Der „Reine Gang“ ist kein Spleen von Reitern oder Fahrern für Dressurprüfungen, sondern es ist das einzige Bewegungsmuster, in welchem sich ein Pferd wirklich wohlfühlt, weil er seiner Individualität und Persönlichkeit entspricht.
Der „Reine Gang“ eines Pferdes ist bedeutend mehr als die Abwesenheit einer Lahmheit oder einer Taktstörung; der „Reine Gang“ im hippologischen Sinne ist bestimmt vom Bauplan, vom individuellen Bewegungsmuster eines Pferdes, von der Trittlänge, dem Gangmaß, der Frequenz und – als Audruck des Interieurs – vom Schwung - Gründe, warum es nicht leicht ist, Pferde mit gleichem Bewegungsausdruck für Zwei- oder Mehrspänner zu finden.
Der „Reine Gang“ ist nun nicht etwa ein Spleen von Reitern oder Fahrern für Dressurprüfungen, sondern es ist das einzige Bewegungsmuster, in welchem sich ein Pferd wirklich wohlfühlt, weil er seiner Individualität und Persönlichkeit entspricht. Jeder Mensch, der mit Pferden beritten, bespannt oder anderwärtig arbeitet, sollte bemüht sein, die besondere Art der Bewegung - in allen Gangarten - seiner Pferde zu kennen, diese Besonderheit zu fördern und dergestalt das Wohlbefinden des Pferdes zu festigen.
Die vorliegende, relativ lange Folge der „Fälle des Dr. K.“ ist ein weiterer wichtiger Schritt, „Angewandte Hippologie“ (übrigens ein von Dr. Kaun vor Jahren geprägter Begriff) zu praktizieren – um mit jedem Pferd und jeden Tag aufs Neue – Schritt für Schritt, Tritt für Tritt, Sprung für Sprung – einer hippologischen Ethik zu entsprechen.
Der Autor hofft, dass interessierte Leser während der Tage um Weihnachten und dem Jahreswechsel immer wieder auf PRO PFERD zurückkommen, um die Bilder und Texte in sich aufzunehmen.
Der Weg zum Pferdemenschen ist unendlich lang, aber lohnend und belohnend; mühsam, aber beglückend; am Anfang steht ein Gedanke, ein Wunsch, ein Streben:
Gedanken formen Worte,
Worte formen Taten,
Taten formen Gewohnheiten,
Gewohnheiten formen den Charakter.
Der „Reine Gang“ nimmt seinen Anfang in der Haltparade
Unvergleichlich – und durch Fotografien nicht zu ersetzen – ist die Darstellung des „Reinen Ganges“ und seiner Störungen in der 1928 erschienen Neuausgabe von „Die Reitkunst im Bilde“ des Malers Ludwig Koch, [OLMS Presse, 1982] dem die grafischen Darstellungen und die Texte auf den nächsten Seiten, sofern sie kursiv dargestellt sind, entnommen wurden.
Der reine Gang nimmt seinen Anfang in der Haltparade.
Oben: Gerade gestelltes Pferd, bereits zum Ausschreiten
Unten: Rohes, zum Ausschreiten unvorbereitetes Pferd
1. Reihe: Bewegungsantritt des rohen Pferdes an der Hand
2. Reihe: Bewegungsantritt des gerittenen Pferdes
3./4. Reihe: Bewegungsantritt des Zugpferdes
Typen des Schrittes: 1 Rennpferd 2 rohes Pferd 3 Campagnepferd 4 Schulpferd
Die Termini „Campagne-Pferd“ und „Schulpferd“ bedeuten in der Sprache unserer Zeit: Gebrauchspferd und Pferd der Hohen Schule.
Verschiedene Typen falschen Schrittes
Die Fußfolge im Trabe
Unreiner Trab mit übereilter Nachhand
Unreiner Trab mit übereilter Vorhand
Starker Trab: Bewegung im Skelett und in den Muskeln
Fußfolge des Renntrabs
Nicht schulgerechte Zirkuspassage
Unreiner Galopp mit übereilter Nachhand
Zwei Typen des kurzen Galopps: links korrekt und losgelassen, rechts inkorrekt und steif
Hochsprung. Seitliches Ausweichen der Nachhand
Bocker
Links: Steigendes Pferd
Rechts: Courbettierendes Pferd
Man beachte die strichlierte Schwerlinie
Unrichtige Rückenarbeit, künstliche Überlastung der Vorhand, daher unreine Gangart.
