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Die Macht der Sportverbände, Teil 1: Ein Staat im Staat
27.06.2018 / News

Die Reitsport-Verbände genießen aufgrund der Vereinsautonomie einen starken rechtlichen Status – gegen den der einzelne Athlet bisweilen wenig ausrichten kann.
Die Reitsport-Verbände genießen aufgrund der Vereinsautonomie einen starken rechtlichen Status – gegen den der einzelne Athlet bisweilen wenig ausrichten kann. / Symbolfoto: Julia Rau
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden.
Dr. F.-Wilhelm Lehmann ist Jurist und Arbeitsrechts-Experte – und als passionierter Reiter ein Leben lang mit Pferden verbunden. / Foto: privat

Die rechtliche Sonderstellung der Sportverbände wird von diesen mit der Notwendigkeit eines strikten Anti-Doping-Kampfes gerechtfertigt – geht aber mitunter auf Kosten unschuldiger Athleten. ProPferd hat dazu mit dem renommierten Juristen und Arbeitsrechts-Experten Dr. F.-Wilhelm Lehmann ein ausführliches Interview geführt – hier Teil 1.


ProPferd: Herr Dr. Lehmann, Sie setzen sich ebenso wie Verbände und andere Personen  für einen sauberen  Sport ein und haben in den Jahren 2010 bis 2012 einen österreichischen Springreiter vor dem Int. Sportgericht in Lausanne erfolgreich gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen verteidigt. Sie werden seither nicht müde, auf die Ungerechtigkeiten des Regelwerks der Sportverbände beim Anti-Doping-Kampf und den darauf beruhenden Urteilen der Sportgerichte hinzuweisen. Wieso ist dieses Regelwerk für sie ungerecht – und verwandelt, wie Sie einmal sagten, unschuldige in schuldige Reiter?

Dr. F.-Wilhelm Lehmann: Die gesamte Thematik ist sehr komplex und vielschichtig. Es wäre daher den Bemühungen der Int. Reiterlichen Vereinigung FEI um faire Wettkämpfe nicht angemessen, den Stab über das Regelwerk im Verband zu brechen. Jedoch sollte die FEI nicht an fragwürdigen Bestimmungen festhalten, nur weil diese der FEI und den Sportgerichten den Kampf gegen Doping und verbotene Medikation mit Absicht erleichtern. Die Beweiserleichterung in der verbandlichen Anti-Doping-Regelung ist ungerecht. Dies betrifft nicht nur die Regelwerke der FEI, sondern auch die Regelwerke von etwa 60 anderen Sportverbänden. Es wäre unwürdig, wenn die Sportverbände diese Regelwerke trotz des Gefühls der Ungerechtigkeit nur deshalb weiter im Kampf gegen Doping nutzen, weil die Zivilgerichte grundsätzlich nicht in die grundrechtlich garantierte Vereinsautonomie der Sportverbände eingreifen. Die Fairness im Sport gebietet ebenso die Fairness in sportgerichtlichen Verfahren.

ProPferd: Und die sehen Sie in Gefahr …?

Dr. Lehmann: Aus meiner Sicht sind die Verfahren nicht rechtsstaatlich. Oder sind etwa die Interessen am Kampf gegen Doping höher zu bewerten als die Würde und Existenz eines unschuldigen Reiters? Wenn wir die Interessenlagen abwägen, so erkennen wir:  Ehrbare Personen und vor allem Sportler haben ein großes Interesse an der Sauberkeit des Sports. Auf ihrer Seite stehen die Erwartung und der Glaube an einen integren Sport, an die Fairness und Chancengleichheit. Der Sportler erwartet von den Sportverbänden, dass sie gegen Verstöße des Dopings oder verbotener Medikation mit harten Sanktionen und Antidoping-Regelungen durchgreifen.

Auf der anderen Seite dürfen Menschen, die in den Verdacht geraten sind, auch ihrerseits
Fairness vom Regelwerk der Sportverbände erwarten. Dazu gehört der Grundsatz des fairen Sportgerichtsverfahrens mit „Waffengleichheit“ in der Beweisführung und der Grundsatz der Neutralität der Schiedsgerichte.  Diese wird mit Recht von betroffenen Sportlern als auch Wissenschaftlern in Frage gestellt (Lehner/Nolte/Putzke „Anti-Doping-Gesetz Rn.59 bis 71, Nomos Verlag 2017).

