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Die Amish People in den USA: ein Leben im Takt der Pferde
06.07.2017 / News

Im Leben der Amischen spielen Pferde eine zentrale Rolle und sind der wichtigste ,Energielieferant
Im Leben der Amischen spielen Pferde eine zentrale Rolle und sind der wichtigste ,Energielieferant'. / Foto: Horst Springer
In den USA leben heute ca. 300.000 Amische – ihre typischen Kutschen und Gespanne sind in ihren Wohngebieten ein alltäglicher Anblick.
In den USA leben heute ca. 300.000 Amische – ihre typischen Kutschen und Gespanne sind in ihren Wohngebieten ein alltäglicher Anblick. / Foto: Horst Springer
In den Wägen der Amischen werden auch technische Neuerungen eingebaut: So gibt es u. a. eingebaute Heizungen mit Propangas, Dosenhalter und unzerbrechliche Plexiglas-Scheiben.
In den Wägen der Amischen werden auch technische Neuerungen eingebaut: So gibt es u. a. eingebaute Heizungen mit Propangas, Dosenhalter und unzerbrechliche Plexiglas-Scheiben. / Foto: Horst Springer
Selbst für anspruchsvolle Transportaufgaben kommt keine andere ,Zugmaschine
Selbst für anspruchsvolle Transportaufgaben kommt keine andere ,Zugmaschine' als das Pferd in Frage. / Foto: Horst Springer
Eigene Verkehrsschilder weisen auf die zahlreichen Kutschen der Amish People im Straßenverkehr hin.
Eigene Verkehrsschilder weisen auf die zahlreichen Kutschen der Amish People im Straßenverkehr hin. / Foto: Horst Springer

Die christliche Religionsgemeinschaft der Amischen führt in den USA ein Leben abseits der modernen Zivilisation – ohne Elektrizität, Fernsehen und Autos. Ihre Kultur wird von strengen Regeln und tiefem Glauben getragen – und Pferde spielen darin eine zentrale Rolle: Sie sind als Arbeits- und Transportmittel unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags. Ein Reisebericht von Horst Springer.

 

Wir haben auf unserer Reise durch die USA in unserem Spezialauto auch ein Gebiet besucht, in dem viele Amish People leben. Zu unserem großen Erstaunen haben sie wirklich noch viele alte Technologien und Lebensweisen behalten und verweigern die meisten so genannten „technischen Errungenschaften“. Als Pferdefreunde war für uns besonders bemerkenswert, dass hier, mitten im ultramodernen Amerika, viele Menschen noch ohne Autos auskommen und tatsächlich fast alle Arbeiten und Transporte mit Pferden erledigen. Sie leben in einer zeitlichen und technologischen Parallel-Welt, die für Außenstehende beinahe absurd anmutet, aber dennoch für ihre „Insassen“ gut funktioniert.

Die Amischen (englisch Amish ['aːmɪʃ]) sind eine protestantische Glaubensgemeinschaft mit  Wurzeln in Mitteleuropa, vor allem der Schweiz und Süddeutschland. Von der Hauptgruppe der Mennoniten spalteten sich die Amischen oder Amish People im Jahr 1693 ab. Sie leben heute in 28 Staaten der USA und im kanadischen Ontario, in ca. 420 Siedlungen und 1800 Gemeinden. Amische führen ein stark auf Landwirtschaft beruhendes Leben und sind bekannt dafür, dass sie viele moderne Techniken ablehnen. Neuerungen nehmen sie nur nach sorgfältiger Prüfung der Auswirkungen an. Sie legen großen Wert auf die Familie, mit klar vorgegebenen Geschlechterrollen, und die Gemeinschaft und Abgeschiedenheit von der Außenwelt. Sie stammen überwiegend von Südwestdeutschen oder Deutschschweizern ab und sprechen untereinander meist Pennsylvania-Deutsch. Im Englischen wird das „A“ des Namens wie das deutsche „A“ hell ausgesprochen – nicht „Ämisch“.

Der Name „Amische“ bzw. „Amish People“ entwickelte sich aus dem Nachnamen von Jakob Ammann, der Gemeindeleiter einer Mennoniten-Gemeinde im Elsass war und sich 1693 vom Hauptzweig der Mennoniten lossagte. Ammann hatte unter anderen spezifische Ansichten über die Führung der Gemeinden und betonte sehr strenge Kleidungsregeln und den Bart bei Männern.  Viele Amische wanderten im 18. Jahrhundert nach Pennsylvania in Nordamerika aus, um dort den in großen Teilen Europas anhaltenden Verfolgungen zu entgehen. In Nordamerika fanden sie gute Bedingungen vor, wogegen in Europa ihre Zahl immer weiter schrumpfte. Die Amischen leben nicht in geschlossenen Siedlungen bzw. Dörfern, doch gibt es Gebiete, in denen sie überwiegen und wo sie die Landschaft prägen – aber fast immer leben sie eng neben „englischen“ Nachbarn. Insgesamt gab es 2015 etwa 300.000 Amische.

