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Leichttraben – leicht für den Reiter oder leicht für das Pferd?
25.07.2017 / Wissen

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Abbildung-9.jpg:

Leichttraben ist eine Technik, die es ermöglicht, über längere Strecken und auch im höheren Tempo komfortabel zu traben. Wie einfache biomechanische Experimente zeigen, entscheidet vor allem die Haltung des Oberkörpers darüber, ob das Leichttraben eher „leicht für den/die Reiter/In" oder eher „leicht für das Pferd" ist.


In der Theorie ist alles ganz einfach: Beim Leichttraben – oder auch ,Englisch Traben' genannt – sitzt der Reiter bei einem Trabtritt ein und beim nächsten Trabtritt steht er im Bügel. Der Wechsel zwischen Aufstehen und Einsitzen erfolgt jeweils in der Übergangsphase von einer Diagonalen zur nächsten. Der Reiter sollte nur so weit aufstehen wie es nötig ist. Das Einsitzen sollte weich und geschmeidig sein. Da das diagonale Beinpaar mehr belastet wird, auf dem der Reiter einsitzt, ist es besonders bei längeren Ritten ratsam, durch „Umsitzen“ oder „Umstehen“ das Beinpaar regelmäßig zu wechseln.

Besonders beim Ausreiten aber auch beim Aufwärmen des Pferdes wird es gerne angewandt. Leichttraben erfüllt hier für Reiterin und Reiter den Zweck nicht jeden Trabtritt aussitzen zu müssen – was bei längeren Trabpassagen, zum Beispiel im Gelände, sehr anstrengend sein kann. Also könnte man nun die im Titel gestellt Frage dahingegen beantworten, dass Leichttraben eine „Erleichterung für Reiterin und Reiter“ wäre.     

Nun, ganz so einfach ist es nicht! Stellt man nämlich die im Titel erwähnte Frage in einer Runde von Reiterinnen und Reitern, so erhält man meist unisono die Antwort: „Natürlich sollte es leicht für das Pferd sein“. Verständlich, will doch niemand dafür verantwortlich sein, durch seine Reittechnik sein Pferd zu überlasten. Im Gegenteil – gerade im Freizeitbereich steht die Gesunderhaltung des Pferdes an erster Stelle. Darüber hinaus wird auch in der Ausbildung von jungen Pferden – „Remonten" –  „leicht getrabt“. Hier hat es einen ganz besonderen Stellenwert.

Folgen wir nun einmal der Prämisse, dass es  „leicht für das Pferd sein sollte“. Um Klarheit zu bekommen, wollen wir das Leichttraben vom Standpunkt der Biomechanik und der Bewegungslehre aus analysieren.
 
Leichttraben: die Technik vom Standpunkt der Bewegungslehre und Biomechanik

Für unsere Analyse genügt es, ein paar leicht verständliche Gesetze der Mechanik zu erläutern und diese auf das Leichttraben anzuwenden. Dazu gehört vor allem die Wirkung der Schwerkraft in Zusammenhang mit der Frage des Gleichgewichtes. Am leichtesten kann man die Zusammenhänge verstehen, wenn man selbst ein paar kleine  Experimente macht.

Für die Experimente brauche Sie ein paar Gegenstände, die leicht aufzutreiben sind. Wählen Sie eine ähnlich sichere Umgebung wie in Abbildung 1 (und auch im untenstehenden Video) beschrieben ist.

Abbildung 1

Abb. 1

Umgebung und Utensilien für die Experimente:
Sie benötigen eine Latte (ca. 60 cm lang, 2 cm hoch und 4 cm breit) und eine etwas höhere Sitzgelegenheit. Stellen Sie sich mit Ihren Fußballen etwa hüftbreit auf die Latte. Platzieren Sie die Sitzgelegenheit so, dass die Kante senkrecht über der Ferse ist. Die Fersen dürfen den Boden nicht berühren.

Die Aufstellung entspricht in etwa der Situation im Sattel, mit der Ausnahme und Erleichterung, dass die Latte unbeweglich ist, während die Steigbügel schwingen können.

Und nun zum ersten Experiment ...

