Fakten und Mythen: Wieso Reiter Schutzausrüstung verwenden – und wieso nicht 19.07.2016 / News
Welche Motive führen bei Reitern dazu, daß sie häufiger und konsequenter Schutzausrüstung wie Reithelme, Protektoren etc. verwenden – dieser Frage sind deutsche Wissenschaftler nachgegangen. / Foto: Simone Aumair
Deutsche Wissenschaftler haben untersucht, welche Faktoren darüber entscheiden, ob wir tatsächlich beim Reiten auf Schutzausrüstung zurückgreifen. Die Ergebnisse waren überraschend.
Christina-Maria Ikinger, Jana Baldamus und Achim Spiller von der Universität Göttingen wollten es genau wissen: Welche Faktoren beeinflussen das Sicherheits-Verhalten deutscher Reiterinnen und Reiter bei der Ausübung ihres Sports? Warum verwenden die einen regelmäßig Sicherheits-Features wie Reithelme oder Schutzwesten – und warum verzichten andere konsequent darauf? Die drei Wissenschaftler führten eine Online-Befragung durch, an der insgesamt 2.572 Personen teilnahmen – 5,3 % der Teilnehmer waren männlich, 94,8 % weiblich, das Durchschnittsalter betrug 32,5 Jahre, 21,4 % der Befragten hatten ein Kind (oder mehr).
Die Forscher analysierten in ihrer Befragung insgesamt 23 Variablen bzw. Einflussfaktoren – und immerhin 17 davon hatten nachweislichen Einfluss auf die Entscheidung von Reitern, Sicherheits-Ausrüstung zu verwenden. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden im Februar dieses Jahres in der Zeitschrift ,Animals' veröffentlicht.
Den stärksten Einfluss auf die Verwendung von Sicherheits-Equipment haben demnach zwei wesentliche Faktoren, nämlich einerseits die generelle – positive oder negative – Einstellung derartiger Ausrüstung gegenüber, und zweitens das Sicherheits-Verhalten anderer Pferdebesitzer und Reiter im gleichen Stall.
In ihrem Fragebogen überprüften die Wissenschaftler eine Reihe von Sicherheits-Hypothesen im Zusammenhang mit dem Reiten auf ihre Gültigkeit – und erhielten z. T. höchst überraschende Ergebnisse.
– So zeigte sich beispielsweise, daß die häufig vorgebrachte Annahme, weibliche Reiter würden häufiger Sicherheits-Equipment verwenden als ihre männliche Kollegen, nicht bestätigt werden konnte: Das Geschlecht hatte in der Befragung keinen signifikanten Einfluss auf das Sicherheits-Bewusstsein.
– Ebenso wenig konnte nachgewiesen werden, daß sich Reitanfänger besser schützen als erfahrene Reiter. Es konnte allerdings bestätigt werden, daß sich das Sicherheits-Verhalten verschlechtert, je länger man den Reitsport ausübt. Das könnte, wie die Forscher meinten, unterschiedliche Ursachen haben: Möglicherweise nehmen routinierte Reiter an, daß sie Dank ihrer längeren Erfahrung das Pferd besser kontrollieren könnten, sich daher sicherer fühlen und weniger Wert auf entsprechende Schutzausrüstung legen.
– Bestätigt werden konnte hingegen die Hypothese, daß sich Kinder und Teenager generell besser schützen als ältere Reiter – wobei offen blieb, ob der Impuls dazu von den jungen ReiterInnen selbst ausging oder von deren Eltern bzw. Trainern.
– Bewahrheitet hat sich auch die Annahme, daß sich Reiter, die Kinder haben, besser schützen als solche ohne Kinder.
– Bestätigt hat sich auch die Hypothese, daß sich Reiter besser schützen, die bereits selbst einen schweren Reitunfall hatten.
– Es trifft jedoch nicht zu, daß Reiter, die einen Unfall mitangesehen haben bzw. mitansehen mussten, danach ihre eigenen Schutzmaßnahmen verstärkten: Die Beobachtung hinterlässt offenbar deutlich weniger Spuren als persönlich empfundene Schmerzen – und führt auch zu keiner signifikanten Verhaltens-Änderung. Ein bemerkenswertes Detail war, daß bereits 98 % aller Befragten lt. eigenen Angaben einen Reitunfall mitangesehen haben.
