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Depressive Pferde neigen zu Überreaktionen
15.04.2016 / News

Depressive Pferde zeigen sich teilnahmslos, uninteressiert und zurückgezogen – aber sie reagieren auf ungewohnte Reize auch weniger gelassen als normale Pferde.
Depressive Pferde zeigen sich teilnahmslos, uninteressiert und zurückgezogen – aber sie reagieren auf ungewohnte Reize auch weniger gelassen als normale Pferde. / Symbolfoto: Martin Haller
Die ,zurückgezogene
Die ,zurückgezogene' (withdrawn) Körperhaltung a unterscheidet sich deutlich von einer stehenden bzw. beobachtenden Haltung b und der Ruheposition c. / Foto: PLOSOne/http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0039280.g002

... und können daher in bestimmten Situationen sogar gefährlich für ihre Halter werden, so eine aktuelle französische Studie.

 

Dass auch Pferde an Depressionen leiden können, ist bereits seit einigen Jahren bekannt und auch durch mehrere Studien belegt. Depressive Pferde sind in der Regel apathisch und teilnahmslos, zeigen kaum Interesse an ihrer Umgebung und verharren häufig in einer Art Erstarrungszustand – aber sie sind zugleich auch weniger belastbar und reagieren gestresst und gereizt in ungewöhnlichen, herausfordernden Situationen, wie es auch bei depressiven Menschen zu beobachten ist.

Diesen mitunter wenig beachteten Aspekt hat nun eine französische Forschergruppe der Universität von Rennes rund um Céline Rochais näher untersucht. Sie führte gemeinsam mit Kollegen der Universität von Guelph in Kanada eine Art ,Aufmerksamkeitstest' bei insgesamt 27 Pferden durch, wobei sie zuerst ermittelte, welche dieser Pferde Anzeichen von Depressionen und insbesondere die typische ,zurückgezogene' Körperhaltung zeigten – das waren insgesamt 12 Pferde, also ca. 44 %.

Der eigentliche Test bestand daran, sämtliche 27 Pferde fünf Tage lang mit unterschiedlichen akustischen Signalen bzw. Geräuschen zu konfrontieren, die den Pferden zuvor völlig unbekannt waren, dabei wurden die Reaktionen der Pferde sowie die Dauer der Aufmerksamkeits-Phasen exakt aufgezeichnet und ausgewertet. Zu den Geräuschen zählten tierische Laute (etwa von Gänsen, Pavianen und Walen),  das Wiehern von fremden Pferden und Klaviermusik.

An den ersten Tagen haben die gesunden Pferde auf die ungewohnten Geräusche stärker reagiert, auch ihre Aufmerksamkeit dauerte länger als jene der ,zurückgezogenen' Pferde – doch die Dauer der Aufmerksamkeit sank mit Fortdauer des Tests kontinuierlich, die Tiere gewöhnten sich also immer mehr an die Geräusche, während die Aufmerksamkeit der ,zurückgezogenen' Pferde gleich blieb und kein ,Gewöhnungseffekt' eintrat. Bei den als ,zurückgezogenen' Pferden hat sich somit auch die selektive Aufmerksamkeit geändert – ein weiteres wesentliches Symptom eines depressiven Zustands.

Wie Céline Rochais hinzufügte, ist Aufmerksamkeit nicht nur ein Merkmal für das Wohlbefinden eines Pferdes, sondern auch ein entscheidender Punkt für ein erfolgreiches Training. Pferde, die ihrem Trainer gegenüber mehr Aufmerksamkeit und ein positives Verhalten zeigen, sind lernfähiger, wie auch Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2014 zeigen.

Und sie wies auch auf einen anderen wichtigen Aspekt hin: ,Zurückgezogene' Pferde können vor allem für unerfahrene Reiter oder Pferdehalter eine Gefahr darstellen. Rochais: „Der ,zurückgezogene' Zustand im Stall scheint auch mit heftigeren emotionalen Reaktionen in furchteinflößenden, ungewöhnlichen Situationen einherzugehen, vor allem dann, wenn Pferde mit einem unbekannten Objekt konfrontiert werden. Auf eine ,zurückgezogene' Körperhaltung zu achten ist daher auch ein wichtiger Punkt, um die Sicherheit des Reiters zu verbessern.

