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Gastkommentar: Österreichs Pferderennsport – ein Nachruf
19.07.2016 / News

Noch gibt es vereinzelte Galopprennen im Magna Racino – doch die Zukunft der 2004 eröffneten Rennbahn bleibt ungewiss...
Noch gibt es vereinzelte Galopprennen im Magna Racino – doch die Zukunft der 2004 eröffneten Rennbahn bleibt ungewiss... / Foto: Martin Haller

Solange der Mensch auf oder hinter dem Pferd sitzt, gibt es Rennen. In den ca. fünf Jahrtausenden gemeinsamer Geschichte war Schnelligkeit – neben purer Trag- bzw. Zugkraft – das wohl höchste Qualitätskriterium eines Pferdes, das in einer Schlacht über Sieg und Niederlage und beim Transport über Aufträge und Profite entscheiden konnte. Das Streben nach Pferden, die kurze oder lange Distanzen im größtmöglichen Tempo zurücklegen konnten, war eine wesentliche Triebfeder der Pferdezucht, die das edle und leichtfüßige arabische Pferd hervorbrachte und letztlich im Rennpferd par excellence, dem englischen Vollblut, seine Krönung fand. Es ist das nahezu perfekte Produkt einer gemeinsamen Kulturgeschichte, das wir eigentlich mit Stolz pflegen, schützen und hochhalten sollten – doch stattdessen erlebt es in Österreich gerade seinen Niedergang. Dass es dem heimischen Pferderennsport schlecht geht, ist keine Neuigkeit – doch dass er gerade mit Riesenschritten seinem endgültigen Ende entgegeneilt und dieser Umstand kaum noch eine Schlagzeile wert ist, irritiert und ist wohl der letzte Beweis für seine Bedeutungslosigkeit. Österreichs Pferderennsport stirbt gerade – und keinen interessiert’s.

Der Abstieg des Rennsports ist zwar auch in vielen anderen Ländern feststellbar, doch er ist gewiss nicht schicksalhaft und unabwendbar: In China und Südkorea werden gerade neue Rennbahnen angelegt; es gibt derzeit rund 800 Rennen jährlich allein in Hongkong. Im 2018 fertigen Conghua Rennzentrum (China) werden rund 700 Pferde im Training stehen; die Wartezeit für den Kauf eines Rennpferdes beträgt derzeit rund vier Jahre. In Frankreich ist die Wirtschaftskrise kaum spürbar, die Zahl der Flachrennen ist um fünf, jene der Hindernisrennen um drei Prozent gestiegen. Die Wettumsätze der staatlichen Wettgesellschaft sind in den letzten vier Jahren international um das Vierfache gestiegen (man bedient auch Deutschland, Brasilien und China…). In England ist die Zahl der Flachrennen um über vier, jene der Hindernisrennen um elf Prozent gestiegen; über 170 Millionen Euro werden in Royal Ascot in einer einzigen Woche im Juni eingenommen.

Gewiss: Österreich war nie das Paradies, war seit dem Ende der Monarchie nie mehr mit Ascot oder Newmarket vergleichbar, hatte seither nie wieder Adel und Glamour auf seinen Bahnen, war danach immer etwas bieder und angestaubt. Hummer und Schampus in der Freudenau? – kaum vorstellbar, bestenfalls Brötchen und Sekt. Und doch hat diese Sparte des Pferdesports gerade hierzulande Erstaunliches geleistet: Der ungarische Hengst Kisbér gewann im 19. Jhd. das englische Derby und den Grand Prix de Paris, die größten Rennen Europas. Die Stute Kincsem blieb wenig später in 54 schweren internationalen Rennen ungeschlagen. Graf Karl Kinsky gewann auf seiner Stute Zoedone 1880 die Grand National Steeplechase in Liverpool. Kurz darauf gewann der heimische Hengst Tokio die Großen Preise von Berlin und Baden-Baden. Die Stute Patience der Grafen Festetics gewann um 1900 das österreichische und deutsche Derby. Adular, von Baron Springer in Ungarn gezogen, siegte um 1915 in den Kings Stand Stakes von Ascot. Zwischen 1900 und 1914 gewannen fünf österreichische Pferde das deutsche Derby. Brabant war Derbysieger von Wien in den 1960ern und setzte seine Laufbahn erfolgreich in GB und den USA fort. 1978 siegte der in der Freudenau trainierte Balboa in der Goldenen Peitsche von Baden-Baden. Der österreichische Wallach Osterhase lief in den 1990ern in Japan und anderen Ländern und verdiente viel Geld.

Dies nur ein kleiner Auszug österreichischer Erfolge im internationalen Rennsport – den man noch abrunden könnte mit dem Hinweis, dass der Österreicher Mario Hofer derzeit am siebenten Platz des Trainerchampionats zu finden ist – allerdings in Deutschland, seiner Wahlheimat. Dennoch – die großen Zeiten, in denen Pferderennen in der Freudenau vor 40.000 Zuschauern und mehr über die Bühne gingen, sind längst vorbei. Zwar finden heuer noch einige Galopprennen und ein paar Dutzend Trabrennen landesweit statt, doch das nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Magna Racino in Ebreichsdorf, die Wiener Krieau und die Freudenau, drei beachtliche und schöne Bahnen, siechen dahin und gehen einer unsicheren Zukunft entgegen, auch wenn sich eine Handvoll Enthusiasten verzweifelt um das Gegenteil bemüht. Schon in den letzten Jahrzehnten lebte der Rennsport in Wahrheit vom Elan einiger Idealisten, die insgesamt ein paar hundert Pferde im Training hielten; immer gab es zwanzig, dreißig Amateure, die für Gottes Lohn beim Training halfen und dabei viel lernen konnten; es gab Rennpreise – viel zu niedrige – und hin und wieder einen internationalen Achtungserfolg, die zusammen für etwas Motivation sorgten. Aber sogar die gab’s nicht gratis, sie musste erarbeitet und mehr oder weniger ehrlich erkämpft werden. Es gab viel Arbeit, dafür wenig Lohn; es gab viel Spaß, dafür wenig mediales Lob; es gab gute Freunde – und jede Menge Halunken und Deppen. Es war die Welt im Kleinen, ein hippologischer Mikrokosmos, ein Panoptikum – aber es war wenigstens!

