Eindecken und Scheren: Viele Pferdebesitzer wissen nicht, was sie tun 03.10.2017 / News
Viele Pferdebesitzern handeln beim Eindecken und Scheren nach Gefühl bzw. nach Gewohnheit – und nehmen zu wenig Rücksicht auf die natürlichen Thermoregulations-Fähigkeiten der Pferde, so die Wissenschaftler. / Symbolfoto: Fotolia/finecki
Skandinavische Forscher haben über 6.000 Pferdebesitzer nach ihren Gewohnheiten und ihrem Wissen bezüglich Eindecken und Scheren ihrer Pferde befragt – mit teils erschreckendem Ergebnis.
Scheren oder nicht scheren? Eindecken oder nicht eindecken – das ist jedes Jahr die Frage, die in Magazinen, Foren und Blogs leidenschaftlich diskutiert wird. Viele Pferdebesitzer handeln dabei nach Gefühl, oft auch nach Gewohnheit – oder machen einfach das nach, was die anderen Kollegen im Stall auch machen. Doch nur eine Minderheit unter den Pferdebesitzern verfügt auch über das wissenschaftliche Hintergrund-Wissen, um ihre Praxis begründen und rechtfertigen zu können – das jedenfalls ist, grob zusammengefasst, das Ergebnis einer großangelegten Online-Umfrage skandinavischer Forscher, die vor kurzem veröffentlicht wurde.
Die Wissenschaftler haben 4.122 schwedische und 2.075 norwegische Pferdebesitzer und Reiter nach ihrer Praxis bezüglich Eindecken und Scheren befragt – und dabei herausgefunden, dass rund die Hälfte von ihnen kein hinreichendes Verständnis der natürlichen Thermoregulation beim Pferd besitzt, sprich: von den Reaktionen des Pferde-Organismus auf Eingriffe wie Scheren oder Eindecken oder von der Fähigkeit des Pferdekörpers, Hitze abzubauen und sich nach Übungs- oder Reiteinheiten zu erholen.
„Eine Decke soll offenkundig das Pferd vor Kälte und widrigen Wetterbedingungen schützen – etwa vor Regen, Wind oder kühlen Temperaturen", so Co-Autorin Dr. Cecilie M. Mejdell von der Veterinärmedizinischen Universität in Oslo. „Das Problem ist aber, dass dadurch die Fähigkeit des Pferdes, seine Körpertemperatur selbst zu regulieren, beeinträchtigt wird. Der kühlende Effekt, der durch das Schwitzen und die erhöhte Blutzirkulation in der Pferdehaut eintritt, wird so reduziert – das Pferd kann in der Folge überhitzen, insbesondere dann, wenn das Wetter wechselt, die Temperaturen ansteigen und die Sonne zu scheinen beginnt. Falls in dieser Situation niemand da ist, der die Decke entfernt oder zumindest eine leichtere Decke auflegt, kann dies das Tierwohl erheblich beeinträchtigen", so Dr. Mejdell gegenüber dem Gesundheits-Portal thehorse.com.
In ihrem Fragebogen wurden den teilnehmenden Pferdebesitzern und Reitern insgesamt 41 Fragen über die Haltungsbedingungen ihrer Pferde, Koppelgang, Fütterung sowie über ihre Praxis bezüglich Scheren und Eindecken gestellt. Abgefragt wurde aber auch ihre Zustimmung zu einer Reihe wissenschaftlicher Aussagen über die Thermoregulation von Pferden sowie eine Reihe persönlicher Daten, etwa ihre bisherigen Erfahrungen mit Pferden, welche Pferderasse sie besitzen und welcher Disziplin sie nachgehen.
Das Gros der Befragten waren erwartungsgemäß Amateur- bzw. Hobbyreiter – die aber mit durchschnittlich 22 Jahren Erfahrung über eine lange und reichhaltige Praxis im Umgang mit Pferden verfügten. 89 % der Befragten gaben an, ihre Pferde – jedenfalls bei bestimmten Wetterbedingungen – einzudecken, wenn sich diese im Freien aufhalten, etwa bei regnerischem, kaltem oder windigem Wetter. Bei Warmblutpferden war die Eindeck-Quote noch deutlich höher (97 % in Schweden sowie 96 % in Norwegen), während sie bei Islandpferden oder bei Kaltlblütern signifikant niedriger war (bei Islandpferden lag sie nur bei 70 %).
