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Eindecken und Scheren: Viele Pferdebesitzer wissen nicht, was sie tun
03.10.2017 / News

Viele Pferdebesitzern handeln beim Eindecken und Scheren nach Gefühl bzw. nach Gewohnheit – und nehmen zu wenig Rücksicht auf die natürlichen Thermoregulations-Fähigkeiten der Pferde, so die Wissenschaftler.
Viele Pferdebesitzern handeln beim Eindecken und Scheren nach Gefühl bzw. nach Gewohnheit – und nehmen zu wenig Rücksicht auf die natürlichen Thermoregulations-Fähigkeiten der Pferde, so die Wissenschaftler. / Symbolfoto: Fotolia/finecki

Skandinavische Forscher haben über 6.000 Pferdebesitzer nach ihren Gewohnheiten und ihrem Wissen bezüglich Eindecken und Scheren ihrer Pferde befragt – mit teils erschreckendem Ergebnis.

 

Scheren oder nicht scheren? Eindecken oder nicht eindecken – das ist jedes Jahr die Frage, die in Magazinen, Foren und Blogs leidenschaftlich diskutiert wird. Viele Pferdebesitzer handeln dabei nach Gefühl, oft auch nach Gewohnheit – oder machen einfach das nach, was die anderen Kollegen im Stall auch machen. Doch nur eine Minderheit unter den Pferdebesitzern verfügt auch über das wissenschaftliche Hintergrund-Wissen, um ihre Praxis begründen und rechtfertigen zu können – das jedenfalls ist, grob zusammengefasst, das Ergebnis einer großangelegten Online-Umfrage skandinavischer Forscher, die vor kurzem veröffentlicht wurde.

Die Wissenschaftler haben 4.122 schwedische und 2.075 norwegische Pferdebesitzer und Reiter nach ihrer Praxis bezüglich Eindecken und Scheren befragt – und dabei herausgefunden, dass rund die Hälfte von ihnen kein hinreichendes Verständnis der natürlichen Thermoregulation beim Pferd besitzt, sprich: von den Reaktionen des Pferde-Organismus auf Eingriffe wie Scheren oder Eindecken oder von der Fähigkeit des Pferdekörpers, Hitze abzubauen und sich nach Übungs- oder Reiteinheiten zu erholen.

„Eine Decke soll offenkundig das Pferd vor Kälte und widrigen Wetterbedingungen schützen – etwa vor Regen, Wind oder kühlen Temperaturen", so Co-Autorin Dr. Cecilie M. Mejdell von der Veterinärmedizinischen Universität in Oslo. „Das Problem ist aber, dass dadurch die Fähigkeit des Pferdes, seine Körpertemperatur selbst zu regulieren, beeinträchtigt wird. Der kühlende Effekt, der durch das Schwitzen und die erhöhte Blutzirkulation in der Pferdehaut eintritt, wird so reduziert – das Pferd kann in der Folge überhitzen, insbesondere dann, wenn das Wetter wechselt, die Temperaturen ansteigen und die Sonne zu scheinen beginnt. Falls in dieser Situation niemand da ist, der die Decke entfernt oder zumindest eine leichtere Decke auflegt, kann dies das Tierwohl erheblich beeinträchtigen", so Dr. Mejdell gegenüber dem Gesundheits-Portal thehorse.com.

In ihrem Fragebogen wurden den teilnehmenden Pferdebesitzern und Reitern insgesamt 41 Fragen über die Haltungsbedingungen ihrer Pferde, Koppelgang, Fütterung sowie über ihre Praxis bezüglich Scheren und Eindecken gestellt. Abgefragt wurde aber auch ihre Zustimmung zu einer Reihe wissenschaftlicher Aussagen über die Thermoregulation von Pferden sowie eine Reihe persönlicher Daten, etwa ihre bisherigen Erfahrungen mit Pferden, welche Pferderasse sie besitzen und welcher Disziplin sie nachgehen.

Das Gros der Befragten waren erwartungsgemäß Amateur- bzw. Hobbyreiter – die aber mit durchschnittlich 22 Jahren Erfahrung über eine lange und reichhaltige Praxis im Umgang mit Pferden verfügten. 89 % der Befragten gaben an, ihre Pferde  – jedenfalls bei bestimmten Wetterbedingungen – einzudecken, wenn sich diese im Freien aufhalten, etwa bei regnerischem, kaltem oder windigem Wetter. Bei Warmblutpferden war die Eindeck-Quote noch deutlich höher (97 % in Schweden sowie 96 % in Norwegen), während sie bei Islandpferden oder bei Kaltlblütern signifikant niedriger war (bei Islandpferden lag sie nur bei 70 %).

