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Pferdedrama in Axams: Belastung der Pferde für Sachverständigen ,a priori grenzwertig’
21.06.2018 / News

Möglicherweise war die Last, die beide Pferde zu ziehen hatten, für die gegebenen Umstände zu hoch – das legen jedenfalls die Foto- und Videoaufnahmen des Vorfalls nahe.
Möglicherweise war die Last, die beide Pferde zu ziehen hatten, für die gegebenen Umstände zu hoch – das legen jedenfalls die Foto- und Videoaufnahmen des Vorfalls nahe. / Symbolfoto: fotolia/lichtreflexe

Der Tod eines Kutschpferdes im Tiroler Axams schlägt weiter hohe Wellen und sorgt sogar international für Schlagzeilen. Sachverständiger Dr. Reinhard Kaun kann die Kritik am Fuhrunternehmer durchaus nachvollziehen – die Belastung der Pferde sei jedenfalls „a priori grenzwertig" gewesen und müsse bei den gerichtlichen Ermittlungen genau untersucht werden.

 

Der dramatische Vorfall ereignete sich bereits am Sonntag, den 10. Juni 2018 – doch erst ein Bericht der ,Kronen Zeitung’ vom 17. Juni brachte den Stein so richtig ins Rollen: Eine deutsche Reisegruppe war im Tiroler Axams unterwegs, Teil des Programms war eine einstündige Kutschenfahrt und ein Apfelstrudelessen mit Musik. Mit drei Kutschen wurde die Gruppe zum Gasthof gebracht, einer der Mitreisenden filmte die Ankunft einer der Kutschen auf dem dortigen Gelände. Das von der ,Kronen Zeitung’ veröffentlichte Video zeigt zwei Pferde am Rande der Erschöpfung, die – schwankend und aneinandergelehnt – offenbar mit letzter Kraft eine vollbesetzte Kutsche ziehen. Nach der Ankunft am Gasthof-Gelände brachen beide Pferde zusammen, was auch auf Fotos dokumentiert ist. Eines der Pferde starb kurz danach.

Der Inhaber des Fuhrbetriebs sprach von einem tragischen Unfall und bestritt jegliche Überforderung oder schlechte Behandlung der Pferde vehement: „Alles lief normal. Nach der Ankunft stiegen die Leute aus, dann schlug die Stute über die Deichsel, die Tiere verhakten sich und stürzten. Dabei fiel die 750 Kilo schwere Stute auf den Wallach, wir haben sie acht bis zehn Minuten nicht befreien können. In dieser Zeit litt der Wallach wohl an Sauerstoffmangel und verendete dann“, so der Firmenchef gegenüber der „Kronen Zeitung“.

Unterdessen sorgte der Bericht und vor allem das Video für einen Sturm der Empörung. Wie die ,Kronen Zeitung' gestern meldete, hat mittlerweile – nach einer Anzeige der Bezirkshauptmannschaft – die zuständige Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufgenommen.

ProPferd hat den renommierten Fahrsport-Experten und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Reinhard Kaun, um eine fachliche Einschätzung des bislang verfügbaren Video- und Fotomaterials ersucht. Nach den vorliegenden Berichten bzw. Foto- und Videoaufnahmen soll die Kutsche mit mindestens 15 Personen besetzt gewesen sein – die ,Tiroler Tageszeitung’ sprach sogar von 18 Personen; die zwei Pferde – zwei Gelderländer – sollen jeweils 700 bis 750 kg gewogen haben: Kann man unter diesen Vorzeichen von einer Überlastung der Pferde sprechen – oder sind die Vorwürfe übertrieben? Wieviel dürfen Pferde überhaupt an Gewichtslast ziehen – und welche weiteren Umstände müssen bei einer Beurteilung berücksichtigt werden?

Dr. Kaun sieht die Belastung der Pferde – insbesondere angesichts der gegebenen Umstände – durchaus kritisch: „Axams und Tirol ist nicht gerade als Flachland anzusprechen, deshalb gilt folgende Regel für die Belastung der Pferde: Sie können die Summe ihres einfachen Körpergewichtes ziehen, das wären etwa 1500 kg. Der Wagen dürfte um die 500-600 kg wiegen, dazu kommen ca. 15 Personen (im Durchschnitt 75 kg), ergibt ein Personengewicht von 1.125 kg, sprich: ein Gesamtgewicht Wagen + Personen von 1.675 kg – und das ist a priori grenzwertig!"

Erschwerend komme für Dr. Kaun hinzu, dass der Wagen – wie auf den Fotos deutlich erkennbar – mit sehr kleinen PKW-Reifen ausgerüstet war, die einen hohen Rollwiderstand haben, die Zugaufgabe für die Pferde also zusätzlich erschwerten. Zudem seien noch zahlreiche weitere Fragen zu klären:

– Welche Bremsen hat der Wagen?
– Die wievielte Fahrt an diesem Tage war dies?
– Wie lange Ruhepausen hatten die Pferde, wurden sie gefüttert und getränkt, standen sie im Schatten?
– Um welche Uhrzeit kam es zum Zwischenfall und wie war die Außentemperatur zu dieser Zeit?
– Wie war der Trainingszustand der Pferde?

Das alles müsse bei der Beurteilung des Sachverhalts berücksichtigt werden. Es spreche jedoch manches für eine tatsächliche Überanstrengung der Pferde, das Foto- und Videomaterial des Vorfalls „zeigt zwei Pferde, die die ,Anlehnung' suchten, aber nicht am Gebiss, sondern aneinander, um nicht umzufallen – dies entspricht auch der Schilderung einiger Augenzeugen", so Dr. Kaun.

Für Dr. Kaun ist jedenfalls eine rückhaltlose Aufklärung des Vorfalls mehr als angebracht: „Das tote Pferd müsste einer Autopsie zugeführt worden sein, um die tatsächliche Todesursache zu ergründen. Jeder einzelne der Fahrgäste müsste vernommen werden und die gesamte Fahrstrecke "fachkundig" abgefahren werden – so würde ich als forensischer Sachverständiger vorgehen. Ferner müsste das überlebende Pferd einer genauen klinischen Verlaufkontrolle mit Blutbildern und ev. EKG unterzogen werden."

Wir wollen hoffen, dass es genau so geschieht ...

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