ProPferd: Kritisiert wird insbesondere, dass dem Sportler der Weg zu den ordentlichen staatlichen Zivilgerichten nicht durch die Unterschrift unter eine ihm aufgezwungene Schiedsvereinbarung abgeschnitten wird …

Dr. Lehmann: Wenn sich ein Sportler gegen Vorwürfe verteidigen muss oder gegen Urteile der Sportgerichte, endet gemäß der Schiedsvereinbarung sein rechtlich begehbarer Weg beim internationalen Schiedsgerichtshof CAS (Court for Arbitration). Der Athlet kann aufgrund des Regelwerks der Sportverbände, dem er sich freiwillig oder mit Zwang unterwirft, über den CAS hinaus nur noch das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne als Revisionsinstanz anrufen.

Zwar sprechen die Verbände von einer freiwilligen Schiedsvereinbarung. Das Wort „freiwillig“ passt jedoch nicht zu den Fakten. Der einzelne Spitzensportler hat ohne die Unterzeichnung der ihm vorgelegten und vorformulierten Schiedsvereinbarung, mit der er auf den Weg der ordentlichen Gerichtsbarkeit verzichtet, keine Chance auf Zulassung zum internationalen Wettbewerb bis hin zur Weltmeisterschaft oder Olympiade.

Ich zitiere aus dem Regelwerk des Deutschen Olympiade- Komitees für Reiterei (DOKR) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN): „Jeder Kaderangehörige muss die Rahmen- und Schiedsvereinbarung zur Kaderberufung unterzeichnen“. 

Ich bezweifele, dass die Umstände, unter denen Sportler diese Vereinbarung unterzeichnen, freiwillig sind.  Eine unter Zwang abgeschlossene Vereinbarung ist keine rechtlich wirksame Vereinbarung. Das Wort „muss“ beweist die mangelnde „Vertragsfreiheit“. Sie wird auch nicht dadurch zur freiwilligen Vereinbarung, dass beide Partner das Ziel der Abwehr von Doping haben.

Vereinbarungen sind rechtlich unbestreitbar rechtsunwirksam, wenn die Unterwerfung unter die Vereinbarung unter Zwang erfolgt. Die Bundesregierung in Deutschland hat in der Begründung eines Referentenentwurfs zur Regelung des organisierten Sports vom 10.11.2014 das unangenehme Feuer erkannt. Sie hat das Thema der Freiwilligkeit, welches alle aufgezwungenen Schiedsvereinbarungen unwirksam macht, mit diplomatischem Geschick zum Schweigen zu bringen versucht. Sie rechtfertigt das Unrecht der Anwendung von aufgezwungenen Schiedsvereinbarungen mit dem Argument, dass die Bundesregierung von einer funktionierenden rechtsstaatlichen Sportgerichtsbarkeit ausgeht. Und es daher nicht mehr auf die Frage der Freiwilligkeit ankommt. Der Gesetzesentwurf war die Abwehr eines Urteils des Landgerichts München im Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Der Entwurf ist in der Schublade der Bundesregierung geblieben.  

ProPferd: Was wären denn die Folgen einer rechtsunwirksamen Schiedsvereinbarung?

Dr. Lehmann: Der Athlet wäre bei Unwirksamkeit nicht an sie gebunden. Die Rechtsprechung ignoriert diesen wesentlichen Tatbestand der Unwirksamkeit von aufgezwungenen Schiedsvereinbarungen, die den Rechtsweg an die ordentlichen staatlichen Zivilgerichte ausschließen. Der Spruch „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“ scheint Einzug in die Rechtsprechung des Bundesgerichts gehalten zu haben. Instanzgerichte – so etwa das Landgericht München (Urteil vom 26.2.2014-37 O2833/1) haben den Zwang der Sportverbände zur Unterschrift gegeißelt.

Ich stelle fest: Derzeit überlässt die Rechtsprechung mit der Binde vor den Augen den Verbänden die verbindliche Normensetzung kraft der Vereinsautonomie, dies selbst dann, wenn die Verbandsnormen rechtsstaatliche Zweifel aufwerfen.

Zweifel entstehen, weil Grundrechte miteinander kollidieren. Es kollidieren das Grundrecht der Vereinsautonomie (Art. 9 Grundgesetz) und der Anspruch von jedermann auf den gesetzlichen Richter (Art.101 GG) und auf die Freiheit der Berufswahl und Berufsausübung (Art. 12 GG).