Sogar dann, wenn die Pferde im Stall blieben, gaben immerhin noch 78 % der Befragten an, ihren Pferden eine Decke aufzulegen, um sie vor Kälte zu schützen. Viele befragte Pferdebesitzer gaben an, ihre Pferde einzudecken, sobald die Außentemperatur unter 10 Grad Celsius lag – und 20 % schnallten ihren Pferden eine Decke an, ohne auf die Außentemperatur zu achten. Ebenfalls 20 % der Befragten gaben zu, dass ein wesentliches Motiv für das Eindecken der Umstand war, die Pferde sauber zu halten.
Die Pferdebesitzer gaben an, dass sie ihre Pferde deshalb scheren würden, weil sie glauben, dass sie dadurch schneller trocknen würden – viele glauben aber auch, dass ihre Pferde dadurch leistungsfähiger wären, so Dr. Mejdell. Die Forscher fanden aber auch heraus, dass viele der Befragten hinsichtlich der wissenschaftlichen Effekte des Scherens bzw. Eindeckens offenkundig verwirrt waren: Insbesondere stimmten die Befragten nicht den wissenschaftlich erwiesenen Tatsachen zu, wonach „geschorene Pferde eine größere Wärmeabbau-Kapazität haben" und dass „das Eindecken nach dem Reiten die Erholungszeit verlängert".
Beides sei jedoch unbestreitbar nachgewiesen, so Dr. Mejdel,: „Das Scheren begünstigt während des Reitens die Abfuhr von Wärme – das ist auch der Grund, weshalb es unter Turnierpferden so verbreitet ist. Und ein Pferd, das beim Reiten nicht zu heiß wird, wird auch bessere Leistungen erbringen. Und eine Decke unmittelbar nach der Arbeit aufzulegen, verlängert natürlich die Erholungszeit. Ideal wäre es, eine halbe bis eine ganze Stunde nach der Arbeit zuzuwarten, bevor man dem Pferd bei widrigem, kalten Wetter eine Decke auflegt."
Die Wissenschaftlerin abschließend: „Das Beste, was ein Pferdebesitzer oder Reiter tun kann, ist es, die Prinzipien der Thermoregulation bei Pferden zu verstehen – also das Gleichgewicht zwischen Hitzeproduktion und Hitzeabbau und die Effekte von Umweltfaktoren wie Temperatur, Wind, Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit und Niederschlag", so Dr. Mejdell. „Lassen Sie Ihrem Pferd die Möglichkeit zur eigenständigen Thermoregulation – oder helfen Sie ihm dabei. Bieten Sie ihm Schatten, Schutz vor Wind und Niederschlag – und Insekten – und einen trockenen Platz, wo es sich zum Ausraten hinlegen kann. Pferde haben großartige Fähigkeiten, ihre eigene Körpertemperatur unter höchst unterschiedlichen Bedingungen zu regulieren. Diese Fähigkeiten sollte man nicht stören."
Das bedeutet dennoch nicht, dass Pferdedecken generell nutzlos wären: „Es gibt keinen Zweifel, dass eine Decke bei bestimmten Bedingungen sehr sinnvoll ist, etwa für Pferde in einem schlechten Gesamtzustand und/oder bei nassen, windigen oder kalten Wetterbedingungen oder bei sehr niedrigen Temperaturen", so Dr. Mejdell. „Ob ein Pferd eingedeckt werden soll, hängt ebenso von der jeweiligen Pferderasse, der Dichte seines Fells, seinem Alters- bzw. Gesundheits-Status, seiner Fütterung und seiner Anpassungsfähigkeit an das Klima ab.
Im Idealfall hätten Pferdebesitzer auch die Möglichkeit, ihre Pferde selbst nach deren „Decken-Präferenzen" zu befrage, wie Dr. Cecilie M. Mejdell und Kollegen in einem erstaunlichen Experiment herausgefunden haben: Sie brachten Pferden mit einem einfachen Trainings-Programm bei, über Symbole mit ihren Besitzern bzw. Trainern zu kommunizieren – und konnten innerhalb von 14 eindeutig und zuverlässig anzeigen, ob sie an einem bestimmten Tag eine Decke tragen wollten oder lieber nicht. Details zu diesem bemerkenswerten Feld-Versuch kann man hier nachlesen.
