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Können Pferde ein Erdbeben kommen hören?
11.09.2017 / News

Ihr feiner Gehörsinn könnte Pferden dabei helfen, ein Erdbeben frühzeitig wahrzunehmen.
Ihr feiner Gehörsinn könnte Pferden dabei helfen, ein Erdbeben frühzeitig wahrzunehmen. / Symbolfoto: Irene Gams

Vielen Tieren – so auch Pferden – wird nachgesagt, dass sie sich unmittelbar vor einem Erdbeben ungewöhnlich verhalten, unruhig werden und sogar fliehen. US-Wissenschaftler sind diesem Phänomen nachgegangen – und fanden eine erstaunliche Erklärung.

 

Die Beobachtung, dass viele Tiere sich kurz vor Naturkatastrophen höchst auffällig verhalten, unruhig werden und vielfach sogar flüchten, ist Jahrtausende alt: Schon der römische Historiker Aelian, der im Jahr 373 die Zerstörung der Stadt Helike durch ein heftiges Erdbeben beschrieb, berichtete von einem langen Zug von Ratten, Wiesel, Schlangen und Insekten, die einige Tage vor der Katastrophe fluchtartig die Stadt verließen. Ähnliche Erzählungen und Anekdoten haben sich seither zahllose Male wiederholt – und beschäftigen seit einigen Jahrzehnten auch Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Man ist sich heute weitgehend einig, dass viele Tiere – Kröten, Schlangen, Fische und Ameisen ebenso wie Vögel, Elefanten und Pferde – aufgrund ihrer außerordentlichen Sinnesleistungen in der Lage sind, die atmosphärischen Veränderungen unmittelbar vor Naturkatastrophen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Uneinigkeit besteht lediglich darüber, was genau die Tiere mit ihrem feinen sinnlichen Sensorium registrieren: Sind es kleinste elektrische Teilchen, die sie über die Atemluft aufnehmen können, minimale seismische Schwingungen, die etwa Schlangen, Ratten und andere Höhlenbewohner erspüren – oder sind es Schallwellen, welche die Tiere im Infraschall-Bereich frühzeitig wahrnehmen können? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seit vielen Jahren – ohne dass diese zu einer überzeugenden und allgemein akzeptierten Antwort gelangt wären.

Das Rätselraten könnte nun ein Ende haben: Die beiden US-Wissenschaftler Michael Garstang und Michael Kelley haben im Rahmen einer Studie eine ebenso spannende wie gut belegte Erklärung für die rätselhaften Orakel-Fähigkeiten der Tiere präsentiert. Ausgangspunkt ihrer These ist die Tsunami-Katastrophe am 26. Dezember 2004 im Indischen Ozean, ausgelöst durch ein Erdbeben vor der Küste von Sumatra, in deren Folge rund 230.000 Menschen starben. Bemerkenswerterweise kam bei dieser gewaltigen Naturkatastrophe aber kein einziger Elefant ums Leben, obwohl sich Hunderte davon in den betroffenen Regionen aufhielten: Sie waren allesamt etwa eine halbe Stunde vor Eintreffen der Tsunami-Welle in höhergelegene Gebiete im Landesinneren geflohen. Doch was hatte sie gewarnt?

Die wissenschaftliche Analyse der verfügbaren seismologischen und geophysikalischen Daten vor und während der Katastrophe brachten Garstang und Kelley schließlich auf eine vielversprechende Fährte: Ihrer Analyse zufolge war es eine komplexe Abfolge unterschiedlicher atmosphärischer Vorgänge, deren akustische Auswirkungen von den Tieren, so auch von Elefanten, wahrgenommen wurden – und zu den vielfach beschriebenen und dokumentierten ,ungewöhnlichen Verhaltensweisen' führten.

Die Bewegungen in der Erdkruste knapp unterhalb der Erdoberfläche führen, so die Forscher, zu unterschiedlichen, sogenannten „abiotischen" Geräuschen – also akustischen Signalen, an deren Entstehung keine Lebewesen beteiligt sind, die aber dennoch von Tieren wahrgenommen werden. Derartige Geräusche entstehen nicht unmittelbar durch die tektonischen Verschiebungen der Erdkruste selbst – aber diese setzen eine Serie von Ereignissen in Gang, die im Vorfeld eines Erdbebens auftritt. Dabei werden diese Krustenbewegungen – geleitet vom Magnetfeld der Erde – in die Ionosphäre übertragen, wodurch sich der Gesamtelektroneninhalt (Total electron content = TEC) der Atmosphäre verändert. Diese Veränderungen des TEC werden ihrerseits wieder auf die Erdoberfläche übertragen und können mittels GPS-Satelliten gemessen werden. Auf der Erde treten diese TEC-Schwankungen jedoch nicht in Form von Schallwellen auf, sondern sind Auslöser für Vibrationen in Metall, Glas und anderen Oberflächen. Diese Vibrationen sind es, die ihrerseits akustische Signale – auch als ,Elektrophonik' bezeichnet – erzeugen, und zwar in einem Frequenzbereich zwischen 20 Hz und 20.000 Hz. Dies ist der Frequenzbereich, den viele Tiere wahrnehmen können und auf den sie reagieren.

Diese komplexe Abfolge geophysikalischer Prozesse bietet, so die Forscher weiter, nicht nur einen „prüfbaren Rahmen für die frühe Erkennung von Erdbeben-Signalen, sondern auch eine Grundlage für das Verständnis der z. T. widersprüchlichen Verhaltensweisen, die Tiere vor einem Erdbeben zeigen". Es ist auch wahrscheinlich, dass die Schwere eines Erdbebens, das Ausmaß der „akustischen Antwort" und die Verhaltensreaktion von Tieren in einem engen Zusammenhang stehen.

Das bessere Verständnis dieses Prozesses, gepaart mit der technologischen Fähigkeit (GPS), das Auftreten und das Ausmaß der akustischen Signale zu beobachten, sollte die Grundlage einer Erdbeben-Vorhersage bilden, so die Forscher. Die Einbeziehung und Berücksichtigung tierischer Reaktionen auf ein mögliches Erdbeben können so verfeinert, verbessert und verlässlicher werden. „Eine Kombination der bestehenden Mess-Systeme könnte sich – gemeinsam mit einer sorgfältigeren Analyse tierischen Verhaltens –  insbesondere in schlecht überwachten, abgelegenen Gebieten als äußerst nützlich erweisen", so die Wissenschaftler zusammenfassend.

Die Schlussfolgerungen dieser Studie beschränken sich, wie die Forscher ausdrücklich betonen, keineswegs ausschließlich auf Elefanten – sondern können auch plausibel auf andere Tiere und Tierarten übertragen werden, und zwar sowohl auf Haus- als auch auf Wildtiere, die bei der Früherkennung von Erdbeben eine wichtige Rolle spielen können.

Die Untersuchung „Understanding Animal Detection of Precursor Earthquake Sounds" von Michael Garstang und Michael C. Kelley ist am 31. August 2017 in der Zeitschrift ,Animals' erschienen und kann in englischsprachiger Originalfassung hier nachgelesen werden.

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