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Christoph Hess: „FEI muss in Sachen Rollkur handeln!"
04.09.2015 / News

Christoph Hess: „Nach Aachen kommt der FEI-Dressurausschuss gar nicht darum herum, sich mit dem Thema „Rollkur/LDR“ erneut zu beschäftigen."
Christoph Hess: „Nach Aachen kommt der FEI-Dressurausschuss gar nicht darum herum, sich mit dem Thema „Rollkur/LDR“ erneut zu beschäftigen." / Foto: Julia Rau

Nach den Vorkommnissen bei der Dressur-EM in Aachen kommt die FEI nicht darum herum, sich mit dem Thema Rollkur/LDR erneut zu beschäftigen – meint kein Geringerer als FN-Ausbildungsbotschafter Christoph Hess.

 

ProPferd: Das Thema ,Rollkur' bzw. LDR ist nach der EM wieder aktueller denn je und beschäftigt die gesamte Dressurszene intensiv. Wieso kommt dieses Thema nicht und nicht zur Ruhe – was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

Christoph Hess: Das Thema Rollkur oder LDR treibt mich um, seitdem wir derartige Vorkommnisse auf den Vorbereitungsplätzen und im Training zu Hause sehen. Für mich hat diese Art der Ausbildung mit einem pferdegerechten Schulen nichts zu tun. Unabhängig davon wehre ich mich nicht dagegen, dass Pferde „tiefer eingestellt“ werden, sofern bei Ihnen in der Basisarbeit eine echte Dehnungsbereitschaft an das Gebiss heran erarbeitet worden ist. Diese Dehnungsbereitschaft (Strecken des Nackenbandes und Dehnen der gesamten Hals- und Rückenmuskulatur) ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, um ein Pferd seriös und mit maximaler Geschmeidigkeit „durch seinen Körper“ zu arbeiten.

Für ein derartiges Training müssen der Reiter und sein Ausbilder das notwendige Verständnis mitbringen und sich darüber im Klaren sein, dass dies ein sehr langwieriger Prozess – besonders in der Basisarbeit unserer jungen Pferde – ist. Wird hierauf kein besonderer Wert gelegt, so rächt sich dies immer wieder – bis in die höchsten Klassen unseres Sportes, ja, bis hin zur Europameisterschaft.

An dieser Erläuterung erkennen Sie, dass sich das Thema „Rollkur und LDR“ nicht politisch lösen lässt. Das hat die FEI seinerzeit versucht. Das ist nicht möglich. Hier muss auf rein fachlicher Basis diskutiert und vor allem entschieden werden. Deshalb hoffe ich, dass die FEI sich mit dem Thema jetzt verstärkt fachlich auseinander setzt und ich bin guten Mutes, dass dies erfolgen wird.

ProPferd: Was ist, kurz zusammengefasst, die offizielle Position der FN zu diesem Thema – und inwiefern unterscheidet sich diese von jener der FEI?

Hess: Die deutsche FN hat sich nie der 10-Minuten-Regel bei der LDR-Methode angeschlossen. Die deutsche FN hat von vornherein gesagt, dass die FEI-Regelung bei nationalen Turnieren nicht gilt, weil sich Ausbildung nicht quantifizieren lässt – in der Ausbildung ist eine Stoppuhr unangemessen!

Es gibt Reiter, die ihr Pferd deutlich länger als zehn Minuten tiefer einstellen. Der Laie mag dies schon als LDR bezeichnen – ohne, dass das Pferd auch nur in geringster Weise einen psychischen oder medizinischen Schaden davontragen würde. Auf der anderen Seite kann eine fünf Minuten dauernde extreme Einstellung nach der LDR-Methode gravierende negative Folgen für ein Pferd haben. Insofern gibt es auf deutschem Boden bei nationalen Turnieren eine andere Regelung als dies bei internationalen Turnieren in Deutschland der Fall ist.

Vor eineinhalb Jahren hat eine Arbeitsgruppe der deutschen FN eine sehr gute Dokumentation herausgegeben, wie in richtiger Weise auf dem Vorbereitungsplatz ein Pferd gearbeitet werden sollte und ab wann der Reiter mit seiner Arbeit in den „roten Bereich“ hinein kommt. Dieses Papier haben wir seinerzeit auch der FEI gegeben, weil wir der Meinung sind, dass dieses möglichst auch international eins zu eins umgesetzt werden sollte. Bisher hat die FEI das Papier eher verhalten aufgenommen. Auch hier bin ich zuversichtlich, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Doch lassen Sie mich eines hier noch ergänzen. Liest man die ganze Textstelle der FEI-Bestimmungen zum Reiten auf dem Vorbereitungsplatz, dann wird man sehen: Neben der 10-Minuten-Regelung ist dort noch vieles niedergeschrieben, was ich zu 100 % für richtig halte. So ist agressives Abreiten eines Pferdes verboten und muss von den Stewards geahndet werden. Hier setzt allerdings oftmals das Problem an. Die Stewards sind zu nachlässig, bzw. schreiten bei Regelverstößen nicht beherzt ein. Im Übrigen kann ich unseren deutschen Katalog zum Reiten auf dem  Vorbereitungsplatz auch der österreichischen Federation nur empfehlen. Gerne leite ich Ihnen das Papier zu.

ProPferd: Welche realistischen Möglichkeiten sehen Sie, daß sich die FEI bzw. der FEI Dressurausschuss nochmals grundsätzlich mit dem Thema Rollkur/LDR beschäftigt und ihre bisherige Position (inkl. der umstrittenen 10-Minuten-Regelung) überdenkt?

Hess: Nach Aachen kommt der FEI-Dressurausschuss gar nicht darum herum, sich mit dem Thema „Rollkur/LDR“ erneut zu beschäftigen. Sollte er dies nicht von sich aus tun, dann werden wir seitens der deutschen FN hier initiativ, denn es kann nicht angehen, dass auf dem Vorbereitungsplatz – der inzwischen Gott sei Dank für die Öffentlichkeit zugänglich ist – zum Teil in einer Weise aggressiv geritten wird, dass ich als Ausbildungsbotschafter der deutschen FN immer wieder angesprochen werde und sich zunehmend Menschen, vor allem sogar diejenigen, die sich unserem Sport ganz eng verbunden fühlen, vom Dressursport abwenden. Wir müssen konstatieren, dass sich unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht verändert hat. Das Tierwohl hat einen sehr viel höheren Stellenwert, als dies in früheren Jahren/Jahrzehnten der Fall war. Diesen gesellschaftlichen Wandel begrüße ich in besonderer Weise und sehe es als Herausforderung für die reiterlichen Organisationen an, hierauf zu reagieren. Deshalb ist der FEI-Dressurausschuss gefordert, in seiner bevorstehenden Sitzung aktiv zu werden.

ProPferd: Vor kurzem hat die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) eine Zusammenfassung der bislang vorliegenden wissenschaftlichen Studien zum Thema Rollkur präsentiert – also eine Art Gesamtbewertung des bisherigen Forschungsstandes. Dieses Resümee ist sehr eindeutig und hält die Rollkur für nicht akzeptabel, weil sie das Pferdewohl beeinträchtigt und zu gesundheitlichen Schäden führen kann. Müsste nicht diese Erkenntnis auch zu einem neuerlichen Überdenken der diesbezüglichen FEI-Regelungen führen?

Hess: Der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) müssen wir alle sehr dankbar sein, dass sie uns nach jahrelangen Forschungen diese eindeutigen Ergebnisse vorgelegt hat. Letztendlich werden die klassisch ausgebildeten Trainer und Reiter darin bestärkt und bestätigt, in dem was sie bisher getan haben und in ihrer grundlegenden Ablehnung gegenüber der „Rollkur und LDR-Methode“. Für mich ist es eindeutig, dass die Ergebnisse jetzt von der FEI sorgfältig durchgesehen werden müssen. Der Dressurausschuss muss daraus Rückschlüsse ableiten, die eindeutig Konsequenzen für das derzeitige Regelwerk der FEI  und dessen Umsetzung haben muss.
Die deutsche FN kann mit ihren Richtlinien für Reiten und Fahren der Bände 1 und 2 getrost in die Zukunft blicken. Hier ist all das niedergeschrieben, was als reiterliche bzw. ausbildungsbezogene Konsequenz gefordert wird.

ProPferd: Wie kann dieses Thema sinnvoll an die FEI herangetragen werden – an welcher Stelle bzw. auf welcher Ebene müsste man ansetzen?

Hess: Ich glaube, dass jetzt auf verschiedenen Ebenen die Diskussion beginnen muss. Neben der Diskussion in der FEI sollte das Thema im Zusammenschluss der europäischen Federationen diskutiert werden, wie in den Vereinigungen der internationalen Dressurtrainer, Dressurreiter und  Dressurrichter. Auch der Blick in die anderen Disziplinen sei dabei gestattet und möglicherweise sogar erforderlich. Auch hier sollte diskutiert werden, wie richtiges Reiten auszusehen hat, und ab wann der „rote Bereich“ beginnt.

ProPferd: Welche Rolle kann bzw. wird die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) dabei einnehmen?

Hess: Die Deutsche Reiterliche Vereinigung sollte dabei inhaltlich eine wesentliche Rolle spielen, weil wir mit unseren Richtlinien auf eine jahrhundertelange empirische Erfahrung zurückgreifen können. Deshalb sollten wir die Fachdiskussion maßgeblich mit beeinflussen und voranbringen. Dabei sind wir aber auf einen engen Schulterschluss mit anderen Federationen angewiesen, damit nicht der Eindruck entsteht, die Deutschen setzen sich hier mit einem Thema intensiv auseinander, um sich daraus einen eigenen Vorteil zu verschaffen. Die österreichische Federation ist eine von denen, mit der wir uns verbünden sollten, mit der wir hier kooperieren sollten, gibt es doch in unseren reiterlichen Auffassungen keinen Unterschied.

ProPferd: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Christoph Hess führte Leopold Pingitzer.

Kommentare

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1) Moonlight59: Endlich (wieder) einmal ein klares Bekenntnis - hoffen wir, dass es etwas bewirkt. Lange hat man zu einem Missstand, der den gesamten Pferdesport belastet und in Verruf bringt, keine klare Linie gefunden; es wäre hoch an der Zeit, die Richtlinien endlich umzusetzen! Nicht nur in den klassischen Disziplinen Dressur und Springen, auch im Westernsport haben sich skandalöse Zustände etabliert - und die Fachwelt schaut mehrheitlich weg. Wir müssen in vielen Lebensbereichen wieder mehr Zivilcourage beweisen - auch und besonders im Pferdesport. Das Wegschauen hat schon zu lange gedauert; höchste Zeit für Rollkur-Mobbing .
Samstag, 5. September 2015
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