Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass das Streicheln bzw. Loben eines nervösen Pferdes gleichsam ,nach hinten losgehen’ und die Angst bzw. Unsicherheit beim Pferd noch vergrößern könnte. Diese Befürchtung ist unbegründet, wie eine Verhaltens-Spezialistin erklärt – dennoch kann man beim Loben eines Pferde auch einiges falsch machen.
Wir alle kennen das: Viele Pferde verspüren Nervosität, Unruhe und auch soziale Ängste, wenn sie – etwa auf Turnieren, Kursen und sonstigen Veranstaltungen – auf ein fremdes Umfeld und unbekannte Pferde treffen. Sie sind dann meist besonders angespannt – und oft empfindlich gegenüber plötzlichen Bewegungen und Geräuschen.
In einer solchen Situation ist es nur normal, wenn der/die BesitzerIn mit beruhigender Stimme auf sie einredet und sie reichlich lobt – doch manche haben auch die Sorge, dass diese besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung die Nervosität des Pferdes gleichsam belohnen und sogar noch verstärken könnte. Ist diese Befürchtung berechtigt – und wäre es nicht vielleicht die bessere Strategie, die Unruhe des Pferdes einfach zu ignorieren?
Mit dieser gar nicht so leichten Frage hat sich vor kurzem die Verhaltens-Spezialistin Dr. Robin Foster in einem Beitrag für das Portal TheHorse.com beschäftigt. Dr. Robin Foster ist zertifizierte Beraterin für Pferdeverhalten, Professorin an der Universität von Puget Sound in Seattle (Washington), und außerordentliche Professorin an der Universität von Washington.
Angst und Unruhe sind, so Dr. Foster, unwillkürliche Reaktionen, die durch etwas in der Umgebung ausgelöst werden, was das Pferd als potenzielle Bedrohung wahrnimmt. Das Pferd in einer solchen Situation durch Kraulen am Widerrist zu beruhigen und mit beruhigender Stimme zu ihm zu sprechen, kann das Pferd beruhigen und ihm helfen, mit der Stresssituation umzugehen. Berührung kann heilsam sein und soll die physiologische Erregung reduzieren und Ängste lindern. Wenn das Pferd entspannt ist, wird es auch „normaler“ reagieren. In einer auf der Konferenz der International Society for Equitation Science 2014 vorgestellten Studie zeigten Pferde, denen eine Minute lang am Widerrist gekratzt wurde, ein entspannteres Verhalten, etwa einen gesenkten Kopf, im Vergleich zu Pferden, denen der Hals gestreichelt wurde oder die überhaupt nicht berührt wurden.
Auf das richtige Lob kommt es an!
Berührungen und Gespräche mit dem Pferd haben aber nicht immer eine beruhigende Wirkung, so Dr. Foster – daher ist es wichtig, die Körpersprache des Pferdes sehr genau auf Anzeichen zunehmender Anspannung zu beobachten. Die Angst kann zunehmen, weil ängstliche Tiere oft keinen Wert auf soziale Aufmerksamkeit legen, manche Pferde sogar eher gereizt reagieren, wenn sie berührt werden, und einige Geräusche und Berührungen, die beruhigend wirken sollen – wie z. B. das berühmte Abklopfen am Hals – tatsächlich eher anregend wirken, wie eine Untersuchung aus dem Jahr 2016 zeigen konnte: Dabei wurden 18 Pferde – nach Absolvierung eines kurzen Springparcours – jeweils eine Minute lang drei unterschiedlichen ,Behandlungen' ausgesetzt: Sie wurden am Hals abgeklopft, am Widerrist gekrault – oder blieben (als Kontrolle) ohne jegliche Behandlung bzw. Zuwendung. Dabei wurde die Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und das Verhalten der Pferde aufgezeichnet und analysiert. Wie sich zeigte, führte das Kraulen des Widerristes zu einer signifikant längeren Dauer entspannter Verhaltensweisen und einer Absenkung der Herzfrequenz – während das Klopfen/Abklopfen am Hals die Herzfrequenz der Pferde erhöhte.
In diesen Fällen, so Dr. Foster, kann tatsächlich das vermeintliche Loben/Beruhigen die Angst des Pferdes vergrößern oder das Pferd noch unruhiger machen. Vorsicht ist auch angebracht, wenn einige Besitzer das Pferd kraulen und mit ihm sprechen, um ihre eigenen Ängste abzubauen und dem Pferd dadurch unbewusst diese negativen Emotionen zu vermitteln.
Es sei ein weit verbreiteter Mythos, dass das Streicheln bzw. Loben eines nervösen Pferdes gleichsam die Nervosität belohnen und die Angst bzw. Unsicherheit beim Pferd noch vergrößern könnte. Dr. Foster wörtlich: „Dieser fälschlichen Annahme liegt ein Missverständnis zugrunde, das außer Acht lässt, dass Aufmerksamkeit als Belohnung für freiwilliges Verhalten wie das Streben nach Aufmerksamkeit fungieren kann – nicht jedoch für unfreiwillige Reaktionen wie Angst und Unruhe. Wenn beispielsweise ein Pferd den Besitzer mit der Nase anstupst bzw. anstößt (ein freiwilliges Verhalten) und der Besitzer das Pferd daraufhin am Widerrist krault (Belohnung), wird es das Anstupsen wiederholen. Freiwillige Verhaltensweisen wie Mit-der-Nase-Anstossen bleiben bestehen, solange sie belohnt werden – und verschwinden, wenn sie ignoriert werden. Im Gegensatz dazu sind Angst und Unruhe unwillkürliche Reaktionen, die durch wahrgenommene Bedrohungen in der Umwelt hervorgerufen werden; Sie bleiben bestehen, solange die Bedrohung besteht – und verschwinden, wenn die Bedrohung verschwunden ist.“
Auch das Ignorieren leichter Nervosität kann sinnvoll sein
Streicheln und das Pferd mit ruhiger Stimme ansprechen können eine beruhigende Wirkung haben und Spannungen abbauen, sind aber nicht immer notwendig. Es kann aber, wie Dr. Foster weiter ausführt, ebenso sinnvoll sein, die Angst eines Pferdes schlicht zu ignorieren, wenn die Situation nur leicht stressig ist. Der Kontakt mit solchen ,leichten’ Stressfaktoren kann in weiterer Folge sogar einen Gewöhnungseffekt und eine schützende Wirkung haben, da diese Erfahrungen dem Pferd dabei helfen, Widerstandsfähigkeit zu entwickeln und künftige Herausforderungen besser und selbstständiger zu bewältigen.
Darüber hinaus kann eine starke und vertrauensvolle Beziehung zwischen Mensch und Tier bewirken, dass der Besitzer gleichsam zu einem ,Sicherheitssignal’ für das Pferd wird, also zu einem Zeichen, das mit dem Schutz vor Gefahren verbunden ist. Wie in Studien gezeigt werden konnte, kann damit allein schon die Nähe des Besitzers, der dem Pferd Sicherheit und Stabilität vermittelt, die Angst und Unruhe des Pferdes dämpfen.