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Gähnen Pferde, weil es ihnen schlecht geht?
24.08.2016 / News

Häufiges Gähnen könnte auf eine nicht pferdegerechte Haltungsform hinweisen, so eine französisch-polnische Forschergruppe.
Häufiges Gähnen könnte auf eine nicht pferdegerechte Haltungsform hinweisen, so eine französisch-polnische Forschergruppe. / Foto: Fotolia/dmussman

Laut einer aktuellen Studie könnte häufiges Gähnen bei Pferden auf Stress und auf unzureichende Haltungsbedingungen hinweisen – und damit ein Indikator für mangelndes Pferdewohl sein.

 

Gähnen ist sowohl unter Menschen als auch unter Tieren weit verbreitet – dennoch gibt es erstaunlich wenig gesichertes Wissen über Ursachen und Funktion des Gähnens. Näher mit dem Thema beschäftigt sich seit einigen Jahren eine Gruppe französischer und polnischer Forscher, die schon im Jahr 2011 mit ihren Untersuchungsergebnissen für einiges Aufsehen gesorgt haben. Die Wissenschaftler rund um Carole Fureix der Universität Rennes untersuchten damals im Rahmen der Studie „Cooccurrence of Yawning and Stereotypic Behaviour in Horses (Equus caballus)" den Zusammenhang zwischen Gähnen und unerwünschten, stereotypen Verhaltensweisen wie z. B. dem Koppen oder Weben bei Pferden, die in Reitställen in Boxen gehalten werden. Tatsächlich konnte sie einen derartigen Zusammenhang nachweisen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht: Pferde, die an Stereotypien leiden, gähnten auch signifikant öfter als Pferde ohne derartige Verhaltensstörungen. Zudem traten häufigeres Gähnen und stereotypes Verhalten weitgehend zeitgleich auf – und die Häufigkeit des Gähnens zeigte eine deutliche Übereinstimmung mit der Häufigkeit stereotyper Verhaltensweisen. Diese Studie sorgte vor allem deshalb für Gesprächsstoff, weil nicht nur ein Zusammenhang zwischen einer nach wie vor weit verbreiteten Haltungsform (der Boxenhaltung) und Verhaltensstörungen hergestellt wurde, sondern das Gähnen gleichsam als sichtbares Zeichen für größeren Stress (als Folge sozialer Isolation bzw. einer nicht pferdegerechten Haltungsform) interpretiert werden konnte. Kann sich Stress bei Pferden also auch durch häufiges Gähnen bemerkbar machen – und ist häufiges Gähnen daher gleichsam ein Symptom für Pferde, die unter erhöhtem Stress leiden bzw. sich nicht wohlfühlen? Und sind wild- bzw. freilebende Pferde tatsächlich weniger von all diesen Phänomenen betroffen?

In ihrer aktuellen Studie sind die französisch-polnischen Forscher diesen Fragen nachgegangen. Aleksandra Górecka-Bruzda, Carole Fureix, Anne Ouvrard, Marie Bourjade und Martine Hausberger haben im Rahmen ihres Forschungsprojekts insgesamt drei verschiedene Hypothesen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft:

1) Gähnen Hauspferde tatsächlich öfter als Ergebnis ihrer Domestizierung bzw. ihrer modernen Haltungsbedingungen?

2) Gähnen Pferde, die größerem sozialen Stress ausgesetzt sind, tatsächlich öfter als Pferde mit geringerem sozialem Stress?

3) Gähnen männliche Pferde häufiger als weibliche?

Um diese Hypothesen zu überprüfen, beobachteten die Forscher 19 Przewalski-Pferde in einem 280 ha großen Reservat in Frankreich, wo diese weitgehend unbehelligt von menschlichen Einflüssen lebten. Dabei griffen die Wissenschaftler auch auf Daten aus einer Studie des Jahres 2007 zurück und werteten diese neu aus. Zusätzlich analysierten sie die Verhaltensweisen von 16 Hauspferden unterschiedlicher Rassen, die in Gruppen im Freien gehalten wurden.

Die Ergebnisse waren durchaus interessant:

– Es zeigte sich keinerlei Unterschied in der Häufigkeit des Gähnens zwischen den Przewalski-Pferden und den Hauspferden.

– Die Przewalski-Pferde zeigten ein erheblich höheres Niveau an sozialen Interaktionen als die Hauspferde.