Die Ergebnisse der Online-Befragung „Management of horses with focus on blanketing and clipping practices reported by members of the Swedish and Norwegian equestrian community" wurde im März 2017 im ,Journal of Animal Science' veröffentlicht und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:21.09.2017 - Experten warnen: Übermäßiges Eindecken gefährdet Pferde-Gesundheit
Experten warnen: Übermäßiges Eindecken gefährdet Pferde-Gesundheit 21.09.2017 / Wissen
Übermäßiges Eindecken kann bei Pferden zu Überhitzung führen und die natürliche Thermoregulation nachhaltig stören, so britische Tierärzte. / Symbolfoto: Martin Haller
Britische Tierärzte warnen vor dem sogenannten ,over-rugging' – also einem zu frühen bzw. zu häufigen Eindecken der Pferde: Dies könne vor allem in der Übergangszeit schwere gesundheitliche Schäden verursachen.
Es war ein kurzer Facebook-Beitrag des angesehenen Dick Vet Equine Hospitals der Universität Edinburgh, der den Finger in die Wunde legte – und damit genau ins Schwarze traf, wie die zahlreichen Reaktionen darauf bewiesen.
Die Tierärzte der schottischen Pferdeklinik warnten darin eindringlich vor dem sogenannten ,over-rugging', also der Gefahr, dass Pferde zu oft, zu lange und zu unpassenden Zeiten in eine Pferdedecke gehüllt werden:
„Wir sehen seit der letzten Woche viel mehr eingedeckte Pferde auf Koppeln und Weiden. Falls auch Sie beabsichtigen, Ihr Pferd einzudecken, beachten Sie bitte die folgenden Fakten und seien Sie ehrlich mit sich selbst:
– Falls Ihr Pferd oder Pony übergewichtig ist, nicht geschoren wurde und sich im Freien aufhält, braucht es keine Decke (nutzen Sie den Winter zu Ihrem Vorteil und erlauben Sie Ihrem Pferd, auf sicherem Weg kontinuierlich Gewicht abzubauen und das Risiko einer Hufrehe im darauffolgenden Frühling dramatisch zu reduzieren – denn Hufrehe ist eine tödliche Gefahr).
– Pferde haben einen wesentlich niedrigeren thermoneutralen Bereich (das ist jener Temperaturbereich, wo sie keine Energie aufwenden müssen, um sich warmzuhalten) als Menschen. Bei Pferden reicht dieser Bereich von 5 bis 25 Grad, bei Menschen von 20 bis 35 Grad. Das bedeutet: Wenn uns kalt ist, ist unserem Pferd nicht unbedingt ebenso kalt.
– Pferde haben einen Blinddarm, der als gigantischer innerer Verbrennungsmotor funktioniert, der Wärme produziert – das entsprechende Äquivalent beim Menschen produziert hingegen keinerlei Wärme.
– Pferde, die aufgrund übermäßigen Eindeckens überhitzt sind, können einen Hitzeschlag, Koliken und Stress erleiden – und dies ist besonders schwierig zu dieser Jahreszeit zu vermeiden, wenn die Temperatur während des Tages deutlich schwankt.
– Eine Untersuchung fand kürzlich heraus, dass Gruppenzwang der stärkste Einflussfaktor ist, der Pferdebesitzer dazu veranlasst, ihrem Pferd eine Decke überzuschnallen. (Anm.: Das bedeutet: Wenn andere Pferdebesitzer ihren Tieren Decken anlegen, dann tut man das auch häufig selbst, um vor den anderen nicht als verantwortungs- oder sorglos dazustehen.)
Unsere dringliche Bitte daher: Beachten Sie den Körperzustands-Wert (Body Condition Score) Ihres Pferdes und behalten Sie seinen Zustand auch über den Winter im Auge (Eine gute Anleitung, den Körperzustands-Wert festzustellen, findet man hier!)
Einen groben Leitfaden, welche Decke bzw. welche Füllung bei welcher Temperatur zu Ihrem Pferd passt, finden Sie hier!
