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Studie: So hält man Aggressionen in Pferde-Gruppen niedrig
08.01.2019 / News

Eine möglichst natürlich zusammengesetzte und hinsichtlich Alter und Geschlecht gut durchgemischte Gruppe bringt Stabilität und geringe Aggressionen, so die Wissenschaftler.
Eine möglichst natürlich zusammengesetzte und hinsichtlich Alter und Geschlecht gut durchgemischte Gruppe bringt Stabilität und geringe Aggressionen, so die Wissenschaftler. / Symbolfoto: Fotolia/Ingairis

Zwei isländische Wissenschaftler haben untersucht, wie sich unterschiedliche Gruppen-Zusammensetzungen auf das Verhalten von Pferden auswirken – die Ergebnisse haben auch die Forscher überrascht.


Die Gruppenhaltung gilt als jene Haltungsform, die der natürlichen Lebensweise von Pferden am nächsten kommt – mit einem wesentlichen Unterschied: Während sich Wildpferde ihre Gruppenzusammensetzung unter sich ausmachen, trifft bei Hauspferden der Mensch diese Entscheidung – und durchschaut dabei nicht immer die natürlichen Gesetzmäßigkeiten und Rollenmuster, was zu Spannungen und Aggressionen innerhalb der Gruppe führen kann.

Aggressive Verhaltensweisen zu verringern und dadurch das Pferdewohl zu steigern, sollte daher ein zentrales Kriterium bei der Zusammenstellung einer Gruppe sein. Doch welche Faktoren tragen zu einem solchen friedlichen Miteinander in der Gruppe bei – und in welcher Beziehung sollen sie zueinander stehen? Mit dieser Frage haben sich zwei isländische Wissenschaftler beschäftigt und im Rahmen umfangreicher Tests und Beobachtungen analysiert, wie sich Faktoren wie das Geschlecht, das Alter oder die Anzahl befreundeter Tiere auf das Verhalten von Pferden auswirken. Im Zentrum stand dabei die Häufigkeit von sogenanntem „Anschlussverhalten" (affiliative behaviour, also Verhaltensweisen, die eine positive Rolle im sozialen Spektrum spielen, wie etwa gegenseitige Pflege oder miteinander Spielen) sowie die Häufigkeit von „agonistischem Verhalten" (agonistic behaviour, also Verhaltensweisen, die mit Rivalität, Wettbewerb und Konkurrenz verbunden sind, wie etwa aggressives oder unterwürfiges Verhalten).

Die verwendeten Daten stammten aus diversen unabhängigen Studien, die in den Jahren 1997 bis 2012 durchgeführt wurden und sich mit dem Sozialverhalten von Islandpferden beschäftigten. Insgesamt wurden Daten von 426 Islandpferden ausgewertet, die in 20 unterschiedlichen Gruppen gehalten wurden. Die wesentlichen Faktoren, die bei der Gruppenzusammensetzung getestet wurden waren: die Größe der Gruppe, die Bestandsdichte auf der Weide, das Geschlechterverhältnis, der Anteil an erwachsenen Pferden (älter als 4 Jahre), die Zahl der Fohlen in der Gruppe, die durchschnittliche Anzahl der Freunde, die Stabilität der Gruppe und die Anwesenheit bzw. Abwesenheit von Hengsten. Auch der Einfluss der jeweiligen Jahreszeit sowie die Zufütterung von Heu wurden in die Verhaltensanalysen einbezogen. Sechs der 20 Gruppen waren sogenannte Zuchtgruppen (mit Stuten, neugeborenen Fohlen und einem Hengst), drei Gruppen waren ausschließlich Jungtiere, zwei Gruppen nur erwachsene Pferde, der Rest waren gemischte Gruppen (Wallache, Stuten, Jungpferde).

