News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Umstrittenes OGH-Urteil: Überzogene Verwahrungspflicht des Pferdehalters
29.07.2016 / News

Dr. Peter Lechner ist Rechtsanwalt und gerichtlich beeideter Sachverständiger in Innsbruck.
Dr. Peter Lechner ist Rechtsanwalt und gerichtlich beeideter Sachverständiger in Innsbruck. / Foto: privat

Der Oberste Gerichtshof hat vor kurzem die Haftung einer Pferdehalterin festgestellt, obwohl das Pferd als ruhig und unproblematisch galt und der Halterin kein subjektives Verschulden anzulasten war. Rechtsanwalt Dr. Peter Lechner sieht das Urteil kritisch – hier sein Kommentar.

 

Mit Urteil OGH 25.5.2016, 2 Ob 70/16 g, hat der Oberste Gerichtshof wohl eine Erfolgs-, nicht aber – wie bisher – eine Gefährdungshaftung des Pferdehalters unterstellt und damit das Haftungsrisiko für den Pferdehalter weit überzogen!

Ausgangspunkt war, dass eine versierte Reiterin ihre zum Vorfallszeitpunkt 13-jährige Haflingerstute, die sie bereits 4-jährig gekauft und ausgebildet, auch auf Turnieren und Messen vorgestellt und laufend geritten hat, nach dem Reiten ordnungsgemäß mit Stallhalfter und Führstrick auf eine nicht eingezäunte Wiese zum Grasen geführt hat. Die bis dato völlig unauffällige, ruhige und unproblematische Stute hat sich – aus nicht festgestellten Gründen – losgerissen und ist in der Folge mit einem Rollerfahrer kollidiert.

Das Erstgericht hat eine Haftung der Pferdehalterin ausgesprochen und damit begründet, dass dieser ein Sorgfaltsverstoß deshalb anzulasten sei, weil sie „im Wissen, dass jedes Pferd durchgehen könne“, die Stute nicht auf eine Wiese zum Grasen führen hätte dürfen, „wo mangels Zaunes der Fluchtweg offen sei und das Pferd überdies bei der Flucht einen von Kraftfahrzeugen benützten Weg ‚queren‘ könne“, und zwar ausdrücklich unter Bedachtnahme darauf, dass die Stute als nicht schreckhaftes Tier bekannt war.

Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen und darauf verwiesen, dass „in der konkreten Situation die Verwahrung der an sich gutmütigen und auch an Straßenverkehr und Verkehrslärm gewöhnten Stute durch die Pferdehalterin ordnungsgemäß sei, es immer wieder vorkomme, dass Pferde auch von erfahrenen Reitern nicht unverzüglich unter Kontrolle gebracht werden könnten“ und darauf Rücksicht genommen werden müsse, dass die Sorgfaltspflichten eines Pferdehalters nicht überspannt und dadurch das Halten von an und für sich ungefährlichen Haustieren unmöglich gemacht würde. Der Unfall sei durch eine äußerst unglückliche Verkettung der Umstände passiert.
Mit dem eingangs zitierten Urteil hat der Oberste Gerichtshof aber diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes verworfen und eine für Tierhalter und Praktiker schlichtweg nicht nachvollziehbare Argumentation für die Annahme einer Haftung der Tierhalterin geführt:

Zunächst wird im zitierten Urteil darauf verwiesen, dass gemäß § 1320 ABGB für den Fall, dass jemand durch ein Tier beschädigt wird, derjenige dafür verantwortlich ist, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, sei verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er „für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte“. Nachfolgend wird – durchaus zutreffend! – darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung „das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung nicht überspannt werden“ dürfe und vom Tierhalter nicht eine Verwahrung von in der Regel gutmütigen und ungefährlichen Haustieren verlangt werden könne, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließt. Vielmehr müssten jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können. Dabei habe der Tierhalter die objektiv erforderliche Sorgfalt einzuhalten und auch zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhalten hat. Wenn ihm dieser Beweis nicht gelinge, hafte er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten, weil die besondere Tiergefahr dadurch berücksichtigt werde, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt werde.