Vergessen Sie nicht: Jedes Pferd ist anders – und wenn Sie über die individuelle Betreuung Ihres Pferdes oder Ponys über den Winter diskutieren wollen, wenden Sie sich an Ihren Tierarzt, der Ihnen dabei wertvolle und hilfreiche Tipps geben kann!"
Der Beitrag zog ein enormes Echo nach sich, wurde über 3.000 Mal geteilt und über 500 Mal kommentiert – und veranlasste sogar die renommierte Fachzeitschrift ,Horse&Hound' zu einem ausführlichen Beitrag in seiner aktuellen Ausgabe. In einem Interview bestätigte Tierärztin Dr. Tess Fordham das Problem: „Die Leute neigen offenbar immer häufiger dazu, ihrem Pferd eine Decke anzulegen – und das ist für Pferde besonders zu dieser Jahreszeit, also im Herbst, und im Frühling schlimm, wenn die Temperaturen stark schwanken. Den Menschen ist am frühen Morgen und am späten Abend ein wenig kalt – aber in der Tagesmitte ist es deutlich wärmer. Mitten im Winter ist das Problem nicht so groß, da es dann kalt genug ist, dass die Pferde während des Tages nicht überhitzen."
Zu häufiges oder zu langes Eindecken kann für Pferde ernste gesundheitliche Konsequenzen haben, so Dr. Fordham weiter: „In kurzer Zeit kann dieses übermäßige Eindecken zu Überhitzung führen. Wir werden dann zu Pferden gerufen, die Kolik-Symptome zeigen, die aber in Wahrheit überhitzt sind und einen Hitzeschlag erlitten haben. Das ist ein von Menschen verursachtes Gesundheits-Problem."
Das übermäßige Eindecken behindert die körpereigene Thermo-Regulation – und verhindert damit auch die natürliche Gewichtsabnahme im Winter, so Dr. Fordham weiter: „Langfristig wird übermäßiges Eindecken bei übergewichtigen Pferden dazu führen, dass diese kein Gewicht verlieren – und das führt zu einem massiven Hufrehe-Risiko im Frühling, Sommer und Herbst. Hufrehe kann tödlich sein – dabei wäre sie nahezu vollständig vermeidbar. Ein Pferd sollte im Sommer an Gewicht zulegen und im Winter Gewicht verlieren. Diesen natürlichen Ablauf bringen wir durch übermäßiges Eindecken durcheinander – und verhindern, dass die Pferde ihre Hormon-Spiegel wieder zurücksetzen können. Bei einem Pferd sollten am Ende des Winters die Rippen leicht sichtbar sein. Wenn wir diese natürliche Gewichtsabnahme nicht zulassen, bleiben ihre Hormon-Levels hoch – und das Risiko einer Hufrehe im Frühling steigt deutlich an. Übergewicht ist in diesem Land ein viel größeres Problem für die Pferdegesundheit als Mangelernährung."
Der dringende Rat von Dr. Fordham an alle Pferdebesitzer daher: „Behandeln Sie Ihr Pferd als Individuum – und fühlen Sie sich nicht durch das unter Druck gesetzt, was andere Leute machen. Der Zustand Ihres Pferdes kann sich deutlich von jenem der anderen unterscheiden – das Anlegen einer Decke kann daher mehr oder weniger ratsam sein. Man sollte also primär das Gewicht seines Pferdes und seinen Körperzustands-Wert als Hauptkriterium heranziehen – nicht, ob es einem selbst am Morgen kalt ist oder nicht. Der Körperzustands-Wert ist ein guter Maßstab für den Zustand ihres Pferdes."
10.09.2015 - Pferdedecken – ja oder nein?
Pferdedecken – ja oder nein? 10.09.2015 / Wissen
Die gute alte Abschwitzdecke leistet auch in der Übergangszeit wertvolle Dienste. / Foto: Archiv Ihr dichtes, natürliches Winterfell schützt Pferde ausgezeichnet vor Kälte und Nässe. / Foto: Martin Haller
Wann ist es in der kühleren Jahreszeit ratsam, sein Pferd einzudecken? Und sind Decken überhaupt notwendig? Hier einige hilfreiche Tipps und Überlegungen in Sachen Pferdedecken.