– Die Ergebnisse bestätigten weiters, daß Spring-, Dressur- und Vielseitigkeitsreiter sich generell besser schützen als andere (z. B. Westernreiter). Auch zeigte sich, daß Turnierreiter, die ihren Sport auf Warmblut- bzw. Vollblutpferden ausüben, häufiger Schutzausrüstung verwenden als reine Freizeitreiter.
– Bewahrheitet hat sich auch die Hypothese, daß andere Pferdebesitzer und Reiter im gleichen Stall, die auf Schutzausrüstung großen Wert legen, einen positiven Einfluss auf ihre Stallkollegen ausüben – sie sind tatsächlich wichtige Vorbilder für andere und in einer Rangliste der wirkungsvollsten Einflussfaktoren auf Platz zwei der Befragung.
– Der wichtigste Faktor, der darüber entscheidet, ob wir tatsächlich Schutzausrüstung beim Reiten verwenden oder nicht, ist aber die eigene persönliche Haltung derartigem Equipment gegenüber: Je positiver unsere grundsätzliche Einstellung, desto häufiger und konsequenter sind wir auch beim Tragen von Reithelmen, Schutzwesten etc. – und je negativer unsere Einstellung ist, desto seltener und nachlässiger ist unser Verhalten. Die Hauptgründe, die zu einer negativen Einstellung führen, scheinen dabei – so die Wissenschaftler – ein schlechtes Design, die Beibehaltung althergebrachter Traditionen, mangelhafter Komfort und Zweifel über die Effektivität von Sicherheits-Produkten zu sein. Die Hersteller derartiger Ausrüstung sollten diese Motive näher analysieren und diese auch bei der weiteren Produkt-Entwicklung berücksichtigen, heißt es abschließend.
Die Studie „Factors Influencing the Safety Behavior of German Equestrians: Attitudes towards Protective Equipment and Peer Behaviors" von Christina-Maria Ikinger, Jana Baldamus und Achim Spiller ist im Februar 2016 im Journal ,Animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:19.02.2016 - Checkliste: Wie man Reitunfällen vorbeugen kann
Checkliste: Wie man Reitunfällen vorbeugen kann 19.02.2016 / Wissen
Sicherheit beginnt im Kopf: Wer die wesentlichen Risikofaktoren beim Reiten und beim Reitunterricht kennt, kann gefährlichen Situationen effektiv vorbeugen – eine Checkliste von Dr. Reinhard Kaun.
Sicherheitsbewusstsein entsteht in keinem Lebensbereich auf Knopfdruck, sondern ist regelmäßig das Ergebnis einer Entwicklung aus Eigenerfahrung, Wissenszuwachs und persönlicher Reifung. Jede Persönlichkeit hat hierbei ihre individuellen Stufen zu überwinden.
Die „Belehrung“ von (jungen) Menschen ist immer eine heikle Sache, manche wollen partout die Fehler wiederholen, die „uns Alten“ schon unterlaufen sind und für deren Konsequenzen wir einzustehen hatten, viele aber sind dankbar für Leitfäden und Wissensgrundlagen als Entwicklungsbasis für ihr eigenes Handeln – der individuelle Weg zum Ziel wird immer unterschiedlich bleiben.
Meine intensive Beschäftigung mit Unfällen im Umgang mit Pferden bzw. bei der Ausübung des Reit- und Fahrsports in Freizeit, Tourismus und Wettbewerb, die durch meine Arbeit als Gerichtssachverständiger und Gutachter für forensische Veterinärmedizin, die sich nun über eine Zeitspanne von fast 30 Jahren erstreckt, haben mir tiefe Einblicke in Unfallmechanismen gestattet, die das Risiko im Verkehr mit Pferden durch Wiederholung von Fehler, durch Leichtsinn und Gedankenlosigkeit, aber auch durch mangelhafte Ausbildung analysieren ließ.