Man beachte die Schwerlinie
Korrekt gehendes Pferd
Man beachte die Schwerlinie
Aufrichtung aus dem Widerrist, Gewicht auf der Vorhand
Nach rückwärts gerichtetes Pferd – forcierte Muskelarbeit bei Mensch und Pferd
Marschierschritt, wertlos in der Reiterei
„Vorne wird getrommelt, aber hinten folgen keine Soldaten!“
Dkfm. Alfred Knopfhart
„Reiner Gang“ kann nur in Losgelassenheit erreicht werden – beides sollte für jeden Pferdemenschen das stets angestrebte Ziel sein.
Über Pferdemenschen
In Zeiten allgemeiner Unzufriedenheit generell (mit allem und jedem, oft ohne Besonderem) entsteht in manchen Menschen der Wunsch, ja die Forderung, nach Veränderung – viele dieser oft sehr nebulösen Veränderungswünsche liegen im persönlichen Bereich einer oder eines Unzufriedenen – eine Veränderung kann jedoch nur durch persönliche Initiative eingeleitet werden; manche Veränderungen bedürfen aber der Hilfe der Medizin und Chirurgie, sollte eine Person mit ihrem Geburts-Geschlecht – also weiblich oder männlich – nicht zufrieden und glücklich sein.
Manche Veränderungen sind jedoch nach heutiger Erkenntnis (noch) nicht möglich; so hegen (angeblich) immer zahlreichere Menschen den tiefen Wunsch, als Tier zur Welt gekommen zu sein: Bewegungen wie „Furrys“ oder „Otherkins“ leben ihre Wünsche in Verkleidungen aus, der Wunsch von „Therians“ hingegen bezieht sich auf Tiere des zoologischen Systems, von der Ameise über die Spinne bis zu Wolf und Bär.
Ein „Pferdemensch“- zumindest in meinem Verständnis- hingegen hat nicht den Wunsch, als Pferd geboren zu sein, sondern vielmehr das Streben, wie ein Pferd zu denken, zu empfinden und erkennen mit der einzigen Absicht, seinen „Partner Pferd“ zu verstehen, um ihm ein Leben in Wohlbefinden bieten zu können.
Wie sagte doch die große Isabell Werth kürzlich in einem Interview auf NDR: „Wenn etwas falsch läuft, trägt immer der Mensch die Schuld, nie das Pferd!“
Diese Generalabsolution mag möglicherweise auch ein Grund dafür sein, dass einige Wenige glauben, auf besonderen Gebieten der Pferdewissenschaften, z.B. der Angewandten, der Forensischen oder der Ethischen Hippologie ungeniert und hemmungslos wildern und Begriffe stehlen zu können, in der Hoffnung, damit unter die Amnestie für Pferde zu fallen; in Kürze wird vermutlich der Medizinische Hufkratzer®, die Medizinische Sattelseife® und die Medizinische Schweifbürste® auf einschlägigen HPs neben Lederzeug, Pferden und anderem angeboten werden. Vor einigen Monaten stellte ich auf dieser Seite die Themen meiner mittlerweile 21 Bände umfassenden „Angewandten und forensischen Hippologie“ vor – und schon wird ein pseudoakademischer Lehrgang mit sehr ähnlichen Inhalten mit der bisher keineswegs allgemein üblichen Bezeichnung „Angewandte Hippologie“ angeboten – wie schön, wenn Ideenvielfalt auf den fruchtbaren Boden des Plagiats fällt; der „alte Gumprecht“ – Großvater des heutigen Pferdehändlers pflegte – vor vielen Jahren – zu sagen: „Wenn man mit Hunden schlafen geht, darf man sich nicht wundern, wenn man mit Flöhen aufsteht! Der „Flohträger“ aber läuft von Lager zu Lager und verfloht auch bisher wacker Aufrechte.