Sogar dann, wenn die Pferde im Stall blieben, gaben immerhin noch 78 % der Befragten an, ihren Pferden eine Decke aufzulegen, um sie vor Kälte zu schützen. Viele befragte Pferdebesitzer gaben an, ihre Pferde einzudecken, sobald die Außentemperatur unter 10 Grad Celsius lag – und 20 % schnallten ihren Pferden eine Decke an, ohne auf die Außentemperatur zu achten. Ebenfalls 20 % der Befragten gaben zu, dass ein wesentliches Motiv für das Eindecken der Umstand war, die Pferde sauber zu halten.

Die Pferdebesitzer gaben an, dass sie ihre Pferde deshalb scheren würden, weil sie glauben, dass sie dadurch schneller trocknen würden – viele glauben aber auch, dass ihre Pferde dadurch leistungsfähiger wären, so Dr. Mejdell. Die Forscher fanden aber auch heraus, dass viele der Befragten hinsichtlich der wissenschaftlichen Effekte des Scherens bzw. Eindeckens offenkundig verwirrt waren: Insbesondere stimmten die Befragten nicht den wissenschaftlich erwiesenen Tatsachen zu, wonach „geschorene Pferde eine größere Wärmeabbau-Kapazität haben" und dass „das Eindecken nach dem Reiten die Erholungszeit verlängert".

Beides sei jedoch unbestreitbar nachgewiesen, so Dr. Mejdel,: „Das Scheren begünstigt während des Reitens die Abfuhr von Wärme – das ist auch der Grund, weshalb es unter Turnierpferden so verbreitet ist. Und ein Pferd, das beim Reiten nicht zu heiß wird, wird auch bessere Leistungen erbringen. Und eine Decke unmittelbar nach der Arbeit aufzulegen, verlängert natürlich die Erholungszeit. Ideal wäre es, eine halbe bis eine ganze Stunde nach der Arbeit zuzuwarten, bevor man dem Pferd bei widrigem, kalten Wetter eine Decke auflegt."

Die Wissenschaftlerin abschließend: „Das Beste, was ein Pferdebesitzer oder Reiter tun kann, ist es, die Prinzipien der Thermoregulation bei Pferden zu verstehen – also das Gleichgewicht zwischen Hitzeproduktion und Hitzeabbau und die Effekte von Umweltfaktoren wie Temperatur, Wind, Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit und Niederschlag", so Dr. Mejdell. „Lassen Sie Ihrem Pferd die Möglichkeit zur eigenständigen Thermoregulation – oder helfen Sie ihm dabei. Bieten Sie ihm Schatten, Schutz vor Wind und Niederschlag – und Insekten – und einen trockenen Platz, wo es sich zum Ausraten hinlegen kann. Pferde haben großartige Fähigkeiten, ihre eigene Körpertemperatur unter höchst unterschiedlichen Bedingungen zu regulieren. Diese Fähigkeiten sollte man nicht stören."

Das bedeutet dennoch nicht, dass Pferdedecken generell nutzlos wären: „Es gibt keinen Zweifel, dass eine Decke bei bestimmten Bedingungen sehr sinnvoll ist, etwa für Pferde in einem schlechten Gesamtzustand und/oder bei nassen, windigen oder kalten Wetterbedingungen oder bei sehr niedrigen Temperaturen", so Dr. Mejdell. „Ob ein Pferd eingedeckt werden soll, hängt ebenso von der jeweiligen Pferderasse, der Dichte seines Fells, seinem Alters- bzw. Gesundheits-Status, seiner Fütterung und seiner Anpassungsfähigkeit an das Klima ab.

Im Idealfall hätten Pferdebesitzer auch die Möglichkeit, ihre Pferde selbst nach deren „Decken-Präferenzen" zu befrage, wie Dr. Cecilie M. Mejdell und Kollegen in einem erstaunlichen Experiment herausgefunden haben: Sie brachten Pferden mit einem einfachen Trainings-Programm bei, über Symbole mit ihren Besitzern bzw. Trainern zu kommunizieren – und konnten innerhalb von 14 eindeutig und zuverlässig anzeigen, ob sie an einem bestimmten Tag eine Decke tragen wollten oder lieber nicht. Details zu diesem bemerkenswerten Feld-Versuch kann man hier nachlesen.

Die Ergebnisse der Online-Befragung „Management of horses with focus on blanketing and clipping practices reported by members of the Swedish and Norwegian equestrian community" wurde im März 2017 im ,Journal of Animal Science' veröffentlicht und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.

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