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Die neuen Fälle des Dr. K.: Variationen über das Führen von Pferden
22.06.2024 / News

Aus Bequemlichkeit oder auch aus Unwissenheit – und nicht zuletzt mangels guter Vorbilder – reißen in manchen Pferdebetrieben Unsitten ein, die erhebliches Gefahrenpotenzial bergen und früher oder später zur Katastrophe führen müssen, wie ein Unfall beim Führen eines Pferdes drastisch vor Augen führt.

 

Man sagt, dass Pferde, die von der Natur oder vom Schöpfer besonders gezeichnet wurden, auch im Wesen besondere Persönlichkeiten wären, drei Haarwirbel auf der Stirn oder eine Muskeldelle, meist in der der Nähe des Verlaufs einer Drosselrinne, die die Wissenschaft vom Pferde als Abdruck des „Daumen des Propheten“ zu bezeichnen pflegt.  

Vorbilder und Beispiele

Natürlich glaubt jeder Mensch zu wissen, welche Bedeutung dem Begriff „Vorbild“ innerwohnt – dennoch ist dessen Inhalt sehr variabel; das Bedeutungswörterbuch des DUDEN definiert: [zit.] „Person oder Sache, die als (mustergültiges) Beispiel dient“ – als sinnverwandte Begriffe werden angeführt: [zit.] „Aushängeschild, Ideal(typ), Beispiel, Identifikationsfigur, Idol u.a.m.

Unter „Beispiel“ können wir derselben Quelle entnehmen: [zit.] „Einzelner Fall, der etwas kennzeichnet, erklärt, beweist, anschaulich macht.“

Im weiteren Text werden Anwendungen des Begriffes „Beispiel“ angeführt, die bereits die ethisch-moralische Wertung ansprechen: es wird unterschieden zwischen guten und anschaulichen Beispielen und schlechten oder abschreckenden Beispielen, aber „beispielhaft“ ist ebenso angeführt wie das diametrale Gegenstück „ohne Beispiel“.

Der aufmerksame und geneigte Leser erkennt bereits, dass die Auswahl von „beispielhaften Vorbildern“ ein zutiefst individueller, von der eigenen Werteeinstellung geprägter und gesteuerter Prozess ist.

Im Umfeld von Pferden und in der „Reiterei“ finden wir Kinder, Jugendliche und noch reifende Menschen in – vermutlich – größerer Zahl als bei anderen Sportarten, woraus sich eine erhebliche Verpflichtung Erfahrener und Erwachsener zur beispielhaften Vorbildfunktion ableitet. Jahrhunderte gelebter Tradition und Praxis wurden und wird durch Nachahmen von Vorbildern weitergegeben – in gutem wie in schlechtem Sinne.

Der Vorfall:
Als die minderjährige Beklagte an einem Septembernachmittag am Pferdehof des Klägers, wo sie ihre Stute eingestellt hatte, eintraf, war der Kläger gerade im Begriff, Pferde von der Weide in den Stall zu holen. Der Wallach G. und die Stute M. der Beklagten standen bereits „abholbereit“ beim Ausgang der Weide und warteten darauf, in den Stall zu kommen; deshalb ersuchte der (spätere) Kläger, die (nunmehr) Beklagte ihm zu helfen, die beiden Pferde in den etwa 30 m entfernten Stall zu ihren Boxen zu führen. Der Kläger erfasste den Wallach G. am Stallhalfter und führte das Pferd mit der rechten Hand an seiner rechten Seite. Hinter ihm ging die Beklagte, die ihre Stute M. in der gleichen Art und Weise am Stallhalfter führte. Wenige Meter vor dem Stalleingang riss sich die Stute M. von der Beklagten los, lief in Richtung des Stalles und der Boxen der beiden Pferde – und trampelte dabei den Kläger von hinten nieder und verletzte ihn schwer.