Augenscheinlich aufgrund einer völligen Verkennung der Natur der Pferde und der praktischen Pferdehaltung verweist der OGH in seinen Schlussfolgerungen darauf, dass „aufgrund des unberechenbaren Verhaltens von Pferden als Fluchttiere Pferde (auch angesichts ihrer Größe und des dadurch gegebenen Risikos eines Schadens) nicht als ungefährliche Haustiere angesehen werden“ könnten. Obwohl die Pferdehalterin im vorliegenden Fall ihr Pferd beaufsichtigt habe, könne sie das aber insofern nicht entlasten, „als das Ausbrechen eines Pferdes niemals ausgeschlossen werden“ könne und ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes nicht möglich sei. Die Tierhalterin habe „mit der zur Verhinderung einer Schädigung Dritter unzureichenden Beaufsichtigung des Pferdes nicht bewiesen, dass sie für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Pferdes gesorgt hätte. Dazu wäre nach den angeführten Entscheidungen eine ausreichende Umzäunung der Wiese erforderlich gewesen.“

Im Succus bedeutet diese Argumentation, dass ein Führen eines Pferdes – noch dazu gleichgültig, ob am Halfter mit Führstrick oder Kette oder mit Reithalfter – für den Fall, dass das Pferd sich – aus welchen Gründen immer – losreißt und ein Mensch verletzt wird, eine Haftung des Tierhalters begründet, wenn keine Umzäunung vorhanden ist, und zwar selbst dann, wenn das Pferd bis dorthin völlig unauffällig war.

Eine derartige Ausdehnung der Tierhalterhaftung ist einzigartig und wohl auch nicht vertretbar; denn damit wird die Gefährdungshaftung, die bis dato auch vom Obersten Gerichtshof judiziert worden ist, zur reinen Erfolgshaftung. Wie kann ein Pferd verladen, auf die Koppel gebracht oder vorgeführt werden, wenn jedes Mal eine Umzäunung errichtet werden muss?

Die Entscheidung widerspricht aber auch den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs selbst, wo er doch zunächst darauf verweist, dass das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung nicht überspannt werden und vom Tierhalter nicht eine Verwahrung von in der Regel gutmütigen und ungefährlichen Haustieren verlangt werden dürfe, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließe und es nur jene Vorkehrungen benötige, die unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können.

Bei der Beurteilung des Risikos beim Halten von Pferden ist davon auszugehen, dass die rund 120.000 Pferde, welche in Österreich gehalten werden (Quelle: Pferd Austria, 2014), wohl nicht per se als gefährliche Haustiere angesehen werden dürfen. Vergleicht man nämlich diese Anzahl von gehaltenen Pferden mit der Zahl der durch Pferde verursachten Unfälle, so kann daraus wohl nur der Schluss gezogen werden, dass Pferde grundsätzlich als ungefährliche Haustiere gesehen werden können, weil das mit ihnen verbundene Risiko in der Praxis beileibe nicht so groß ist, wie es der OGH augenscheinlich unterstellt.
Auch kann der Argumentation dahingehend nicht gefolgt werden, dass Pferde unberechenbares Verhalten zeigen würden; denn grundsätzlich sind Pferde berechenbar, sonst wären ja weitaus mehr Unfälle mit ihnen festzustellen und wäre auch eine Ausbildung per se nicht möglich. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang wohl auf die im Rahmen der Hippotherapie oder in der Jugendausbildung oder gar beim Behindertenreiten eingesetzten Pferde – Ein Einsatz gerade in diesen Bereichen wäre bei der vom OGH eingenommenen Beurteilung gänzlich auszuschließen!

Seinen mangelnden Zugang zur Pferdehaltung beweist der zuständige Senat wohl, wenn er ausführt, dass ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes nicht möglich sei; denn in der Praxis ist dies dahingehend zu relativieren, dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob ein Pferd zurückgehalten werden kann oder nicht. Es gibt in der Praxis zahlreiche Beispiele, wo ein Durchgehen von vornherein verhindert wird. Ich bin mir auch sicher, dass es vielen Pferdehaltern gelungen ist, ein durchgehendes Pferd zu parieren.  

Negiert wird in der Entscheidung aber vor allem, dass – wie vom OGH selbst zitiert! – jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden müssen, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können. Wie diese nach der bisherigen gesicherten Rechtsprechung mit der gegenständlichen Entscheidung des OGH ins Einvernehmen zu bringen ist, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, nachdem die Stute festgestellterweise „bis zum Unfall keine Untugenden zeigte und sich auch bei Trubel ruhig und unproblematisch verhielt“. In der einschlägigen Fachliteratur wird das Führen eines Pferdes mit Stallhalfter und Führstrick nur dann als nicht ausreichend beschrieben, wenn besondere Gründe vorliegen, eine stärkere Einwirkung auf das Pferd zu haben. Dies wäre beispielsweise bei heftigen Pferden, bei wiederholtem Durchgehen oder bei besonderem Trubel gefordert. Der festgestellte Sachverhalt, wonach es sich um eine erfahrene Pferdehalterin, ein ruhiges und ausgeglichenes und ebenso ausgebildetes Pferd handelt, welches nach dem Reiten, also nach ausreichender Bewegung, auf eine Wiese geführt wird, hätte wohl keinen auch noch so erfahrenen Pferdehalter veranlasst, ein anderes Verhalten zu zeigen.
Bei Anlegung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs ist nach den allgemein üblichen Regeln und Verhaltensweisen zu urteilen. Sie sind daher jedenfalls von der Pferdehalterin eingehalten worden, weil wohl alle anderen Pferdehalter in dieser Situation gleich gehandelt hätten und keinerlei pferdetechnische Regel anderes Verhalten verlangt hätte.