Eine Reihe von „vorhersehbaren risikobeladenen Situationen“ lässt sich durch die Einführung von Checklisten abfedern, weil bereits vor einem Ereignis dadurch eine Gefahrenabschätzung möglich wird, die in weiterer Folge zur Etablierung eines Sicherheitsbewusstseins führen soll.
Die folgende Checkliste (oben auch als Download verfübar) soll Reitschulbesitzern und Ausbildungskräften, aber auch Reitschülern helfen, Risikofaktoren und risikobeladene Situationen zu erkennen und Gefahren von vornherein durch entsprechende vorbeugende Maßnahmen zu vermeiden.
CHECKLISTE ZUR VERHÜTUNG VON REITUNFÄLLEN
Reitunterricht - Betriebsstruktur
– Überprüfung der Ausbildung des Lehrpersonals (Nachweis durch Ausweis)
– Überprüfung der Infrastruktur > Reitschule mit Kennzeichnung
– Überprüfung der Schulpferde (Pflegezustand, Ernährungszustand, Beschlagzustand)
– Werden die Schulpferde zur Korrektur geritten?
Reitunterricht – Ausrüstung
– Zäumung mit korrekt verschnalltem Nasenriemen
– Zäumung mit pferdeschonendem Gebiss
– Passender Sattel
o Für das Pferd
o Für den Reitschüler
o Korrekte Bügelriemenlänge
o Angstriemen
– Hilfszügel
o Ausbinder
o Keine „Halsverlängerer“
o Kein Martingal für Reitschüler
– Longe mit korrekter Länge
– Longierpeitsche
Reitschüler
– Korrekte und zweckmäßige Kleidung
– Reithelm
– Rückenprotektor
Didaktik
– Überprüfung der körperlichen und geistigen Eignung des Reitschülers
– „Reitgeschichte“ des Schülers erfragen, aber nicht zur Beurteilungsgrundlage erheben
– Erstellung eines Ausbildungskonzepts
o Ziel der Reitstunde
o Ziel des Reitunterrichts
o Aufklärung über Sicherheit und Risiko (schriftlich)
o Selbstauskunft des Reitschülers (Fragebogen)
– Mindestaufklärung über Pferdekunde und Reittheorie
– Aufklärung über Verhalten bei Ungehorsam des Pferdes
Praxis
– Jeder Reitschüler muss an die Longe
– Longenunterricht je Talent des Schülers im Ausmaß von 20 bis 30 Stunden verpflichtend
– Longenunterricht als Einzelunterricht
– Zum Longieren in eine Ecke des Platzes oder der Halle gehen
– Auf die besonderen Bedürfnisse des Reitschülers eingehen
– Jede Reitstunde soll eine Zieldefinition haben und positiv beendet werden
– Bei wiederholtem Ungehorsam oder Widersetzlichkeit des Schulpferdes den Unterricht abbrechen und intern die Ursache erforschen
Autor: Univ.Lektor VR Mag. Dr. Reinhard Kaun ist Fachtierarzt für Pferdeheilkunde, Fachtierarzt für physikalische Therapie & Rehabilitationsmedizin sowie Allgemein beeideter & gerichtlich zertifizierter Sachverständiger (Sachverständigenbüro für klinische und forensische Veterinärmedizin, Tierhaltung & Pferdewissenschaften) Kontakt: 2070 Retz, Herrengasse 7, Web: www.pferd.co.at | www.pferdesicherheit.at
Persönlicher Hintergrund
Mein privates und berufliches Leben ist seit über 50 Jahren von Pferden geprägt, sei es als Reiter und Fahrer, als Pferde- Tierarzt und Turnierrichter oder als Lehrender zu verschiedenen Themenkreisen rund um das Pferd. Mein persönlicher „Sicherheitsweg“ war zu Beginn von zwei schweren, unverschuldeten Unfällen beim Fahren geprägt, gefolgt von der Erkenntnis im Rahmen meiner Turnierrichtertätigkeit, dass für die Sicherheit von Pferden im Rahmen pferdesportlicher Veranstaltungen und bei Turnieren kaum Vorsorge getroffen war. So begründete ich Ende der 1980er Jahre zusammen mit meinen damaligen Weggefährten HR Dr. Zach und DI MMag. Dr. mult. Rautschka die Ausbildung zum „Pferdesporttierarzt“ – fast alle damals schon etablierten Pferdetierärzte (über 120 an der Zahl) durchliefen diese Kurse, manche bilden heute selber in diesem Themenbereich aus.