Für „Absicht Habende, ein Pferd zu sein“ gilt es jedoch zu bedenken, dass in der Pferdehaltung die Frage nach dem Geschlecht recht rigoros gelöst wird: aus einem Mengst wird bei schlechtem Benehmen (also Hengstmanieren oder mangelhafte Spermaproduktion) mit Schnipp-Schnapp (Gendern mit Skalpell) – ein Mallach; damit der Verkürzte nicht friert, tritt er (??) ab Ende August mit Wollmütze, Schal und Schlabberhosen auf, währenddessen die Stuten in seiner Umgebung vergnüglich (und notgedrungen) gegenseitig aufreiten; macht es ihnen doch auch das im Rennbahnjargon bekannte „Stutenwetter“ (drückend, schwül, gewittrig) während der Rosse durch die klimatischen Bocksprünge zunehmend schwer, zugleich die Doppelbelastung, „Flieger“ und „Steher“ in einer einzigen Persönlichkeit zu sein. Nahm man früher, um in Renn-Form zu kommen, einen halben Liter Spanischen Weins gemischt mit 20 Eidottern zu sich, oder eine zur Kugel geformte Latwerge aus Hammelfett, Kleie, Harz und Honig, kam dann in den 1930er Jahren ein besonderer Saft [Heroin+Coffein+Strychnin+Cola+Kokain] zur Leistungsbeeinflussung von Pferden in Mode – und heute? Wie wird es weitergehen für Pferde, wenn besondere syrische Produkte schon durch Menschenhand vergriffen sind?
Verfolgt man einzelne Veränderungswünsche bis zu deren Wurzel – viele Menschen gehen mittels diverser Sprachrohre in der Art von Hydepark-Speakern sehr offen mit ihrer „Seele“ um – so liegen meist Lebenskrisen diesem Wunsche zugrunde – manche verändern sich zu „Forschern“ und bringen in dieser Verkleidung (meist wenig vorbereitet) die entlegensten und wenig berührten Winkel dieser Erde „nachhaltig“ (gemeint ist „auf Dauer“) aus dem Gleichgewicht, andere „satteln“ zu waghalsigsten sportlichen Experimenten um, deren Nutzen schon vor ihrem Beginn verglüht war – Lebenstrainer raten dazu, „das Leben neu zu denken“ – eine Phantasie kann Motivation, Traum aber auch Hirngespinst und Luftschloss sein – in manchen Fällen könnte „Hülfe“ in geregelter Arbeit liegen.
Seit einem Viertel Jahrhundert etwa bemerke ich, dass die „Anschaffung oder das Zulegen“ eines Pferdes als Beginn einer Lebensveränderung herhalten muss, sehr oft mit erstaunlich gutem Erfolg für beide Partner – Pferd und Mensch! Dann ist alles gut.
Sehr oft geht aber das „neu gedachte“ Experiment schief, weil es eben nur an-gedacht war, ohne alle Gedanken und Konsequenzen zu einem Ende zu denken – ein Zugang zum Pferd kann nicht hergestellt werden, die Finanzen werden eng, die Partnerschaft leidet, und – folgt man Isabell Werth und meiner Überzeugung – auch hierin trägt das Pferd keine Schuld – aber nun ist es einmal da, erwartet mit Recht und Fug, pferdegerecht behandelt zu werden.
Das Pferd spürt die innere Abneigung als Ablehnung, es vermisst die zugewandte Sicherheit, die der Mensch ihm bieten muss, und es beginnt, Unfug zu treiben, denn Müßiggang (vor allem geistiger) ist aller Laster Anfang.
„Mein Pferd mag keine Tierärzte!“ war ein häufiger Satz, den ich hörte, wenn ein Pferd stationär in mein Pferdespital kam – es hat sich nie bewahrheitet, es waren dies dann meist die anhänglichsten und kooperativsten Pferde – froh für die klare, leitende, aber wertschätzende Hand des „Klinik-Chefs“. Ein Pferd lehnt Personen ab, aber keine Berufsgruppen.
Die Arbeit mit Pferden wird dann erfreulich und für beide Teile angenehm, wenn der Mensch – auf seinem Wege, ein „Pferdemensch“ zu werden, erkennt, dass die Tagesform (physisch und psychisch) die Leistungsforderung bestimmen muss. Es gibt auch eine Stallform, die abhängig ist von Trainern, vom Personal und Betriebsklima - wenn zwei Reiter, die einander nicht ausstehen können, zeitgleich in der Halle oder auf dem Platz sind, sind auch deren Pferde „betroffen“!