Die Befunde: (jeweils Zitat, wenn in Anführungszeichen)
(Klage): „Auf Grund unsachgemäßer Führung – die Beklagte benutzte für das Hereinbringen des Pferdes keine Führleine – riss sich das Pferd der Beklagten los……..“
(Klageerwiderung): „Meist hatte der Kläger die Pferde allein von den Stallungen zur Koppel laufen lassen und – später – auch wieder zurück. Die Pferde sind dann in ihre Boxen hineingelaufen, der Kläger hat sie dort dann verwahrt und gefüttert.“
– (Zeugin Ehefrau des Klägers): „Die Pferde werden von uns einzeln zu den Koppeln geführt, dazu werden sie am Halfter gehalten.“
– (Zeugin Mutter der Beklagten): „Der Kläger hat die Pferde teilweise hinausgeführt, teilweise hat er sie laufen lassen.“
– (Kläger): „Wir führen die Pferde ausschließlich vom Stall auf die Koppel, von selber laufen die Pferde nie auf die Koppel. Die Pferde werden dabei jeweils am Halfter geführt….
Nach dem Vorfall ist mein Pferd G. ebenfalls alleine in den Stall gerannt.
Das hintere Pferd ist mir direkt in den Rücken gelaufen…
– Es kommt auch vor, dass die Pferde von selber von der Koppel in die Boxen laufen…..
– Wir führen die Pferde ausschließlich am Halfter hinaus und herein…eine zusätzlich Leine verwenden wird dabei nicht.“
– (Zeugin Sch.): „… Plötzlich hat sich das Pferd M. losgerissen und ist nach vorne gestürmt…..
Diese Pferde gelangen meist von selber ohne Führung in ihre Boxen.“
– (Beklagte): „Richtig ist, dass die Pferde von der Koppel eigentlich von selbst in Richtung Stall und Boxen gerannt sind.“
Verletzungsmuster des Klägers: „Mehr-etagige Trümmerfraktur am rechten Oberarm, punktförmig offen, im Bereich des dorsomedialen Oberarm-Anteiles bläulich verfärbte Prellmarken.“

Befundaufnahme am Unfallort durch den SV:

– Im Zuge der ergänzenden informativen Befragung räumt der Kläger ein, dass die Pferde von den Koppeln meist selbstständig in ihre Boxen laufen.
– Das Pferd G. (Wallach, WB, 15 a, 165 cm Stm) ist zu diesem Zeitpunkt unbeschlagen und problemlos vom Kläger zu führen.
– Die Stute M. (15 a, WB, 167 cm Stm.) entzieht sich, von der Beklagten am Stallhalfter mit der rechten Hand geführt – mit zusätzlichem Führstrick in der linken Hand gesichert – kurz der Kontrolle  und läuft in Richtung einer Weide; dort holt sie die Beklagte und führt sie anschließend unter korrekter Handhabung der Führleine problemlos zum Reitplatz, wo sie einige Runden ohne Kontrollverlust oder Widersetzlichkeit geführt wird.
– Die Stute M. ist zur Zeit nicht beschlagen und war dies nach Angabe der Beklagten auch zum Unfallzeitpunkt.  

Analyse und fachliche Wertung der Befunde:

Unter „Good Equine Practice“ versteht man einen Codex an Verhaltensregeln im Umgang mit Pferden und deren Umfeld, den man früher als „horsemanship“ bezeichnete. Darunter ist eine nirgendwo detailliert aufgeschriebene und für niemanden verpflichtende - auf Erfahrung beruhende Umgangsweise mit Pferden zu verstehen, die - einerseits – das Pferd fair als Sportkamerad ansieht, und die – andrerseits – darauf abzielt, den Verkehr mit Pferden risikoarm und sicher zu gestalten und tägliche Handlungsabläufe auch nonverbal reproduzierbar zu etablieren.

Viele dieser Verhaltenskodizes stammen naturgemäß von der Kavallerie und bespannten Artillerie des Militärs, vielfach der k.& k. österreich-ungarischen Armee. Angesichts der Sprachen-Vielfalt der Kavalleristen und Artilleristen war eine verbale Verständigung auch innerhalb einer Einheit kaum möglich, weshalb in jeder Armee – auch in anderen Nationen – Verhaltensweisen eingeführt wurden, die sich sicher für den „Mann“ und praktikabel im Umgang mit dem „Pferd“ erwiesen haben – niedergelegt z.B. als „Heeres – Dienst – Verordnungen“ (HDV) und absolut verbindlich für die Soldaten der berittenen und bespannten Truppen – auch des Trains.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem auch Millionen von Pferden – unfreiwilligen – Dienst versahen, waren es dann Offiziere und Unteroffiziere der berittenen und bespannten Abteilungen, die als „Lordsiegel-Bewahrer“ tradierter Normen und Gebräuche wirkten und ihren Schülern weitergaben.