Die Verbände sehen noch weniger als Justitia das Unrecht. Ich frage aus Gründen der Fairness im Sport und in der Sportgerichtsbarkeit: Sollten die Verbände nicht auch an die Unterlegenheit des unschuldigen Sportlers denken und unter Berücksichtigung beider Interessenlagen ihr Regelwerk ausgewogener gestalten?

Wenn mir entgegengehalten wird: Das geht nicht, weil der Kampf gegen Doping wichtiger ist, so antworte ich: Die drei Worte „Es geht nicht“ gibt es nicht bei gutem Willen und fairem Denken.

ProPferd: Verstehen wir Sie richtig, dass aus Ihrer Sicht der Spitzensportler, der an internationalen Wettkämpfen teilnimmt, weitergehende Rechte erhalten muss?

Dr. Lehmann: Das geltende Recht ist im Regelwerk der Sportverbände aus meiner Sicht nicht fair, unsportlich und verstößt gegen die Menschenwürde – und zwar wegen der Möglichkeit, dass der Sportverband den Leistungssportler, der an einem internationalen Wettkampf, einer Weltmeisterschaft oder Olympiade teilnehmen möchte, eine Schiedsvereinbarung als Vorbedingung für die Zulassung aufzwingt. Der Mensch wird dadurch zum willenlosen Werkzeug des Sportverbandes degradiert. Nicht weniger kritisch sehe ich die Anpassung der Justiz an dieses rechtlich fragwürdige Vorgehen. Staatliche Zivilgerichte halten sich grundsätzlich aus dem Regelwerk der Sportverbände heraus und lassen diese allein walten.  
Es gibt derzeit nur einige begrenzte Ausnahmen für Eingriffe. Mit dieser Hoffnung rufen Sportler zuweilen auch staatliche Gerichte an. Sie verlieren wertvolle Zeit und viel Geld, weil derzeit der Gesetzgeber schweigt und ebenso die Sportverbände schweigen, weil sie keinen Anlass zu unbequemen Änderungen in der Doping-Bekämpfung sehen.

ProPferd: Wie kommt es denn, dass dennoch einige Zivilgerichte von Sportlern angerufen worden sind?

Dr. Lehmann: Obgleich die Regelwerke dem Athleten den Weg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit verschließen, weil sie dem Sportler die im Zivilverfahren geltende Verteilung der Beweislast auf die Parteien im Hinblick auf ihr Ziel des Anti- Dopings nicht zugutekommen lassen wollen, steht es dennoch dem einzelnen betroffene Athlet frei, sich gleichwohl an ein ordentliches Zivilgericht zu wenden. Aber er hat wegen der Vereinsautonomie wenig Chancen, dass das Zivilgericht Regelungen des Verbandes als unwirksam erachtet oder sogar die Neutralität von Sportgerichten im Urteil in Frage stellt.

ProPferd: Wie sind denn die rechtlichen Grundsätze der Beweislastverteilung?

Dr. Lehmann: Im staatlichen Rechtssystem wie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit der Zivilprozessordnung muss in der Regel der Geschädigte (das wäre im übertragenen Sinn der Verband ) die Schuld des Schädigers (Athlet) vor Gericht darlegen und beweisen,  um den Anspruch gegen den Schädiger durchzusetzen. In der Sportgerichtsbarkeit gelten demgegenüber andere, selbstgemachte Regeln, mit denen die Verbände leichter eine Sanktion gegen den Sportler verhängen können. Der Verband braucht nach dem Regelwerk im Pferdesport nur darzulegen und zu beweisen, dass ein verbotenes Medikament im Pferdkörper gefunden ist (A-und B-Probe) und somit ist der Reiter schuldig, weil er die Verantwortung für das Pferd allein trägt. Nicht einmal ein Verschulden des Veranstalters wegen mangelnder Aufsicht oder ein Verschulden des Tierarztes werden geprüft. Auch der Pferdebesitzer/Eigentümer wird aus dem Schussfeld genommen.

Ich wage zu behaupten: Für die Sportverbände steht das Interesse der Abstrafung des Verdachts des Dopings oder der verbotenen Medikation als oberstes Ziel und somit weniger der Reiter als Mensch. Das Ziel der Verbände liegt in der Abschreckung anderer Täter. Für die Realisierung des Ziels des sauberen Sports kommt es nach dem Regelwerk nicht auf Schuld oder Unschuld an.