Die richtige Einordnung eines Pferdes erleichtert, es zu verstehen: der“ robuste Typ“ ist nicht leicht aus der Fassung zu bringen, außer durch Ungerechtigkeit; das „Seelchen“ ist empfindsam, erheischt Sicherheit und Güte, jedoch keine grenzenlose Nachsicht; der oder die (scheinbar) „Selbstbewusste“ scheint psychisch stabiler als es zutrifft, bittet um Konsequenz und Klarheit; „Selbstdarsteller“ sind – weiblich wie männlich – Blender, unsicher, aber mit dem Bestreben, Dominanz zu auszuüben, sie sind deshalb oft unberechenbar und nicht ungefährlich; es gibt auch „Witzbolde“ unter Pferden, meist als Spinner abgetan, denen nur mit gütiger Konsequenz beizukommen ist, „Sterngucker“ sind meist in dieser Gruppe zu finden.
Welchen Pferdetyp wir vor uns haben, steht nicht auf deren Stirn geschrieben: Beobachtungsgabe, Geduld, Verständnis und Kreativität sind Tugenden des „Pferdemenschen“, dies zu erkennen – solides Wissen muss ihr Fundament sein.
Der Weg dorthin muss beschritten werden, das Ziel vor Augen bestimmt die Richtung: beide sind untrennbar miteinander verflochten.
Vor einigen Wochen berichtete ich über den Amerikaner John Solomon Rarey, den ersten „Pferdeflüsterer“, der überliefert ist: damals erzählte ich über Rarey; eine glückliche Fügung ließ mich nun Quellen erwerben, die von Rarey, aus seiner höchst persönlichen Feder stammen.
„…….Wenn man sie zu treiben anfängt, darf man nicht heftig die Arme bewegen oder ein lautes Geschrei erheben, sondern muss ihnen sachte folgen, und die Richtung frei lassen, wo sie hin sollen (Fig.1)“
Auszüge aus: John S. Rarey: Die Kunst der Pferdebändigung und der Pferdedressur; Leipzig 1859, Braunschweig 1858; OLMS PRESSE 2002
„Und es ist nicht bloß der große Haufe und die unverständige Menge, die über dies angeblich allgemeine Übel jammert, nein, auch hoch angesehene Männer haben, von dieser Stimmung angesteckt, sich in Klagen ergangen. Daher jener Ausruf des größten der Ärzte: ´ Kurz ist das Leben, lang die Kunst`. Daher der einem Weisen wenig ziemende Hader des Aristoteles mit der Natur: ´Die Natur habe es (bei der Evolution) mit den Tieren so gut gemeint, dass sie ihnen fünf, ja zehn Jahrhunderte Lebenszeit vergönne, während dem Menschen, der für so vieles und für so Großes geboren sei, ein so viel früheres Ende beschieden sei´.
Nein, nicht gering ist die Zeit, die uns zu Gebote steht; wir lassen nur viel davon verloren gehen. Das Leben, das uns gegeben ist, ist völlig ausreichend zur Vollführung auch der herrlichsten Taten, wenn es nur von Anfang bis zum Ende gut verwendet würde…….“
[Seneca gestorben 65 n. Chr. - Philosophische Schriften: Von der Kürze des Lebens – De brevitate vitae]
Ich verabschiede mich bis zum Jänner 2025.
Gutachten, Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv und ex libris Dris. Kaun.
Eine Bitte: Meine Aufsätze, Publikationen und Kommentare sollen Pferdeleuten unserer Tage zu Orientierung, Selbsteinschätzung und Beziehung zu Pferden dienen. Personen, die kommerziell mit Pferden Kontakt haben, mögen die von Anstand und Benehmen vorgegebenen Regeln respektieren, Quellen anführen und korrekt zitieren – danke!
Sollten Leser meiner Aufsätze einzelne Themen vertiefen wollen, so kann auch - unter den oben angeführten Bedingungen - aus dem reichen Fundus der kostenlosen Downloads Univ. Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun www.pferd.co.at geschöpft werden.