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Neue Einblicke in das komplexe Sozialleben von Wildpferden
09.09.2023 / News

Die Drohnenvideos gaben spektakuläre und detailreiche Einblicke in das soziale Netzwerk der Pferdeherde.
Die Drohnenvideos gaben spektakuläre und detailreiche Einblicke in das soziale Netzwerk der Pferdeherde. / Screenshot Youtube-Video

Ein ungarisches Forscherteam konnte mit hochauflösenden Drohnenkameras faszinierende Einblicke in die komplexe soziale Struktur einer großen Wildpferde-Herde gewinnen. Diese ist in einem mehrstufigen sozialen Netzwerk von Haremsgruppen organisiert, deren Beziehungen im Wesentlichen von Vertrautheit und Verwandtschaft bestimmt werden.

 

Die an der Studie beteiligten ForscherInnen wollten mehr über das Sozialsystem der Przewalski-Pferdeherde im Hortobágy-Nationalpark in Ungarn erfahren. Dazu kombinierten sie drohnenbasierte Bewegungsanalysen mit langfristigen Bevölkerungsüberwachungsdaten. Das Forscherteam nutzte – in Zusammenarbeit mit dem Ungarischen Forschungsnetzwerk, der Universität Debrecen, der Eötvös-Loránd-Universität und der Parkdirektion – zwei Überwachungsdrohnen, um die Bewegungen jedes einzelnen Individuums in einer Herde von 278 Pferden zu verfolgen.

Die Untersuchung des Sozialverhaltens einer großen Tiergruppe ist mit klassischen Beobachtungsmethoden zeitaufwändig. Die Studie zeigt jedoch, dass durch das Sammeln hochauflösender Daten bereits wenige Minuten Filmmaterial von Tierbewegungen genügend Informationen liefern können, um detaillierte Einblicke in die soziale Struktur der Population zu gewinnen – und ermöglicht sogar Rückschlüsse auf die vergangene und zukünftige Dynamik der Gruppe.

„Wir wollten die Gruppenbewegungen der Przewalski-Pferdeherde in Hortobágy untersuchen“, so Katalin Ozogány, die Erstautorin der Studie. „Allerdings ist es keine leichte Aufgabe, fast 300 Pferde gleichzeitig zu beobachten. Wir haben mit Drohnen Luftaufnahmen der Herde gemacht, während sie sich im Reservat bewegte, und anhand der Aufnahmen die Bewegungsrouten aller Individuen der Herde mit hoher räumlich-zeitlicher Auflösung bestimmt.“

Eine für Menschen charakteristische mehrstufige Sozialstruktur sei bei Tieren selten, so die ForscherInnen. Es kommt hauptsächlich bei Primaten vor, aber auch bei Walen, Elefanten und einigen Huftieren, die kleinere Familiengruppen bilden, wobei diese Familiengruppen eine größere, lockerere Gemeinschaft bilden.

Pferde leben in ganzjährig stabilen sogenannten Haremsgruppen, bestehend aus einem Hengst, mehreren erwachsenen Stuten und deren Fohlen. Weibliche Nachkommen verlassen den Geburtsharem im Alter von 2–3 Jahren und schließen sich anderen Haremsgruppen an; männlicher Nachwuchs verlässt im Alter von 2–4 Jahren seinen Geburtsharem und schließt sich mit anderen zu gleichgeschlechtlichen Junggesellengruppen zusammen. In den ersten Jahren blieben Harems- und Junggesellengruppen isoliert und nutzten nicht überlappende Weidegebiete, so die ForscherInnen. Erst später – und auch zum Zeitpunkt der Studie – schlossen sich alle Harems- und Junggesellengruppen zu einer sehr großen Herde mit einem gemeinsamen Heimatgebiet zusammen.

Przewalski-Pferde leben seit 1997 in Hortobágy im Reservat Pentezug. In den ersten Jahren nach der Gründung der Population lebten die Haremsgruppen der Wildpferde in ihren eigenen Revieren und interagierten kaum miteinander. Seit über einem Jahrzehnt bilden die Harems jedoch zusammen eine große Herde, in der zwar noch jeder Harem zu unterscheiden ist, sie sich aber gemeinsam im Reservat bewegen.