Nach diesem Regelwerk kann – anders als beim Strafgericht – ein unschuldiger Sportler trotz Unschuld durch das Urteil des Sportgerichts zu einer Verbandsstrafe verurteilt werden, und zwar auch dann, wenn der Sportler die ihn entlastenden Umstände vorträgt. Er hat zu beweisen, wie das Mittel in das Pferd gekommen ist. Die Verantwortung trägt allein der Reiter, ansonsten nicht einmal der Besitzer bzw. Eigentümer des Pferdes.

Anders verhält es sich im Rechtsstaat außerhalb der Sportverbände. Im Strafrecht ermittelt der Staatsanwalt, ob der beschuldigte Täter rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat.  Ein Strafgericht, das die Anklage des Staatsanwaltes zugelassen hat, kann einen Sportler wegen Unschuld zu einer Strafe verurteilen oder mangels Beweisen freisprechen.

Dies hat zur Folge:  Der gleiche Sportler, der von den Sportgerichten trotz Unschuld zu einer Geldstrafe und zu einer Sperre von bis zu vier Jahren verurteilt worden ist, kann vom Strafgericht vom Verdacht des Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz wegen erwiesener Unschuld oder eines Mangels an Beweisen freigesprochen werden.

Wir sollten im Sportrecht noch mehr als bisher bedenken: Die Sperre nach den Regeln der Sportverbände kann im Leben eines Sportlers und im Berufsleben eines Berufssportlers sein privates und berufliches Ansehen und seine berufliche Existenz für immer zerstören.
Man mag derartige Regelungen aus der Sicht der Sportverbände verstehen. Jedoch stellen sich erhebliche rechtsstaatliche Fragen. An diese geht niemand so recht heran. Die Sportverbände sehen hierzu bisher wegen des Eigeninteresses keine Notwendigkeit, und die Justiz in der ordentlichen Gerichtsbarkeit überlasst den Verbänden die Rechtsetzung.
Fazit: Die Sportverbände bilden einen Staat im Staate. Der kleine Staat im Staat gibt sich eigene Gesetze.

ProPferd: Wie würden Sie denn die Beweislast regeln?

Dr. Lehmann: Ich differenziere mit einer ,Drei-Stufen-Regelung‘. In der ersten Stufe trägt der Verband die Darlegungs- und Beweislast, dass ein Dopingmittel im Körper des Pferdes im Rahmen der zu beschreibenden Abläufe festgestellt ist.

In der zweiten Stufe trägt der Reiter, der bewusstes Doping von sich weist, mögliche Einwendungen vor. Er wendet beispielsweise ein, dass er vom Doping nichts weiß. Jedoch muss er darlegen und beweisen, auf welche Weise er die Verantwortung für sein Pferd während des Turniers wahrgenommen hat. Er kann zu seiner Entlastung beispielsweise darauf hinweisen, dass die Stallungen mit den Turnierpferden nicht hinreichend bewacht gewesen sind. Das muss er aber anhand konkreter Fallbeispiele darlegen und wenn möglich hierzu Zeugen oder andere Beweismittel benennen.

In der dritten Stufe ist es Sache des Veranstalters, darzulegen und zu beweisen, dass er als Veranstalter für die Sicherheit der Tiere alles Erforderliche und Zumutbare unternommen und wie er die Sicherheit während der Veranstaltung überprüft hat.

Der Veranstalter müsste darlegen und beweisen, dass er zur Sicherheit rund um die Uhr Wachpersonal eingesetzt hat und dass von ihm beauftragte Personen Listen über die sorgfältig kontrollierten Stallbesucher angelegt haben. Sinnvoll und hilfreich für die Entlastung des Veranstalters ist auch das Aufstellen von Videokameras oder anderen Überwachungsinstrumentarien. 

Wenn der Veranstalter sich nicht hinreichend entlasten kann, dann ist der Sportler im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 286 Zivilprozessordnung) nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“  (in dubio pro reo)  vom Vorwurf des Doping freizusprechen.

ProPferd: Betreffen die Anti-Doping-Gesetze nur das staatliche Strafrecht?