– Es konnte eine klare Korrelation zwischen der Häufigkeit des Gähnens und der Häufigkeit aggressiver Verhaltensweisen bei den Przewalski-Pferden nachgewiesen werden, insbesondere bei männlichen Tieren. Dies unterstützt die Interpretation, daß das Gähnen mit aufregenden bzw. stressbehafteten sozialen Situationen in Verbindung steht.

– Es konnte außerdem eine deutliche Korrelation zwischen der Häufigkeit des Gähnens und dem Auftreten von sogenanntem ,Anschluss-Verhalten' bei Hauspferden festgestellt werden. ,Anschluss-Verhalten' verfolgt den Zweck, mit anderen Individuen eine Verbindung herzustellen bzw. eine Allianz zu bilden – bei Pferden äußert sich dies u. a. durch die enge Annäherung an andere Pferde mit nach vorn gerichteten Ohren oder auch durch gegenseitige Fellpflege. Diese Entdeckung könnte darauf hinweisen, daß das Gähnen in einen sozialen Kontext eingebunden ist.

– Nicht zuletzt zeigte sich, daß Hengste – nicht jedoch Wallache – in beiden Testgruppen deutlich häufiger gähnen als Stuten, was darauf hindeutet, daß die Intensität sozialer Interaktionen ein wichtiger Auslöser dieser Verhaltensweise ist. Gähnen könnte, so die Forscher, gleichsam eine Übersprungshandlung sein, um Spannungen abzubauen. Erwachsene Hengste gähnen häufiger als Stuten oder auch heranwachsende Hengste.

Die Resultate der Studie belegen, daß unter natürlichen Bedingungen das Gähnen bei Stuten und bei Wallachen nur selten auftritt – und zwar nur 0,07 Mal pro Stunde, sowohl bei den Przewalski-Pferden als auch bei den Hauspferden. Betrachtet man jedoch nur erwachsene Hengste der beiden Populationen, dann entspricht die Häufigkeit des Gähnens weitgehend jenem Niveau, das bei der Studie im Jahr 2011 bei Stuten und Wallachen gemessen werden konnte, die in Boxen gehalten wurden. Verglichen mit den Stuten und Wallachen der aktuellen Studie war die Häufigkeit des Gähnens jedoch 60 Mal (!) größer – was frappierend ist und wohl nur durch die drastischen Unterschiede in den Haltungsbedingungen zwischen wild- bzw. freilebenden Pferden sowie den Pferden in Boxenhaltung erklärbar ist.

Das Resümee der Wissenschaftler: „Wie schon frühere Arbeiten gezeigt haben, könnte Gähnen durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, etwa einen höheren Testosteron-Level oder – gleichzeitig bzw. unabhängig davon – durch sozialen Stress als Folge von aggressiven Verhaltensweisen, insbesondere zwischen männlichen Tieren. In der vorliegenden Studie wurden Pferde untersucht, die unter weitgehend natürlichen Bedingungen leben konnten – und es scheint, daß Testosteron tatsächlich einer der Hauptauslöser für das Gähnen ist, während Situationen der Erregung – mehr noch als sozialer Stress – ein weiterer auslösender Faktor für ein häufigeres Gähnen bei männlichen Tieren sein könnten, weil diese auch dann gähnten, wenn sie nicht in soziale Konflikte verwickelt waren."

Die Forscher weiter: „Weil häufigeres Gähnen auf die größere Frustration bei Pferden in Boxenhaltung zurückgeführt wurde, könnte das deutlich seltenere Gähnen bei Pferden unter natürlichen Haltungsbedingungen als Zeichen größeren Wohlbefindens interpretiert werden, da sie in ungestörten sozialen Gruppen auch ihre natürlichen Verhaltensweisen und -bedürfnisse besser befriedigen können. Wenn Pferde in ihrer täglichen Umgebung besonders häufig gähnen, sollte das die verantwortlichen Personen aufmerksam machen und Anlass für Veränderungen sein, um das Wohl ihrer Pferde zu verbessern."

Die Studie „Investigating determinants of yawning in the domestic (Equus caballus) and Przewalski (Equus ferus przewalskii) horses" von Aleksandra Górecka-Bruzda, Carole Fureix, Anne Ouvrard, Marie Bourjade und Martine Hausberger wird in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift ,The Science of Nature' erscheinen und kann in vollständiger englischer Fassung hier online nachgelesen werden.

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