen zu erfüllen – und – auf diese Erfüllung müssen sich „Andere vertrauensvoll“ verlassen können. Veranstalter haben durch Ordnungsdienste dafür zu sorgen, dass die von ihnen angeordneten Sicherheitsmaßnahmen eingehalten und erfüllt werden.

Der Abreiteplatz
Der Versicherungsnehmer nahm mit seinem Pferde an einem Springturnier der Kategorie B teil, gleichermaßen wie der Geschädigte. Der Veranstalter verfügte über zwei Reithallen, in der neuen Halle gingen die Bewerbe über die Bühne, die sogenannte alte Reithalle, die nicht den üblichen und korrekten Abmessungen entsprach, wurde als Abreiteplatz verwendet. Als der (später) Geschädigte zu einem Probesprung auf einen Oxer zuritt, wurde seine beabsichtigte Reitlinie vom Versicherungsnehmer entweder fast gekreuzt oder eingeengt, dessen Pferd schlug mit den Hinterextremitäten aus und verletzte den dadurch Geschädigten am Knie schweren Grades.

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Die Turnierregeln sehen für Vorbereitungsplätze bei Hallenturnieren von international üblichen Größenordnungen ab, halten jedoch fest, dass sich zumindest zur gleichen Zeit sechs Reiter auf dem Abreiteplatz vorbereiten können müssen. Bei Bedarf – und ein solcher besteht, wenn ein Abreiteplatz nicht mit der nötigen Größe und Fläche zur Verfügung steht, haben (!!!) Turnierleiter und Turnierbeauftragter in gegenseitiger Absprache die Anzahl der Pferde, die gleichzeitig vorbereitet werden, zu beschränken. Erwähnenswert ist noch, dass auf Abreiteplätzen Rauchverbot besteht – auch für deren Aufsicht!!??

Der Abreiteplatz ist von einem Aufsichtsorgan – also konkret benannt – Turnierbeauftragter, Richter oder Steward, zu überwachen, das seinen Dienst 15 Minuten vor Beginn des Bewerbs, auf den vorbereitet werden darf, anzutreten hat und bis zum Ende aller Bewerbe anwesend sein muss.
Diese „Aufsichtsorgan“ muss ein – vom OEPS zur Verfügung gestelltes - Namensschild tragen, der „Dienst“ ist im Zuge der Richtereinteilung festzulegen und auf dem Allgemeinen Schwarzen Brett bekannt zu geben.

Die „Aufsicht Abreiteplatz“ hat umfassende exekutive Instrumente, um Missständen und Vergehen mit sofortiger Entscheidung und Wirkung zu begegnen oder angemessene Ordnungsmaßnahmen zu verhängen – „Tatorte“ für pferdesportliche Entgleisungen sind das gesamte Veranstaltungsgelände und dessen nähere Umgebung!   Jede Form einer Ordnungsmaßnahme ist melde- und verlautbarungspflichtig. (Details § 2015, Teil C Rechtsordnung ÖTO).

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Im Rahmen der Befunderhebung kam zutage:

– Die Verletzung bestand in einem Bruch der Kniescheibe (Unfallbericht des Krankenhauses)

– Der Geschädigte ist hinten am Pferd des Versicherungsnehmers vorbeigaloppiert – dabei hat das Pferd des Versicherungsnehmers, welches ebenfalls galoppierte, ausgeschlagen. (Darstellung der Versicherung).
– Der Versicherungsnehmer bestätigte dem Geschädigten gegenüber schriftlich (zit.) „… dass es von ihm nicht korrekt war, in dessen eingeschlagene Linie zu galoppieren, weil dadurch der Unfall ausgelöst wurde.“

– „…..im Zuge des Aufwärmens der Pferde in der Abreitehalle ist mein Mandant mit seinem Pferd „D.“ auf einen Oxer zugeritten. Als Ihr Versicherungsnehmer mit seinem Pferd „E.“ in die von meinem Mandaten eingeschlagene Linie hineingaloppiert ist, wodurch das Pferd „E.“ mit der Hinterhand das linke Knie meins Mandanten getroffen und diesen erheblich verletzt hat…..“[zit. Schreiben des Rechtsvertreters des Geschädigten] Eine angefügte Handskizze gibt die Maße der Reithalle (fälschlicherweise) mit 20 x 40 m an, der Zeichnung auf dieser Skizze zufolge hat der Geschädigte den Versicherungsnehmer an dessen linker Seite überholt.