Dr. Lehmann: Grundsätzlich erfassen die Anti-Doping-Gesetze in Österreich und in Deutschland nur das staatliche Strafrecht zur Abwehr von Doping und verbotener Medikation.

In Deutschland ist das Anti-Doping Gesetz im Dezember 2015 in Kraft getreten und enthält harte Maßnahmen zur staatlichen Bekämpfung von Doping. Der Tierschutz ist nicht erfasst. Dieser richtet sich nach den deutschen Tierschutzgesetzen. Das späte Inkrafttreten war jahrelangen Diskussionen geschuldet, weil ein Teil der Gegner des Gesetzes meinten, die Verbände könnten den Kampf allein gegen Doping führen und es bräuchte gar kein Gesetz. Ihnen war nicht an der Konkurrenz des Staates mit rechtsstaatlicher Beweisführung gelegen. Denn damals wie heute machen sich die Sportvereine ihre eigenen interessengerechten Verbandsnormen. Das sind zwar keine Gesetze im eigentlichen Sinn, weil sie nicht vom Gesetzgeber im Staat Österreich oder Deutschland geschaffen und in Kraft gesetzt sind, aber sie gelten autonom wie auf einer Enklave im Staatsgebiet kraft der sogenannten Autonomie (Selbstherrschaft) der Vereine/Verbände.

Für das staatliche Strafrecht gelten die Antidoping-Gesetze, die bei Verstößen gegen das Gesetz Strafen androhen. Die Anti-Doping Gesetze gehen auf das europäische Anti-Doping-Übereinkommen vom 16.11.1989 zurück.

Das Land Österreich hat bereits im Jahr 2007 das Anti-Doping-Bundesgesetz in Kraft gesetzt und somit frühzeitig einen wesentlichen Schritt im Kampf gegen Doping beschritten, um den Ruf des österreichischen Sports, der bei Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City mit der Blutbeutelaffäre und 2006 in Turin gelitten hatte, international wiederherzustellen. Das österreichische Gesetz schützt auch das Tier im Wettkampf. Gemeint sind Tiere, die zur Befriedigung der Halter oder Zuschauer und Wettenden im Wettkampf der Tiere gegeneinander oder im Wettkampf von Tier und Mensch (Stierkampf) oder Mensch und Tier (Reiter und Pferd) gemeinsam im Wettkampf eingesetzt sind.

Diese Gesetze haben das Regelwerk der Sportverbände nicht verändert, auch nicht in der Beweislast. Die Anti-Doping-Gesetze greifen nicht in die eigenständigen Regelwerke der Sportverbände und deren Sanktionen in der Sport- und Schiedsgerichtsbarkeit ein.

ProPferd: Worin liegt der Unterschied?

Dr. Lehmann: Wenn man die staatlichen Gesetze mit dem Regelwerk der Sportverbände vergleicht, kommt ein Sportler, der nicht an Doping oder verbotene Medikation beim Turnier auch nur gedacht hat, in arge Bedrängnis, wenn er sich im Rahmen des Regelwerks der Sportverbände verteidigen muss. Oft bemerkt er zu spät, dass er durch seine Unterschrift unter eine ihm vorgelegte Schiedsvereinbarung auf seine Abwehrrechte außerhalb des Verbandswesens verzichtet und sich vertraglich verpflichtet hat, seine Rechte nur bei den vom Verband eingerichteten Sportgerichten zu verfolgen und notfalls noch die letzte Instanz des Schiedsgerichts in Lausanne anzurufen (Court of Arbitration for Sport, CAS).

Der Sportler darf dann als allerletztes Mittel nur noch das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne zur Hilfe anrufen. Dieses oberste staatliche Gericht prüft aber nur noch, ob die Regeln der Sportverbände eingehalten worden sind. Denn die Regeln im europäischen Strafrecht, dass der Staat einem Beschuldigten das Doping nachweisen muss, gilt im Regelwerk der Sportverbände nicht.

ProPferd: Können Sie uns das näher erläutern?

Dr. Lehmann: Das Ziel der Sportverbände mit eigenen Regelwerken liegt unter anderem darin zu verhindern, dass Sportler, die beim Doping oder bei verbotener Medikation ertappt sind, sich auf vielerlei Arten herausreden können. Wenn der Verband nach rechtsstaatlichen Grundsätzen dem Sportler die Schuld nachweisen müsste, dann würde der Kampf der Sportverbände weitgehend ins Leere laufen. Sie wären oft in Beweisnot. Daher drehen die Sportverbände mit ihrer eigenen Gesetzgebung in Form des Regelwerks die Beweislast um und legen dem Athleten die Beweislast auf.