Das Markenzeichen dieser Menschen ist ihre tiefe Gläubigkeit und konservative Haltung. Dabei sind sie durchaus tüchtig und strebsam – aber ohne sich von Gier und Sucht beeinträchtigen zu lassen. Erwachsene (getaufte oder verheiratete) Männer tragen einen Vollbart ohne Schnurrbart; Frauen tragen ein Häubchen aus Organzastoff und darüber beim Ausgehen noch eine dunkle Stoffhaube . Die klassische Kopfbedeckung der Männer zur Arbeit und an Werktagen ist der Strohhut. Am Sonntag wird ein schwarzer Filzhut getragen. Amish-Kleidung ist einfach, die Haushalte besitzen mit Ausnahme einiger New-Order-Gemeinden keinen Anschluss an das Elektrizitätsnetz, sondern verwenden gasbetriebene Lampen oder erzeugen etwas eigene Elektrizität. Batterien sind erlaubt, mancherorts wird Hydraulik genutzt. Nach den Regeln ist es verboten, sich vor der Kamera zu präsentieren, man darf Fotos aber zulassen. Um 1900 kam das Auto in Mode, weil es sich nun breitere Schichten mit dem preiswerten Ford „Modell T“ leisten konnten. Die Amischen reagierten darauf mit einem Verbot, weil das Auto es dem Einzelnen erlaubte, sich außerhalb des Kontroll- und Sichtbereiches der Gemeinde aufzuhalten. Zudem wurde es als unnötiges Statussymbol angesehen, als ein weltliches „schnelles Element“. Stattdessen behielten sie Pferd und Wagen…

Die leichten Kutschen für den Personenverkehr, von den Amischen mundartlich als „Wägglis“ bezeichnet, sind eines der bekanntesten Elemente ihrer Kultur und gehören baulich zum Typ „Buggy“. Eine Fahrt mit einem Buggy gehört für viele Touristen  zu den Attraktionen im Gebiet zwischen Lancaster County und Nappanee, Indiana. Die Kutsche bedeutet für die Amischen weit mehr als nur ein einträgliches Tourismus-Geschäft, sie erfüllt vielfältige Funktionen im Alltagsleben. Da die Religion den Besitz von Autos verbietet und sie Autos daher nur selten und als Beifahrer benutzen, ist das Wäggli ihr wichtigstes Fortbewegungsmittel. Zum Besuch der sonntäglichen Gottesdienste, für Einkäufe, Familienfeiern oder Krankenbesuche bei Nachbarn oder Verwandten werden die Buggys verwendet. Auch für Transporte in der Landwirtschaft und im Lastenverkehr  – sogar für Großvieh, werden pferdegezogene Wägen verwendet. Anders als ein Auto schränkt die von Pferden gezogene Kutsche die Mobilität ein, was durchaus gewollt ist. Man bleibt automatisch in der näheren oder weiteren Umgebung der eigenen Gemeinde, deren Mitglieder häufig Nachbarn und Verwandte sind. Mit ihrer Schlichtheit, ihrer geringen Geschwindigkeit und ihrer überwiegend gleichförmigen Bauweise erscheinen diese Kutschen mit ihrer Gelassenheit und bedächtigem Lebensrhythmus als radikaler Gegenentwurf zur Welt ihrer automobilisierten „englischen“ Nachbarn.

Die jeweilige Kutschen-Bauweise ist innerhalb einer amischen Gemeindegruppe für getaufte Mitglieder vorgeschrieben. Eigenmächtige Änderungen werden lediglich gegenüber Jugendlichen vor ihrer Taufe toleriert. Doch auch hier gibt es innerhalb der unterschiedlichen Gemeinden erhebliche Unterschiede. Die Hersteller dieser eigenwilligen, aber sehr praktischen Wägen gehen einerseits mit der Zeit und bauen andererseits durchaus technische Neuerungen ein. Es gibt sogar eingebaute Heizungen mit Propangas, Dosenhalter und unzerbrechliche Plexiglas-Scheiben. Andererseits müssen sie auch den landesweiten Gesetzen folgen und die Vorschriften für Pferdekutschen im öffentlichen Verkehr berücksichtigen. So werden z. B. schon in viele Buggys elektrische Bauteile eingefügt, wo Lampen etc. einfach Vorschrift sind und die alten Kerosin-Laternen von progressiven Amischen nicht mehr verwendet werden.
Die Amischen alter Ordnung fahren Kutschen, die grau, schwarz, gelb, weiß oder braun sind, deren Räder meist Stahlreifen haben und keine Gummibereifung (einige Untergruppen erlauben dies), was ebenso für den Einsatz von Traktoren (zumeist im stationären Betrieb) gilt, aber auch auf Fahrräder (verboten im Lancaster County, erlaubt in den meisten Siedlungen außerhalb Lancaster).

