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Kriminelle Aspekte in der Hippologie: Angeschmiert beim Pferdekauf
14.10.2023 / News

Beim Pferdekauf zu betrügen – auf diese Idee sind Menschen zu allen Zeiten gekommen, freilich steht böswilligen Individuen heute durch Internet und digitale Medien ein nahezu unbegrenztes Arsenal an Manipulationsmöglichkeiten zur Verfügung, um gutgläubige Laien in die Falle zu locken. Erinnerungen am Kaminfeuer von Dr. Reinhard Kaun.

Symbolfoto: Fotolia/Thaut Images

„Früher?“ entgegnete der alte Herr – er nahm seine randlose Brille ab und blickte seinen jungen Gegenüber versonnen an – „…früher war vieles anders, ob es besser oder schlechter war, ist eine Frage des Standpunktes und des Blickwinkels, des Vergleichs von Gegenwart und Vergangenheit (und welcher Epoche??) – und vor allem der subjektiven Einschätzung im Lichte der bisherigen eigenen Biografie!
So, wie man niemals in demselben Flusse baden kann, weil die Strömung in jedem Augenblick alles verändert, so ist auch im Strom des Lebens die einzige Konstante die stete Veränderung – dies kann eine vorteilhafte Entwicklung bedeuten, aber auch eine nachteilige.   Es heißt, die Wahrheit wäre eine Tochter der Zeit – und diese Erkenntnis des Aulus Gellius gewinnt umso mehr an Gewicht, je länger ein Mensch aktiv und mit kritischem Geiste am Leben teilnimmt; denn auch Mephisto, der verkörperte Ungeist, behält recht, wenn er in Goethes FAUST I feststellt:

Ich habe manche Zeit damit verloren,
denn ein vollkommner Widerspruch
bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narr’n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.

 
Geschätzter Freund, es hat sich nicht in der Qualität von Gutem, von Ehrlichkeit und Noblesse, von seriösem Wissen und profundem Können etwas geändert, vielmehr die  Quantität von Missgunst, Niedertracht, Lüge und – vor Allem – Dummheit, gepaart mit Geschwätzigkeit und Profilierungssucht, also der neuen Kaste der „Experten aller möglichen Geschlechter“ , hat sich zu Ungunsten wertvoller Eigenschaften verschoben – zusammen mit einer geradezu unglaublichen Naivität und einem Unvermögen, wahr und unwahr, richtig und falsch oder gut und schlecht durch eigene Klugheit zu unterscheiden. Schon oft habe ich in dieser Kolumne auf den – symptomatischen – Verfall der Sprache als Indikator hingewiesen: Wer Klugheit mit Schlauheit verwechselt oder gar gleichsetzt, begibt sich auf Abwege.

Sie fragen nun, werter Freund, was diese Betrachtungen mit unserem Thema „Kriminelle Aspekte in der forensischen Hippologie“ zu tun haben – dazu ein Beispiel, das vor nicht allzu langer Zeit durch die Medien ging:

Ein Mann verkaufte im Auftrag eines ausländischen Pferdehändlers über Internetkontakte einige Pferde, die sich weder in seinem Besitz noch in seinem Eigentum befanden – also praktisch als „Sensal“ oder Vermittler. Die Pferde wurden von den Erwerbern über Bankverbindung bezahlt, aber nie an die neuen „Eigentümer“ geliefert – im Strafverfahren kam zutage, dass mehrere Pferde parallel und zur gleichen Zeit an mehrere Interessenten verkauft worden waren, die alle den geforderten Kaufpreis an den Händler überwiesen hatten, aber – wie sie vor Gericht anführten - nie Pferde geliefert bekommen haben. Der Pressemitteilung zu diesem Fall   ist zu entnehmen, dass märchenhafte Erzählungen angeboten wurden, um die Hindernisgründe für das Nicht- Liefern der Pferde darzustellen – das Gericht sah die Sache anders und verurteilte den Vermittler zu einem Jahr auf Bewährung und der Rückzahlung einer beträchtlichen Summe.

