Sicherheit beginnt im Kopf: Wer die wesentlichen Risikofaktoren beim Reiten und beim Reitunterricht kennt, kann gefährlichen Situationen effektiv vorbeugen – eine Checkliste von Dr. Reinhard Kaun.
Sicherheitsbewusstsein entsteht in keinem Lebensbereich auf Knopfdruck, sondern ist regelmäßig das Ergebnis einer Entwicklung aus Eigenerfahrung, Wissenszuwachs und persönlicher Reifung. Jede Persönlichkeit hat hierbei ihre individuellen Stufen zu überwinden.
Die „Belehrung“ von (jungen) Menschen ist immer eine heikle Sache, manche wollen partout die Fehler wiederholen, die „uns Alten“ schon unterlaufen sind und für deren Konsequenzen wir einzustehen hatten, viele aber sind dankbar für Leitfäden und Wissensgrundlagen als Entwicklungsbasis für ihr eigenes Handeln – der individuelle Weg zum Ziel wird immer unterschiedlich bleiben.
Meine intensive Beschäftigung mit Unfällen im Umgang mit Pferden bzw. bei der Ausübung des Reit- und Fahrsports in Freizeit, Tourismus und Wettbewerb, die durch meine Arbeit als Gerichtssachverständiger und Gutachter für forensische Veterinärmedizin, die sich nun über eine Zeitspanne von fast 30 Jahren erstreckt, haben mir tiefe Einblicke in Unfallmechanismen gestattet, die das Risiko im Verkehr mit Pferden durch Wiederholung von Fehler, durch Leichtsinn und Gedankenlosigkeit, aber auch durch mangelhafte Ausbildung analysieren ließ.
Eine Reihe von „vorhersehbaren risikobeladenen Situationen“ lässt sich durch die Einführung von Checklisten abfedern, weil bereits vor einem Ereignis dadurch eine Gefahrenabschätzung möglich wird, die in weiterer Folge zur Etablierung eines Sicherheitsbewusstseins führen soll.
Die folgende Checkliste (oben auch als Download verfübar) soll Reitschulbesitzern und Ausbildungskräften, aber auch Reitschülern helfen, Risikofaktoren und risikobeladene Situationen zu erkennen und Gefahren von vornherein durch entsprechende vorbeugende Maßnahmen zu vermeiden.
CHECKLISTE ZUR VERHÜTUNG VON REITUNFÄLLEN
Reitunterricht - Betriebsstruktur
– Überprüfung der Ausbildung des Lehrpersonals (Nachweis durch Ausweis)
– Überprüfung der Infrastruktur > Reitschule mit Kennzeichnung
– Überprüfung der Schulpferde (Pflegezustand, Ernährungszustand, Beschlagzustand)
– Werden die Schulpferde zur Korrektur geritten?
Reitunterricht – Ausrüstung
– Zäumung mit korrekt verschnalltem Nasenriemen
– Zäumung mit pferdeschonendem Gebiss
– Passender Sattel
o Für das Pferd
o Für den Reitschüler
o Korrekte Bügelriemenlänge
o Angstriemen
– Hilfszügel
o Ausbinder
o Keine „Halsverlängerer“
o Kein Martingal für Reitschüler
– Longe mit korrekter Länge
– Longierpeitsche
Reitschüler
– Korrekte und zweckmäßige Kleidung
– Reithelm
– Rückenprotektor
Didaktik
– Überprüfung der körperlichen und geistigen Eignung des Reitschülers
– „Reitgeschichte“ des Schülers erfragen, aber nicht zur Beurteilungsgrundlage erheben
– Erstellung eines Ausbildungskonzepts
o Ziel der Reitstunde
o Ziel des Reitunterrichts
o Aufklärung über Sicherheit und Risiko (schriftlich)
o Selbstauskunft des Reitschülers (Fragebogen)
– Mindestaufklärung über Pferdekunde und Reittheorie
– Aufklärung über Verhalten bei Ungehorsam des Pferdes
Praxis
– Jeder Reitschüler muss an die Longe
– Longenunterricht je Talent des Schülers im Ausmaß von 20 bis 30 Stunden verpflichtend
– Longenunterricht als Einzelunterricht