Das Regelwerk begrenzt die Rechtsmittel des Athleten bzw. Reiters auf die Sportgerichte, die der Sportverband für richtig hält. Dadurch kann dem in Verdacht geratenen Sportler in der Sportgerichtsbarkeit „der kurze Prozess“ gemacht werden. 

Der Sportler, der zu einem internationalen Wettkampf zugelassen werden will, muss sich nach geltendem Recht, das ich nicht für Recht halte, dem Verbandsregelwerk beugen.
Zur vertraglichen Bestätigung des Sportlers seines Verzichtes auf die ordentliche Gerichtsbarkeit und Unterwerfung unter die Sportgerichtsbarkeit legt ihm der Sportverband,  der die Alleinstellung und Macht hat, den Sportler zum internationalen Wettkampf, zur Weltmeisterschaft oder zur  Olympiade zuzulassen oder auch nicht, das vorgedruckte Formular der Schiedsvereinbarung vor.

Dies bedeutet für den Spitzensportler, dass er nur auf der Grundlage des verbandlichen Regelwerks und nicht bei der ordentlichen staatlichen Gerichtsbarkeit Abwehrrechte hat, beispielsweise gegen eine mehrjährige befristete Sperre zur Teilnahme an internationalen Wettkämpfen.  Spätestens dann, wenn ein Verband wie die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) an den Reiter den Vorwurf richtet, seinem Pferd verbotene Medikamente eingegeben zu haben, erkennt der Reiter, dass er auf seine Rechte schriftlich verzichtet hat, indem er die Schiedsvereinbarung arglos unterschrieb, um zum Wettkampf zugelassen zu werden. Nach einem Vorwurf steht der Athlet gleichsam für einen Freischuss des Sportverbandes vor der Wand. Der Freischuss ist durch das Regelwerk legitimiert.
Eine vom Sportgericht verhängte Sperre kommt einem Berufsverbot gleich.

ProPferd: Sie kritisieren also, dass der unschuldige Reiter das Nachsehen hat?

Dr. Lehmann: Darauf läuft es letztlich hinaus. Es geht um die rechtsstaatliche Frage, wer was zu beweisen hat, also um die Beweislast. Je nach Beweislast verteilt sich die Vermutung der Schuld des Täters oder der Unschuld.

Eine der maßgeblichen, jedoch sehr kritisch zu betrachtenden Regeln im Pferdesport lautet sinngemäß: „Es liegt in der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen Verantwortlichen sicherzustellen, dass während einer Veranstaltung keine Kontrollsubstanz im Körper des Pferdes vorhanden ist. Verantwortliche Personen sind für alle Substanzen, die in ihren Proben gefunden wurden, auch dann verantwortlich, wenn ihr unterstützendes Personal zusätzlich verantwortlich ist, soweit die Umstände es rechtfertigen. Es ist (für den Vorwurf der Tat) nicht erforderlich, dass Vorsatz, Verschulden, Fahrlässigkeit oder wissentliche Nutzung nachgewiesen werden, um daraus einen Regelverstoß herzuleiten“.

Die vorgenannte Beweislast beim Anti-Doping – auch als „strict liability“ bezeichnet – widerspricht dem Grundsatz einer Unschuldsvermutung im Strafrecht Sie widerspricht auch den allgemeinen Beweislastregeln, nach denen ein Anspruchsteller die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs nachzuweisen hat.

ProPferd: Aber ist das nicht eine sinnvolle Regelung zur Bekämpfung des Dopings?

Dr. Lehmann: Wir sollten uns zunächst einmal die Unterschiede der Beweislastverteilung im staatlichen Recht, insbesondere im Strafrecht anschauen und dann mit dem Regelwerk der Sportverbände vergleichen.

