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Behindern Gebisse Pferde beim Atmen?
02.09.2017 / News

Die Verwendung von Gebissen kann nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Atmung von Pferden deutlich beeinträchtigen, so das Resümee der neuseeländischen Forscher.
Die Verwendung von Gebissen kann nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Atmung von Pferden deutlich beeinträchtigen, so das Resümee der neuseeländischen Forscher. / Symbolfoto: Julia Rau/Archiv
Pferde verschließen bei starker Bewegung das Maul, um das Eindringen von Luft in den Mundraum zu verhindern – der so erzeugte Unterdruck stabilisiert den weichen Gaumen (soft palate) bzw. das Gaumensegel und drückt es fest gegen die Zungenwurzel: So bleibt die Nasenhöhle (nasal cavity) frei, das Pferd kann ungehindert atmen.
Pferde verschließen bei starker Bewegung das Maul, um das Eindringen von Luft in den Mundraum zu verhindern – der so erzeugte Unterdruck stabilisiert den weichen Gaumen (soft palate) bzw. das Gaumensegel und drückt es fest gegen die Zungenwurzel: So bleibt die Nasenhöhle (nasal cavity) frei, das Pferd kann ungehindert atmen. / Foto: animals-07-00041-g001
Die unterschiedlichen Kopf-Hals-Positionen haben erhebliche Auswirkungen auf die Atmung des Pferdes: Bei kurzer Zügelführung – wenn das Pferd also an (siehe Abb. D) oder sogar hinter der Senkrechten geht – ist der Kehlwinkel am kleinsten. Dadurch verengt sich die Querschnittsfläche des Nasenrachenraums, was zu einer deutlichen Erhöhung des Luftstrom-Widerstands führt.
Die unterschiedlichen Kopf-Hals-Positionen haben erhebliche Auswirkungen auf die Atmung des Pferdes: Bei kurzer Zügelführung – wenn das Pferd also an (siehe Abb. D) oder sogar hinter der Senkrechten geht – ist der Kehlwinkel am kleinsten. Dadurch verengt sich die Querschnittsfläche des Nasenrachenraums, was zu einer deutlichen Erhöhung des Luftstrom-Widerstands führt. / Foto: animals-07-00041-g003

Gebisse und Zügel haben das Potenzial, die Atmung von Pferden zu beeinträchtigen und damit auch ihr Wohlbefinden einzuschränken – dies ist das beunruhigende Ergebnis einer aktuellen Studie neuseeländischer Wissenschaftler.


Die Frage, ob und in genau welcher Weise Gebisse und Zügel das Wohlbefinden von Pferden einschränken, wird in Pferdekreisen immer wieder leidenschaftlich diskutiert – und auch die Wissenschaft hat sich des Themas bereits in zahlreichen Studien und Versuchsreihen angenommen, wobei ein endgültiges und vor allem allgemein akzeptiertes Ergebnis nach wie aussteht.

Die Wissenschaftler David J. Mellor und Ngaio J. Beausoleil vom Zentrum für Tierwohl-Forschung und Biotethik der Massey University in Neuseeland haben im Rahmen einer sogenannten Meta-Studie den bisherigen Stand der Forschung rund um das kontroverse Thema analysiert und zusammengefasst. Im Zentrum stand dabei die Frage, welchen Einfluss Gebiss und Zügel auf die Atmung von gerittenen Pferde haben, ob sie das Wohlbefinden von Pferden beeinträchtigen und ob insbesondere das Phänomen der Atemlosigkeit damit in unmittelbarem Zusammenhang steht. Mellor und Beausoleil bezogen insgesamt 164 wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit diesem Themenkreis befasst hatten, in ihre Untersuchung ein – und kamen zu einem beunruhigenden Ergebnis: Gebisse und Zügel haben sehr wohl das Potenzial, den Atem-Mechanismus eines gerittenen Pferdes zu behindern und unterschiedliche Formen von ,Atemlosigkeit' zu verursachen – ihre Verwendung kann somit das Wohlbefinden des Tieres deutlich beeinträchtigen.

Einfluss der Kopf-Hals-Position
Eine Beeinträchtigung des Atmungs-Systems kann dabei auf unterschiedliche Weise verursacht werden. Ein wesentlicher Einflussfaktor ist etwa der Kopf-Hals-Winkel (im Folgenden als Kehlwinkel bezeichnet), wie die Wissenschaftler herausfanden: „Bei gerittenen und mit Gebiss gezäumten Pferden zeigte sich, dass eine Zügeleinwirkung, die den Kehlwinkel z. T. deutlich reduziert, sowie weitere Faktoren, die die Funktion des Nasenrachenraums und des Kehlkopfes teilweise einschränken, zu einer Verringerung des Luftstroms in den oberen Atemwegen und zu einem erhöhten Luftstrom-Widerstand führen."