Jedes Jahr, wenn die Tage kürzer und die Nächte länger und kälter werden, stehen Pferdebesitzer vor diesen Fragen: Decke ja oder Decke nein? Decke jetzt oder Decke später? Welche Decke – und wie lange? Und wie meist im Pferdeleben lautet die Antwort: Es kommt darauf an – nämlich auf viele verschiedene Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie und ob ich mein Pferd eindecke oder nicht. Ganz besonders wichtig ist dabei die Haltung des Pferdes – ob man seinem Pferd lieber „naturbelassen“ ein dickes Winterfell wachsen lässt oder ihm durch eine warme Decke zusätzlichen Schutz vor den kalten Temperaturen bietet.
Eine Frage der Haltung
Pferde, die Tag und Nacht auf einer Koppel oder Weide verbringen, legen sich schon sehr früh einen dicken Pelz zu, um für die niedrigen Temperaturen gerüstet zu sein und sind etliche Wetterkapriolen und Temperaturunterschiede gewohnt. Eine Decke würde sie vermutlich nur stören und müsste schon sehr früh und ebenso sehr lange in den Frühling hinein verwendet werden. Familie Stürzlinger, sehr erfahren und erfolgreich in der österreichischen Pferdezucht, bestätigt dies: „Unsere jungen Pferde bleiben in der Herde ohne Decke und können ihr Fell sehr gut regulieren. Auch wenn sie angeritten werden, bleiben sie noch im Herdenverband und daher ohne Decke. Auch wenn die meisten Decken wetterfest sind, nach stundenlangem Regen hält das die Decke irgendwann schließlich nicht mehr aus – besonders wenn noch ein anderer immer wieder daran herum knabbert und reißt. Pferde, die schon auf Turnieren geritten werden, werden hingegen schon eingedeckt, damit sie nicht so ein langes Fell bekommen oder wenn sie geschoren werden, wobei unsere eigenen Pferde nicht geschoren werden, da dann das Fell nur umso stärker nachwächst!“
Bei Pferden hingegen, die großteils im Stall untergebracht sind, gibt es wiederum einige Faktoren, die individuell berücksichtigt werden sollten. Zum einen muss man auf die Temperatur im Stall achten, zum anderen auf die Ausrüstung, wenn das Pferd den Stall verlässt. Oftmals kann der Stall sehr warm gehalten werden, auf der Koppel ist es dann im Vergleich jedoch sehr kühl und eine Decke wäre anzuraten. Zugluft im Stall sollte zwar prinzipiell vermieden werden, bei der Entscheidung, sein Pferd einzudecken oder nicht, aber unbedingt miteinbezogen werden, um eventuellen gesundheitlichen Problemen vorzubeugen.
Knifflig: Paddockhaltung
Eine ganz besonders knifflige Haltungsform in Bezug auf unsere Deckenfrage stellt die sehr modern gewordene Paddockhaltung dar. Die Pferde können frei wählen, ob sie sich lieber in der wärmeren Box oder an der frischen Luft im Paddock aufhalten wollen. Bei Pferden, die gerade geritten wurden, ist hier Vorsicht geboten: Ist es in der Box relativ warm, kann der frische Wind am Paddock ohne geeigneter Decke schnell für eine Verkühlung sorgen. Desweiteren muss man sich der enormen Temperaturunterschiede während der Herbstmonate bewusst werden. Unter Tags kämpfen sich die Sonnenstrahlen durch und ermöglichen ein entspanntes Sonnenbad am Paddock, in der Nacht kühlt es jedoch deutlich ab und es fällt einigen Pferden schwer, sich darauf mit der richtigen Felldicke einzustellen. In diesem Fall wäre eine Decke in der Nacht ratsam, während des Tages müsste sie aber wieder herunter genommen werden, um Schwitzen – und damit das Risiko einer Erkältung – zu verhindern. Auch hier muss nochmals das Problem mit der Zugluft angesprochen werden: Durch die verschiedensten Übergänge von Box zu Paddock wird zwar die Zugluft möglichst gering gehalten, doch der rauhe Wind in den Wintermonaten findet oftmals einen Weg hinein. Generell liegt die Temperatur in einer Box, die einen freien Zugang zum Paddock ermöglicht, niedriger als in Stallungen mit Innenboxen.
