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Gastkommentar: Die Spanische Hofreitschule muss Kritik annehmen können
02.11.2016 / News

Zu allen Zeiten hat es bessere und schlechtere Vorführungen an der Spanischen Hofreitschule gegeben – doch die Mängel häufen sich und sollten Anlass für eine gründliche interne Analyse sein, so Martin Haller.
Zu allen Zeiten hat es bessere und schlechtere Vorführungen an der Spanischen Hofreitschule gegeben – doch die Mängel häufen sich und sollten Anlass für eine gründliche interne Analyse sein, so Martin Haller. / Foto: Birgit Popp

Der Bericht des ORF-Magazins „Thema“ über die Spanische Hofreitschule hat einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob sich – infolge des wirtschaftlichen Drucks – auch ein Qualitätsverlust bei den Vorführungen eingestellt hat. Leider wurde diese zweifellos wichtige und ernste Frage nur unzureichend beantwortet – und der Zuschauer mit einer wenig befriedigenden Gegenüberstellung sowohl der Pro- als auch der Kontra-Stimmen alleingelassen.

Selbstverständlich kann man einen Qualitätsverlust schlicht in Abrede stellen – wie dies zuletzt Dr. Peter Lechner in einem Gastkommentar getan hat. Doch damit macht man es sich doch ein bißchen zu einfach – und verhindert vor allem eine differenzierte, tiefergehende Diagnose. Denn meiner Meinung nach besteht sehr wohl die Gefahr, daß sich in den Vorführungen Qualitätsmängel eingeschlichen haben, die – wenn sie nicht erkannt und konsequent abgestellt werden – tatsächlich zu einem schwerwiegendem Problem werden und dem Ruf des Instituts nachhaltig schaden können.

Da ist auch der Vergleich mit anderen klassischen Reitinstituten wenig zielführend. Wir alle haben deren Vorführungen schon gesehen und festgestellt, dass es z. T. markante Unterschiede in Reitweise, Auffassung und Darstellung gibt. Diese ergeben sich aus der unterschiedlichen Zielsetzung der Institute, der Mentalität von Reitern und Pferden und der gewählten Form der Selbstdarstellung etc. Der direkte Vergleich ist eine „Lüge in den eigenen Sack“ – denn es geht bei einer „klassischen“ Tätigkeit (Musik, Tanz, Reitkunst, Malerei etc.) um eine möglichst kunstvolle, allgemein anerkannte Ausführung. Dass andere Reitinstitute eventuell größere Schwächen oder weniger Stärken aufweisen als das Wiener, mag uns trösten, entbindet aber nicht von der Verpflichtung, welche mit dem Begriff „klassisch“ einhergeht.

Die Kritik und die warnenden Hinweise werden übrigens nicht nur vom „Freundeskreis“ geübt, aber dieser hat aufgrund seiner Medienpräsenz inzwischen eine Art Monopol-Stellung in Sachen Kritik eingenommen und ist gleichsam in eine Querulanten-Schublade gesteckt worden, in die er eigentlich nicht gehört (und in der er auch gar nicht sein will). Das ist zweifellos eine bedauerliche Entwicklung: Man sollte im Sinne einer Objektivierung auch neue Stimmen zulassen und anhören, die eventuell fachlich fundiert, aber dennoch objektiv und unparteiisch, zu den Vorkommnissen Stellung nehmen. Leider entsteht aufgrund des vehementen Engagements des „Freundeskreises“ und seiner Verbindung zu OB Klaus Krzisch eine „schiefe Optik“.

Zweifellos hat es zu allen Zeiten und in jeder noch so glanzvollen „Ära“ der Spanischen Hofreitschule bessere und schlechtere Vorführungen gegeben. Pferde sind – selbst wenn sie vorzüglich und profund ausgebildet sind – keine Maschinen, sie haben, wie wir Menschen auch, bessere und schlechtere Tage und sind nicht immer gleichermaßen konzentriert und leistungsfähig. Es muss uns also nicht beunruhigen, wenn einmal eine Levade nur kurz gehalten oder eine Kapriole nicht gänzlich ausgesprungen werden kann. Es geht eben nicht um einzelne unglückliche „Momentaufnahmen“ – sondern es geht um das Gesamtbild, das sich aus all diesen Momentaufnahmen zusammenfügt. Und dieses Gesamtbild ist – wenn man tatsächlich den höchsten Maßstab der Ausführung anlegt, den die klassische Reitkunst gebietet – nicht mehr bzw. nicht immer so erstklassig, wie es sein sollte.