Die Forscher untersuchten die Gruppenbewegungen dieser komplexen Population. Die Analyse brachte überraschende Ergebnisse, so Hauptautor Máté Nagy: „Die Individuen der Gruppe koordinieren ihre Bewegungen und stimmen sich aufeinander ab. Durch die Erkennung dieser feinen Interaktionen zwischen den Individuen stellte sich heraus, dass wir das soziale Netzwerk der Herde anhand der Gruppenbewegungen beurteilen können.“

Die Haremsgruppen – hier unterschiedlich eingefärbt – bewegen sich als zusammenhängende Gruppen mit der gesamten Herde. Männliche Jungtiere/Junggesellen – hier mit schwarzem x dargestellt – halten sich typischerweise am Rand der Herde auf. Screenshot Youtube-Video

Das Studienteam kombinierte die kurzfristigen Bewegungsbeobachtungen von wenigen Minuten Dauer mit den langfristigen Populations-Überwachungsdaten des Nationalparks, die zwei Jahrzehnte zurückreichen. Seit der Gründung des Reservats hatte das Parkpersonal einen großen Teil der Wildpferde einzeln identifiziert und regelmäßig Daten über Populationsveränderungen gesammelt. „Dank der Populationsüberwachung kennen wir die Abstammung der Tiere, die wir auch durch genetische Proben bestätigen, sowie ihren Platz im sozialen Gefüge, das heißt, wir erfassen regelmäßig, welches Individuum zu welcher Haremsgruppe gehört“, so Co-Autor Viola Kerekes und Projektleiterin.

Ihre Analysearbeit zeigte, dass die sozialen Beziehungen von Wildpferden mit der Verwandtschaft und Vertrautheit der Tiere zusammenhängen. Ob eine Haremsgruppe einen zentralen Platz im Netzwerk einnimmt, hängt im Wesentlichen von ihrem Alter ob sowie davon, wie lange die Haremshengste zuvor bereits Harems gehalten haben.

Doch auch die Verwandtschaft spielt bei der Organisation von Haremsgruppen in Herden eine wichtige Rolle: Harems genetisch verwandter Hengste sind sich im Netzwerk näher, und der Austausch von Stuten zwischen nahen Haremsgruppen ist häufiger.

Weiters stellte sich heraus, dass ältere und größere Haremsgruppen, die typischerweise älteren und erfahreneren Hengsten gehören, zentralere Plätze im sozialen Netzwerk der Herde einnehmen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Haremshengste eine Allianz eingehen, um ihre Harems effektiver vor den männlichen ,Junggesellen' zu schützen.

Und man machte noch eine weitere spannende Entdeckung: „Eines der überraschenden Ergebnisse der Studie ist, dass wir durch die Beobachtung aktueller Bewegungen Rückschlüsse auf zukünftige Gruppendynamiken ziehen können“, so Autor Zoltán Barta. Eine hohe Bewegungsähnlichkeit von Stuten aus verschiedenen Harems lasse darauf schließen, dass sie in Zukunft zu Haremspartnerinnen werden.

Die Forscher konnten zeigen, dass Stuten, die zum Zeitpunkt der Luftbeobachtungen in verschiedenen Haremsgruppen lebten, aber innerhalb von zwei Jahren nach den Beobachtungen Haremsgefährtinnen wurden, sich bereits auf ähnlichen Wegen wie die anderen Stuten bewegten. So konnte durch die Bewegungsanalyse auch geschlossen werden, welche Stuten ihre Haremsgruppe in den nächsten zwei Jahren verlassen und in welchen Harem sie wechseln werden.

Co-Autor Attila Fülöp sagte, die Studie habe die außergewöhnliche Gelegenheit geboten, das soziale Netzwerk einer gesamten Population und dessen Dynamik zu erforschen: „Wir haben nicht nur neue, bisher unbekannte Details über das soziale Leben der Przewalski-Pferde erfahren, sondern konnten auch zeigen, dass Drohnenbeobachtungen, die auch in Wildpopulationen angewendet werden können, sehr detaillierte Informationen dazu liefern können“, so Zoltán Barta. Dies habe es ermöglicht, die Sozialstruktur einer Pferdepopulation aufzudecken, vergangene Gruppendynamiken zu rekonstruieren und zukünftige vorhersagen zu können.

Die Studie „Fine-scale collective movements reveal present, past and future dynamics of a multilevel society in Przewalski’s horses" von Katalin Ozogány, Viola Kerekes, Attila Fülöp, Zoltán Barta und Máté Nagy ist am 5. Sep. 2023 in der Zeitschrift ,nature communications' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

Einen faszinierenden Einblick in die komplexe Sozialstruktur der Przewalski-Herde gibt dieses Video ...

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