Man nimmt gerne Auto-Bremsen, wenn auch nur älterer Bauart, die gerne aus alten VW-Modellen auf Schrottplätzen ausgebaut werden. Diese alten Trommel- oder einfachen Scheibenbremsen sind ideal für die leichten Kutschen, kosten nichts und halten lange. Zudem fallen sie nicht sehr auf – man will die moderne Technik möglichst verbergen. Ein Buggy-Hersteller erzählte, dass heute 90 % aller Wägen mit einem „Armaturenbrett“ versehen sind, was wir auch live sehen konnten. Auf einer kleinen Konsole sitzen die einfachen Bedienungselemente, wo man Lichter, Blinker und anderes schalten kann. Die Elektrik wird mit Batterien gespeist, die man in jedem Baumarkt bekommt; ein Ladezyklus hält ca. zwei, drei Stunden vor. Auf längeren Fahrten werden einfach ein paar Reservebatterien mitgeführt.

Der Wagenkasten – früher ganz aus Holz – ist heute überwiegend aus Fiberglas und wird in eigenen Fabriken in Teilen vorgefertigt. Auch Holz- und Alu-Komponenten kommen zum Einsatz, die Endfertigung wird in den eigenen Amish-Werkstätten vorgenommen. Man setzt vorwiegend leichte Materialien ein, die aber lange haltbar sein müssen. Eichenholz in dünnen Rahmen und Platten, mit Leder oder Planen bespannt; Leichtmetall-Tritte und Räder; Polyester für Sitze und Aufbauten. Der neueste Trend ist thermisch behandeltes Holz, das extrem trocken und fast unverrottbar ist. Es wird so stark erhitzt, dass es quasi trocken gebacken ist und ewig hält. Konservativere Gemeindegruppen bevorzugen zudem ein betont schlichtes Erscheinungsbild bei ihren Fahrzeugen. Traditionelle Amische verweigern beispielsweise die für die Mehrheit typischen, witterungsbeständigen PVC-Verdecke oder Plexiglas-Scheiben. Gleiches gilt auch für die seitlich angebrachten Schiebetüren. Neben ihrer Funktion als Witterungsschutz bieten diese beim Ein- und Ausstieg auch einen gewissen Komfort – und sind daher abzulehnen.

Die Kosten eines neuen Buggys liegen bei rund 5.000,– bis 8.000,– US-Dollar; dafür halten die Wägen aber bei guter Pflege auch rund 20 bis 30 Jahre. Dann ist eine Überholung nötig, oder man kauft einen neuen. Wenn ein junger Amish-Mann 16 Jahre alt wird, bekommt er meist, analog zum typischen Amerikaner, der ein Auto bekommt, einen Buggy mit Pferd. Den darf er dann etwas sportlicher aufputzen, mit Aufklebern oder Lichterketten. Ältere Männer, die der Gemeinde dauerhaft beigetreten sind, bevorzugen schwarze oder graue Kutschen und einfache Ausführungen. Daher gibt einen schwunghaften Handel mit gebrauchten Buggys, die dann renoviert werden und einen hohen Verkaufswert haben. Manche Familien besitzen einige verschiedene Modelle für unterschiedliche Zwecke und Bespannungen; sogar kleine Sulkys für schnelle Fahrten gibt es – für junge Draufgänger. Viele Buggys werden mehrmals renoviert oder umgebaut und sind 50 Jahre oder mehr in Gebrauch.

Es gibt viele Dutzend amische Gemeinschaften, die sich voneinander unterscheiden, insbesondere durch die unterschiedliche Akzeptanz technischer Neuerungen oder Strenge der Lebensform. Es lohnt sich, mit ihnen zu reden und sich über ihr Leben zu unterhalten. Sie sind wirklich nett und freuen sich, interessierten Besuchern Auskünfte zu erteilen. Besonders, wenn sie mit Touristen Deutsch sprechen können.

Die Amish People, aus den USA und Kanada, haben über die Jahre ihre Arbeitspferde-Geschirre und alle Ackergeräte ständig weiterentwickelt, dabei stand Tierschutz und Funktionalität immer im Vordergrund. Daraus hat sich ein einfaches und praktisches System entwickelt, das perfekt auf die Bedürfnisse im landwirtschaftlichen Einsatz abgestimmt ist. Damit betreiben sie eine auf Pferdekraft beruhende, nachhaltige Landwirtschaft, die sogar rentabel ist – eine in hohem Maße erstaunliche Leistung im technisierten und digitalisierten Zeitalter des 21. Jahrhunderts.

Ein Bericht von Horst Springer erzählte, aufgeschrieben von Martin Haller.

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