Die Erkenntnis, dass der beste Pferdetierarzt ohne kundige Helfer – ähnlich wie ein Notarzt ohne Sanitäter – nur beschränkt handlungsfähig ist, führte 1995 zur Gründung des Pferde-Sanitäterwesens in Österreich, dessen Ausbildungsweg sich zunächst am Schweizer Vorbild der Pferdesamariter anlehnte, sich aber dann sehr schnell an den Ausbildungen bei Rotem Kreuz und Feuerwehren orientiert, wodurch der Ausbildungsinhalt vertieft und über Turnierbelange hinaus erweitert wurde. An die 1500 Personen haben sich bisher dieser Qualifikation unterzogen.
Als logische Konsequenz – weit über das Turniergeschehen hinausdenkend – etablierte ich im Jahre 2005 das Curriculum zum Fire & Emergency VET – eine Notarztausbildung für Tierärzte, gedacht speziell zur Zusammenarbeit mit Feuerwehren und Rettungsdiensten.
Im Jahre 2010 rief ich zusammen mit dem Linzer Rechtsanwalt Dr. Günther Dobretsberger als Dachorganisation das „Kuratorium für Sicherheit in Pferdesport & Tierhaltung“ (eine Internetplattform unter www.pferdesicherheit.at) ins Leben, verbunden mit der Möglichkeit, sich in einem eintägigem Seminar zum „Sicherheitsbeauftragten PFERD“ schulen zu lassen – ein Ausbildungsweg, den viele Pferdesportler, Stallmanager, Turnierfunktionäre und z.B. die exekutive Sicherheitsmannschaft der Spanischen Reitschule bereits beschritten haben.
BUCHTIPP: Sportpferde in Training und Wettbewerb
Das 1990 erschienene Buch „Sportpferde in Training und Wettbewerb" von Dr. Reinhard Kaun – damals in der beachtlichen Auflage von 15.000 erschienen und seit vielen Jahren ausverkauft – ist seit kurzer Zeit wieder als Facsimilie-Ausgabe erhältlich und kann über die Buchhandlung Hofer in Retz (Hauptplatz 15, 2070 Retz) bestellt werden: E-Mail retz@buchhofer.at, Tel. 02942/20433, Preis 39,50 Euro, ISBN 3-9500411-0-9
19.07.2015 - Warum tragen wir beim Reiten einen Helm – und warum nicht?
Warum tragen wir beim Reiten einen Helm – und warum nicht? 19.07.2015 / News
Olympiasiegerin Charlotte Dujardin ist zweifellos die beste Werbeträgerin der Welt für Reithelme – sie steigt niemals ,ohne' in den Sattel! / Foto: Julia Rau
Mit dieser Frage haben sich zwei Forscherinnen der Central Queensland Universität in Australien beschäftigt – und dabei spannende Ergebnisse erhalten. Demnach prägen drei grundsätzliche Einstellungen das Verhalten von Helm-Befürwortern als auch von Helm-Gegnern.
Während bereits in vielen Ländern das Tragen eines Sicherheitshelms bei turniersportlichen Veranstaltungen vorgeschrieben ist, gibt es unter den Hobby- und Freizeitreitern nach wie vor viele, die auf das Tragen eines Helms verzichten – mit den unterschiedlichsten Argumenten, Vor- und Einwänden. Welche Grundhaltungen darüber entscheiden, ob man einen Reithelm trägt oder nicht, das haben die beiden australischen Forscherinnen Laura Haigh und Kirrilly Thompson vom Appleton-Institut für Verhaltensforschung der Central Queensland Universität im Rahmen einer Studie untersucht. Sie analysierten im Rahmen einer Diskurs-Analyse 103 Postings und Kommentare, die zum Thema ,Reithelm – ja oder nein?' in australischen Pferde-Foren abgegeben wurden.
Dabei entdeckten sie, daß – neben offensichtlichen sozialen Einfluss-Faktoren bei der Reithelm-Verwendung – drei Grundhaltungen darüber entscheiden, ob man einen Reithelm trägt oder eben nicht:
1) „Ich kann das Risiko kontrollieren."
