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Zehn Verletzte bei Kutschenunfall: Die leidige Beifahrer-Frage
02.01.2024 / News

Die Kutsche wurde die Böschung hinuntergezogen und stürzte um. Neben den Feuerwehren Fügen und Schlitters waren auch mehrere Polizeistreifen, Rettungswagen und zwei Rettungshubschrauber im Einsatz.
Die Kutsche wurde die Böschung hinuntergezogen und stürzte um. Neben den Feuerwehren Fügen und Schlitters waren auch mehrere Polizeistreifen, Rettungswagen und zwei Rettungshubschrauber im Einsatz. / Foto: Zoom.tirol

Kurz vor dem Jahreswechsel ist es in Tirol zu einem folgenschweren Unfall mit einer Kutsche gekommen, bei dem insgesamt zehn Personen verletzt wurden, davon zwei schwer. Der Unfall folgt leider einem bekannten Muster – und wäre mit einem kundigen Beifahrer wohl vermeidbar gewesen, wie der Sachverständige Dr. Reinhard Kaun ausführt.

 

Zu dem Unfall, der sich am 30. Dez. 2023 im Zillertal zwischen Fügen und Hart ereignete, kam es, als der Kutscher Probleme mit dem Zugstrang beheben wollte. Der Fahrer stieg ab, um den Zugstrang wieder korrekt zu befestigen, in diesem Moment drehten sich die Pferde Richtung Böschung und konnten vom Kutscher nicht mehr kontrolliert werden. Der Wagen wurde die Böschung hinuntergezogen und kippte um, wobei insgesamt zehn Personen – vier davon Kinder – verletzt wurden. Zwei Buben im Alter von zehn und zwölf Jahren wurden schwer verletzt und mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik nach Innsbruck geflogen, die anderen Verletzten wurden ins Krankenhaus Schwaz gebracht.

Der Sachverständige Dr. Reinhard Kaun erkennt im Ablauf des Unfalls ein geradezu klassisches Muster – und verweist einmal mehr auf die zentrale Rolle des (in diesem Fall fehlenden) Beifahrers. Hier seine Ausführungen:


Aus aktuellem Anlass stellt sich – regelmäßig wiederkehrend – die leidige Frage nach der Notwendigkeit von Beifahrern auf Gespannen, insbesondere, wenn Personen befördert werden. Es ist in diesem Zusammenhang keineswegs erforderlich, Neues zu formulieren, ein Rückgriff auf eine Zusammenfassung durch den damals, also 2014, verantwortlichen VFD-Fahrbeauftragten Horst Brindel genügt, der in einigen Veröffentlichungen die Beifahrer–Frage, also

– wie wichtig ist der Beifahrer,
– und wie sieht womöglich seine juristische Bewertung aus

folgendermaßen beantwortete:

„Es ist unbestritten, dass dem Beifahrer auf dem Gespann eine sehr wichtige Teamaufgabe zukommt, ist er doch wichtigster Helfer des Gespann-Führers mit klaren Sicherungsaufgaben.

In Verbindung mit Kutschenunfällen der letzten Zeit gibt es immer häufiger Urteile auf dieser Grundlage. Danach ist der Beifahrer als „verlängerter Arm“ des Gespann-Führers unabdingbar.

Diese Rechtsmeinung beruht einerseits auf dem OGH- Erkenntnis, dass "Pferde unberechenbare, von ihren Trieben und Instinkten beherrschte und geleitete Tiere sind…" und andererseits der Rechtsfigur der "Allgemeinen Verkehrssicherungspflicht" aus dem Zivilrecht (d.h. wenn jemand eine Gefahr schafft, hat er für sie einzustehen).

Jedem Lenker eines Gespannes (welchen Geschlechts auch immer) muss folglich klar sein, dass im Falle kleinster Abweichungen vom Normbetrieb (z.B. Leinen fangen, über den Strang steigen, kleinere oder größere technische Defekte am Wagen und Geschirr oder auch einer flatternden Plane auf dem eingeschlagenen Weg) er oder sie alleine und völlig machtlos auf dem Kutschbock sitzt!

Eine solche Situation ist vorhersehbar. Schafft der Gespann-Lenker hier keine vorausschauende (Ab-) Hilfe, so nimmt er die möglichen Konsequenzen sehenden und billigend Auges in Kauf, das entspricht juristisch einem bedingten Vorsatz - und ist damit ein Tatbestand des Strafrechts.

Beim Zwei- und Mehrspänner wird pro Pferdepaar ein Beifahrer benötigt, beim Einspänner ein Beifahrer. Der oder die Beifahrer sind Bestandteil des Gespannes.  Sie müssen "kundig" sein und der gesetzlichen Definition eines „tüchtigen Gehilfen“ entsprechen. Fahrgäste sind keine Beifahrer.

