Eine junge Schweizer Pferdefreundin ist beim Führen eines Pferdes tödlich verunglückt, wobei die genauen Umstände noch unbekannt sind. Das Führen von Pferden an der Hand ist eine der essentiellsten Tätigkeiten im täglichen Umgang mit Pferden – und auch eine der unfallträchtigsten, wie dieser tragische Fall wieder eindringlich vor Augen führt. Ein Gastbeitrag von Dr. Reinhard Kaun.
Die Hippologie ist die sehr alte, auf Regeln und Traditionen begründete und entwickelte Wissenschaft vom Pferde, die als Ausfluss von Erfahrung und Forschung aus tausenden von Jahren – weltweit – entstanden ist. Ihre Stellung innerhalb der „Sportwissenschaften“ ist deshalb einzigartig, weil der Sportpartner „Pferd“ – in frühen Jahren gewöhnlich auch „Kriegskamerad“ -ebenso einzigartig ist wie sein Reiter, Fahrer, Züchter oder Halter.
Rechtlicher Hintergrund
Der Oberste Gerichtshof in Österreich beschreibt das Pferd als „unberechenbares, von seinen Trieben und Instinkten gesteuertes Lebewesen“ und gibt in seinen Entscheidungen immer wieder zu erkennen, dass ein risikoarmer Umgang mit Pferden an die Einhaltung anerkannter und probater Regeln (Turnierordnung, Hallenordnung, Bahnregeln) gebunden ist, die nicht immer in einem, allumfassenden und erschöpfenden Werk niedergeschrieben sind, sondern auch in bewährten Erfahrungen und Üblichkeiten bestehen können, wobei neben dem geschriebenen Wort auch „hippologische Usancen“ und die Meinung „anerkannter“ Fachleute Aussagekraft besitzt.
Aus der Rechtssprechung der Gerichte ist abzuleiten, dass Vorfälle, die von Lehre, Literatur, Tradition und täglich erprobter Übung abweichen, also nicht „regelkonform“ sind, von der Rechtsprechung als „nicht rechtskonform“ qualifiziert werden.
Wie manche, dem Pferde nicht unbedingt nahestehenden Personenkreise (Rechtsvertreter, Versicherungen, Geschädigte) dann meist vermuten, handelt es sich beim Verweis und der Anwendung hippologischer Grundsätze und Erfahrungen um nichts anderes als „reiterliche Arroganz“ ohne jede Substanz – also „Einschätzung vom hohen Ross“ – dieser Ansicht ist fachlich energisch entgegen zu treten.
Jeder Pferdemensch wird die Einschätzung des OGH, dass Pferde unberechenbar sind, teilen – oder hat dies aus eigener Erfahrung schon zu spüren bekommen.
Diese Unberechenbarkeit – also die Unmöglichkeit, das Verhalten eines Pferdes mathematisch exakt vorherzusehen – hat der Gesetzgeber schon früh erkannt, als er den sogenannten „Halterparagrafen“ geschaffen hat:
§ 1320 ABGB
(1) Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.
(2) In der Alm- und Weidewirtschaft kann der Halter bei Beurteilung der Frage, welche Verwahrung erforderlich ist, auf anerkannte Standards der Tierhaltung zurückgreifen. Andernfalls hat er die im Hinblick auf die ihm bekannte Gefährlichkeit der Tiere, die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Gefahren und die erwartbare Eigenverantwortung anderer Personen gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die erwartbare Eigenverantwortung der Besucher von Almen und Weiden richtet sich nach den durch die Alm- und Weidewirtschaft drohenden Gefahren, der Verkehrsübung und anwendbaren Verhaltensregeln.
Im ersten Satz des § 1320 (1) trifft also die Verantwortung für einen z.B. Personenschaden den- oder diejenige, die das Pferd „angetrieben“ oder „gereizt“ hat, wobei „Antreiben“ und „Reizen“ nicht zwingend durch Fremdeinfluss kommen muss, sondern durchaus auch vom Reiter, Fahrer oder einer Führperson ausgehen kann.
Der zweite Satz des Halterparagrafen §1320 spricht die Verwahrung an, also den Umstand, der die Kontrolle über das Tier gewährleisten soll. Der Verwahrer eines Tieres muss sich im Zweifelsfall „freibeweisen“, weil eine Beweislastumkehr eintritt.
Sämtliche Regeln, Vorschriften und Usancen im täglichen Umgang mit Pferden, beim Führen, beim Reiten oder Fahren usw. haben nur ein Ziel: Den Verkehr mit Pferden so risikoarm wie möglich zu gestalten, indem dem nervlich labilen Fluchttier größtmögliche Sicherheit durch Gewohnheit und Vorhersehbarkeit von Abläufen vermittelt wird.
Es wird dabei von der Gesellschaft anerkannt, dass Sport an sich in gewissem Maße ein „gefährliches“ Unterfangen darstellt, Pferdesport gilt als besonders gefährlich. Bei der Analyse von Unfällen werden regelmäßig Sachverständige beigezogen, die auch überprüfen, ob eine Erhöhung des erlaubten und tolerierten Risikos stattgefunden hat, was immer dann bejaht wird, wenn von Regeln, Vorschriften und überlieferten und gebräuchlichen Abläufen und Verrichtungen abgegangen wird; dabei ist es nicht erforderlich, dass „alles in Regelwerken niedergeschrieben ist!“
Elementare Grundregeln beim Führen von Pferden
Das Führen von Pferden an der Hand ist eine der essentiellsten Tätigkeiten im täglichen Umgang mit Pferden – und auch eine der unfallträchtigsten, wie der tödliche Vorfall in der Schweiz kürzlich gezeigt hat. Während man nach ersten Medienberichten vermuten konnte, die zu Tode geschleifte Frau wäre im Bügel hängen geblieben, ergaben Recherchen von „ProPferd“, dass sich der Unfall beim Führen mit einem Führstrick ereignete, das wurde mittlerweile auch von der Kantonspolizei Zürich bestätigt.
