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Atypische Myopathie: Bereits 228 Krankheitsfälle in Europa, Dunkelziffer hoch
22.11.2018 / News

Der Zugang zu Weiden mit Ahornbäumen sollte in den kritischen Zeiträumen vermieden werden, um eine Aufnahme der giftigen Samen bzw. Sprösslinge zu verhindern.
Der Zugang zu Weiden mit Ahornbäumen sollte in den kritischen Zeiträumen vermieden werden, um eine Aufnahme der giftigen Samen bzw. Sprösslinge zu verhindern. / Symbolfoto: Irene Gams

Bis zum 20. November 2018 sind der Veterinärmedizinischen Fakultät in Lüttich  228 Fälle mit der Diagnose einer atypischen Myopathie berichtet worden – die tatsächliche Zahl dürfte aber noch weit höher sein.


Die Universität Lüttich forscht seit vielen Jahren intensiv an der gefürchteten atypischen Myopathie (Weidemyopathie) und hat eine Plattform aufgebaut, die sogenannte ,Atypical Myopathy Alert Group’ (AMAG), auf der die Besitzer betroffener Pferde bzw. deren Tierärzte europaweit Krankheitsfälle melden können. Die Plattform wird laufend aktualisiert – und gibt einen einzigartigen Überblick über Auftreten, Verbreitung und Intensität der Krankheit in den teilnehmenden europäischen Ländern.

Nach dem letzten Update (20. November 2018) wurden im heurigen Jahr bereits 228 Krankheitsfälle berichtet. Diese traten lt. offizieller Mitteilung der Vetmed-Universität Lüttich in Österreich (2 Fälle), Belgien (108 Fälle), in Dänemark (2 Fälle), in Frankreich (70 Fälle) in Großbritannien (9 Fälle), in Irland (1 Fall), in den Niederlande (7 Fälle), in der Tschechischen Republik (14 Fälle), der Schweiz (7 Fälle) und in Deutschland (8 Fälle) auf.

Nachdem die atypische Myopathie keine meldepflichtige Krankheit ist, basiert dieses Meldesystem auf rein freiwilliger Basis – und gibt daher keinen vollständigen Überblick über deren tatsächliche Häufigkeit. Eine hohe Meldezahl gibt es im Wesentlichen nur in Belgien (108 Fälle wurden hier berichtet) sowie in Frankreich (70 gemeldete Fälle) – während alle weiteren Länder wohl nur in Ausnahmefällen Krankheitsfälle an das AMAG-System weitergeben.

Österreich ist ein Beispiel dafür: Während es lt. AMAG-System nur 2 Krankheitsfälle bis zum 20. November gab, bestätigte die Landesveterinärdirektion Salzburg Ende Oktober insgesamt 15 Krankheitsfälle (siehe unsere Meldung dazu) – und lt. Mitteilung der Vetmeduni Wien gab es auch noch in Niederösterreich mehrere bestätigte Myopathie-Erkrankungen. In Österreich liegt die Zahl der tatsächlichen Krankheitsfälle somit um ein Vielfaches höher als jene, die an die AMAG gemeldet wurde – und das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in anderen Ländern so.

Information der Vetmeduni Wien zur atypischen Myopathie

Die Vetmeduni Wien hat – nicht zuletzt aufgrund der akuten Krankheitsfälle in Salzburg und Niederösterreich – vor kurzem eine ausführliche Information über diese hochgefährliche Erkrankung veröffentlicht, in der das Krankheitsbild sowie potentielle Behandlungsmöglichkeiten ausführlich erläutert werden.

Die Atypische Myopathie, auch Weidemyopathie genannt, wird durch eine Vergiftung durch das Toxin Hypoglycin A ausgelöst, das in Ahornsamen enthalten ist. Da Ahornbäume, darunter auch der Bergahorn, in unseren Breiten eine relativ häufige Baumart sind, stellen sie neben Koppeln und Reitrouten in der Zeit von Oktober bis März ein Risiko dar.
Hypoglycin A und speziell ein im Körper daraus gebildetes Abbauprodukt (Metabolit) – Methylene cyclopropyl acetic acid, kurz MCPA – sind für eine rasch fortschreitende Muskelerkrankung verantwortlich. Die Tiere können hierbei innerhalb von 72 Stunden versterben. Damit müssen bei den ersten Anzeichen einer Hypoglycin A-Vergiftung sofort Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, um das Pferd retten zu können. Die offensichtlichen Anzeichen sind im zeitlichen Verlauf unter anderem folgende:

    •    Zittern und Schwitzen
    •    Steifer Gang, auch ohne Reitbeanspruchung, häufig nach Weideaufenthalt
    •    Kolikähnliche Schmerzen
    •    Atembeschwerden und eine erhöhte Herzfrequenz
    •    Verfärbter Urin: Die rotbraune Verfärbung des Urins entsteht aufgrund des durch den Muskelaschaden freigesetzten und über die Nieren ausgeschiedenen Myoglobins, dem Muskelfarbstoff.

Betroffen sind vor allem Pferde, die ganztägig auf einer Weide mit angrenzenden Ahornbäumen gehalten werden. „Wird eine Hypoglycin Vergiftung von den Besitzerinnen oder Besitzern rechtzeitig erkannt und eine Tierärztin oder ein Tierarzt sofort verständigt, dann können erste Maßnahmen durch Stabilisierung von Kreislauf und Elektrolythaushalt mit Infusionen gesetzt werden“, erklärt Jessika Cavalleri, Professorin für Interne Medizin Pferde an der Vetmeduni Vienna und Expertin für Atypische Myopathie. In einem frühen Stadium kann auch Aktivkohle verabreicht werden, die laut einer wissenschaftlichen Studie, an der Cavalleri beteiligt war, das Toxin binden und daher präventiv auch noch nicht betroffenen Begleitpferden verabreicht werden kann. Ziel ist damit eine Vergiftung rechtzeitig abzuwenden. „Auch harntreibende Mittel können gegeben werden, um die Abbauprodukte auszuschwemmen. Bei Festliegen der Pferde ist dieser Zeitpunkt zumeist überschritten.“ Werden die Tiere nicht rechtzeitig behandelt, so beträgt die Sterbensrate 70 bis 90 Prozent.

Speziell gemähte Koppeln oder kurzgewachsenes Gras können in diesem Zeitraum ein Problem darstellen, denn die grasenden Pferde laufen damit besonders die Gefahr die Samen von Ahornbäumen aufzunehmen. Diese enthalten in ihren Kapseln und im Frühjahr, in der einblättrigen Keimphase das Toxin Hypoglycin A. Da Ahornbäume in unseren Breiten recht häufig sind, gilt es auf Koppeln zwischen Oktober und März darauf zu achten, die flügelblättrigen Samen zu entfernen und die Tiere beim Ausritt in der Nähe dieser Baumart nicht unbeaufsichtigt grasen zu lassen. Bei ersten Anzeichen einer Vergiftung, wie eben Zittern, Schwitzen oder unvermitteltem, steifen Gang sollte umgehend veterinärmedizinische Hilfe beansprucht werden.

„Über Urin und Serum können Laborproben gewonnen und auf Rückstände des Toxins untersucht werden. Wichtiger ist jedoch die Aufmerksamkeit der Pferdehalterinnen und –halter auf die Erstanzeichen. Durch den schnellen Krankheitsverlauf bestätigen diese Analysen bei sehr schnellem und hochgradigem Verlauf häufig im Nachhinein die Diagnose hinsichtlich der Todesursache.“, so Cavalleri. Wichtig ist zu verstehen, so die Expertin weiter, dass nicht nur die flügelblättrigen Samen der Ahornbäume, insbesondere des Bergahorns, toxisch für die Pferde sind. Auch die ersten Keimlinge im Frühling stellen eine Gefahr für die Tiere dar. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich ein zweiblättriges Keimblatt entwickelt, enthalten die Pflanzen vielfach hohe Mengen des Toxins.

Die Vetmeduni Wien legt allen betroffenen Pferdebesitzern bzw. deren Tierärzten auch das freiwillige Meldesystem AMAG ans Herz – damit könne das internationale Veterinärwesen nachhaltig unterstützt und eine europaweite, länderspezifische Erhebung unterstützt werden. Hier die Links dazu:

Link für PferdebesitzerInnen: http://labos.ulg.ac.be/myopathie-atypique/en/declare-case-owners/
Link für TierärztInnen: http://labos.ulg.ac.be/myopathie-atypique/en/veterinarians/declare-case-veterinarian/

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