2) „Es fühlt sich nicht richtig an."
3) „Unfälle passieren."
Interessant ist, daß sowohl Befürworter als Gegner des Reithelm-Tragens auf diese drei Grundhaltungen Bezug nehmen, sie jedoch gänzlich anders interpretieren und zur Verteidigung ihrer jeweiligen Haltung ins Treffen führen.
1) „Ich kann das Risiko kontrollieren."
Diese Grundhaltung führen die Befürworter des Reithelm-Tragens an, um zu verdeutlichen, daß sie den Reithelm als wichtigen Teil ihrer Sicherheitsausrüstung sehen, der ihnen dabei hilft, das vorhandene Risiko des Reitens besser zu kontrollieren.
Für Gegner wiederum dient diese Haltung als Rechtfertigung einer gänzlich anderen Position: Für sie ist der Reithelm gegenüber anderen Dingen – etwa ein guter Reiter zu sein, ein zuverlässiges Pferd zu haben oder eine besonders gute Partnerschaft zu ihm zu pflegen – nachrangig und vernachlässigbar. Sie meinen, damit das Risiko besser kontrollieren zu können als durch das Tragen eines Helms.
2) „Es fühlt sich nicht richtig an."
Befürworter von Reithelmen meinen damit: Einen Helm zu tragen gehört für sie einfach zum Reiten dazu, auch wenn damit ein unkomfortables Gefühl verbunden ist. Man fühlt sich damit einfach sicherer und besser, vergleichbar dem Anlegen von Sicherheitsgurten beim Autofahren.
Gegner des Tragens von Reithelmen hingegen meinen damit, daß sie sich einfach seltsam fühlen, wenn sie einen Helm aufsetzen – für sie ist ein Helm im doppelten Wortsinn einfach ,untragbar'.
3) „Unfälle passieren."
Für Befürworter von Reithelmen bedeutet dieser Satz schlicht: Unfälle passieren so oder so, sie entziehen sich unserer Kontrolle und können auch nicht vom Können des Reiters, dem Temperament des Pferdes oder der Qualität der Mensch-Pferd-Beziehung beeinflusst werden. Und deshalb muss man sich vor Unfällen entsprechend wappnen.
Gegner interpretieren diesen Satz fatalistisch: Unfälle passieren so oder so – und auch ein Reithelm kann mich nicht 100%ig davor schützen...
Warum Vorbilder wichtig sind
Die Bildung unserer individuellen Meinungen und Haltungen ist ein komplexer Prozess, in dem viele Faktoren eine Rolle spielen – etwa persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch das soziale Umfeld unter Reiterkollegen und Pferdefreunden. Wie Haigh und Thompson herausfanden, spielen insbesondere Meinungsführer und Fachleute bei diesem Prozess eine wichtige Rolle: „Der Einfluss von Pferde-Experten als ein Grund, keinen Helm zu tragen, kam bei vielen Statements zum Ausdruck, exemplarisch bei einem Reiter der geschrieben hat: ,Ich verbrachte einige Trainingsmonate bei einem bekannten Springreiter in New South Wales, wo tatsächlich niemand einen Helm getragen hat – und deshalb kommt mir das ganz normal vor.' Umgekehrt kann das Verhalten von Meinungsführer und die wahrgenommene soziale Verantwortung auch das Helm-Tragen unterstützen. Eine Reiterin habe etwa angegeben, daß das Tragen eines Sicherheitshelms etwas ist, das man ,für diejenigen tut, die man liebt'; und eine andere meinte, sie reite stets mit Helm, um ein gutes Vorbild für ihre Kinder zu sein, denn ,Man kann von ihnen nicht erwarten, daß sie einen tragen, wenn man es selbst nicht tut.'"