Erkältungs-Gefahr
Einen weiteren wichtigen Faktor stellt die Bewegung beziehungsweise das Training des Pferdes dar. Tierärztin Dr. Ursula Barth: „Pferde schützen sich durch ihr Winterfell vor Kälte und Nässe von außen. Wenn das Pferd nun aber geritten wird und schwitzt, kommt die Nässe von innen und es braucht sehr lange, um wieder wirklich trocken zu werden. Daher besteht die Gefahr einer Erkältung. Bei einem sehr dicken Winterfell, schwitzt das Pferd natürlich umso mehr und ist dementsprechend schwieriger trocken zu bekommen. Auch die Benutzung eines Pferdesolariums halte ich nicht für sinnvoll, da sich das Pferd nur noch mehr aufwärmt, bevor es zurück in die Kälte kommt. Ich bin daher der Meinung, dass Pferde, die regelmäßig geritten und bewegt werden, eingedeckt werden sollten.“ Und nicht nur aus diesem Grund werden Turnier- und Sportpferde ausnahmslos zugedeckt. Dr. Barth, die zahlreiche national und international erfolgreiche Turnierpferde betreut, erläutert weiter: „Die Turniersaison erstreckt sich heutzutage über das ganze Jahr, deshalb werden die Pferde das ganze Jahr hindurch trainiert. Das funktioniert eben am besten ohne dickes Winterfell und viele werden auch des Öfteren geschoren. Weiters sind Turnierpferde viel unterwegs, man kann die Decken an die Temperaturen anpassen und wechseln.“ Der erfolgreiche Vielseitigkeitsreiter Harald Ambros handhabt das Eindecken seiner Pferde so: „Pferden, die in Winterpause gehen, lasse ich ein dickes Winterfell wachsen. Wenn das nicht ausreicht, bekommen sie zusätzlich eine mittelschwere Decke. Sobald sie Ende November oder Anfang Dezember wieder gearbeitet werden, werden sie geschoren und eingedeckt.“
Wie man sieht, gibt es bei der Frage des Eindeckens viele Dinge zu bedenken – die Entscheidung ist jedenfalls individuell auf das Pferd, die Haltungsform und das Trainingsprogramm, das man sich für den Winter vornimmt, abzustimmen.
Die Qual der Wahl
Für beinahe jeden erdenklichen Verwendungszweck bietet der Markt unterschiedlichste Decken-Arten – auch und ganz besonders für die Wintermonate. Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Varianten. Und selbstverständlich gibt es für jede Decken-Art auch eine Vielzahl verschiedener Materialien und Stoffe mit jeweils unterschiedlichen Vor- und Nachteilen – hier sollte man sich beim Kauf im Fachgeschäft eingehend beraten lassen oder auch mit Stallkollegen Erfahrungen austauschen.
Abschwitzdecken
Fangen wir mit der altbewährten Abschwitzdecke an, die auch für nicht eingedeckte Pferde, die geritten werden, eine wichtige Rolle spielt. Eine Abschwitzdecke soll in erster Linie dabei helfen, das Pferd nach der Arbeit einerseits warm zu halten und andererseits auch zu trocknen. Wichtig: Die Feuchtigkeit muss nach außen geleitet, die Wärme behalten werden. Anzumerken ist auch, dass viele Abschwitzdecken, ausgenommen die gute, alte Schurwolldecke, auf Wunsch nicht nur einen Halsverschluss, sondern auch Bauchgurten besitzen, die manchmal auch abnehmbar sind. Damit wird ein optimaler Tragekomfort ohne Verrutschen auch in der Box ermöglicht und die Decke kann so lange getragen werden, bis das Pferd wirklich trocken ist.