Bewährte Sicherheitsregeln, die durch ständige Wiederholung dem Pferd Ruhe und Stabilität verleihen, sind:
– Alle Manipulationen wie Aufhalftern, Zäumen, Aufschirren, Eingeben von Medikamenten usw. geschehen an der linken Körperseite des Pferdes.
(Um Missverständnissen vorzubeugen: Hier sind tägliche Standardprozeduren gemeint, die durch ihren immer gleichen Ablauf dem Pferde im täglichen Umgang Sicherheit geben und die außerdem durch jede andere Person – die vielleicht einmal in einem Notfall einspringen muss – nach gleichem Schema reproduzierbar sind. Ohne Frage kann und soll man in der sicheren Umgebung einer Reithalle oder eines Reitplatzes – am Besten unter Aufsicht erfahrener Personen – gelegentlich „alles anders“ machen, um das Pferd aufmerksam zu halten, das nennt man dann „Förderung“ des Pferdes.)
– Aufgesessen wird prinzipiell von der linken Körperseite des Pferdes.
– Geführt wird ein Pferd, indem die Führperson an der linken Körperseite des Pferdes auf der Höhe der Schulter geht und mit abgewinkeltem rechten Ellbogen dieses auf Distanz hält.
– Beim Führen mit Führstrick oder mit Zügel wird eine „Elle“ Abstand vom Pferde gehalten, Führstrick oder Zügel mit der rechten Hand geführt und das lose Ende mit der linken Hand gesichert.
– Einhändiges Führen bedeutet Erhöhung des Risikos.
– Beim Führen eines Pferdes sollten immer Handschuhe und geeignetes Schuhwerk getragen werden.
– Führen eines Pferdes mit angelegten Sporen ist gefährlich, sofort nach dem Absitzen sollten Sporen entfernt werden.
– Ein Pferd darf niemals mit verhängtem Zügel (d.i. Zügel über dem Hals) geführt oder nachgezogen werden.
– Das „Schultern“ der Zügel durch die Führperson bedeutet Kontrollverlust und Erhöhung des Risikos.
– Im öffentlichen Verkehr, an kritischen Stellen oder bei pferdesportlichen Veranstaltungen, Traditionsfesten oder Pferdeschauen dürfen Pferde nur mit geeignetem Gebiss (Steigergebiss) und Zügeln geführt werden.
– Niemals dürfen Führstricke oder Zügel um Hand, Arm oder andere Körperteile geschlungen werden.
– Die korrekte Adjustierung ist im Einzelfall der konkreten Situation anzupassen: „Wer eine Gefahr schafft, hat für sie einzustehen – Allgemeine Verkehrssicherungspflicht!“
– Durch Pferde wird regelmäßig eine Gefahrensituation geschaffen, die der augenblickliche Halter beherrschen muss.
Dr. Reinhard Kaun
Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt, gerichtlich beeideter Sachverständiger und Sicherheitsexperte in Pferdefragen (www.pferdesicherheit.at)
Die folgenden Fotos sollen die Bedeutung dieser elementaren Sicherheitregeln – auch anhand von Negativ-Beispielen – illustrieren, und das letzte führt – zugegeben auf drastische Weise – vor Augen, was passieren kann, wenn diese missachtet werden ...
Negativbeispiel: Szene am Rande eines Dressurturnieres / Foto: Dr. Reinhard Kaun
Negativbeispiel: Szene bei einem Showreiten / Foto: Dr. Reinhard Kaun
Negativbeispiel: Der Karabiner am Zügel drückt schmerzhaft auf die Beinhaut des Unterkiefers (= Reizen im Sinne des § 1320 ABGB) / Foto: Dr. Reinhard Kaun
Negativbeispiele (gestellte Aufnahmen!): der verhängte Zügel (li.) und der geschulterte Zügel (re.). Beides war bei langen Nachtmärschen in der Kavallerie aller Nationen üblich, aber auch dort als Unfug und Sicherheitsmangel gebrandmarkt – die Kavalleristen mussten nämlich zur Schonung der Pferde viele Kilometer neben den Pferden hergehen und haben sich`s natürlich so bequem wie möglich gemacht; speziell beim verhängten Zügel ist der müde Kavallerist dem Pferde „im Maul gehangen“ und hat die Laden hart gemacht (dies führte zur Entwicklung des Reithalfters). / Fotos: Dr. Reinhard Kaun
Korrekt: Das Umschnallstück herkömmlicher Zügel verursacht selbst bei straffer Führung kein Ungemach / Foto: Dr. Reinhard Kaun
Korrekt: Sichere Führung des Pferdes mittels Führstrick (oder Zügel). / Foto: Dr. Reinhard Kaun
„Einer wird gewinnen – meist ist es das Pferd“ – Mittelhandabriss durch einen um die Hand geschlungenen Führstrick (li.). In diesem Fall haben Handchirurgen ein Wunder vollbracht (re.) (Anmerkung Dr. Kaun: Beide Fotos dürfen zu Lehrzwecken mit ausdrücklicher Genehmigung verwendet werden.) / Foto: Dr. Reinhard Kaun