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Wieviel Pferdeschutz verträgt der Pferdesport? Finnland entscheidet
16.04.2016 / News

Eine von sechs Forderungen des finnischen Tierschutzvereins ,Operant Riders
Eine von sechs Forderungen des finnischen Tierschutzvereins ,Operant Riders': Schlaufzügel sollen auf Abreiteplätzen generell verboten werden. / Foto: Julia Rau

Bei seiner Generalversammlung am 24. April 2016 stimmt der Finnische Pferdesportverband über eine Reihe von Reglement-Änderungen zum besseren Schutz des Pferdewohls ab.

 

Es ist eine Entscheidung, die wohl in vielen Ländern Europas mit großer Spannung mitverfolgt wird – und die zuletzt sogar dem großen ,Horse&Hound' einen ausführlichen Beitrag wert war: Der Finnische Reitsportverband (Equestrian Federation of Finland, SRL) stimmt im Rahmen seiner Generalversammlung am 24. April über insgesamt sechs Reglement-Änderungen ab, deren Ziel ein besserer Schutz des Pferdes bei Turnieren und eine Erhöhung seines Wohlbefindens bei der Sportausübung ist.  Es geht somit auch um die grundsätzliche Frage, wieviel Pferdeschutz dem Pferdesport zumutbar ist – bzw. zu wieviel Pferdeschutz ein Pferdesportverband im Jahr 2016 bereit und fähig ist.

Daß die Abstimmung stattfindet, ist dem Engagement und der Hartnäckigkeit des Vereins ,Operantit Ratsastajat ry' („Operant Riders") zu verdanken, der die Vorschläge Ende Februar 2016 beim Finnischen Reitsportverband eingebracht hat. Ausgearbeitet hat sie die Tierärztin und Wissenschaftlerin Mirjami Miettinen, die bereits an mehreren Forschungsprojekten im Pferdebereich mitgewirkt hat und u. a. im Vorjahr eine Studie über die Auswirkungen von Nasenriemen und Gebissen auf das Wohlbefinden von Pferden vorgelegt hat. Miettinen führt für jeden ihrer Vorschläge durchaus überzeugende Argumente an und untermauert diese mit umfangreichen Hinweisen auf wissenschaftliche Studien.

Insgesamt schlägt „Operant Riders" folgende sechs Reglement-Änderungen vor:

1) Die Verwendung des Nasenriemens sollte in allen Dressurprüfungen auf freiwilliger Basis erfolgen.
Dazu heißt es: „Der Nasenriemen ist kein wesentlicher Bestandteil der Ausrüstung und verbessert auch nicht die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Es ist ohne weiteres möglich, ein Pferd auch ohne Nasenriemen zu reiten." Wie Untersuchungen zeigen konnten, sind zu eng verschnallte Nasenriemen bei Turnieren nicht die Ausnahme, sondern vielfach die Regel – und können beim Pferd zu erheblichen gesundheitlichen Schäden führen, so Miettinen: Ein eng verschnallter Nasenriemen verursacht Pferden Schmerzen und Stress, er presst die Innenseite der Pferdewangen gegen die scharfen Zahnkanten und kann zu Geschwürbildungen an der Schleimhaut führen. Die Forderung von Miettinen ist daher klar: „Wenn die Verwendung eines zusätzlichen Ausrüstungs-Teils dem Wohl des Pferdes widerspricht, dann gibt es auch keinen Grund, ihn einzusetzen – und schon gar keinen Grund, seine Verwendung verpflichtend vorzuschreiben."

2) Es sollte verbindlich festgelegt werden, wie eng ein Nasenriemen maximal verschnallt werden darf und mit welcher Methode dies auf Turnieren zu überprüfen ist.
„Operant Riders" kritisiert, daß die FEI in ihren diesbezüglichen Regeln zu allgemein und die Anwendung der ,Zwei-Finger-Regel' zu unbestimmt ist. Stattdessen plädiert dafür, die Überprüfung des zulässigen Nasenriemen-Abstands mit Hilfe des sogenannten ,Noseband Taper Gauge' zu messen (eine Art Schablone, mit der man den Abstand zwischen Nasenriemen und Nasenbein einfach und schnell bestimmen kann), das auch die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften ISES (,International Society for Equitation Science') empfiehlt und sich bereits in zahlreichen Studien bewährt hat. Mit der ISES-Schablone sei eine objektive und genaue Messung des zulässigen Mindestabstands garantiert, falsche Interpretationen wären ausgeschlossen.