Die besprochene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zeigt, wie wichtig es ist, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, aber auch in derartigen Fällen darauf zu bestehen, einen Sachverständigen beizuziehen, um Zugangsdefizite der Richter ausgleichen zu können. Niemand, der mit Pferden zu tun hat, würde Pferde als „gefährliche Haustiere“ bezeichnen. Vielmehr wird jeder, der Pferde kennt, bestätigen, dass diese grundsätzlich gutmütig und kalkulierbar sind, auch wenn – durch ihre Natur als Fluchttiere – dies nicht durchgehend zugrunde gelegt werden kann. Auch hätte wohl kein normaler Pferdehalter anders gehandelt, als dies von der zur Haftung verurteilten Pferdehalterin an den Tag gelegt worden ist.

Eigenartig erscheint aber auch, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil auf viele Entscheidungen verweist, nicht aber auf die Entscheidung 2 Ob 8/94 (2 Ob 9/94), deren Rechtssatz wie folgt lautet:

„Das Scheuen, Aufbäumen oder gar Durchgehen eines Pferdes, alles Umstände, die auch beim Führen am Halfter durch eine erwachsene Person niemals mit Sicherheit ausgeschlossen werden können, rechtfertigt für sich allein jedenfalls nicht die Annahme auffallend sorglosen Verhaltens des Pferdeführers.“  

RA Mag. Dr. Peter Lechner, Innsbruck

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
1) Moonlight59: Ja, es musste so kommen. Und ja, es war eigentlich schon überfällig. Der ganze Schwachsinn musste irgendwann hochkochen und in einem tragisch-komisch-traurigen Finale furioso eskalieren. Die Zeichen an der Wand waren da, aber blieben im Zuge des rauschenden Festes ungesehen. Sie begannen alle ähnlich: Zuerst hinterfragten ein paar wohlmeinende Menschen, ob die Fiakerpferde so viel misten müssen, dann kamen Verordnungen zur Beseitigung ihrer Rossknödel und in ein paar Jahren wird es sie nicht mehr geben - dann karren wir die Touris halt in Rikschas durch Wien. Und ja, das Ende des Rennsports (blöd, grad jetzt diese Unfälle in Deutschland) war auch klar, denn kein Verantwortlicher will bis heute seinen Wert erkennen. Auch die Wiener Hofstallungen mussten ruiniert, anstatt wieder einem sinnvollen hippologischen Zweck zugeführt zu werden. Eine berittene Polizei wieder einführen? Unmöglich, die armen Gauner könnten sich durch das große, unberechenbare Pferd ja bedroht fühlen und wegen psychischer Probleme Unsummen einklagen. Auch die deutsche Pferdesteuer wird zu uns kommen - sobald man sie beim großen Nachbarn durchgefochten hat. Dort haben Pferde eine ziemliche Lobby und es geht nicht so glatt wie erhofft - doch gemach, die Mühlen mahlen bereits. Mit diesem OGH-Urteil ist ein weiterer, großer Schritt zur Demontage des Pferdes als Freizeitpartner, Haus- und Nutztier, Sportkamerad und Begleiter des Menschen getan. Vernünftige Lösungen mit Augenmaß und Sachverstand herbeizuführen, ist offenbar unmöglich - aber wenn die Pferde einmal weg sind, sind das ja keine Themen mehr. Wir haben unsere Köpfe 40 Jahre in den Sand gesteckt und geglaubt, für s fesch herumreiten würde man uns und unsere Pferdln auf ewig super finden... leider ein Irrtum! Man demontiert grad eifrig weiter - wird Zeit, dass wir das Wort Lobby zu buchstabieren lernen.
Donnerstag, 15. September 2016

Weitere Artikel zu diesem Thema:

30.06.2016 - OGH-Urteil: Pferdehalterin haftet auch ohne subjektives Verschulden
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen