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Ursache der atypischen Weidemyopathie durch neue Beweise bestätigt
18.09.2015 / News

Zahllose Ahorn-Samen wurden auf dieser Weide gefunden, obwohl der nächste Ahornbaum 50 m von der Koppel entfernt war.
Zahllose Ahorn-Samen wurden auf dieser Weide gefunden, obwohl der nächste Ahornbaum 50 m von der Koppel entfernt war. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0136785.g003
Eine typische Pferdekoppel mit hohem Risiko für atypische Weidemyopathie – mit vielen Bäumen, viel Laub und abgestorbenem Holz und spärlicher Grasnarbe.
Eine typische Pferdekoppel mit hohem Risiko für atypische Weidemyopathie – mit vielen Bäumen, viel Laub und abgestorbenem Holz und spärlicher Grasnarbe. / Foto: doi:10.1371/journal.pone.0136785.g002

Deutsche Wissenschaftler haben weitere Beweise für die Ursache der atypischen Weidemyopathie entdeckt: Das tödliche Gift Hypoglycin A wurde in Samen des Bergahorns entdeckt und als Auslöser der tödlichen Erkrankung nachgewiesen.


Seit dem Jahr 2012 gilt die Ursache der bis dahin rätselhaften atypischen Weidemyopathie (AM) als weitgehend geklärt: In diesem Jahr veröffentlichten Wissenschaftler der University of Minnesota in St. Paul (USA) um Dr. Stephanie Valberg eine Forschungsarbeit, in der die Ursache der meist tödlich verlaufenden Muskelerkrankung festgestellt werden konnte: Auslöser ist eine abnormale Aminosäure namens Hypoglycin A bzw. deren Metaboliten (Stoffwechselprodukte) MCPA. Hypoglycin A (HGA) kommt in den Samen des Eschen-Ahorns (Acer Negundo) vor und führt zu einer massiven Schädigung der aeroben Muskelfasern, die in vielen Fällen tödlich endet.

Doch der wissenschaftliche Nachweis hatte eine Schwachstelle: Hypoglycin A wurde in dieser Untersuchung nur in den Samen des Eschen-Ahorns (Acer negundo) auf nordamerikanischen Betrieben nachgewiesen – eine Ahorn-Art, die in Europa nicht weit verbreitet und meist in Parks oder Gärten, nicht jedoch auf Koppeln und Weiden anzutreffen ist. Zwar gingen auch europäische Experten davon aus, dass Hypoglycin A auch im Samen anderer Ahornspezies vorkommen kann – ein wissenschaftlich abgesicherter, schlüssiger Zusammenhang zwischen AM und anderen Ahorn-Arten konnte bislang jedoch nicht festgestellt werden. Einige Fachleute hegten daher auch Zweifel an der sogenannten ,Ahorn-Hypothese'. So hat etwa der Arbeitskreis Umwelt der VFD (Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V.) auch auf das Deutsche Wedelgras (Lolium perenne) als möglichen Verursacher der Vergiftungserkrankung hingewiesen.

Nun hat sich eine große deutsche Forschergruppe neuerlich dieser Frage angenommen, um letzte Zweifel auszuräumen und auch in Europa einen kausalen Zusammenhang zwischen dem HGA-Gehalt in Ahornsamen auf Pferdeweiden und der HGA-Konzentration im Urin sowie im Blut erkrankter Pferde nachzuweisen. Im Gegensatz zur Untersuchung der University of Minnesota wurde diesmal die Analyse der Ahornsamen bereits während des Krankheitsausbruchs durchgeführt – und nicht danach.

Die Forscher besuchten von Herbst 2013 bis Herbst 2014 elf unterschiedliche Pferdebetriebe in Deutschland, auf denen insgesamt 16 Pferde an atpyischer Weidemyopathie erkrankt waren – 15 davon starben schließlich an der Erkrankung, nur eines überlebte. Betroffen waren Pferde verschiedener Rassen (7 Warmblutpferde, 4 Haflinger und 5 Ponys) und unterschiedlichen Geschlechts (7 Wallache, 2 Hengste, 7 Stuten) im Alter zwischen 1,5 und 16 Jahren. Zusätzlich wurden auch 12 weitere Pferde, die keinerlei AM-Symptome zeigten, aber ebenfalls mit den erkrankten Pferden auf den Weiden grasten, in die Untersuchung miteinbezogen. Von jedem Pferd wurden Urin- und Blutproben genommen und in Labors analysiert. Die Untersuchung der eingesammelten Samen wurde mit Unterstützung eines erfahrenen Botanikers durchgeführt.