Ein Reiter, der in Verdacht geraten ist, setzt sich einem staatlichen Ermittlungsverfahren und dem sportgerichtlichen Verfahren aus. In der Beweisführung liegen die Unterschiede.
Im Strafrecht hat – anders als im Verbandsrecht – der Staatsanwalt den Nachweis der Tat und Schuld zu führen und nicht der Beschuldigte bzw. Angeklagte. Die vom nationalen Parlament als Gesetzgeber geschaffene Rechtsordnung verlangt im Strafrecht vom Rechtsstaat, dass der beschuldigten Person zunächst die Unschuldsvermutung zugutekommt. Diese besteht im Dopingfall selbst dann noch, wenn die A-oder B-Probe den Verdacht des Dopings aufkommen lassen und daher die Staatsanwaltschaft gegen den Sportler wegen des Anfangsverdachtes des Verstoßes gegen Strafgesetze ermittelt.
Die Unschuldsvermutung besteht im allgemeinen Strafrecht des Staates solange, bis der Richter nach Zulassung der Anklage in einer Hauptverhandlung im Rahmen der Beweisaufnahme alle belastenden und entlastenden Argumente gehört und das Urteil gesprochen hat. Danach kann der Angeklagte nach bestimmten Regeln der Strafprozessordnung Berufung und später gegebenenfalls Revision einlegen. Der Strafrichter prüft bezogen auf die einzelne Person, ob der Straftatbestand erfüllt ist und ob der Angeklagte als Person schuldig ist, das heißt, ob ihn die Schuld trifft und ob er zielgerichtet final die Tat herbeigeführt hat.

Ein Strafrichter würde nicht etwa dem Angeklagten die Schuld am Doping seines Pferdes zuweisen, wenn nicht der Beweis des vorsätzlichen finalen Handelns oder Duldens des Angeklagten geführt ist. Wenn der Staat vertreten durch den Staatsanwalt den Beweis der Schuld des Angeklagten – also das finale Handeln oder Unterlassen bzw. Dulden – im Strafverfahren nicht führen konnte, stellt er mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Stimmt der Staatsanwalt nicht zu, spricht das Gericht das Urteil. Im Falle der Unschuld ist dies ein Freispruch und darin den Angeklagten entweder wegen erwiesener Unschuld oder mangels Beweisen frei. 

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das vergleichbar ist mit dem Fall der Sanktion der FEI, die mit dem Regelwerk den Reiter dafür verantwortlich macht,  dass ein Dopingmittel in das Pferd ohne sein Wissen gelangt ist:

Ein Strafgericht hatte über die Tat und die Schuld eines angeklagten Postboten, dem vorgeworfen war, Pakete mit Inhalt unterschlagen und nicht ausgeliefert zu haben, zu entscheiden. In der Hauptverhandlung stellte sich die Unschuld des Postboten heraus. Ein Schöffe war bei der internen Beratung des Richters und der Schöffen (Laienrichter) gegen einen Freispruch.

Vom vorsitzenden Richter befragt, weshalb er den Freispruch nicht wolle, antwortete der Schöffe: Egal ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht: So eine Schweinerei – dass Pakete wegkommen, darf bei der Post nicht passieren!“

Nach klärenden internen Worten des Richters an den Schöffen, dass der Schöffe  sich mit dieser laienhaften Meinung nicht rechtsstaatlich verhält, weil die Schuld ausschließlich  in der Person des Angeklagten zu prüfen ist, sprach das  Gericht nach Rückkehr in den Gerichtssaal  den Angeklagten frei.

Sie sehen: Es geht im Rechtsstaat um die persönliche Schuld oder Unschuld – nicht aber um die Schuld oder Unschuld eines Sportverbandes.

ProPferd: Und wie sieht zum Vergleich die Beweislast und Unschuldsvermutung im Regelwerk der Sportverbände aus?

Dr. Lehmann: Dort gilt derzeit die Maxime: Ob der Reiter nun schuldig oder nicht: Doping darf in der Pferdewelt nicht vorkommen und gehört ausgemerzt. Die Sportgerichtsbarkeit kennt das rechtsstaatliche  Prinzip der Unschuldsvermutung nicht. Die Unschuldsvermutung haben die Verbände in ihren Regelwerken weggelassen. Das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung stört den Kampf gegen Doping und verbotene Medikation.  Die Unschuldsvermutung endet im Regelwerk der Sportverbände, sobald ein Dopingmittel oder im Sport verbotenes Medikament im Körper des Athleten oder des Pferdes durch die A und B-Proben gefunden wird. Kaum ergibt sich aufgrund der Analysen der Blutproben der Verdacht des Dopings, so liegt nach dem eigenwilligen Verbandsrecht die Beweislast beim Sportler, der FEI in einer Anhörung und später dem Sportgericht darzulegen, wie denn das Mittel in den Körper des Pferdes gelangt ist. 