Bei einem galoppierenden Pferd streckt sich der Kehlwinkel auf 120 bis 130 Grad, der Nasenrachenraum wird weiter und flacher, der Luftstrom-Widerstand daher geringer – das Pferd kann optimal atmen. Im Gegensatz dazu verringert sich der Kehlwinkel bei kurzer Zügelführung – wenn das Pferd also an bzw. sogar hinter der Senkrechten geht – was zu einer Verengung der Querschnittsfläche des Nasenrachenraums und zu einer deutlichen Erhöhung des Luftstrom-Widerstands führt. Die Wissenschaftler weiter: „Beim extremen Beispiel der Hyperflexion – also der Rollkur-Haltung – ist auch die Querschnittsfläche der Kehlkopf-Öffnung erheblich reduziert. Erwartungsgemäß führen beide Einschränkungen zu einem überproportionalen Anstieg des Luftstrom-Widerstands."  Zudem konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass Pferde, die fortgesetzt in stark beigezäumter Kopf-Hals-Haltung – also mit kleinem Kehlwinkel – geritten werden, von zahlreichen weiteren Erkrankungen der oberen Atemwege betroffen sein können.

Einfluss des Gebisses
In weiteren Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass auch das Gebiss selbst „eine mögliche Quelle von Unbehagen für das Pferd darstellt, da die betroffenen Regionen des Pferdemauls (Lippen, Zähne, Diastema, Gaumen, Zunge, Unterkiefer etc.) höchst sensibel gegenüber mechanischer Stimulation sind". Diese Feststellung ist nicht nur durch eindeutige Verhaltens-Beobachtungen belegt, wonach Pferde ablehnend auf Gebisse reagieren, sondern auch durch dokumentierte anatomische Veränderungen des Pferdemauls als Folge langfristiger, schmerzhafter Verletzungen, die durch die Verwendung von Gebissen verursacht wurden." Bei Wildpferden dagegen wurden derartige Veränderungen nicht oder nur in erheblich geringerem Ausmaß festgestellt.

Erfahrene Reiter sind sich dieser grundsätzlichen Empfindlichkeit des Pferdemauls sehr wohl bewusst und empfehlen daher, Gebisse betont sanft und vorsichtig beim Training junger Pferde einzuführen, um übermäßige Irritationen oder gar Abneigungen gegenüber Gebissen zu vermeiden. Dennoch ist – wie einige Untersuchungen nahelegen – auch heute noch der Wunsch, Kontrolle über Pferde auszuüben, in den meisten Fällen stärker als die Besorgnis über den möglichen Schaden, den insbesondere scharfe Gebisse an den Weichteilen des Mauls anrichten können. Nicht zuletzt aus diesen Gründen wird der Einsatz von Gebissen von immer mehr Wissenschaftlern als inhuman und tierquälerisch qualifiziert, der unter bestimmten Voraussetzungen sogar gesetzlich geahndet werden könnte. Denn sogar einfache Gebisse wie eine Wassertrense, die auch sehr sanft eingesetzt werden können, sind bei nicht fachgerechter oder gar böswilliger Anwendung in der Lage, einem Pferd erhebliche Verletzungen und Schmerzen zuzufügen.

Gebisse brechen das ,Maulsiegel'
Die Verwendung von Gebissen hat aber noch weitreichendere Folgen: Da Pferde ausschließlich durch die Nase atmen, schließen sie bei starker Bewegung das Maul und versiegeln es gleichsam mit seinen Lippen, um das Eindringen von Luft in den Mundraum zu verhindern. Der so erzeugte Unterdruck im Maul stabilisiert das Gaumensegel und drückt es fest an die Zungenwurzel – das Pferd kann ungehindert atmen. Wie bereits Dr. W. Robert Cook in einer vielbeachteten Untersuchung aus dem Jahr 1999 zeigen konnte, durchbricht die Verwendung eines Gebisses dieses luftdichte ,Siegel' und damit auch den konstanten Unterdruck – das Gaumensegel wird instabiler und kann vermehrt in den hinteren, dorsalen Mundraum rutschen. Dies kann nicht nur zu größeren Verwirbelungen im Luftstrom, sondern auch zu einem erhöhten Luftstrom-Widerstand führen, der die freie Atmung des Pferdes behindert. Eine enge Zügelhaltung und ein dadurch verkleinerter Kehlwinkel des Pferdes verschlimmern diesen Effekt.