Gruppe mit Hengst
Eine der wesentlichsten Beobachtungen war, dass die Anwesenheit von Hengsten eine große Wirkung hatte, da die Pferde in den Zuchtgruppen viel weniger aggressiv bzw. unterwürfig waren: „Die geringe Häufigkeit agonistischer Interaktionen in den Gruppen mit einem Hengst im Vergleich zu den anderen Gruppen sind ein interessanter Befund und stützen unsere früheren Ergebnisse“, so die Wissenschaftler. Die Anwesenheit eines Hengstes und das Herdenverhalten, aber nicht die direkte Beeinflussung, sind naheliegende Erklärungen für die geringe Häufigkeit agonistischer Interaktionen zwischen Mitgliedern einer Gruppe. Das Gruppenverhalten des Hengstes könnte Auswirkungen auf die gesamte Sozialstruktur haben und das Niveau an Interaktionen senken, so die Wissenschaftler weiter. Die sechs Hengste in dieser Studie waren zwar die aggressivsten Individuen ihrer Gruppen (Aggressionshäufigkeiten zwischen 0,11 und 0,28 / h), aber im Vergleich zu den anderen Pferden waren sie relativ wenig aggressiv. Der Befund stimmt mit anderen Studien überein, in denen gezeigt wurde, dass Hengste gegenüber Stuten weder besonders dominant noch aggressiver als andere Pferde sind. Auch in reinen Hengstgruppen wurde ein insgesamt niedriges Aggressionsniveau nachgewiesen.

Die Präsenz und Anzahl der jungen Fohlen in den Gruppen korrelierten ebenfalls stark und negativ mit dem Grad der Aggression. Dies gilt sowohl für die Gruppen mit einem Hengst als auch für die ohne Hengst, aber mit Fohlen. Dies ist für die Wissenschaftler „eine sehr interessante Erkenntnis, über die unseres Wissens noch nicht berichtet wurde. Zwei dieser Gruppen (D und F) waren zahlenmäßig groß und umfassten neben den Muttertieren und ihren Fohlen auch trächtige und nicht trächtige Stuten sowie Wallache und Jungpferde. Die beiden Gruppen wurden im Frühjahr sechs Wochen lang beobachtet, wobei sich die Anzahl der Fohlen allmählich erhöhte. Die Muttertiere bildeten temporäre Gruppen, nachdem sie ihre Fohlen geboren hatten und verteidigten ihre Fohlen gegen andere Pferde, womit sich ihre Aggressivität nach dem Abfohlen erhöhte.

Stabilität der Gruppe
In Gruppen ohne Hengst war die Stabilität der Gruppenzugehörigkeit der wichtigste Faktor, der zu weniger Aggression beitrug. Dies ist bei den Gruppen mit Hengst nicht der Fall. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Das Vorhandensein eines Hengstes, das Vorhandensein von Fohlen oder beide Faktoren könnten den Effekt der sozialen Unsicherheit in den beiden instabilen Hengstgruppen gleichsam überdecken. In stabilen Gruppen wissen Pferde besser über das soziale Netzwerk Bescheid, sodass die dominanten Pferde weniger starke aggressive Signale geben müssen.

Die Ankunft von Neuankömmlingen ist mit einer Zunahme sozialer Interaktionen verbunden, vor allem aggressiven Drohgebärden. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Interaktionen rasch abnehmen, wenn das Mitglied in der Gruppe verbleibt. Schon vor 30 Jahren wurde in Untersuchungen darauf hingewiesen, dass Änderungen in der Gruppenzusammensetzung die soziale Organisation stören könnten. Die aktuelle Studie unterstützt dies – und auch der damals gegebene Rat an die Pferdebesitzer, die Gruppen so stabil wie möglich zu halten, ist von ungebrochener Bedeutung.