Der Reiter – wohlgemerkt: nur der Reiter – wird beschuldigt, wenn ein Dopingmittel in den Körper des Pferdes gelangt ist, nicht etwa ein andere Verdächtiger, auch nicht der Eigentümer des Pferdes, falls der Reiter nicht der Eigentümer ist.

Der Reiter wird von der FEI nur angehört, darf sich aber nur im Rahmen der Einschränkungen des Regelwerks verteidigen.

Ihm wird bei seiner Verteidigung, deren Erfolg für seine sportliche und berufliche Existenz von hoher Bedeutung sein kann oder ist, durch das Regelwerk der Sportverbände, vom Rechtsstaat abgeschnitten. Die Tatsache, dass es eine Sportgerichtsbarkeit gibt, von der Neutralität zu erwarten ist, führt nicht an der Fallgrube vorbei, dass der Sportler  nach dem Regelwerk  des Sportverbandes -anders als bei staatlichen Gerichten - die Beweislast allein trägt. Er muss beweisen dass das Dopingmittel durch eine andere von ihm benannte Person in den Körper des Pferdes gelangt ist. Ihm wird das Recht abgeschnitten, gegenüber der FEI oder einem Sportgericht vorzutragen, dass ein im Körper des Sportlers oder des Pferdes gefundenes  Dopingmittel ohne  sein Wissen  von einer anderen Person wie (Wettbewerber, Hufschmied, Tierarzt, Trainer usw.)  verwendet worden ist.

Ich sehe es anders: Die Beweislast darf nicht beim Sportler allein bleiben. Richtig wäre es im rechtsstaatlichen Sinn, dass die FEI und der Veranstalter  den Entlastungsbeweis einer tadellosen fehlerfreien Organisation führen, vor allem die  Listen über die Besucher  der tags und nachts überwachten Stallungen prüfen und dem Beschuldigten zur Einblicknahme vorlegen.

Beide, der Beschuldigte und die FN oder eine andere Institution, welche Anzeige erstattet hat, sollten fairerweise bei der Aufklärung aktiv mitwirken und den Athleten nicht allein lassen.

ProPferd: Wie gehen die ordentlichen Gerichte mit dieser Situation um?

Dr. Lehmann: Es gibt Gerichte, die das Regelwerk der Sportverbände als autonomes Recht nicht anrühren. Das ist das Stichwort: Die Sportverbände sind eine Macht im Staate, die sich eigene Gesetze (Regelwerke) geben. Sie bilden somit, wie ich nochmals betone, einen Staat im Staate.

Es gibt andere Gerichte, die diese Entwicklung als nicht rechtsstaatlich beurteilt haben. Beispielsweise hat das Oberlandesgericht Frankfurt hat schon frühzeitig  die Entwicklung der Sportsgerichtsbarkeit als Insellösung zu stoppen versucht.  im Urteil vom 18.April 2001 (OLG Frankfurt a.M. vom 18.4.2001 -13 U 66/01) hat das OLG den bisher in der Rechtsprechung der Obergerichte unwidersprochen gebliebenen Standpunkt vertreten:

„Es ist dieser Beweislastverteilung in Form der „strict liability“ in Deutschland jegliche Anerkennung zu versagen. Denn nach deutschem Rechtsverständnis – wie es durch die öffentliche staatliche Rechtsordnung geprägt ist - darf niemand mit einem auch nur zeitweiligen Berufsverbot belegt werden, wenn ihm nicht auch ein persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden kann“

Leider hat der Bundesgerichtshof im Jahre 2016  in der Pechstein-Entscheidung der Sportgerichtsbarkeit in einer von Sportwissenschaftlern stark kritisierten Entscheidung der Macht der Sportverbände zur Rechtsetzung und somit der Sportgerichtsbarkeit  eine Alleinstellung eingeräumt (Fall Claudia Pechstein: BGH vom 7.6.2016 - Az.: KZR 6/15)

 

In Teil 2 des Interviews erklärt Dr. Helmut Lehmann die Hintergründe des spektakulären Rechtsfall Claudia Pechstein und das folgenreiche und umstrittene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juni 2016.

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