Negative gesundheitliche Folgen
Diese Beeinträchtigung der Atmung kann weitreichende gesundheitliche Konsequenzen haben, so die Forscher weiter: Die Druckveränderungen in den oberen Atemwegen setzen sich in den unteren Atemwegen fort und können zu krankhaften Veränderungen der Lungenbläschen führen und den Atemgasaustausch beeinträchtigen. In weiterer Folge kann es zu einem verringerten Atemminutenvolumen, zu einem verringerten Sauerstoffgehalt im Blut (Hypoxämie), einem erhöhten Kohlendioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie) und einer Übersäuerung des Blutes (Azidose) kommen, wie sie bei gesunden Pferden nach großen Anstrengungen häufig beobachtet werden.

Weiter heißt es: „Diese und anderen Faktoren können bei gerittenen Pferden zu drei unterschiedlichen Formen der Atemlosigkeit führen – zu „unangenehmer Atemanstrengung", „Atemnot" und „Brustenge". Diese drei Formen treten dann auf, wenn es ein Missverhältnis zwischen einem erhöhtem Atemluftbedarf einerseits und einer verringerten Leistungsfähigkeit des Atmungssystems andererseits kommt. Bislang ist nicht bekannt, ob und in welchem Ausmaß ein derartiges Missverhältnis auch bei Pferden auftritt, die intensiv bewegt bzw. geritten werden, ohne dass sie durch einen engen Kehlwinkel oder sonstige krankhafte Veränderungen der Atemwege beeinträchtigt sind. Es treten jedoch verschiedene Kombinationen der drei Arten von Atemlosigkeit viel wahrscheinlicher auf, wenn derartige pathophysiologische Zustände die maximale athletische Leistung deutlich reduzieren".

Beispiele aus dem Pferderennsport verdeutlichen diesen Zusammenhang – und seine dramatsichen gesundheitlichen Folgen – eindrucksvoll: So ist der maximale Sauerstoffverbrauch von Rennpferden bei Spitzenbelastungen bis zu 40 Mal größer als im Ruhezustand. Dies ist, so die Forscher, „ein bei weitem größerer Wert als bei menschlichen Athleten, wo der Sauerstoffverbrauch lediglich auf das 6- bis 8-fache angestiegen ist – bzw. bei einigen anderen Säugetieren, in denen eine Zunahme auf das 10-fache beobachtet wurde." Das durch den Nasenrachen strömende Atemvolumen (= Atemminutenvolumen), um diese exorbitanten Sauerstoff-Anforderungen zu bewältigen, beträgt bei Vollblütern etwa 1.800 bis 2.000 l/min, das ist das 24- bis 27-fache des Ruhewertes von etwa 65–80 l/min. Das Erreichen solcher enormer Luftstromwerte stellt eine riesige physiologische Herausforderung dar – und wird noch erheblich verschärft, wenn Nasenhöhle, Kehlkopf oder Luftröhre gleichsam ,künstlich' verengt sind und die Pferde mit noch größerem Druck einatmen müssen, um diese Atem-Volumina zu bewältigen.

Gebisslose Zäumungen als Lösung?
Wie manche Untersuchungen andeuten, könnten die beschriebenen negativen gesundheitlichen Auswirkungen durch die Verwendung gebissloser Zäumungen möglicherweise vermieden werden. Eine endgültige wissenschaftliche Bestätigung dafür steht jedoch noch aus, wie David J. Mellor und Ngaio J. Beausoleil abschließend bemerken: „Ein direkter Vergleich, wie sich die unterschiedliche Zäumung eines Pferdes – also mit Gebiss bzw. gebisslos – hinsichtlich Atmung und Blutkreislauf und des Ausmasses krankhafter Veränderungen der Atemorgane bei Pferden auswirkt, wurde bislang nicht durchgeführt. Solche Studien wären hilfreich, um die behaupteten möglichen Vorteile von gebisslosen Zäumungen zu bestätigen oder anderweitig zu unterstützen."

Die Untersuchung „Equine Welfare during Exercise: An Evaluation of Breathing, Breathlessness and Bridles" von David J. Mellor und Ngaio J. Beausoleil ist in der Zeitschrift ,Animals' am 26. Mai 2017 erschienen und kann in englischsprachiger Originalfassung hier nachgelesen werden.

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