Heute? Alles weg; keine Preise, keine Pferde, kein Personal, keine wirtschaftliche Perspektive mehr. Rennsport - nicht wichtig genug den Protagonisten der Publikums-Sportarten und Architekten des hippologischen Verfalls, der hohen Politik zu wenig lukrativ oder prestigeträchtig, den Medien zu wenig spektakulär. In jenen Zeiten, als der österreichische Rennsport mehrfach auf Messers Schneide stand, trat man nicht zusammen, um ihn geeint zu retten, sondern bekämpfte sich gegenseitig. Der bekannte austro-kanadische Milliardär konnte seine hochfliegenden Pläne außerhalb Wiens nur einige wenig lukrative Saisonen lang verwirklichen; sein Millionenprojekt wurde Ende 2014 zu Grabe getragen, als er öffentlich bekanntgab, den defizitären Bahnbetrieb nicht mehr aufrechtzuerhalten und die Besitzervereinigung AROC in letzter Sekunde das völlige Aus verhinderte. Die traurige Wahrheit ist: Österreichs Rennsport ist letztlich an sich selbst und an der eigenen Uneinigkeit gescheitert – nicht am Internet, das das Wettgeschäft ruinierte, nicht am übermächtigen Ausland und auch nicht an den Tierschützern, die uns die Freude am Pferdesport vermiesen wollen. In den entscheidenden Momenten suchte man nicht nach gemeinsamen Lösungen und nach Möglichkeiten, Macht, Einfluss und Chancen fair zu verteilen – sondern folgte egoistisch der eigenen Sturheit und Profilierungssucht. So gibt es am Ende nur Verlierer.

Ein Bekenntnis der Politik, dass unser traditioneller Rennsport zu erhalten sei, fehlt bis zum heutigen Tag – und damit auch die Rahmenbedingungen, um ihn wirtschaftlich lebensfähig zu erhalten. So blieben auch der Zucht Erfolge und Absatzmärkte weitgehend versagt; sie wollte auch gar nicht mit dem „gemeinen Warmblut“ in einen Topf geworfen werden. Vollbluthengste blieben als Veredler die Ausnahme, obwohl ohne sie eine moderne Sportpferdezucht kaum machbar ist. Jedenfalls genoss das Vollblut hierzulande eher den Ruf des billigen, schwächlichen Spinners als den des genialen Vielseitigkeitspferdes mit Veredlerqualitäten, wie das in Irland, Frankreich oder Großbritannien (oder Österreich-Ungarn vor 1918) der Fall ist und war. Zeitgleich und gemeinsam taumelten so Vollblut-Sport und -Zucht in eine Abwärtsspirale, die ihr vorläufiges Ende im totalen Versagen aller Systeme gefunden hat.

Doch man darf sich trösten: Natürlich wird es weiterhin Rennen für Galopper geben, heuer noch eine Handvoll, für Traber ein Mehrfaches davon. Ob die Freudenau als Austragungsort je wieder einen Huftritt spüren wird, bleibt offen; das Magna Racino wird nur ein Minimalprogramm bieten können – und die Krieau wohl langfristig in ein Freizeit- und Veranstaltungsgelände mit angeschlossenem Rennbetrieb mutieren. Die Pferde werden eventuell aus dem benachbarten Ausland kommen oder aus den Boxen einiger weniger Trainer, die nicht flüchten können oder wollen. Haben wir es wirklich nicht gewollt, die edlen Vollblüter (und Traber) zu bewahren und den spannenden Rennsport seriös zu führen, oder war das Wollen wie so oft einfach nicht genug? Waren uns die prachtvollen Anlagen der Freudenau und Krieau als Naherholungsgebiete, Sportstätten und Arbeitsplätze wirklich so wurscht? Es muss wohl so gewesen sein. Am Vollblut-Pferd scheiden sich hierzulande die Geister – es wird in die Vergessenheit gespart, soviel steht fest. Der sportliche, volkswirtschaftliche und züchterische Schaden ist kaum messbar, aber dafür umso gewisser. Dies ist im journalistischen Sinne ein Gastkommentar. Eigentlich ist es ein Nachruf.                     

Martin Haller

Martin Haller ist Fachjournalist & Buchautor und betreibt einen Pferdehof in der Steiermark.

Kommentare

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1) conversanotimbro: Lieber Martin - hoffentlich hast Du Unrecht. Totgesagte leben Länger sagt die Überlieferung. Rund um Österreich funktionieren die Rennen gar nicht so schlecht. Nähe Pressburg ist eine der grössten Rennbahnen Europas entstanden welche immer mehr von Österreichern besucht und auch benutzt wird (Samorin):
Sonntag, 28. August 2016
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