– Turnierbericht der Turnierbeauftragten:
o    Vorbereitungsplatz: Abreite-Halle 18 x 55 m
o    In dieser Halle haben sich immer ca. 15 Pferde bewegt.
o    Besondere Vorkommnisse gab es keine, ein Unfall ist im Turnierbericht nicht erwähnt, telefonisch befragt gibt die Turnierbeauftragte an, dass sie von einem Unfall nichts mitbekommen habe.

–   Ein Unfallzeitpunkt ist nicht feststellbar, der Geschädigte kam nachvollziehbar um 21.30 Uhr in das Unfallkrankenhaus. Er wies eine 10 cm lange, stark blutende Riss-Quetschwunde und eine offene Fraktur der linken Kniescheibe auf.

Die fachliche Wertung der Befunde im Lichte der obenauf gezeigten Regelwerke ergab:

Der zum (angeblichen)Zeitpunkt des Unfalles Aufsicht führenden Person (selber ein erfahrender Springreiter) ist kein Vorkommnis oder Verstoß gegen die Regeln aufgefallen, der zwingend im Bericht des Turnierbeauftragten seinen Niederschlag gefunden haben müsste. Da ein solcher Unfall angesichts der Schwere des Verletzungsmusters (starke Blutung) nicht unbemerkt von statten gehen wird, sind aus sachverständiger Sicht zwei Rückschlüsse möglich:
1.    Der Unfall hat sich – entgegen der Schilderung – nicht auf diesem Abreiteplatz zugetragen.
2.    Die den Unfall auslösende Ursache entspricht nicht der Schilderung, war auch kein Verstoß in reiterlichem Sinne oder der Unfall ereignete sich andernorts.

Die unterschiedlichen Schilderungen des Unfallgeschehens lassen erhebliche Zweifel aufkommen:
– Wenn der Geschädigte hinten am Pferd des Versicherungsnehmers vorbeigaloppiert ist, ist ein Treffen der Kniescheibe sehr unwahrscheinlich.
– Wenn der Geschädigte in die vom VN eingeschlagene Linie hinein galoppiert ist, ist ein Ausschlagen gegen die linke Kniescheibe kaum möglich.
– Der Geschädigte gab nach Rückfrage an, er wäre vom Rettungswagen, der Vorort stationiert war, abtransportiert worden. In diesem Falle hätten die Bewerbe bis zum Eintreffen eines Ersatzwagens unterbrochen werden müssen – dies müsste zwingend Niederschlag im Bericht des Turnierbeauftragten finden.

Gutachten
1.    Auf Grund der Ungereimtheiten in der Beschreibung des Unfallherganges, ferner wegen völligen Fehlens einer Turnier-Dokumentation (Bericht der Turnierbeauftragten) des Unfalles oder eines Regel-Verstoßes eines Reiters ist es dem beauftragten Sachverständigen nicht möglich, das vom Versicherungsnehmer und vom Geschädigten behauptete „unkorrekte“ Verhalten ohne weitere Beweismittel – wie nachfolgend aufgezählt - nachzuvollziehen:
– Aufsicht Abreiteplatz
– Erstversorgender Arzt
– Besatzung des Rettungswagens
– Zuschauer
– Befundaufnahme Ortstermin.
2.    Fest steht jedoch, dass die Anzahl der Pferde, die sich am Abreiteplatz in der alten Reithalle jeweils zeitgleich befunden haben, in jedem Fall für eine korrekte und gefahrlose Vorbereitung der einzelnen Reiter zu hoch war.
3.    Der dafür vorgesehene Personenkreis hätte die Anzahl der berittenen Pferde „in Vorbereitung“ auf 6 beschränken müssen – insoferne ist dem Personenkreis, der Aufsichtspflichten zu erfüllen hatte, eine Missachtung geltender und niedergeschriebener Regeln vorzuhalten.
 

 An vielen Waldrändern und Feldrainen blüht zur Zeit in atemberaubender Pracht und Farbe die Wilde Malve, im Volksmund auch als Käsepappel oder Rosspappel bekannt – eine, seit alters her bekannte Heilpflanze. Die vornehme Schönheit ihrer Blüten ist wohltuender Trost auch für gereizte Augen, denen siegessicher die hässlich-dümmliche Fratze des Zeitgeists entgegenstarrt.

11.06.2024

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