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Tierschutz vs. Naturschutz: Hunderten Pferden droht Hungertod im Naturpark
25.09.2018 / News

Ein idyllisches Bild: Koniks im Naturreservat Oostvaardersplassen
Ein idyllisches Bild: Koniks im Naturreservat Oostvaardersplassen / Foto: Wikipedia/GerardM
Ein Bild des Schreckens: Im Winter fehlt es im umzäunten Gelände an Nahrung – viele Tiere verendeten im Vorjahr ...
Ein Bild des Schreckens: Im Winter fehlt es im umzäunten Gelände an Nahrung – viele Tiere verendeten im Vorjahr ... / Foto: Screenshot Online-Petition

Im Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen in den Niederlanden wird die Natur sich selbst überlassen – mit teils dramatischen Folgen: Im letzten Winter sollen über 3.000 Hirsche, Rinder und Pferde verhungert sein. Eine Online-Petition will verhindern, dass sich dies wiederholt – mehr als 200.000 haben bereits unterschrieben.

 

Man glaubt kaum, dass dies in einem zivilisierten westeuropäischen Land, das noch dazu für seine strikten Tierschutzgesetze bekannt ist, möglich ist: Da befinden sich in einem Naturpark, der von der staatlichen Waldbehörde verwaltet wird, Tausende Rothhirsche, Heckrinder und Konik-Pferde, denen ein entbehrungsreicher Winter und vielfach sogar der Hungertod droht – doch das Füttern der Tiere ist kategorisch verboten, lieber nimmt man in Kauf, dass ein Teil von ihnen den Winter nicht überlebt. Das ist es, was niederländische Tierfreunde derzeit erzürnt und auch den Biologen Patrick van Veen veranlasst hat, schon vor einigen Monaten eine Online-Petition zu starten, in der man ein Ende der Tierquälerei im Naturreservat Oostvaardersplassen fordert. Seinem Aufruf sind mittlerweile über 200.000 Menschen gefolgt. Die Petition soll solange aktiv bleiben, bis die zuständige Landwirtschaftsministerin handelt – doch das ist derzeit nicht in Sicht.

Das Naturentwicklungsgebiet Oostvaardersplassen unweit von Amsterdam, in dem sich all das abspielt, ist ein Naturreservat der besonderen Art. Entstanden ist es bereits in den späten 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als man das Gebiet im südlichen IJsselmeer trockenlegte, um es für Industrie und Gewerbe nutzen zu können. Doch die völlige Trockenlegung missland, und mangels anderer Verwendungen ließ man das 56 Quadratkilometer große Areal brachliegen, die Natur nahm wieder Besitz davon und beherbergte bald eine enorme Fülle und Vielfalt von Vogelarten. 1986 erklärte die niederländische Regierung das Gebiet zum ,Staatsnaturmonument’ – und entschied sich ab den frühen 1990er Jahren auch dafür, der zunehmenden Verbuschung  dadurch Einhalt zu gebieten, in dem man größere Beständen von Weidetieren – Rothirsche, Heckrinder und Konik-Pferde – ansiedelte, um die Flächen dauerhaft offenzuhalten.

In den Anfangsjahren schien das Konzept aufzugehen: Die Tiere fanden gute Lebensbedingungen vor und vermehrten sich mangels natürlicher Feinde in beachtlichem Tempo – und genau dies entpuppte sich mit den Jahren als immer größeres Problem. Aus den anfangs Dutzenden Weidetieren wurden Hunderte, aus den Hunderten schließlich Tausende – die zwar im Sommer eine ausreichende Nahrungsgrundlage haben, nicht jedoch im Winter, zumal von den insgesamt 5.600 ha Gesamtfläche lediglich 2.000 ha Trockenland sind. Im besonders kalten Winter 2009/2010 eskalierte die Situation erstmals – ein Fernsehteam verschaffte sich Zutritt zum Gelände und sorgte mit seinen Aufnahmen für einen öffentlichen Skandal: Sie zeigten ausgemergelte, apathische Hirsche, Rinder und Pferde, die verzweifelt auf der Suche nach Nahrung waren – aber auch zahlreiche Kadaver von bereits verendeten Tieren.