Pferde in einem modernen Umfeld zu halten, bedeutet immer auch, Kompromisse zu machen, so Rochais weiter. „Wir Menschen geben Pferden Sicherheit, Fressen, Schutz und gesundheitliche Pflege – doch all das bedeutet auch, daß die Lebensbedingungen der Pferde im Vergleich zu einem natürlichen Umfeld Grenzen aufweisen."

Umso wichtiger ist es, so Rochais abschließend, daß man als Pferdehalter in der Lage ist, die feinen Unterschiede zwischen bestimmten Gemütszuständen der Pferde zu erkennen, denn diese sind mitunter wichtige Indikatoren für das Wohl des Pferdes. Dazu gehört, wie die aktuelle Studie zeigt, auch die Art und Weise der Aufmerksamkeit. Rochais: „Zu wissen, wie man Apathie von Ruhe und Aufmerksamkeit von Ängstlichkeit unterscheidet, ist ein wichtiger Schlüssel – umso mehr, weil die unterschiedlichen Grade von Aufmerksamkeit als Indikatoren für das Pferdewohl immer wichtiger und vielversprechender werden."

Die Studie „Investigating attentional processes in depressive-like domestic horses (Equus caballus)" von Céline Rochais, Séverine Henry, Carole Fureix und Martine Hausberger ist im März 2016 im Journal ,Behaviourlal Processes' erschienen und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.

Hintergrund: Das ,zurückgezogene' Pferd
Eine bahnbrechende Studie zum Thema ,Depressionen bei Pferden' hat im Jahr 2012 ein Forscherteam der Universität von Rennes rund um Carole Fureix vorgelegt (die übrigens auch an der aktuellen Studie von Céline Rochais beteiligt war). Sie untersuchte eine Gruppe von insgesamt 59 Schulpferden – und konnte bei rund einem Viertel von ihnen Symptome nachweisen, die frappierend an jene von depressiven Menschen erinnerten. Das hervorstechendste Merkmal war eine bestimmte Körperhaltung, welche diese Pferde einnahmen und die das Forscherteam als ,withdrawn' beschrieb (zurückgezogen, introvertiert). In dieser Haltung ist der Kopf nach vorn gestreckt, Genick und Widerrist sind nahezu auf gleicher Höhe – die Hals-Oberlinie verläuft annähernd waagrecht. Die als ,depressiv' eingestuften Pferde verharren mehrmals täglich in dieser ,zurückgezogenen' Körperhaltung und sind dabei in einer Art ,Erstarrungszustand', sie zeigen kaum Mimik oder sonstiges Ausdrucksverhalten, haben einen starren, leeren Blick, reagieren kaum auf Ansprache oder Berührung, sind gegenüber Umweltreizen (sogar gegenüber Leckerli) gleichgültig – reagieren aber auf herausfordernde, ungewöhnliche Situationen äußerst gestresst und emotional. Die ,zurückgezogene' Körperhaltung konnte bei gesunden Pferden überhaupt nicht beobachtet werden und unterscheidet sich, wie Carole Fureix nachweisen konnte, sehr deutlich von der ,Ruhehaltung' (mit gebogenem Hals, leicht gesenktem Kopf und gänzlich oder teilweise geschlossenen Augen) oder der ,Beobachtungs-Haltung' eines Pferdes, mit erhobenem Kopf, offenen Augen und aufmerksam aufgerichteten Ohren.

Die Studie „Towards an Ethological Animal Model of Depression? A Study on Horses" von Carole Fureix, Patrick Jego, Séverine Henry, Léa Lansade, Martine Hausberger ist im Juni 2012 im Journal PLOSOne erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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