Ich bin seit nunmehr fast drei Jahrzehnten ein durchaus interessierter Beobachter der Spanischen, habe immer wieder Vorführungen und öffentliche Auftritte besucht – und wurde in den letzten Jahren zusehends irritierter. Dieser Irritation wollte ich auf den Grund gehen – und habe intensiv Aufnahmen aller verfügbaren Medien (Filme, Videostreams, Fotos) gesichtet und versucht, diese emotionslos zu beurteilen. Mein Befund: Es sind für mich merkliche Einbußen in der Qualität des Reitens festzustellen – das sage ich ganz subjektiv aus tiefster Seele heraus. Folgende Lektionen habe ich in mangelhafter Ausführung beobachtet – in einer Häufigkeit, die über zufällige „unglückliche Momentaufnahmen“ deutlich hinausgeht und jedenfalls Anlass für eine gründliche interne Analyse sein sollte: Pirouetten zu groß, nicht am inneren Hinterbein, herumgeworfen. Spungwechsel nicht durchgesprungen, nicht bergauf und schwunglos, mitunter willkürlich in der Abfolge (2er, 3er… usw.). Piaffen und Passagen ausdruckslos und mit Taktfehlern behaftet, hinten zu hoch, stark beigezäumt. Levaden zu steil nur als Pesaden, unwillig, kurz und schief; Kapriolen hastig vorweggenommen und stark schief; Courbetten scheinen selten zu sein, dann aber oft schief bzw. verdreht und in wenigen Sprüngen (vier bis fünf energische Sprünge sollten es schon sein, zwei oder drei matte sind eher wenig…). Der starke Trab wirkt gelaufen und eng im Rahmen, die Hinterhand steif. Allgemeine Probleme, die sich nahezu dauernd durch die Vorführungen ziehen, sind: Schweifschlagen und –kurbeln bei vielen Hengsten und über längere Zeit; Anlehnungsprobleme bis zur Widersetzlichkeit, Überzäumen etc. und damit verbunden sichtbare Handeinwirkung – auch am Langen Zügel, dem Knackpunkt dieses Themas. Es kommt zum Scheuen, Buckeln oder ungewollten Gangartwechseln, also Einspringen aus den Trabverstärkungen etc. Die Hengste wirken mitunter spannig oder unrittig. Einige Pferde verweigern sich, wirken überfordert; so am Internet ein noch grauer Hengst, der Schulsprünge an der Hand zeigen sollte, aber über einige halbe Tritte an der Wand nicht hinauskommt. Ein Hengst zeigte in „Alle Gänge und Touren“ unreinen, klar zum Pass verschobenen Schritt. Der Satz Xenophons, ein Pferd müsse durch gutes Reiten schöner (stolzer, vitaler) wirken, ist hier nicht immer verwirklicht.

Warum und wie es zu einer solchen Häufung von Mängeln (in Training und Ausbildung?) kommen konnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Den wirtschaftlichen Druck infolge der Privatisierung allein dafür verantwortlich zu machen, scheint mir kein ausreichender Grund – auch früher gab es Sparzwänge und Budgetknappheit. Bedeutsamer scheint mir, was Oberbereiter Klaus Krzisch in seinem bemerkenswerten ProPferd-Interview andeutete: Daß es innerhalb des Bereiter-Teams zu einer Lager-Bildung gekommen ist (Unterstützer und Gegner des ,neuen’ Managements), was die interne Kommunikation verschlechtert und dazu geführt hat, daß reiterliche Korrekturen nur noch lager-intern erfolgen, aber nicht mehr lager-übergreifend. Auch die Freistellung von zwei erfahrenen Oberbereitern hat sich zweifellos nachteilig auf die Kommunikationskultur und die Weitergabe reiterlicher Erfahrungen ausgewirkt.