– Zum Longieren in eine Ecke des Platzes oder der Halle gehen
– Auf die besonderen Bedürfnisse des Reitschülers eingehen
– Jede Reitstunde soll eine Zieldefinition haben und positiv beendet werden
– Bei wiederholtem Ungehorsam oder Widersetzlichkeit des Schulpferdes den Unterricht abbrechen und intern die Ursache erforschen
Autor: Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun ist Fachtierarzt für Pferdeheilkunde, Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin sowie Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Pferdewissenschaften) Kontakt: 2070 Retz, Herrengasse 7, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at
Persönlicher Hintergrund
Mein privates und berufliches Leben ist seit über 50 Jahren von Pferden geprägt, sei es als Reiter und Fahrer, als Pferde- Tierarzt und Turnierrichter oder als Lehrender zu verschiedenen Themenkreisen rund um das Pferd. Mein persönlicher „Sicherheitsweg“ war zu Beginn von zwei schweren, unverschuldeten Unfällen beim Fahren geprägt, gefolgt von der Erkenntnis im Rahmen meiner Turnierrichtertätigkeit, dass für die Sicherheit von Pferden im Rahmen pferdesportlicher Veranstaltungen und bei Turnieren kaum Vorsorge getroffen war. So begründete ich Ende der 1980er Jahre zusammen mit meinen damaligen Weggefährten HR Dr. Zach und DI MMag. Dr. mult. Rautschka die Ausbildung zum „Pferdesporttierarzt“ – fast alle damals schon etablierten Pferdetierärzte (über 120 an der Zahl) durchliefen diese Kurse, manche bilden heute selber in diesem Themenbereich aus.
Die Erkenntnis, dass der beste Pferdetierarzt ohne kundige Helfer – ähnlich wie ein Notarzt ohne Sanitäter – nur beschränkt handlungsfähig ist, führte 1995 zur Gründung des Pferde-Sanitäterwesens in Österreich, dessen Ausbildungsweg sich zunächst am Schweizer Vorbild der Pferdesamariter anlehnte, sich aber dann sehr schnell an den Ausbildungen bei Rotem Kreuz und Feuerwehren orientiert, wodurch der Ausbildungsinhalt vertieft und über Turnierbelange hinaus erweitert wurde. An die 1500 Personen haben sich bisher dieser Qualifikation unterzogen.
Als logische Konsequenz – weit über das Turniergeschehen hinausdenkend – etablierte ich im Jahre 2005 das Curriculum zum Fire & Emergency VET – eine Notarztausbildung für Tierärzte, gedacht speziell zur Zusammenarbeit mit Feuerwehren und Rettungsdiensten.
Im Jahre 2010 rief ich zusammen mit dem Linzer Rechtsanwalt Dr. Günther Dobretsberger als Dachorganisation das „Kuratorium für Sicherheit in Pferdesport & Tierhaltung“ (eine Internetplattform unter www.pferdesicherheit.at) ins Leben, verbunden mit der Möglichkeit, sich in einem eintägigem Seminar zum „Sicherheitsbeauftragten PFERD“ schulen zu lassen – ein Ausbildungsweg, den viele Pferdesportler, Stallmanager, Turnierfunktionäre und z.B. die exekutive Sicherheitsmannschaft der Spanischen Reitschule bereits beschritten haben.
BUCHTIPP: Sportpferde in Training und Wettbewerb
Das 1990 erschienene Buch „Sportpferde in Training und Wettbewerb" von Dr. Reinhard Kaun – damals in der beachtlichen Auflage von 15.000 erschienen und seit vielen Jahren ausverkauft – ist seit kurzer Zeit wieder als Facsimilie-Ausgabe erhältlich und kann über die Buchhandlung Hofer in Retz (Hauptplatz 15, 2070 Retz) bestellt werden: E-Mail retz@buchhofer.at, Tel. 02942/20433, Preis 39,50 Euro, ISBN 3-9500411-0-9