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Interview: "Das Herpesvirus ist ein Meister beim Betrügen der Immunität"
28.07.2016 / News

Tierärztin Dr. Sonja Berger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Tierärztin Dr. Sonja Berger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. / Foto: Felizitas Steindl/Vetmeduni Vienna

Auch dieses Jahr sind in Österreich und Deutschland Fälle des Equinen Herpes-Virus 1 (EHV-1) aufgetreten. Tierärztin Dr. Sonja Berger von der Vetmeduni Wien verrät, welche Vorsichtsmaßnahmen empfehlenswert sind und ob eine Impfung sinnvoll ist.

 

ProPferd: Fr. Dr. Berger, nach neuerlichen EHV-1-Infektionen in diesem Jahr in Österreich und auch in Deutschland fragen sich viele Pferdebesitzer: Wie kann ich meine Pferde vor dieser gefährlichen Erkrankung schützen – zumal man immer wieder liest, dass bis zu 90 % aller Pferde diesen Virus in sich tragen?

Dr. Berger: Es stimmt – abhängig vom Bestand kann fast jedes Pferd latent mit Equinen Alpha-Herpesviren (Type 1 und 4) infiziert sein; d.h. es trägt diese Erreger quasi ,im Schlafzustand' in sich, ohne sichtbare klinische Symptome zu entwickeln. Sobald das Tier allerdings in Stresssituationen gerät, und/oder das Immunsystem geschwächt wird, kann es sowohl zur Reaktivierung mit Ausscheidung der Viren über die Nasensekrete und Infektion von Kontaktpferden als auch zum Ausbruch einer Herpeserkrankung bei dem betroffenen Tier selbst kommen.

ProPferd: Ein effektiver Schutz ist also fast nicht möglich – weil das Virus schon da ist...?

Dr. Berger: Man kann sehr wohl Schutzvorkehrungen treffen. Aufgrund der erwähnten latenten Infektion mit Equinen Herpesviren ist vor allem auf ein starkes und intaktes Immunsystem zu achten, um ein plötzliches Aufflammen der Infektion zu verhindern. Daher sollte man etwa Fütterungs- oder Haltungsfehler, aber auch unnatürliche Belastungen und extreme Stresssituationen vermeiden.

ProPferd: Welche Pferde sind denn besonders gefährdet?

Dr. Berger: Vor allem Fohlen und Jungtiere sind aufgrund ihrer unreifen körpereigenen Immunabwehr anfällig für diese Infektionen. Bei einer EHV-1  Infektion der tragenden Stute kommt es oft zu Spätaborten im letzten Trächtigkeitsdrittel, zu Totgeburten oder zur Geburt lebensschwacher Fohlen. Todesfälle bei älteren Fohlen kommen kaum vor, zumeist treten respiratorische Symptome auf (Atemwegserkrankungen), die wieder abklingen, in deren Folge die Tiere aber lebenslange Virusträger sind. Abwehrstoffe (Antikörper) im Blut des Muttertieres können aufgrund der so genannten „Plazentaschranke“ das sich in der Gebärmutter entwickelnde Fohlen nicht erreichen. Das bedeutet, dass ein Fohlen praktisch ohne körpereigene Abwehrkräfte zur Welt kommt, und somit auf einen „passiven Immuntransfer“ via Kolostralmilch angewiesen ist. Dies gilt fast für alle Infektionserkrankungen, nur ist bei EHV leider der Wert der Antikörper beschränkt. Es ist vor allen die zelluläre Immunität, die die größte Rolle spielt bei der Beschränkung der Symptomatik, aber diese ist nicht einfach zu messen. Das Herpesvirus ist ein Meister beim Betrügen der Immunität, es hat so seine Tricks, um die Immunantwort zu behindern oder in die Irre zu führen. Das ist der Grund, weshalb auch infizierte Pferde mehrmals durch das latente eigene Herpesvirus oder durch einen neuen kursierenden Stamm erkranken können. Schlussendlich schaffen sie es dann doch, die Infektion zu meistern, aber die latente Infektion bleibt ein Leben lang. Es wurden schon in  Lymphknoten von Pferden unterschiedliche EHV-1 Stämme isoliert. Diese Eigenschaften des EHV-1 machen es um vieles schwieriger, eine gute Immunität zu erzeugen als z.B. gegen ein einfacheres Virus wie Influenza.

ProPferd: Ist eine Impfung denn überhaupt sinnvoll?

Dr. Berger: Eine Impfung kann eine Erkrankung zwar nicht verhindern, wohl aber den klinischen Verlauf (d.h. die Schwere der Krankheitserscheinungen) einer Infektion mit EHV-1 und/oder EHV-4  abmildern. Abortus und neurologische Symptomen sind die Erscheinungen einer Infektion wogegen einen Schutz gefragt ist. Es gibt direkte Beweise dafür, dass die Herpesimpfung gegen Abortus schützt. Die neurologischen Symptomen treten längst nicht bei alle infizierten Pferden auf. Es gibt aber indirekte epidemiologischen Daten die stark vermuten lassen dass die Impfung auch die neurologisches Symptomen verhindern oder beschränken kann.