Als nach dem Ende des Pferde-Tiefs in Österreich mit einer Population von gerade 5000 Tieren dann sich Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wieder eine aufblühende Pferdeszene zu etablieren begann (1970: 35.000 Tiere, 2004: 85.000 Tiere, 2023: 120.000 Tiere), waren viele dieser Werte und Regeln für die zahllosen Quereinsteiger verloren gegangen, Üblichkeiten anderer Reitweisen drängten – befeuert durch Pferdemessen – auch in die mitteleuropäischen Traditionen, einerseits infolge anderer Gebräuche, andrerseits  aber auch getrieben von dem Wunsche Mancher, alles anders machen zu wollen, als es bisher üblich war – es entstand, was ich schon mehrfach als Hippologischen Kauderwelsch bezeichnete: Menschen verstehen Pferde nicht mehr und – vice versa – Pferde verstehen Menschen nicht mehr. Das tägliche Risiko erhöht sich, Unfälle sind absehbar, Gerichte und Versicherungen werden in einem nicht geahnten Maße bemüht, Anwälte freuen sich und „Gurus“ verkünden – Evangelisten nicht unähnlich - frohe Botschaften

Wie in den meisten Belangen des täglichen Lebens suchen „Jugendliche“ – solche an Jahren, aber auch solche an Erfahrung  – nach Vorbildern bei älteren und erfahrenen Menschen – Vorbildwirkung kann aber nicht wirksam gepredigt, sondern nur beispielhaft gelebt werden.

Wenn ein junger Reiter bei einem schon in den Jahren befindlichen - scheinbar im Umgang mit Pferden Erfahrenen - tagtäglich sieht, dass Pferde nur am Stallhalfter geführt werden, wird er zwangsläufig daraus ableiten, dass dies richtig und die „Norm“ sei.

Wenn dieser Jugendliche des Weiteren immer wieder beobachtet, wie praktisch und zeitsparend es ist, Pferde zu Futterzeit frei und ungeregelt von der Weide in den Stall laufen zu lassen, muss er folgerichtig zur Erkenntnis gelangen, dass die die „Norm“ wäre.

Es gilt aber im Umgang mit Pferden ein ehernes Gesetz: Auch wenn etwas jahrelang ohne fatale Konsequenzen falsch gemacht wurde, wird es deshalb nicht richtig – früher oder später kommt die „Rechnung“!

Die beiden, im vorliegenden Falle involvierten Pferdes waren um die 15 Jahre alt, in keinem besonderen Trainingszustand, genutzt als reine Freizeitpferde – ohne erkennbare charakterliche Mängel. Dennoch muss auch bei solchen – braven und ruhigen – Pferden immer mit der typischen Tiergefahr (Kontrollverlust, Ausschlagen, Beißen) gerechnet werden, die sich auf Grund besonderer „Reize oder Antriebe“ verwirklichen kann.

Kontrollverlust in Form von Durchgehen kann durch Angst erzeugende Geräusche, Bewegungen oder Lichteffekte ausgelöst werden, aber auch „vorwärts-stürmender Ungehorsam“ kann auftreten:

– Im vorliegenden Fall war einerseits der Futterreiz auslösend, denn die Stute M. wusste, dass in der Box Futter wartet;
– zusätzlich war eine Irritation durch das vom sonst üblichen Hereinstürmen abweichende Führen am Halfter gegeben.

Es sei an dieser Stelle auch festgehalten, dass es Unfug ist, wenn Pferde beim Betreten ihrer Boxen schon Futter in den Trögen finden – erst wenn alle Pferde sicher in den Boxen verwahrt sind, sollte eingefüttert werden!

Doch zurück zum „Fall“: Den meisten Aussagen, auch jener des Klägers, konnte entnommen werden, dass auf seinem Betrieb Pferde in der Regel auf die Weide geführt werden, doch den Weg zurück, von der Weide in die Boxen, können sie „regelmäßig frei hereinlaufen“ [zit.] – das Tempo wird hierbei von der Hierarchie der Herde, nicht aber von einer Führperson bestimmt.  

Der Lehrmeinung entsprechend sind Pferde sowohl zur wie auch von der Weide/Koppel kommend, einzeln zu führen, hierbei trägt das Pferd Stallhalfter mit intaktem Führstrick und der Pferdeführer Handschuhe. Beim Hinausführen auf die Weide/Koppel wird das Pferd innerhalb des Koppeleingangs mit dem Kopf zur führenden Person gewendet, die begrenzend im Eingang steht, und dann die Führleine geöffnet und entfernt. Nur diese Vorgangsweise entspricht der Allgemeinen Verkehrssicherungspflicht und vermag das häufig zu beobachtende Ausschlagen gegen den Menschen beim Öffnen des Führstricks – meist aus Stallmut – zu verhindern.

