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Nach Umstieg auf gebisslose Zäumung: Schmerzsignale dramatisch reduziert
19.05.2018 / News

Nach der Umstellung auf eine gebisslose Zäumung kam es zu einer drastischen Reduzierung schmerzbezogener Verhaltensweisen.
Nach der Umstellung auf eine gebisslose Zäumung kam es zu einer drastischen Reduzierung schmerzbezogener Verhaltensweisen. / Foto: Fotolia/Scully Pictures

Eine Studie aus den USA belegt die positiven Erfahrungen, die Pferdebesitzer nach der Umstellung ihrer Pferde auf eine gebisslose Zäumung gemacht haben: Die wahrgenommenen Schmerzsignale reduzierten sich um insgesamt 87 %.

 

Gebisse gehören – wie auch jüngste archäologische Funde nahelegen – seit der Bronzezeit zur Standardausrüstung des Reiters – und wurden als solche jahrtausendelang auch kaum in Frage gestellt. Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren kamen in Fachkreisen Zweifel an der Sinnhaftigkeit und vor allem an der Pferdefreundlichkeit dieses Ausrüstungsteils auf: Gebisse gerieten – unterstützt durch die Ergebnisse diverser Studien – unter Verdacht, das Pferdewohl z. T. erheblich zu beeinträchtigen, was zu intensiven Diskussionen und zu einem rasanten Anstieg der Anhänger gebissloser Zäumungen führte.

Diese Diskussion – die in vollem Gange ist – wird durch die nunmehr präsentierte Untersuchung zweifellos zusätzliche Nahrung erhalten. Die Studie „Behavioural assessment of pain in 66 horses, with and without a bit“ („Verhaltens-Beurteilung von Schmerz bei 66 Pferden, mit und ohne Gebiss“) von Bob Cook und Matthew Kibler, hat schmerzbezogene Verhaltensweisen von insgesamt 66 Pferden untersucht, und zwar mit Hilfe eines detaillierten Fragebogens, der von ihren Besitzern sowohl vor als auch nach der Umstellung ihres Pferdes auf eine gebisslose Zäumung ausgefüllt wurde. So war es möglich, das Verhalten desselben Pferdes in verschiedenen Modi – einmal mit Gebiss, einmal ohne – zu analysieren und zu vergleichen.

Der Fragebogen war nach jahrelanger Vorarbeit entwickelt worden und basierte im Wesentlichen auf dem Feedback von Reitern, die von einer Zäumung mit Gebiss auf eine gebisslose Variante umgestiegen waren. Basierend auf ihren Angaben und Beschreibungen identifizierten die Forscher insgesamt 69 typische Verhaltensweisen, die auf gebiss-bezogene Schmerzen hinwiesen und als Formen von stereotypem Verhalten beschrieben werden konnten. Darunter fielen z. B. Verhaltensweisen wie eine Abneigung gegen das Gebiss oder eine energische Ablehnung desselben durch das Pferd, ungenügende Kontrolle, Kopfschütteln, Konzentrationsmangel, steifer oder unruhiger Schritt, Schweifschlagen, Kopfwippen, Gähnen, übermäßiger Speichelfluss, Buckeln, Ausschlagen, Schwierigkeiten beim Aufsteigen, Stolpern usw.

Jeder an der Befragung teilnehmende Pferdebesitzer musste angeben, welche der insgesamt 69 schmerzbezogenen Verhaltens-Anzeichen von seinem Pferd gezeigt wurde – und zwar sowohl vor, als auch nach der Umstellung auf eine gebisslose Zäumung. Die Anzahl der dabei angegebenen Schmerzsignalen wurde anschließend gezählt und verglichen.

Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Die Anzahl von Schmerzsignalen, die von den Pferden mit Gebiss-Zäumung gezeigt wurden, reichte von 5 bis 51 (Durchschnitt 23); bei den Pferden mit gebissloser Zäumung reichte sie von 0 bis 16 (Durchschnitt 2). Die Anzahl der insgesamt registrierten Schmerzsignale aller 66 Pferde vor der Umstellung (also noch bei Zäumung mit Gebiss) lag bei 1.575 – während sie nach der Umstellung, bei gebissloser Zäumung, nur noch bei 208 lag: Das entspricht einer Reduzierung von 87%. Im Durchschnitt lag die Verringerung der Schmerzsignale zwischen 43 bis 100 Prozent.

Bob Cook und Matthew Kibler konnten anhand der Ergebnisse auch zeigen, dass die Verwendung eines Gebisses einen negativen Effekt auf die eigene Körperwahrnehmung bei Pferden hat – also auf Gleichgewicht, Haltung, Koordination und Bewegung, was sie mit dem Begriff „Gebiss-Lahmheit" bezeichneten, also einem Lahmheits-Syndrom, das letztlich durch das Gebiss verursacht wird. Nur ein einziges Pferd zeigte keine Reduktion von Schmerzsignalen, wenn es ohne Gebiss geritten wurde – während das Wohlbefinden von 65 von 66 Pferden nachweisbar verbessert werden konnte. Es kam zu einer Verringerung negativer Gefühlsäußerungen (Schmerz) und zu einer Erhöhung des Potenzials positiver emotionaler Erfahrungen (Vergnügen). Bei der Bewertung des Wohlbefindens auf einer fünfstufigen Skala (Fünf-Domänen-Modell) zeigte sich durch die Umstellung auf gebisslose Zäumung eine deutliche Verbesserung – nämlich von einem „ernsthaft beeinträchtigten Wohlbefinden ohne Verbesserungsmöglichkeiten" zu einem „gering beeinträchtigten Wohlbefinden mit mittelgradigen Verbesserungsmöglichkeiten". Mit anderen Worten: Die gesamte Untersuchungsgruppe hatte von der Umstellung deutlich profitiert und ihre Lebensqualität steigern können.

Den beiden Forschern ist selbstverständlich bewusst, dass ihre Studie nur von begrenzter wissenschaftlicher Aussagekraft war, nicht zuletzt deshalb, weil die Auswahl der Testgruppe nicht auf dem Zufallsprinzip beruhte und die „Gutachter" (sprich: die Pferdebesitzer) nicht „blind" (also objektiv und vorurteilsfrei) waren. Doch dies sei bei Studien über das Wohlbefinden nicht zu vermeiden – und werde mittlerweile sogar vielfach empfohlen, weil die Besitzer – ebenso wie die Pfleger oder Reiter – letztlich jene Personen sind, die mit den untersuchten Tieren am besten vertraut sind und daher auch über deren Verhalten bzw. Verhaltensäußerungen am besten und unmittelbarsten urteilen können.

„Die Verbesserungen können daher auch nicht als ,rein subjektiv' abgetan werden", wie sie gegenüber dem Portal horsetalk.co.nz meinten. „Dass einige Pferde Abneigungen gegen Gebisse zeigen können, ist weithin anerkannt. Dass aber jedes Pferd gleichsam darauf programmiert ist, Gebisse abzulehnen und vielfältige Aversionen dagegen zeigen, ist es nicht. Die Erwartung, dass ein Pferd einen Fremdkörper in seinem Maul akzeptiert, ist aus biologischer Perspektive unrealistisch. Unsere Studie belegt, dass zumindest 65 von 66 Pferden deutliche Abneigungen gegenüber Gebissen zeigen – und dass Pferde nicht weniger als 69 Wege und Ausdrucksformen haben, um zu signalisieren, wie frustriert sie sind, wie sie versuchen, mit Gebissen zurechtzukommen und wie sie sich bemühen, den Kontakt mit Gebissen zu vermeiden."

Die Studie „Behavioural assessment of pain in 66 horses, with and without a bit“ von Robert Cook und Matthew Kibler ist in der Zeitschrift ,Equine Veterinary Education' erschienen und kann in englischsprachiger Kurzfassung hier nachgelesen werden.

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