Für die Impfung gegen EHV-1 sind modifizierte lebende Virus Vakzinen und inaktivierte Vakzinen am Markt. In Theorie sollte die lebende Vakzine besser wirken, dabei ist die Restvirulenz noch ein nicht völlig geklärtes Problem, und vor Jahren wurde eine Vakzine deswegen vom Markt genommen. Bei der ersten Impfung ist zu empfehlen, auf einen Kombinationsimpfstoff zu verzichten.

ProPferd: Stimmt es, daß seit dem Vorjahr keine EHV-Impfstoffe mehr erhältlich sind? Und wenn ja – wie sollen Pferdebesitzer damit umgehen, welche Alternativen haben sie?

Dr. Berger: Impfstoffe können derzeit im Ausland bestellt werden (BioEquine H), es handelt sich um eine Lebendvakzine mit inaktiviertem Herpesvirus.

ProPferd: Man hört immer wieder, dass nicht alle Pferde die Impfung gut vertragen....

Dr. Berger: Impfen ohne Impfreaktion ist unmöglich, aber eine Impfreaktion soll sich binnen akzeptabler Grenzen halten. Bei Feldversuchen wird manchmal 1-2 Tage leichtes Fieber wahrgenommen. Geringe Schwellung der Impfstelle kann auch vorkommen, die sollte in einigen Tagen abgeklungen sein.  Bei richtiger Impftechnik kommt es selten zu einem Abszess.

ProPferd: Macht eine Impfung Sinn, wenn im Stall bereits die Infektion ausgebrochen ist?

Dr. Berger: Keinesfalls. Wenn ein Ausbruch bereits da ist, kommt eine Impfstrategie schon zu spät. Ein Tier soll mindestens 2 x geimpft sein, bevor mit einigem Schutz zu rechnen ist. Wenn eine Infektion ausgebrochen ist, dann ist die räumliche Trennung des/ der erkrankten Pferde(s) und absolute Hygiene oberstes Gebot, um weitere Infektionen zu verhindern – von der Reinigung und Desinfektion der Hände, Schuh-/ und Kleiderwechsel etc. Die Virusübertragung erfolgt sowohl über die Luft (Tröpfcheninfektion), als auch über direkten und indirekten Kontakt (Kleidung, Schuhe, Hände, Arbeitsgerätschaften, Eimer, Tränkebecken etc.). Es wird eine generelle Quarantänezeit von 28 Tagen empfohlen.

ProPferd: Was ist also Ihre Empfehlung – sollen Pferdebesitzer ihre Tiere nun impfen lassen oder nicht?

Dr. Berger: Das ist – nach Rücksprache mit dem Tierarzt – immer im Einzelfall zu entscheiden, eine generelle Empfehlung kann man seriöserweise nicht geben. Zu berücksichtigen sind vor allem der vorherrschende Infektionsdruck, die generelle Verfassung des Tieres – und die Chance auf Kontakt mit Ausscheidern. Impfen ist daher immer auch eine strategische Entscheidung. Obwohl es Bestände gibt, worin bis zu 80% der Pferde latente Virusträger sind, gibt es auch Bestände in denen weniger als 25% latent infiziert sind. Tiere, die bereits eine Herpesinfektion durchgemacht haben, verfügen über eine mehr oder weniger belastbare Immunität.  Bei Fohlen können maternale Antikörper den von einer Impfung gewünschten Immunitätsaufbau bis zum 6. Lebensmonat behindern. Also macht ein Impfprogram nur Sinn bei Fohlen die älter sind als 6 Monate. 

Ein Impfprogram soll sich nach Risikoeinschätzungen für einen Bestand richten. Bei Zuchtbetrieben ist das eher der EHV-1 Abort. Dabei sollten die trächtige Stuten ab dem 5.Monat geimpft werden.  Das gängige Impfschema zur Grundimmunisierung und Auffrischung hinsichtlich EHV 1/ 4 sieht etwa folgendermaßen aus:

– Trächtige Stuten: 12 – 3 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin
– Fohlen von nicht geimpften Müttern bzw. ohne ausreichende Kolostralmilchaufnahme: ab dem 4. / 5. Lebensmonat.
– Fohlen von geimpften Müttern: im 8. / 10. und 14. Lebensmonat und in weiterer Folge alle 6 Monate.

ProPferd: Wir danken sehr herzlich für das Gespräch.

Das Interview mit Dr. Sonja Berger führte Leopold Pingitzer.


Für weitere Fragen stehen die MitarbeiterInnen der Universitätsklinik für Pferde der Vetmeduni Vienna gerne zu Verfügung!

Universitätsklinik für Pferde, Interne Medizin Pferde:
Veterinärplatz 1, 1210 Wien, Österreich
Tel.: +43 1 25077-5520
E-Mail: pferdeklinik@vetmeduni.ac.at

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