Abbildung 2

Abb. 2

Experiment 1
Setzen Sie sich auf die Vorderkante (wichtig!!) der Sitzgelegenheit, die Fußballen sind auf der Latte und versuchen Sie nun, wie es in vielen Reitvorschriften gefordert wird, mit einigermaßen senkrechtem Oberkörper aufzustehen. Wenn Sie den Oberkörper wirklich senkrecht halten, werden Sie nicht aufstehen können und immer wieder auf die Sitzgelegenheit zurückfallen – und das ziemlich unsanft. Versuchen Sie auch aus dem Stehen sich mit senkrechtem Oberkörper niederzusetzen - auch das wird ihrem Rücken nicht gut tun. Stellen Sie sich vor, was dabei ihr Pferd empfindet.

Die Frage ist nun: warum schaffen Sie es, am Pferd im Trab mir senkrechtem Oberkörper aufzustehen und nicht bei unserem Experiment?  

Die Biomechanik liefert die Erklärung: beim Stehen handelt es sich mechanisch gesehen um ein sogenanntes „labiles“ Gleichwicht. Das heißt, wir benötigen für ein dauerhaftes Stehen eine mehr oder weniger große Stützfläche  und müssen danach trachten, unseren Schwerpunkt  senkrecht über dieser Fläche zu halten. Die gedachte Senkrechte durch den Schwerpunkt nennt man Schwerlinie. Bleibt die Schwerlinie innerhalb der Unterstützungsfläche, so können wir stehen, wandert sie nach außen, so fallen wir um. Umgekehrt kann man sagen, wenn man im Gleichgewicht bleiben kann, dann muss der Schwerpunkt senkrecht oberhalb der Unterstützungsfläche sein.

Abbildung 3

Abbildung 4Abb.4

Venya, unser Fotomodell, kann in Abbildung 3 dauerhaft stehen bleiben, weil ihr Schwerpunkt senkrecht über den Ballen und somit über der Latte ist. Die Schwerlinie trifft die Stützfläche. Venya kann in Abbildung 4 zwar sitzen, aber aus dieser Haltung nicht aufstehen, da ihr Schwerpunkt nicht über der Stützfläche ist. Er liegt einige Zentimeter dahinter. Die Schwerlinie trifft nicht die Stützfläche. Versucht sie aufzustehen, fällt sie zurück, wie im Video gesehen werden kann und wie Sie es sicherlich auch selbst ausprobiert haben.    

Wiese kann man also am Pferd mit senkrechtem Oberkörper „Leicht Traben“ und im unserem Experiment 1 nicht? Die Antwort liegt beim Pferd und im wahrsten Sinne des Wortes auch „auf der Hand“: Entweder lässt sich die Reiterin oder der Reiter vom Pferderücken nach oben vorne werfen oder er oder sie zieht sich über den Zügel nach vorne - auch eine Kombination aus beiden wäre möglich. Beim Hinsetzen mit senkrechtem Oberkörper ist es für das Pferd noch unangenehmer: die Reiterin oder der Reiter fällt unweigerlich zurück und belastet erheblich den Rücken des Pferdes. Dies kann sogar wesentlich mehr sein, als bei einem schlechten Aussitzen. Hält sie oder er sich am Zügel fest ist das auch nicht sehr angenehm für das Pferd.

Das „Werfen lassen“ lässt sich im Experiment nicht so leicht nachstellen - das „Ziehen am Zügel“ jedoch schon. Damit Sie erfühlen können, mit welcher Kraft Sie am Zügel anziehen müssen, um überhaupt aufstehen zu können, führen sie das Experiment 2 durch:

Abbildung 5

Abb. 5

Experiment 2
Setzen sie sich mit senkrechtem Oberkörper, so wie in Experiment 1,  an die Kante der Sitzgelegenheit. Nehmen sie einen Zügel oder einen Führstrick in die Hand und bitten sie einen Helfer diesen zu halten. Bleiben Sie nun mit dem Oberkörper aufrecht und ziehen sich, langsam beginnend, damit Ihre Hilfskraft nicht aus der Balance kommt, am Zügel hoch. Der Oberkörper bleibt stets senkrecht. Wenn Sie zum Stehen gekommen sind, setzen Sie sich, wieder mit senkrechtem Oberköper langsam nieder. Damit Sie nicht ruckartig nach hinten fallen, benötigen Sie wieder den Gegenzug durch Ihren Helfer.  

