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Buchtipp: Sisi – die Kaiserin im Sattel
20.06.2018 / News

Die österreichische Kaiserin Elisabeth galt als beste Reiterin Europas und hatte zeitlebens eine innige Beziehung zu Pferden. Autor Martin Haller geht dieser besonderen Leidenschaft der legendären Monarchin nach – und eröffnet dabei neue Blickwinkel auf ihre rätselhafte und widersprüchliche Persönlichkeit.

 

Am 10. September dieses Jahres jährt sich zum 120. Mal der Todestag von Kaiserin Elisabeth, die in Österreich längst den Status einer nationalen Ikone erreicht hat. Dem mit Abstand bekanntesten Mitglied der Habsburger-Dynastie ist in der Wiener Hofburg ein eigenes, überaus populäres Museum gewidmet – und auch die Veröffentlichungen über die rätselhafte, eigenwillige und öffentlichkeitsscheue Monarchin nehmen kein Ende: Sie  fasziniert und fesselt die Fantasie vieler Menschen bis zum heutigen Tag – und es ist fast schon erstaunlich, dass eine der zweifellos wichtigsten und dominantesten Facetten ihrer Persönlichkeit, nämlich ihre Leidenschaft für das Reiten und für Pferde, bislang noch nicht eingehender untersucht wurde. Diese Lücke in der Sisi-Forschung schließt der bekannte Journalist und Fachbuchautor Martin Haller mit dem vorliegenden Werk – und zwar auf überzeugende, ja, furiose Art und Weise.

Auf 140 Seiten spürt der Autor nicht nur den Wurzeln ihrer Pferdeleidenschaft, sondern auch den zahllosen Reitabenteuern der Kaiserin nach, die sie durch halb Europa führten. Sisi und die Pferde – das war tatsächlich eine lebenslange Liaison, die ihren Anfang in den glücklichen Kindheitstagen auf Schloss Possenhofen in Bayern nahm. Ihr Vater, Herzog Maximilian, war selbst ein tollkühner Reiter und Pferdeliebhaber, der in seinem Münchner Palais eigens einen Reit-Circus einrichten ließ, um Gäste mit diversen Kunststücken zu unterhalten. Sisi teilte nicht nur die freizügige, unkonventionelle Lebensart ihres Vaters, sondern auch seine Begeisterung für Pferde – und erwies sich als reiterliches Naturtalent, das auch die seltene Begabung hatte, sich tief in das Wesen eines Pferdes einzufühlen und mit ihm auf geradezu magische Weise zu kommunizieren. Auch wenn es dieses Wort damals noch nicht gab, so würde man sie aufgrund dieser Begabung heute wohl als ,Pferdeflüsterin' bezeichnen – sprich: als Frau, die einen besonderen Draht zu diesen Tieren hatte, ihre Körpersprache und ihr Verhalten lesen und daraus ihre Schlüsse ziehen konnte.

Eine bemerkenswerte Episode, die sich auf dem Gestüt des Grafen Festetics zutrug, belegt diese erstaunliche Fähigkeit: Man wollte einen wertvollen, aber gefährlich bösartigen Hengst erschießen, der bereits drei Männer getötet und einige weitere schwer verletzt hatte. Als Elisabeth davon zufällig erfuhr, eilte sie zum Gestüt und bestand zum Entsetzen aller darauf, die Box des Pferdes zu betreten. Sie redete auf den Hengst ein, streichelte ihn und ließ ihn schließlich satteln. Widerstandslos erlaubte das Pferd der Kaiserin aufzusteigen und fügte sich ihr völlig. Der Vorgang wiederholte sich über einige Tage, und schließlich konnte der Hengst als gezähmt wieder von anderen Personen betreut werden, sodass man von seiner Schlachtung Abstand nahm.

Sisi und die Pferde – diese Liaison trug aber auch die Züge einer Besessenheit, wie Autor Martin Haller ebenfalls zeigt: Sie war eine fanatische Reiterin, die den sportlichen Wettstreit und die damit zusammenhängenden körperlichen Herausforderungen suchte und dafür bereit war, alle Grenzen der Vernunft zu überschreiten. Ihre stundenlangen, maßlosen Ausritte versetzten Kaiser Franz Josef schon kurz nach ihrer Vermählung in Verzweiflung – und waren doch nur ein lauer Vorgeschmack auf die wilden, geradezu todesverachtenden Reit- und Meutejagden in England und Irland, die Elisabeth bis zum Exzess betrieb und auf denen sie sich durch ihr außergewöhnliches Können, ihren Mut und ihre Eleganz die Bewunderung der englischen und irischen ,sportsmen' sicherte, allen voran des berühmten Bay Middleton, mit dem sie eine lange Freundschaft verband.

Selbst schwere Zwischenfälle konnten sie nicht von ihrer Pferdeleidenschaft abbringen: Die Zahl ihrer Reitunfälle ist kaum zu zählen – und in einigen Fällen entging sie nur durch Zufall, Glück oder dem selbstvergessenen Einschreiten Anderer dem sicheren Tod. Ein Abschied oder eine Trennung von ihren geliebten Pferden kam dennoch niemals in Frage. Als man ihr nach einem neuerlichen schweren Sturz Vorhaltungen machte und sie ermahnte, den gefährlichen Sport doch sein zu lassen, erwiderte sie trotzig: „Ihr wollt, ich soll nicht mehr reiten. Ob ich‘s tue oder nicht, ich werde so sterben, wie es mir bestimmt ist.“