Die Stärke derartiger Argumente könnte man für entsprechende Informations- und Werbekampagnen nutzen, meinten die Studienautorinnen. Man könnte vor allem auch die ,Vorbild-Funktion' prominenter ReiterInnen dazu einsetzen, um die verhängnisvolle Assoziation zwischen Helm-Tragen und reiterlicher Unerfahrenheit endlich zu beseitigen. „Wenn z. B. bekannte Pferdemagazine und Websites nur noch Fotos von ReiterInnen mit Helm veröffentlichen würden, wäre das ebenfalls eine exzellente und wertvolle Unterstützung." Kampagnen zur Unfallverhütung sollten stärker ins Treffen führen, daß das Tragen eines Helms für einen verantwortungsbewussten Pferdebesitzers bzw. Familienmitglieds einfach selbstverständlich sein sollte.
Den Reithelm von Vorurteilen befreien
Die Grundhaltung ,Ich kann das Risiko kontrollieren' erwies sich als besonders diffizil und zeigt, daß die mit dem Reiten verbundenen Risiken in ganz unterschiedlicher Weise wahrgenommen und vearbeitet werden können. „Positiv ist zweifellos, daß das Tragen eines Helms grundsätzlich als sinnvolle Maßnahme zur Risiko-Minimierung gesehen wird – unglücklicherweise messen aber viele Reiter anderen Dingen einen größeren Stellenwert zu. „Die Beziehung zwischen Risiko-Wahrnehmung und Vorbeugung ist nicht immer geradlinig bzw. ehrlich: Einige Reiter wollen – bewusst oder unbewusst – sich offenbar nicht das vorhandene Risiko eingestehen, indem sie vorbeugende Maßnahmen wie das Tragen eines Helms setzen. Es ist daher eine ganz besondere Herausforderung, den Reithelm von allen Stigmata und Vorurteilen zu befreien, die ihn als Hinweis auf schwache reiterliche Fähigkeiten, auf ein schlechtes Temperament des Pferdes oder eine schwache Reiter-Pferd-Beziehung deuten."
Künftige Informations- und Werbekampagnen, die das Tragen von Reithelmen empfehlen, sollten – so die Autorinnen abschließend – vermehrt an das Verantwortungsbewusstsein und die Vorbildwirkung von Reitern appellieren und zum Ziel haben, das Tragen eines Helms als ebenso normal und alltäglich darzustellen wie das Tragen von Reitstiefeln oder Reithosen. „Wie viele Studien beweisen hat der Pferdesport nach wie vor eine hohe Unfall- und Verletzungsrate – und das, obwohl technische Gegenmaßnahmen leicht verfügbar und auch leistbar sind." Das Tragen von Reithelmen bietet ein enormes Potential bei der Unfallvermeidung in der Reiterei – und das könnte und sollte man künftig besser und effektiver nutzen...
Die Studie „Helmet Use Amongst Equestrians: Harnessing Social and Attitudinal Factors Revealed in Online Forums" von Laura Haigh and Kirrilly Thomspon ist in der Zeitschrift ANIMALS erschienen und kann hier nachgelesen werden.
31.07.2015 - Unterschätzte Gefahr: Auch „Bodenpersonal" sollte Helm tragen
Unterschätzte Gefahr: Auch „Bodenpersonal" sollte Helm tragen 31.07.2015 / News
Auch Personen, die Pferde vom Boden aus betreuen, sind Gefahren ausgesetzt – aber nur in seltenen Fällen durch Helme oder sonstige Sicherheitsausrüstung geschützt. / Foto: Simone Aumair
Eine Reiterin, die ihr Pferd in den Stall bringen wollte und dabei verunglückte, überlebte nur, weil sie einen Helm trug. Wie Studien zeigen, sind Personen am Boden ebenso gefährdet wie auf dem Pferd – aber nur in seltenen Fällen geschützt.
Der Unfall geschah am 21. Juli in Foxhills nahe der Kleinstadt Romsey: Reiterin Claire Balysz wollte gerade ihr junges Pferd vom Außenplatz in den Stall führen, als die Dinge aus dem Ruder liefen: „Er hat sich absolut normal benommen und ließ sich ganz ruhig führen. Wir sind stehengeblieben, damit er ein wenig Gras knabbern konnte – und als wir wieder weitergingen, ist er plötzlich und völlig unerwartet nach vor gesprungen und hat mich am Rücken und an der Schulter erwischt", so die Reiterin gegenüber dem Magazin ,Horse & Hound'. „Ich fand mich plötzlich unter dem 700 kg schweren Pferd wieder. Ich trug einen Reithelm – und der hat mir ganz ohne Zweifel das Leben gerettet. Ich habe mich bei dem Unfall am Knie verletzt, habe mehrere gebrochene Rippen und Abschürfungen vom Gesicht abwärts. Mein Helm war voll mit Hufabdrücken – ich war mit dem Kopf zwischen seine Vorderbeine geraten, als es immer wieder versuchte aufzustehen."