Wenn sie das Experiment 2 ausführen, werden Sie erfühlen, mit welcher Kraft sie am Zügel ziehen müssen um überhaupt aufzustehen zu können und dass auch die Kräfte groß sind, wenn sie sich „sanft“ hinsetzen und dem Pferd nicht in den Rücken fallen wollen. Sie sollten es unbedingt ausprobieren! Die gleiche Kraft, die sie aufwenden um Aufstehen zu können, spürt das Pferd im Maul – kein Wunder also, dass die Pferde bei dieser Technik nicht nachgeben, sondern sich gegen die harte Einwirkung wehren.

Durch welche Technik kann man nun aufstehen ohne „geworfen“ zu werden oder am Zügel zu ziehen und mit welcher Technik kann man erreichen, dass man sich kontrolliert und „sanft“ hinsetzten kann?

Die Lösung ist leicht zu erarbeiten. Sie müssen nur die Vorstellung eines senkrecht gehaltenen Oberkörpers aufgeben. Im Experiment 3 zeigen wir Ihnen zuerst eine Übung, wie sie vom „Vollsitz“ mit aufrechtem Oberkörper zum balancierten Sitz über den Steigbügeln mit vorgeneigtem Oberkörper kommen und wieder zurück zum „Vollsitz“ kommen:

Abbildung 6

Abb. 6

Experiment 3
Setzen Sie sich wieder, wie im Experiment 1, mit aufrechtem Oberkörper an die Kante der Sitzgelegenheit. Beugen Sie nun langsam Ihren Oberkörper so weit nach vorne, bis Sie spüren, dass Ihr Gewicht über Ihren Ballen ist. Dann können Sie aufstehen. Bleiben Sie aber stets in der Balance über Ihren Ballen. Der Übergang zum Vollsitz erfolgt in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst balanciert über den Ballen hinsetzen und erst dann den Oberkörper wieder zum „Vollsitz“ aufrichten.

Nun ist es zur eigentlichen Lösung, die  eines balancierten Leichtrabens mit sanftem Hinsetzen nicht mehr weit.

Abbildung 7

Abb. 7

Experiment 4: Aufstehen und Hinsetzen in Balance
Bringen Sie nun, wie im Experiment 3 beschrieben, durch Vorbeugen des Oberkörpers ihr Gewicht über den Ballen. Stehen Sie nun rhythmisch, immer in Balance über Ihren Ballen, langsam auf und setzen Sie sich wieder sanft auf die Kante ihrer Sitzgelegenheit. Stehen Sie dann gleich wieder auf und setzten sie sich wieder nieder ... usw. Bleiben Sie stets mit dem Oberkörper so weit vorne, dass Sie beim Auf und Nieder nicht aus dem Gleichgewicht kommen.

Mit Hilfe dieser Technik können Sie Tempo und Höhe des Aufstehens und Hinsetzens frei wählen. Sie haben nun die Kontrolle über Ihre Bewegung.

Sie sollten unbedingt Experiment 4 ausprobieren und fühlen, wie Sie dadurch stets im Gleichgewicht über ihren Ballen sind und Tempo und Höhe des Aufstehens und Hinsetzens frei wählen können. Sie können sich entweder mit vollem Gewicht hinsetzen oder aber beim Hinsetzen den Tiefpunkt des Sattels auch nur zum Teil belasten.

Noch eine kurze Bemerkung zur Oberköpervorlage von Venya in der Abbildung 6 und 7: Der Grad der Vorlage hängt von der Sattelgeometrie ab. Wir haben hier bewusst einen größeren Abstand zwischen Ballenpunkt und Sitzfläche gewählt um im Experiment die Unterschiede zwischen nicht balanciertem und balanciertem Leichttraben deutlich zu machen.