3) In allen Dressurprüfungen sollten gebisslose Zäumungen erlaubt werden.
Im Sinne des Wohlbefindens des Pferdes sollte jeder Reiter die Möglichkeit haben, jene Ausrüstung für sein Pferd zu wählen, die das Pferdewohl und die Gesundheit am wenigsten beeinträchtigt – und unter diesem Gesichtspunkt seien gebisslose Zäumungen empfehlenswerter als jene mit Gebiss. Mehrere Studien konnten in den letzten Jahren zeigen, daß durch Gebisse – insbesondere, wenn sie unkorrekt oder grob eingesetzt werden, nicht nur das Pferdewohl beeinträchtigen, sondern auch gesundheitliche Probleme verursachen können. Sollten gebisslose Zäumungen am Turnier erlaubt werden, könne die natürliche Anatomie des Pferdemauls intakt bleiben.

4) In allen Dressurprüfungen sollten Wassertrensen erlaubt werden.
Die Kandare verlangt vom Reiter mehr Geschick, einen leichteren Kontakt und schnellere Reaktionen als eine Trense – dies ist auch der Grund, weshalb die Verwendung der Kandare in den unteren Dressurklassen verboten ist. „Operant Riders" fordert, daß in den höheren Dressurklassen Reiter die Wahlmöglichkeit zwischen Trense (Wassertrense) und Kandare haben sollten. Das Ziel der Ausbildung sollte es sein, das Pferd stets mit dem geringstmöglichen Druck reiten zu können; faktisch kann aber durch die Hebelwirkung einer Kandare mit weniger Zügelspannung ein deutlich größerer Druck auf das Pferdemaul ausgeübt werden – es sieht nur von außen besser aus. Dies sollte beendet werden: „Der einzige Grund für die Verwendung einer Kandare sollte nicht ästhetischer Natur sein." Zudem sei es ein Widerspruch, in den höheren Dressurklassen eine schärfere Ausrüstung zu bevorzugen.

5) Schlaufzügel sollten beim Abreiten auf Turnieren in allen Disziplinen verboten werden.
„Operant Riders" fordert ein generelles Verbot von Schlaufzügeln auf Turnier- und Abreiteplätzen in allen Disziplinen. Schlaufzügel zwingen das Pferd in eine statische Position und können aufgrund ihres Flaschenzug-Prinzips einen enormen Druck auf das Maul und das Genick eines Pferdes ausüben, zu schwerwiegenden Verspannungen, zu Streß, zu Wirbelsäulen- und Muskelschäden führen. Sie sollten daher keinen Platz in einem pferdegerechten Reitsport haben.

6) Die Verwendung von Sporen sollte in allen Dressurklassen freiwillig erfolgen.
Auch Sporen sind – wie zuvor schon der Nasenriemen oder der Schlaufzügel – ein Ausrüstungs-Teil, das aus Sicht des Tierwohls fragwürdig ist: Sporen können auf einer kleinen Fläche erheblichen Druck erzeugen und so dem Pferd ernsthafte Verletzungen zufügen, Haut und Muskelgewebe schädigen und sogar Geschwürbildungen verursachen. Sie vermitteln ebenfalls den falschen Eindruck, daß das Pferd schon auf geringste Hilfen reagiert, während selbst bei einer kleinen Beinhilfe ein erheblicher Druck auf die Pferdeflanke übertragen wird. Es wäre daher im Sinne des Pferdewohls wünschenswert, diese Ausrüstung keinesfalls verpflichtend vorzuschreiben.

„Operant Riders" schlägt zudem vor, daß der Finnische Reitsportverband diese Vorschläge auch der FEI übermittelt, um sie bei den internationalen Turnieren einzuführen.

Der Verein weiter: „Wir hoffen, daß unsere Vorschläge bereits im Vorfeld der Generalversammlung für eine Debatte über diese wichtigen Themen sorgen – und wir hoffen auch, daß möglichst viele Mitgliedsvereine unsere Reglement-Änderungen für richtig halten und auch unterstützen."

Ein wesentliches Ziel hat der Verein bereits jetzt erreicht – in halb Europa spricht man über seine Initiative und die darin vorgebrachten Ideen. Und man darf mit einiger Spannung beobachten, wie sich Finnlands Reitvereine bei der kommenden Generalversammlung entscheiden werden – und welche Reglement-Änderungen dabei tatsächlich beschlossen werden können. Mehr Pferdeschutz im Pferdesport ist ohne Zweifel das Thema der Zukunft – sofern der Pferdesport eine Zukunft haben will...

Die vollständige Pressemitteilung von „Operant Riders" kann man hier nachlesen (in englischer Sprache).

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