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GASTKOMMENTAR: Politische Machtspiele gefährden polnische Staatsgestüte
23.03.2016 / News

Die international renommierten Zuchtexperten Jerzy Białobok (li.) und Dr. Marek Trela wurden fristlos entlassen – sehr zur Empörung der polnischen Öffentlichkeit.
Die international renommierten Zuchtexperten Jerzy Białobok (li.) und Dr. Marek Trela wurden fristlos entlassen – sehr zur Empörung der polnischen Öffentlichkeit. / Foto: Urszula Sawicka

Vor etwas mehr als einen Monat – genau am 19. Februar 2016 – sorgte das polnische Landwirtschaftsministerium für einen Paukenschlag, als es die fristlose Entlassung von drei der bekanntesten und renommiertesten Persönlichkeiten der polnischen Pferdeszene bekanntgab: der Gestütsdirektoren Dr. Marek Trela (Leiter des Arabergestüts Janów Podlaski) und Jerzy Białobok (Leiter des Arabergestüts Michałów) sowie der Pferdezuchtinspektorin Anna Stojanowska (Agentur für staatliches Agrar-Eigentum/ANR). Sie wurden durch Personen ersetzt, die z. T. nie mit Pferdezucht zu tun hatten bzw. kaum Erfahrung in der Führung so großer Zuchtbetriebe aufweisen können.

Der Schock über diese Personalentscheidung war in Polen riesig und hält bis zum heutigen Tag an, und zwar nicht nur in Pferdekreisen: Polen ist ein großes und traditionsreiches Pferdeland – und stolz auf seine renommierte Araberzucht, die als nationales Kulturgut gilt und mit dem die Namen von Dr. Marek Trela und Jerzy Białobok untrennbar verbunden sind. Die Tatsache, dass für polnische Araberpferde auf Auktionen Unsummen gezahlt wurden (letztes Jahr wurde z.B die Stute Pepita aus Janów Podlaski für 1,4 Millionen Euro verkauft), erfüllte viele Polen mit Stolz – und war nur deshalb möglich, weil die Gestütsleiter auch herausragende Zuchtexperten mit jahrzehntelanger Erfahrung sind. Sie kennen die Besonderheiten jeder einzelnen Zuchtlinie wie kaum ein anderer und verfügen über ein einzigartiges Know-how in Stutenhaltung, Hengstauswahl und Fohlenaufzucht. Für polnische Pferdefreunde war und ist es daher unvorstellbar und auch völlig unakzeptabel, dass man diese beiden herausragenden Persönlichkeiten der polnischen Pferdezucht, die in der ganzen Welt so hoch geschätzt und geachtet sind, auf solche Art und Weise behandelt.

Die Bekanntgabe der Entlassungen hatte zahlreiche Proteste zur Folge, es gab Demonstrationen in Warschau, es wurden auf den Netzwerken Podpisz.to und Avaaz Online-Petitionen gestartet, die bislang mehr als 30.000 Unterstützer gefunden haben, auch eine internationale Petition auf change.org wurde bis dato von beinahe 5.000 Menschen unterzeichnet. Bekannte Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wie die Schauspieler Daniel Olbrychski und Boguslaw Linda haben ihre Meinung öffentlich kundgetan – sogar an Bischöfe der polnischen katholischen Kirche wurden Petitionen gerichtet.

Die öffentliche Empörung war auch deshalb so groß, weil anfangs keinerlei Gründe für die Entlassungen genannt wurden. Erst nach zehn Tagen (!) hielt es das Landwirtschaftsministerium für notwendig, eine Pressekonferenz zu diesem Thema durchzuführen, doch auch diese hat nicht viel zur Aufklärung und De-Eskalierung der Situation beigetragen, sondern die Lage eher noch verschärft. Die drei im Nachhinein vorgebrachten Vorwürfe an die Direktoren waren folgende:
– Der Tod der an Kolik eingegangenen Vollblutaraberstute Pianissima, der einem Direktor angelastet werden sollte;
– es haben angeblich inkorrekte Embryo-Transfer-Deals stattgefunden;
– es sollen angeblich für den Staat finanziell unvorteilhafte Konditionen bei den Verpachtungen von Zuchtstuten genehmigt worden sein.
Das Landwirtschaftsministerium gab auch bekannt, daß diese Vorwürfe möglicherweise strafrelevant wären – und kündigte an, sie durch die Staatsanwaltschaft prüfen zu lassen.