Die Empörung in der Öffentlichkeit war groß, die niederländische Regierung ließ die Vorgänge von einer unabhängigen Kommission untersuchen. Der zuständige Staatsekretär Henk Bleker musste schließlich zugeben, dass das ursprüngliche Konzept, die Natur gleichsam sich selbst zu überlassen und keine menschlichen Eingriffe zu erlauben, nicht aufrechtzuerhalten wäre. Man entschied sich jedoch nicht für die Fütterung der Weidetiere im Winter, sondern für einen kontrollierten Abschuss: Durch gezielte Entnahme eines Teils des Bestandes sollten die Überlebenschancen des anderen Teils erhöht werden. Abgeschossen werden seither vor allem kranke, schwache und verletzte Tiere – doch auch dies konnte nicht verhindern, dass der Gesamtbestand weiter anwuchs, wenngleich in gedämpften Tempo.

Im letzten Winter, der besonders lang und streng war, kam es zur neuerlichen Katastrophe: Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 3.000 Hirsche, Rinder und Pferde verhungert sein könnten, weil sie in dem umzäunten Areal zu wenig Nahrung fanden und auch nicht in andere Landstriche ausweichen konnten. Tierschützer griffen daraufhin zur Selbsthilfe, drangen immer wieder in das gesperrte Gebiet ein und fütterten die Tiere, was nach wie vor streng verboten und mit Geldbußen bestraft wird. Doch das nehmen diese in Kauf – was wiederum die Wildhüter auf die Palme bringt: Wenn die Weidetiere zusätzliches Futter bekommen, vermehren sie sich noch mehr – und das Problem verschärft sich weiter. Die Fronten sind verhärtet – und eine Lösung ist nicht in Sicht.

Biologe Patrick van Veen wollte mit seiner Online-Petition ein Zeichen setzen und die kritische Öffentlichkeit auch in anderen Ländern auf das Problem aufmerksam machen – und das ist ihm mit 200.000 Unterstützern zweifellos gelungen: „Ich hoffe, dass nicht nur niederländische Aktivisten sich weiterhin für diese Tiere einsetzen, sondern dass sie auch Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft erhalten. Das Ziel ist es, die zuständige Waldbehörde dazu zu zwingen, mit der Fütterung der Tiere zu beginnen, wie das externe Experten empfehlen, das Gelände für Inspektoren und die Medien zu öffnen, eine langfristige Planung zu erstellen und das Management, das für dieses Desaster und die daraus resultierende Tierquälerei die Verantwortung trägt, zur Rechenschaft zu ziehen.“

Ob der Plan aufgeht und der Druck auf die niederländische Regierung tatsächlich so groß wird, um sie zum Einlenken zu bewegen, ist mehr als ungewiss. Ein kleines Entgegenkommen gab es immerhin: Die Verantwortlichen entschlossen sich, die Abschuss-Quoten zu erhöhen und damit eine größere Zahl von Weidetieren aus dem Öko-System zu entnehmen. Fütterungen bleiben hingegen kategorisch verboten. Für Tierschützer ist das der falsche Weg – sie warnen eindringlich vor einer neuerlichen Katastrophe im Winter 2018/19, der abermals Hunderten von Tieren das Leben kosten könnte. Manche sprechen sogar von staatlich organisierter Tierquälerei und beharren darauf, dass der Staat sich auf dem von ihm verwalteten Naturreservat Verantwortung für die darin befindlichen Tiere trägt und sich auch um sie kümmern muss, sprich: sie zu füttern hat. Es ist ein Streit, der die Niederlande wohl noch einige Zeit beschäftigen wird und in dem eine Lösung derzeit nicht absehbar ist …

Das ARD-Magazin ,Weltspiegel’ hat vor kurzem eine sehenswerte Reportage über das Naturschutzgebiet Oostvaardersplassen und die drohende „Hungersnot im Paradies“ gestaltet, die man hier ansehen kann!

Die Online-Petition „Stoppt die Tierquälerei im niederländischen Naturreservat Oostvaardersplassen“ kann man hier unterzeichnen.

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