Nun mögen Sie einwenden, dass es sehr leichtfertig und naiv ist, Pferde über Internet zu bestellen, ohne die Tiere und – vor allem – ohne den Händler zu kennen. Doch auch dieser Vorgang – so absurd er uns erscheinen mag – ist nicht ganz neu:

In „Nimrods Tagebuch – Aus alten Zeiten“ beschreibt der britische Sportsman Charles James Apperley die Eindrücke seiner Reise durch das Deutschland des Jahres 1829.  In seiner Begleitung befand sich Mr. Tattersall und dessen Sohn, die damals in England das größte Auktionshaus für Pferde, vornehmlich Vollblüter, betrieben. Im Zuge der Reisebeschreibungen und der, aus hippologischer Sicht sehr aufschlussreichen Tischgespräche, ist nachzulesen, dass deutsche Pferdezüchter und Gutbesitzer „bei Tattersalls in New Market“ auch immer wieder größere Stückzahlen von Pferden bestellten und – natürlich – geliefert bekamen; auch hier hatten z.B. Baron Biel, Graf Hahn oder  Graf Plessen die gelieferten Pferde vorher nie gesehen – doch auf beiden Seiten dieses „Geschäftes“ befanden sich hochkarätige Pferdekenner und Ehrenleute, die einander fast bedingungslos vertrauten.“

 

Horse-Men unter sich: Ewald Welde(A) und George Bowman (GB) bei der WM Zweispänner in Sandringham.

Der alte Herr erhob sich und entnahm, nach kurzer Suche, seiner Bibliothek ein schmales, aber opulent bebildertes Bändchen: Die Wiener Fiaker – wortwörtliches von und über eine Wienerische Institution (Langthaler, Wagner im Verlag Brandstätter).
„Der Kauf und Verkauf von Pferden hat von jeher Gerichte beschäftigt,“ fuhr er fort „ dieses Büchlein, das mir wert und teuer ist – warum werde ich gleich darlegen – enthält dazu eine amüsante Betrachtung eines Fiakers, ich lese einige Auszüge vor:

 ... der Pferdekauf ist so eine Sache. Man spricht von Gewährsfehlern. Der Ausdruck ist ein juristischer, der früher nicht verwendet wurde. Man hat das Roß mit Handschlag gekauft. Auch wenn man den Menschen nicht sonderlich wollen hat, der Handschlag war wie eine notarielle Beglaubigung bindend. Man hat vorher verhandelt. In dem Moment, wo er gepascht hat, es also zum Handschlag kam, war das Geschäft perfekt, auch wenn noch kein Geld da war.
Und wie hat man so ein Roß gekauft? Das Alter war sehr wichtig. Man erkennt es am Gesamteindruck des Pferdes und an den Zähnen. Es gibt verschiedene Merkmale, den Kopf, die Augen, die Ganaschen…..
Mit den Augen ist das so: oberhalb ist eine Grube, die sich mit zunehmendem Alter vertieft. Natürlich gibt es Tricks, um den Verkäufer zu täuschen. Die Zigeuner zum Beispiel nehmen eine Nadel und stechen in das Grübchen, bis es anschwillt.
Man geht auch um das Roß herum und fragt, wie alt es ist, dann macht man ihm die Gosch`n auf und schaut hinein…wenn das Roß älter wird, werden die Zähne länger. Auch dafür haben sich die Zigeuner etwas einfallen lassen, natürlich nicht nur die. Man nimmt mit der Raspel etwa zwei Millimeter weg, das nennt man „gitschen“ – heute ist das nicht mehr üblich, wenn es einer macht, dann als Hobby, weil er es von seinem Vater gelernt hat……
So ähnlich ist das mit den weißen Federn, die am Hals und auf der Nasenfront bei den dunklen Pferden kommen. Auch die weißen Haare am Schwanz werden mit Schuhpasta schön schwarz angeschmiert.