Alle drei Vorwürfe wurden von den Direktoren umgehend zurückgewiesen und auf überzeugende Weise widerlegt: Der Tod der Stute Pianissima sei durch eine plötzliche, dramatisch verlaufene Kolik verursacht worden – und in keinem Fall der Gestütsführung anzulasten; die Embryotransfers waren stets durch detaillierte Verträge geregelt – und zwar zu international üblichen Konditionen, ebenso die Verpachtung von Zuchtstuten. Nach allen bisher vorliegenden Informationen, Dokumenten und Unterlagen gewinnt man unweigerlich den Eindruck, daß sämtliche Anschuldigungen jeglicher Grundlage entbehren und ausschließlich politisch motiviert sind, um wichtige Positionen im öffentlichen Einflussbereich mit Getreuen bzw. Vertrauten der neuen politischen Führung zu besetzen.

Auch die Medien stellten sich hinter die Direktoren – und konnten durch penible Recherchen nachweisen, daß die beiden Staatsgestüte in den letzten 15 Jahren stets Überschüsse erwirtschaftet hatten, wie etwa der bekannte polnische Pferdejournalist Marek Szewczyk in seinem Blog dargelegt hat. Demnach hat etwa im Jahr 2015 Janów Podlaski einen Gewinn von ca. 730.000,– Euro (3,19 Mio Zloty) und Michałów einen Gewinn von 550.000,– Euro (2,36 Mio. Zloty) erwirtschaftet. Tatsächlich grenzt es fast an ein Wunder, dass so große Pferdezuchten angesichts einer europaweiten Absatzkrise nicht nur überlebten, sondern auch noch über all die Jahre gewinnbringend wirtschaften konnten, während fast alle großen Staatsgestüte in Europa herbe Einbußen zu verzeichnen hatten. In anderen Ländern würde man angesichts solcher Zahlen den leitenden Direktoren wohl Orden verleihen – in Polen werden sie verjagt.

Polens Pferdefreunde und viele Bürger sind zutiefst besorgt, dass die politischen Machtspiele der neuen Regierung zu unwiderruflichen Schäden in der polnischen Pferdezucht führen werden. Die politisch Verantwortlichen präsentieren sich gerne als Patrioten und betonen in fast jedem Satz, dass Polen ein stolzes Volk sei. Tatsächlich können wir auf unsere polnische Araberzucht stolz sein, die in Europa einzigartig ist und um die uns die Welt beneidet. Umso mehr aber dürfen wir von unserer „patriotischen” polnischen Regierung erwarten, daß sie dieses nationale Kulturgut, das in Europa einzigartig ist und um das uns die ganze Welt beneidet, schützt und für die kommenden Generationen bewahrt – und nicht durch die Entlassung so verdienstvoller, fachlich hochqualifizierter Mitarbeiter leichtfertig, ja, fahrlässig aufs Spiel setzt. Dagegen werden wir uns weiter wehren.
Urszula Sawicka

Urszula Sawicka ist freie Fotografin und Journalistin in Polen und seit mehr als 20 Jahren in der internationalen Araberszene tätig (hier geht's zu Ihrer Website).

Auch das ARD-Europamagazin hat sich mit der Entlassung der beiden bekannten Gestütsdirektoren beschäftigt – den sehenswerten Beitrag kann man hier in der ARD-Mediathek ansehen!

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