Das Buch zeigt auf überzeugende Weise, dass das Reiten für Sisi weit mehr war als ein geliebtes Hobby oder eine sportliche Herausforderung: Auf dem galoppierenden Pferd, in freier Natur im Kreise ihrer Reitkollegen konnte Sisi den Zwängen und Einschränkungen des Hofzeremoniells entfliehen und fühlte sich gleichermaßen akzeptiert und aufgenommen – und frei. Das Reiten und das Reisen (übrigens zwei etymologisch idente Wörter, wie man ebenfalls im Buch nachlesen kann) waren die zwei großen Freiheiten, denen Sisi frönte und denen sie ihr Leben lang treu blieb, und das war kein Zufall, wie Martin Haller an einer Schlüsselstelle des Buches nachweisen kann: „Beides sollte für sie zum rettenden Lebenselixier werden – in beidem fand sie zumindest Ahnungen jenes Freiheitsgefühls, das ihr so wertvoll war und das sie in der beklemmenden Enge und Erstarrung des Hoflebens so vermisste. Ständige Bewegung und Rastlosigkeit wurden gleichsam zu ihrer zweiten Natur und zum wichtigsten Freiheits-Ersatz, und sie meinte es zweifellos ernst, als sie sagte: „Wenn ich irgendwo angekommen wäre und wüsste, dass ich mich nie mehr davon entfernen könnte, würde mir der Aufenthalt selbst im Paradies zur Hölle.“

Ihre Pferdeleidenschaft und Reitbegeisterung machten Sisi zur wahren Pferdefrau, auch im modernen Sinn des Wortes: Das Reiten war für sie eine Lebensform, das ihre Persönlichkeit tiefgreifend prägte. Es zählt zu den bemerkenswertesten und erhellendsten Aspekten des Buches, dass Sisi in vielerlei Hinsicht das Leben eines Jockeys führte bzw. zu führen trachtete: Schon ihr Speiseplan folgte jenem der Jockeys, die als Hauptnahrungsmittel fast rohes Beefsteak zu sich nahmen, kohlehydratreiche Mehlspeisen, Nudeln oder Brot hingegen nur in geringsten Mengen. Auch ihr Trainingsprogramm war ebenso hart wie das eines professionellen Rennreiters – und sie erlitt auch die typischen Gesundheitsschäden dieses Berufes, ausgelöst durch ständige Schwitz- und Hungerkuren, um das Gewicht zu halten. Die Einhaltung einer derart zehrenden und selbstquälerischen Lebensform setzt enorme Willenskraft und eiserne Selbstdisziplin voraus – und während selbst Profi-Jockeys vielfach daran zerbrochen sind, hielt Kaiserin Elisabeth sie viele Jahre konsequent durch. Nicht zuletzt deshalb war sie beim Reiten allen überlegen – sie war schlank, drahtig und fit und konnte, so Martin Haller „zu Pferd demonstrieren, dass all das harte Training, alle teuren Pferde und die vielen Hungerkuren einen Sinn hatten – nämlich ihre sichtbare Überlegenheit im Sattel ..."

Allein für diese Einsichten gebührt dem Autor Dank. Das Buch gibt aber nicht nur ein Bild der „Reiterin Sisi", sondern auch ein Bild ihrer Zeit und des damaligen hippologischen Umfeldes: Man erfährt Wissenswertes über die Pferdezucht und die Pferderassen in der Donaumonarchie, ebenso über den Pferdesport der damaligen Zeit. Kurzum: Hier ist ein Autor mit umfangreichem Fach- und Hintergrundwissen am Werk – was das Buch auch für Nicht-Sisi-Fans zu einer bereichernden, lohnenswerten Lektüre macht. Oder haben Sie beispielsweise gewusst, dass die beliebte Redewendung, etwas „laufe wie am Schnürchen" ihren Ursprung im Fahrwesen hat: Wenn Kaiser Franz Joseph mit seinem Leibcoupé frühmorgens in die Wiener Hofburg fuhr, dann lief vom Inneren des Wagens durch ein winziges Loch im Verdeck eine dünne seidene Schnur zum obersten Livree-Knopf des Kutschers. Mittels vereinbarter Zupfzeichen konnte der Monarch jeden Trabtritt, jede Kurve, jede Peitschenhilfe selbst bestimmen – und bis heute sagt man in Wien, „etwas läuft wie am Schnürl“, wenn es absolut kontrolliert und reibungslos funktioniert ...

In der Tat darf man dieses überaus unterhaltsame, kurzweilige Buch als Glücksfall  bezeichnen – es ist exzellent geschrieben, überaus faktenreich und noch dazu opulent bebildert, keine geringe Leistung angesichts der Tatsache, dass Kaiserin Elisabeth überaus öffentlichkeitsscheu war und sich ab ihrem 30. Geburtstag nicht mehr fotografieren ließ. Unter den zahlreichen Abbildungen sticht eine besonders hervor, die bislang kaum Beachtung fand und als weitere ,Entdeckung' dieses Buches bezeichnet werden darf: nämlich eine metallene Büste im Grazer ,Schlüsselmuseum', welche die Kaiserin in ihrer ganz Widersprüchlichkeit darzustellen vermag: schön, stolz und entschlossen, aber auch einsam und verletzlich und gezeichnet vom lebenslangen Kampf gegen die Kräfte des Schicksals und die inneren Dämonen. Selten zuvor ist Sisi – in Wort und Bild – so lebensnah und menschlich dargestellt worden wie hier: ein Meisterstück!

Das Buch „Sisi – die Kaiserin im Sattel" von Martin Haller ist im Morawa-Verlag erschienen und kann zum Preis von 28,50 Euro hier bestellt werden.

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