Beim Hereinholen wird korrekterweise jedes Pferd einzeln mit Führleine am Koppelausgang abgeholt, wobei sich als sinnvoll erwiesen hat, nicht immer die dieselbe Reihenfolge einzuhalten. Das Pferd wird in seine Box gebracht, in deren Futtertrog sich noch kein Kraftfutter befindet, sehr wohl aber Raufutter in der Raufe oder am Boden – und natürlich Wasser!

In völlig abgeschlossenen Betrieben, die ein Entkommen von Pferden in das öffentliche Straßennetz nicht eröffnen (wovon es nur sehr wenige gibt), können auch jeweils zwei – verlässliche – Pferde von einer Person geführt werden; das Kräftemessen von 1 PS (Pferdestärke) zu 1 MS (Menschenstärke) geht – vorhersehbar – immer zugunsten der Pferde aus, auch bei Ponys. Ist eine Herde homogen und ausgeglichen, können mehrere Personen auch mehrere Pferde hinter einander führen – mit mindestens jeweils einer Pferdelänge Abstand.

Aus Bequemlichkeit oder auch aus Unwissenheit (mangels guter Vorbilder) reißen in manchen Betrieben Unsitten ein, die erhebliche Gefahrenpotentiale bergen und früher oder später zum Unfall führen müssen.
Im Betrieb des Klägers war es – seinen eigenen Angaben zufolge – bisher üblich, Pferde ausschließlich am Stallhalfter zu führen – wie er selbst es auch am Vorfalltage praktizierte. Umso verwunderlicher ist deshalb die in der Klage formulierte Forderung, [zit.] „…..dass der Kläger von der (minderjährigen) Beklagten billigerweise die Verwendung eines Führstricks hätte erwarten können!“

[Wie ist das mit dem Wasser und dem Wein?? - meint da der Autor, über das eine predigt man, den anderen trinkt man – na Prost!!]

Hätte der Kläger beim Vorfall seinen Wallach G. an einem korrekten Führstrick geleitet, hätte er beim Herannahen der Stute M. von hinten „Leine geben können“ und diese wäre – möglicherweise - zwischen ihm und dem Wallach vorbei gelaufen oder durch den Strick aufgehalten worden.

Hätte die Beklagte – dem gegenüber – ihre Stute M. mit einem Führstrick geführt, hätte sie mit hoher Wahrscheinlich wegen der ungleichen Kräfteverhältnisse und ihrer nicht behandschuhten Hand diese am Wegstürmen nicht hindern können.

Aus fachlicher Sicht ist dem Kläger, der seit 40 Jahren einen Pferdeeinstellbetrieb führt, vorzuhalten, dass er durch täglich abgeführte Praxis eine Vorgangsweise „vorgelebt“ hat, die zum Zustandekommen des Unfalles wesentlich beigetragen hat und die er – wie wohl von ihm selber täglich praktiziert -  der jugendlichen Beklagten nun zum Vorwurf macht.

Gutachten:
1.    Die Verwendung einer Führleine durch die Beklagte beim Führen ihres Pferdes von der Koppel zu den Stallungen wäre die Voraussetzung für das sach- und regelkonforme Führen des Pferdes M. gewesen.
2.    Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte der Unfall dadurch nicht (gänzlich) verhindert werden können, da das Kräfteverhältnis ungleich war und die Beklagte keine Handschuhe trug.
3.    Begünstigt wurde der Unfall durch die, den Pferden zur Gewohnheit gewordene, gefährliche Vorgangsweise, von der Weide /Koppel frei in die Boxen laufen zu können.
4.    Der Kläger – ein erfahrener Pferdemann – praktizierte in seiner Vorbildwirkung genau diese Beispiele nicht, die er nun von der minderjähriger Beklagten als „billigerweise und korrekt“ fordert.

Im Folgenden einige Variationen über das Thema „Führen“ aus der alltäglichen Praxis ...

 

 

 

 

 

 

 


Vor einiger Zeit veröffentlichte ProPferd eine Artikelserie über Monster, Geister und andere für Pferde „Schreckliche Gestalten“ – findiger Menschen Einfallreichtum hat ein neues Schreckgespenst ersonnen, das sich bei gutem Wind dreht, glänzt, blitzende Signale und röhrendes Geräusch abgibt – alle Voraussetzungen für den § 1320 ABGB, 1. Satz „reizen, antreiben“ sind erfüllt – Reiter sollten beim Anblick dieser „Scheuche“ den § 1320 ABGB, 2. Satz „zu verwahren vernachlässigen“ im Bewusstsein haben.

18.06.2024

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