Trotz ihrer schweren Verletzungen hatte Claire Balysz Glück – denn obwohl Unfälle beim Führen durchaus häufig passieren, sind die Personen nur in sehr seltenen Fällen durch einen Sicherheitshelm geschützt.
Eine im Vorjahr veröffentlichte Studie von PatientInnen an der Universitätsklinik von Kentucky machte das Dilemma deutlich: Die Untersuchung analysierte Verletzungsfälle im Zusammenhang mit Pferden über einen Zeitraum von fünf Jahren (von 2003 bis 2007). Dabei zeigte sich, daß knapp mehr als die Hälfte der insgesamt 284 Unfälle durch einen Sturz vom Pferd (54 %) bzw. durch Tritte/Ausschlagen des Pferdes (22 %) verursacht werden. Die häufigsten daraus resultierenden Verletzungen sind Arm- und Beinbrüche (33 %) sowie Kopfverletzungen (27 %).
Während Personen auf dem Pferd öfter von Verletzungen des Oberkörpers und der unteren Extremitäten betroffen sind, so werden Personen am Boden öfter im Gesicht sowie im Unterleib verletzt. Schwere Kopfverletzungen betreffen beide Personengruppen in gleichem Ausmaß – auffallend war jedoch, daß alle drei Todesfälle, die im Untersuchungszeitraum registriert werden mussten, Personen am Boden betrafen: Eine wurde durch einen Tritt an den Kopf getötet, eine zweite durch einen Tritt gegen den Brustkorb – und die dritte stürzte beim Verladen ihres Pferdes vom Anhänger.
Das Resümee der Studienautoren war eindeutig: Der Umgang mit Pferden birgt ein erhebliches Verletzungspotential – und zwar gleichermaßen für Personen auf dem Pferd und für Personen auf dem Boden. Und sie empfahlen dringend, bei jeglichem Umgang mit dem Pferd – ob nun auf dem Boden oder im Sattel – auf entsprechende Sicherheitsausrüstung und ganz besonders auch auf das Tragen eines Sicherheitshelms zu achten. Bei den 284 untersuchten Unfällen wurde nur in 12 Fällen – das sind 6 % – ein Helm verwendet.
Dabei gab es in den letzten Jahren in diversen Medien genügend Berichte über schwere und sogar tödliche Unfälle, die Personen am Boden betrafen. Sogar Olympiasieger Ben Maher kam auf diese Weise in die Schlagzeilen, als er 2012 in seinem Reitstall in Essex von einem Tritt am Kopf getroffen wurde – das Pferd war ausgerutscht, als er es an der Hand führte und auf ihn gefallen. Ein besonders tragischer Fall geschah 2011, als die 16-jährige Lauren Bryant in Schottland ihren schweren Kopfverletzungen erlag, die sie sich beim Einfangen ihres Pferdes auf der Koppel zugezogen hatte.
Als besonders gefährliche Momente für Unfälle am Boden gelten das Longieren, das Führen, das Verladen und der Koppelgang. Auch Tierärzte und Hufschmiede sind immer wieder von schweren Unfällen betroffen. Aber obwohl zahllose Schauergeschichten in der Szene kursieren und die Gefahren durchaus bekannt sind, weigern sich viele Pferdefreunde nach wie vor, einen Helm zu tragen, wenn sie ihre Pferde vom Boden aus betreuen. Warum das so ist – das bleibt wohl eines der ungelösten Rätsel der Pferdeszene, ebenso wie die Frage, wieso es in einer sonst so strikt reglementierten Sportart kaum verbindliche Sicherheits-Richtlinien und -Vorschriften für die große Gruppe des ,Bodenpersonals' gibt....?
|