Sollte dieser Befund zutreffen, dann kann sich die Spanische einen solchen Zustand jedenfalls nicht lange leisten. Eine Schule – hier eine Akademie – hat eine bedeutende Vorbildwirkung und kann sich dieser Verantwortung schwer entziehen. Daher unterliegt sie vor allem der inneren Leistungsanforderung, die alle ökonomischen Interessen überwiegen muss. Verliert sie ihren eigenen Anspruch auf höchste Perfektion, dann ist sie per se keine Akademie mehr, sondern ein Unternehmen am freien Markt, dem keinerlei Sonderstellung mehr zukommt. Der Nimbus und die besondere Aura des Instituts wären unwiderruflich dahin. Will man das wirklich riskieren?

Man fragt sich, warum die Schule nicht aus Eigeninteresse eine offene Diskussion anstrebt, sondern sich auf die gebetsmühlenartige Negierung der vermeintlichen Mängel zurückzieht. Es gibt heute Videokorrektur für jedermann in privaten Ställen; warum nicht Kontroll-Filme unabhängigen Experten zeigen? Es gibt hervorragende Ausbildner, die sicher gerne ihr durchaus klassisches Wissen und Können einbrächten; warum werden sie nicht konsultiert? Man sollte die „nicht-öffentliche“ Arbeit endlich reformieren und intern ein Klima der Transparenz und Offenheit schaffen. Und man sollte endlich aufhören, sich selbst zu belügen, sondern jede berechtigte Kritik annehmen und darauf offen und ehrlich reagieren. Unberechtigte Kritik würde sich rasch von selbst ad absurdum führen. Für Wehleidigkeit und Selbstzufriedenheit aber ist die Spanische und ihre einzigartige Mission, Bewahrerin der klassischen Reitkunst zu sein, viel zu schade…
Martin Haller

Martin Haller ist Fachjournalist & Buchautor und betreibt einen Pferdehof in der Steiermark.

Kommentare

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2) Philipp Quehenberger: Nachdem ich am 18. 12. 2016 in Salzburg die Vorstellung der Spanischen Hofreitschule besucht habe, ist mein Eindruck zumindest in der Tendenz ähnlich dem obigen Kommentar. Die Show wird zwar sehr gut präsentiert, aber die Qualität der vorgestellten Reitkunst ist dennoch kritikwürdig:
Ohne jetzt jedes Detail zu hinterfragen, möchte ich nur ein für mich gravierendes Beispiel herausgreifen: Das große Solo – geritten auf blanker Kandare – wurde auf einem Hengst gezeigt, dessen Stirn-Nasenlinie sich durchgehend bis zum Ende seiner Vorstellung und z.T. deutlich, immer hinter der Senkrechten befand. In der Trabverstärkung konnte man nicht einmal den Ansatz einer Rahmenerweiterung erkennen!
Pferdefreundliches Reiten in Losgelassenheit war das nicht. Es wundert mich daher auch nicht, dass man zwar sehr viel Schweifschlagen sah, aber dafür etliche Übungen die geforderte Präzision vermissen ließen. Über die Gründe für diese deutlichen Mängel in der Gymnastizierung kann nur spekuliert werden.
Resümee: Wir sahen nicht die Philharmoniker, sondern das Landesorchester (das sind aber immer noch sehr gute Musiker).
Dienstag, 20. Dezember 2016
1) balubalu: Ein hochinteressanter Artikel und wirklich sehr profund im Inhalt. Leider vermag ich die berechtigte oder auch unberechtigtigte Kritik nicht nachvollziehen, was mangels echtem Wissen der klassischen Reitkunst in meiner Person liegt. Jedenfalls ist es sicher zu begrüßen wenn es einen offenen Dialog von Kritikern und Management bzw. Bereitern gibt, der aber intern ausgetragen werden sollte um nicht die Institution als gesamtes zu schwächen. Ein öffentlicher Diskurs kann hier meiner Meinung nach wesentlich mehr Schaden anrichten als eine Task Force die intern arbeitet und um eine gemeinschaftliche Verbesserung bemüht ist.
Mittwoch, 2. November 2016
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