„Dieses schmale Bändchen ist mir – wie erwähnt – auch deshalb teuer, weil es sehr gute Fotos der beiden Fiaker Leopold Hewera und Hans Hollendonner enthält, die zu meiner aktiven Zeit die einzigen Wiener Fiaker waren, die auch mit Erfolg im internationalen Fahrturnier-Geschehen mitmischten und einige Male auch mit ihrem fest verankertem Pferdeverstand und ihrer Kraft wertvolle Hilfeleistung  bei Notfällen darstellten, als zum Bespiel mein werter Freund Ewald Welde mit den beiden Kladruby-Cobs Satchmo und Richmond beim Donau-Alpenpokal in Nördlingen verunglückte, die Pferde führerlos durchgingen und Satchmo sich – nahezu perforierend – die Bauchmuskulatur beim Überqueren von einigen Autos aufriss.

 

Leopold Hewera – stets elegant und „mit Haltung“

Ich war als Mannschaftstierarzt dabei, und versorgte das Pferd – darunter liegend -mit nahezu hundert Knopfnähten, während Hewera, Hollendonner und Dr. mult. Rautschka es mit Geschick und Muskelkraft daran hinderten, sich auf mich zu legen.
Aber entschuldigen Sie, geschätzter Freund, wie es bei älteren Herren so ist, bin ich ein Wenig ins Plaudern gekommen – des halb zurück zu unserem eigentlichen Thema, das wir in diesen Kamingesprächen in meiner Bibliothek erörtern wollten:  Welche kriminellen Aspekte traten in der angewandten Hippologie immer wieder zu Tage?
Aus meiner Erfahrung kann ich feststellen, dass die gesamte Bandbreite kriminellen oder strafrechtlich relevanten Handelns nachvollziehbar ist, wenngleich in unterschiedlichen Facetten und Dimensionen; waren zu früheren Zeiten – also der Kern Ihrer Frage – Betrug und Täuschung , Pferdediebstahl, Dokumentenfälschung  und dreiste Lügen über Können und Eigenschaften von Pferden im Mittelpunkt der Gaunereien – angewandt um  fachlich versierte Pferdeleute hinters Licht zu führen, sind es heute plumpe und freche „Fakes“ – also Verdrehungen der Wahrheit in Bild, Wort und Ton, die Großteils Unbedarfte in die Falle locken, weil viele betroffene Personen bar jedweder Menschenkenntnis vermeintlichen „Experten“ auf den Leim gehen.

 

Zahnanomalien können auch Experten bei der Altersbestimmung verwirren.

Dem „Internet-Menschen“ unserer Tage steht ein unbegrenztes Arsenal für Betrug, Täuschung, Dokumentenfälschung, Diebstahl, Sachbeschädigung zur Verfügung – wer Verwerfliches und Böses tun will, kann dies im stillen Kämmerlein unbemerkt tun, solange er nur die Nachbarn freundlich grüßt.
Tierquälerei, sexueller Missbrauch von Tieren in „Life- Übertragung“  und das Brüsten mit unentdecktem Animal Hoarding ist im „Netz“ und Sozialen Medien möglich   - eine noch relativ neue Variante zum Ausleben krimineller Attribute – zusammengefasst antworte ich also auf Ihre Frage, ob die Welt der Pferde und der Hippologie früher besser war als heute: vieles ist besser, einiges ist schlechter, viel schlechter; aber bedenklich in meinen Augen ist der fast unbemerkte Übergang von den alten Praktiken eines Rosskamms zu den aalglatten und geschmeidigen Manipulationen durch „white collar“ – Kriminelle – ermöglicht durch moderne Nachrichtentechnik – in Realzeit und weltweit.

Fotos, Grafiken und Literatur: Archiv & ex libris Dris.Kaun

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