Auf allen elf Pferdeweiden wurden Samen des Bergahorns (Acer pseudoplatanus) gefunden – die Bäume standen entweder direkt auf der Weide oder in unmittelbarer Umgebung. Zudem waren die Weiden auch mit abgestorbenen Zweigen und Laub bedeckt, die Weiden waren überwiegend schlecht gepflegt, die Grasnarbe spärlich. Alle Pferde erhielten zusätzlich auch Heu bzw. Mischfutter während des Weidegangs

Wie die Labortests ergaben, zeigten die erkrankten Pferden eine HGA-Konzentration zwischen 387,8 und 8.493,8 μg (Mikrogramm) pro Liter im Blut sowie eine Konzentration zwischen 143,8 bis 926,4 μg pro Liter im Urin. Umgerechnet auf das Körpergewicht ergaben sich HGA-Konzentrationen zwischen 17,47 und 142,55 mg/Pferd bei den erkrankten Tieren. Im Vergleich dazu betrug die HGA-Konzentration bei den nicht-erkrankten Weidekollegen im Durchschnitt lediglich 5,99 mg/Pferd. Die gesunden Weidepferde hatten zwar im Vergleich zu normalen Pferden erhöhte HGA-Konzentrationen in Blut und Urin, aber niedrigere Werte als die erkrankten Tiere. Auch die durch HGA verursachten Stoffwechselprodukte (MCPA) waren bei den erkrankten Pferden auf einem deutlich höheren Niveau nachweisbar als bei nicht-erkrankten Pferden.

Die untersuchten Ahorn-Samen enthielten zwischen 1,7 und 319 μg HGA/g, die höchste Konzentration pro Samen lag bei 820,8 μg. Die riesigen Unterschiede in der HGA-Konzentration waren auch bei Samen feststellbar, die von einem einzigen Baum stammten – und ist zweifellos einer der größten Risikofaktoren im Zusammenhang mit AM. In der Untersuchung von Stephanie Valberg der Universität von Minnesota wurde ein Wert von 26,5 mg HGA für ein 500 kg schweres Pferd bereits als gefährlich eingestuft – somit würden bereits 32 Samen der höchsten Konzentration ausreichen, um ein Pferd zu vergiften. Und speziell im Herbst, wenn die ersten Samen zu Boden fallen, ist der Prozentsatz an stark belasteten Samen besonders hoch – es für Pferde dann ein Leichtes, in kurzer Zeit eine womöglich tödliche Menge aufzunehmen.

Das Resümee der Wissenschaftler: Der Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von atypischer Weidemyopathie mit hohen HGA-Konzentrationen im Samen von Bergahornen auf den betroffenen Weiden sowie in den Körperflüssigkeiten der erkrankten Pferde hat sich weiter erhärtet. Obwohl sämtliche Pferde nur zeitlich begrenzten Zugang zu den Weiden hatten und auch zusätzliches Futter (Heu, Mischfutter) erhielten, nahmen sie genug HGA auf, um sich zu vergiften. „Es ist daher dringend zu empfehlen, Pferde am besten nicht auf Weiden grasen zu lassen, auf denen sich Bergahorne befinden", so die Wissenschaftler. Der Nachweis von erhöhten HGA-Konzentrationen bei den nicht-erkrankten Weidekollegen könnte jedoch ein vielversprechender Schritt für eine bessere Vorbeugung sein: „Die Verfügbarkeit eines Tests für die Früherkennung von HGA bei klinisch unauffälligen Pferden könnte ein wertvolles diagnostisches Werkzeug für die vorbeugende Behandlung darstellen, die uns über den HGA-Status von Pferden mit erhöhtem Risiko informieren kann, ähnlich einem diagnostischen Marker."

Dennoch bleiben auch für die deutschen Wissenschaftler noch immer einige Fragen offen. So konnte zwar ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von HGA-hältigen Samen des Bergahorns (Acer pseudoplatanus), der HGA-Aufnahme und dem HGA-Nachweis in den Körperflüssigkeiten der erkrankten Pferde hergestellt werden – das bedeutet jedoch nur, daß die Ahorn-Samen die wahrscheinliche Quelle des Gifts in dieser Studie waren; es können aber andere Bäume oder Pflanzen als mögliche weitere Verursacher dieser Erkrankung nicht ausgeschlossen werden.

Weiters kann nach wie vor kein verlässlicher HGA-Wert angegeben werden, der für Pferde noch maximal tolerierbar wäre. Die HGA-Werte der nicht-erkrankten, mitweidenden Pferde waren höher als jene bei normalen Pferden, aber stets niedriger als die von erkrankten Pferden. Dennoch kamen manche mitweidende Pferde den Werten der erkankten Tiere ziemlich nahe. Das lässt den Schluss zu, daß diese ebenfalls HGA-hältige Samen aufgenommen hatten – aber nicht in so hoher Konzentration, daß dies zu einer Vergiftung geführt hätte. Der Nachweis von erhöhten, aber noch nicht toxischen HG-Konzentrationen in den Blutproben der mitweidenden Pferde sollte in jedem Fall dazu führen, die betroffene Weide sofort für alle Pferde zu sperren. Auch wenn sich kurz danach klinische Symptome zeigen, kann mit einer umgehend eingeleiteten Therapie die Metabolisierung in MCPA und der dadurch verursachte Muskelabbau verlangsamt und die Prognose für den Patienten verbessert werden. In immerhin einem Fall war diese Behandlung erfolgreich...

Die Studie „Hypoglycin A Content in Blood and Urine Discriminates Horses with Atypical Myopathy from Clinically Normal Horses Grazing on the Same Pasture" von M. Bochnia und Kollegen ist am 17. September 2015 im Journal PLoS ONE erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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