In jüngster Zeit wurden Kremser-Fahrer bzw. deren Dienstgeber wegen Vorkommnissen mit einer größeren Anzahl von Schwerverletzten strafrechtlich verurteilt, weil sie keinen Beifahrer mitgeführt hatten, in einem anderen Fall sogar ein Einspänner-Fahrer, dessen durchgehender Haflinger eine Frau getötet hatte.“

Quellen: www.vfdnet.de (Ausbildung/FARPO/Beifahrerunterweisung/Kapitel 2.3. (S.31) www.fahrabzeichen.at (Merkblatt zur Verhütung von Gespannunfällen) www.vfdnet.de/index.php/fahren-checklisten oder www.vfdnet.de (Ausbildung/ FARPO/ Allgemeiner Teil/ Kapitel 1.13 (S.16)
Die VFD Bayern veröffentlichte ein Info-Faltblatt zur Beifahrerausbildung. Es kann kostenlos unter der Nummer Fb 111 bei der Geschäftsstelle in München angefordert werden (info@vfd-bayern.de)
Horst Brindel, VFD-Fahrbeauftragter 3/2014 (Quelle: www.pferdesicherheit.at)


Im Zusammenhang mit dem Kutschenunfall, der sich kürzlich ereignete und bei dem, der breiten Berichterstattung folgend, mehrere Personen teils schwer verletzt wurden, sei auch auf die neue Folge „Kriminelle Aspekte in der Hippologie“ verwiesen, die nach der Feiertags-Pause noch diese Woche auf ProPferd erscheinen wird. In diesem Beitrag wird ausgeführt, dass auch die Unterlassung von Vorsichtsmaßnahmen gegenüber vorhersehbaren Zwischenfällen strafrechtlich relevant sein kann.

Während Teilnehmer am geregelten Turniersport den Erfordernissen der Reglements genügen müssen, unterliegt mancher Freizeitfahrer, also ein in seiner Mußezeit und ohne Leistungsdruck dem Fahrsport anhängender Mensch, nicht selten der naiven Auffassung, dass seinen Pferden bewusst wäre, dass sie „Freizeitpferde“ sind und sich dementsprechend verhalten würden. Man glaubt, dass die in einem Schnellsiedekurs erworbene Qualifikation zum „Bronzenen Fahrabzeichen“ tatsächlich ein „Kutschenführerschein“ wäre, ein Umstand, der zur vermeintlichen Entlastung eines Unfallverursachers immer wieder von deren Rechtsvertretern bei Gericht vorgebracht wird. Trotz dieser Ausbildung haben FreizeitfahrerInnen aber vielfach keine Hemmungen, auf Beifahrer zu verzichten, Reittrensen statt Fahrgebissen einzuschnallen und bei dichtem Nebel ohne jede Beleuchtung im Straßenverkehr unterwegs zu sein. Mangels Erfahrung mit Ausnahmesituationen erkennen Unbedarfte diese weder in ihrer Entstehung noch können sie bei Eintritt beherrscht werden – aus der Dynamik eines durchgehenden Gespannes ist der (schwere) Verkehrsunfall vorprogrammiert.

Die unbelehrbaren Fahrer im Tourismusgeschäft sind von besonderem Übel, weil sie – sich als alte und erfahrene „Rössler“ fühlend – mit nicht unerheblicher Arroganz auf jede Sicherheitsempfehlung herabschauen und diese belächeln – auch wenn sie bereits einige schwere Unfälle hinter sich haben. Als „Alibi“ haben sie in vielen Fällen die immer wieder fälschlicherweise als „Kutschenführerschein“ angesprochene Prüfung zum Bronzenen Fahrabzeichen absolviert, jedoch nicht einmal ansatzweise in der Absicht, den Lehrstoff in Hinblick auf Anspannung, Wagen, Ausrüstung, Leinenführung oder Sicherheit durch Beifahrer auch nur ansatzweise umzusetzen.

Ahnungslose Urlauber geben in naiver Freude ihr Leben in die Hände solcher Himmelfahrtskutscher, setzen dümmlicher weise auch noch ihre Kinder auf den Kutschbock, die Fahrgäste besteigen bei angespannten Pferden den Wagen, ohne dass der Kutscher an den Leinen ist usw. usw..

Die meisten Unfälle im touristischen Fahren ereignen sich bei erzwungenem Halt ohne kundige Beifahrer-Assistenz oder nach einer Ruhepause am Zielort- auf der Heimfahrt, die Pferde sind wieder frisch und streben mit Schwung (und bergab) dem heimatlichen Stall zu. Drei schwer verletzte Kinder, vier zum Teil sehr schwer und drei leicht verletzte Personen war die Bilanz eines dieser Unfälle: drei Notarzthubschrauber, 25 Mann der Bergrettung    und des Rettungsdienstes mit 10 Fahrzeugen waren vonnöten, um die Verletzten zu bergen. Die Pferde waren ebenfalls schwer zu Schaden gekommen – unverletzt blieb der Kutscher, denn er war nicht in der Nähe, als sie Pferde durchgingen!

Dr. Reinhard Kaun

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