Warum gelingt es mit dieser Technik in der Balance zu bleiben und bei der Technik mit senkrechtem Oberkörper nicht? Die Biomechanik hat eine Erklärung dazu:

Abbildung 8

Abb. 8

Betrachten wir Abbildung 8.: Nina zeigt hier ein Leichttraben mit weitgehend senkrechtem Oberkörper. Unschwer ist zu erkennen, dass ihr Schwerpunkt in keiner Phase über den Bügeln ist. Ihr Pferd muss sie also nach oben werfen. Stehend ist auch aus der Balance. Würden wir von ihr verlangen stehen zu bleiben – sie könnte es nicht. Oder vielleicht doch? Dann aber nur durch ziehen am Zügel. Nicht sehr angenehm für das Pferd.

Abbildung 9

Abb. 9

In Abbildung 9 zeigt Nina, wie sie ihr Pferd in diesem „rückenentlastenden Sitz“ leicht trabt.  Sowohl in der Phase des Einsitzens als auch in der des Stehens bleibt der Oberkörper so weit vorgeneigt, dass der Schwerpunkt immer über den Steigbügeln bleibt. Damit kann sie während des gesamten Trabzyklus stets balanciert aufstehen und sich wieder „sanft“ hinsetzen. Würden wir von Ihr verlangen, stehen zu bleiben – sie hätte kein Problem damit. Der Schwerpunkt ist ja über den Bügeln und somit ist sie in Balance. Diese Art des Leichttrabens schont den Pferderücken und das Pferdemaul.

Eines ist sicher: Sie als Reiterin oder Reiter werden dabei konditionell mehr gefordert als beim Leichttraben mit senkrechtem Oberkörper.

Um technisch richtig „rücken- und maulschonend“ leicht zu traben ist es notwendig einige wichtige Muskelgruppen, wie zum Beispiel die „Reitmuskulatur“ speziell zu schulen. Eine Anleitung dazu findet man im Buch „Setz Dich in Bewegung, Funktionelles Bewegungstraining für Reiter“.   

Abb. 10

Besonders bei jungen Pferden sollte man darauf achten, „rücken- und maulschonend“ leichtzutraben. Deshalb nennt man diese Art des Leichttrabens auch „Remonten-Leichttraben“ oder „Rückenschonendes Leichttraben“.

Die eingangs gestellte Frage, ist Leichttraben leicht für das Pferd oder leicht für den Reiter, kann man nun folgendermaßen beantworten:  Trabt man mit senkrechtem Oberkörper  so muss das Pferd, um es umgangssprachlich zu formulieren,  mehr arbeiten. Wir nennen diese Form „Rücken- oder Maul belastendes Leichttraben“. Balanciert sich der Reiter durch Vorneigen des Oberkörpers über den Steigbügeln aus, so muss der Reiter, wiederum umgangssprachlich ausgedrückt, mehr arbeiten. Diese Form ist „leichter für das Pferd“ und „schwerer“ – im Sinne von anstrengender – für den Reiter.

Entscheiden Sie selbst, was Sie für Ihr Pferd richtiger finden.
Josef Kastner, Matthias Einzinger

ZU DEN AUTOREN
Dr. Josef Kastner (www.kastnermotion.com)
Studium der Leibesübungen und Leibeserziehung und Biologie und Erdwissenschaften. Spezialgebiete: Biomechanik und Bewegungslehre im Sport, Klinische Bewegungsanalyse Pferd, Ganganalyse im humanmedizinischen Bereich. Seminare, Vorträge und Aus- und Weiterbildung in „Biomechanik und Bewegungslehre Pferd und Reiter“. Buchmitautor: „Selbstgeführtes Bewegungstraining für Reiter“ (1992), „Setz Dich in Bewegung, Funktionelles Bewegungstraining für Reiter“ (2015).

Matthias Einzinger B.A.
Ausgebildet unter anderem an der Spanischen Hofreitschule Wien, anschließend Studium der Anglistik, BWL und Latinistik in Bamberg (D). Arbeitet seit 2007 als selbständiger Reitausbilder in Österreich und Deutschland. Er lässt moderne Erkenntnisse aus Biomechanik und Bewegungslehre in seinen Unterricht mit einfließen und verhilft Reitern zu einer präzisen und optimal getimten Hilfengebung in allen Gangarten und Lektionen bis hin zur hohen Schule.

 

Zum leichteren Nachvollziehen der beschriebenen Experimente haben wir auch das folgende Video mit dem Titel „Experimente zum Leichttraben“ angefertigt – viel Spaß beim Nachmachen & Üben!

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