Übergangsdecken
Eine weitere Decken-Variante ist die so genannte Übergangsdecke. Diese soll für niedrigere Temperaturen, die sich aber noch eindeutig im Plusbereich befinden, eingesetzt werden. Viele Pferdebesitzer bevorzugen es, diese Decke schon sehr früh zu verwenden, um ein dickes Winterfell im Vorhinein schon zu verhindern und gar nicht erst wachsen zu lassen. Dr. Barth meint dazu: „Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass man das Fellwachstum sicherlich reduzieren kann, wenn man zeitgerecht anfängt, einzudecken. Ich glaube aber auch, dass es hormonell bedingt und rassespezifisch ist, wie ich an meinem Pferd sehen kann, das im Alter immer mehr Fell im Winter bekommt.“ Wichtig ist allerdings, wie schon oben angemerkt, die Temperaturunterschiede im Herbst zu berücksichtigen. Auch wenn es in der Nacht schon ordentlich abkühlt, kommt unter Tags die Sonne noch so richtig raus und das Pferd würde unter einer Decke schwitzen. Es wäre also angebracht, je nach Temperatur das Pferd ein- oder abzudecken, was bei wechselhaftem Wetter einen enormen Aufwand bedeuten kann und sicherlich mit dem Stallbetreiber und dem Pflegepersonal abgesprochen werden muss.
Die meisten Übergangsdecken sind mittlerweile so konzipiert, dass sie problemlos auch auf der Koppel verwendet werden können. Das heißt, sie sind in den meisten Fällen wasserundurchlässig und eventuell auch schmutzabweisend. Das Obermaterial besteht demnach aus Nylon, für das Innenfutter wird oftmals auch Fleece verwendet. Dadurch können auch Pferde, die nach dem Reiten noch etwas nachschwitzen, schon mit der Übergangsdecke eingedeckt werden.
Winterdecken
Schlussendlich sind wir bei den wirklich frostigen Temperaturen angelangt und bei den dafür ausgelegten Winterdecken, die je nach Fellwachstum des Pferdes auch schon bei niedrigen Plustemperaturen verwendet werden. Auch hier empfiehlt sich eine wasserundurchlässige, reißfeste Außenbeschichtung – in den meisten Fällen aus Nylon – um auf der Koppel eingesetzt werden zu können und es gelten die gleichen Ansprüche, um den Tragekomfort zu gewährleisten. Das heißt, ein passender, gut haltender Halsverschluss, Gehfalten im Schulterbereich und entsprechende Bauchgurte sowie elastische Beingurte sind erwünscht. Die Innenschicht besteht aus einer Wattierung, die zwischen 200 g und 330 g schwanken kann. Qualitativ hochwertige Decken bieten durch eine thermoisolierende Füllung einen optimalen Schutz vor Wind und Wetter bei bis zu -25 Grad Celsius. Weitere ‚Schmankerl‘ werden bei diesen Decken durch antibakterielles oder wasserleitendes Innenfutter geboten, um das Pferd trocken zu halten und vor Ekzemen zu schützen. Auf Wunsch gibt es auch Halsteile, Bauch- und Schweiflatze, die das Angebot abrunden und das Pferd wirklich von vorne bis hinten eindecken. Auch Brustschoner, die man wie ‚Unterziehpullis‘ unter der Decke montieren kann, um Fell und Mähnenansatz zu schonen, findet man im Fachhandel.
Vorbild Natur
Wie man sieht, ist nicht nur die Entscheidung, ob man eine Decke verwendet, sondern auch, welche man verwenden sollte, gar nicht so einfach und mit vielen Überlegungen verbunden. Prinzipiell sollte die Entscheidung immer zum Besten des Pferdes ausfallen: Man sollte immer beobachten, wie ein Pferd auf eine Decke reagiert und wie gut es mit ihr zurechtkommt – und ob es wirklich schon bei geringsten Temperaturschwankungen eine Decke braucht. Wie der Biologie Ingolf Bender vielfach betont hat, sind Pferde von Natur aus erstaunlich unempfindlich gegenüber Kälte und in freier Wildbahn nahezu niemals von Erkältungen betroffen. Auch Pferden in Stallhaltungen und sogar Turnierpferden ist daher, so Bender, ein Minimum an Abhärtung durch wechselnde Klimareize zumutbar und wirke sich positiv auf ihre Gesundheit und ihr Immunsystem aus. Bender: „Atemwegserkrankungen treffen in der Regel nur solche Pferde, die u. a. wenig keimtötende Leukozyten produzieren – und das sind bewegungsarm und zu warm gehaltene Pferde ohne Gewöhnung an unterschiedliche Klimareize." Auch in Sachen ,Pferdedecken' kann also weniger durchaus mehr sein – aber ist das nicht oft so bei unseren geliebten Vierbeinern...?
Anna Mogeritsch
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