Die zwei Jährlingsgruppen wiesen die niedrigste Stabilität auf und zeigten die höchsten agonistischen Verhaltensweisen. Alle neun Jährlinge in beiden Gruppen gehörten verschiedenen Personen und waren sich zu Beginn des Experiments nicht vertraut. Vermutlich standen die Pferde unter starker Stress-Belastung, was zu häufigen Aggressions- und Unterwerfungshandlungen führte. In allen anderen Gruppen waren einige oder alle Pferde zu Beginn der Beobachtung miteinander vertraut.

Bereitstellung von Heu
Wie zu erwarten, führte die Bereitstellung von zusätzlichem Heu in den meisten Fällen zu einer Steigerung agonistischen Verhaltens (mit Ausnahme der beiden gemischten Nicht-Hengstgruppen mit Fohlen). In Island ist es übliche Praxis, Heu in großen Rollen zu liefern und einfach auf der Weide zu platzieren, ohne den Inhalt weiter zu verteilen. Wenn das Heu auf diese Weise verabreicht wird, bedeutet dies, dass sich die Pferde beim Fressen sehr nahekommen, was das Aggressionsniveau zu erhöhen scheint (nach persönlichen Beobachtungen). Deshalb empfehlen die Wissenschaftler Landwirten und anderen Pferdebesitzern sicherzustellen, dass auch Pferde von niedrigem Gruppenrang einen guten Zugang zu diesem zusätzlichen Heu haben.

Auch die Jahreszeit scheint einen gewissen Einfluss auf die Häufigkeit sozialer Interaktionen zu haben. Die Tatsache, dass agonistisches Verhalten im Winter zunimmt, ist wahrscheinlich sowohl auf die beschriebene Methode der Heu-Zufüttterung als auch auf verminderte Weidemöglichkeiten zurückzuführen.

Gegenseitige Fellpflege
Zu den Ergebnissen der aktuellen Studie gehört auch die interessante Beobachtung, dass gegenseitige Fellpflege stark und negativ 1) mit der Gruppengröße und 2) dem Anteil der Erwachsenen in Gruppen verbunden ist. Der erste Punkt könnte – so die Wissenschaftler – darin begründet sein, dass die Gruppengröße ein begrenzender Faktor für die Entwicklung eines funktionierenden sozialen Netzwerks ist, in dem alle Individuen die Möglichkeit haben, miteinander zu interagieren. Die Gründe für die zweite Beobachtung, daß Gruppen mit mehr erwachsenen Tieren weniger Fellpflege betreiben, sind nicht genau bekannt – doch es wäre eine plausible Erklärung, daß die älteren Pferde bereits mehrfache Bindungen eingegangen sind, während dies bei den jüngeren nicht der Fall ist. Da mit der Herstellung sozialer Bindungen auch weniger häufige Wechselbeziehungen bestehen, ist eine solche Korrelation durchaus zu erwarten. Auch ein weiteres Ergebnis dieser Studie, dass jüngere Pferde mehr Fellpflege betreiben als ältere, stimmt damit überein.

Die gegenseitige Fellpflege war auch negativ mit der Gruppenstabilität verbunden, was ebenfalls plausibel erscheint: Pferde in instabilen Gruppen erfahren aufgrund der hohen Häufigkeit agonistischer Interaktionen erhöhte Stresspegel. In derartigen Situationen ist das vermehrte gegenseitige Pflegen gleichsam eine beruhigende Folgereaktion, die zur Steigerung der positiven Emotionen und einer Senkung des Blutdrucks bei den betroffenen Pferden beiträgt. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, soziale Bindungen in instabilen Gruppen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Da dieses Bedürfnis jedoch mit zunehmender Vertrautheit (Stabilität) abnimmt, bevorzugen die Pferde die Fellpflege bei bestimmten Individuen, sprich: ihren Freunden. Interessanterweise betreiben Pferde weniger Fellpflege, wenn sie mehr Freunde haben –  und es ist zudem bemerkenswert, dass Pferde, wenn sie starke Bindungen mit einem oder zwei Individuen in der Gruppe eingegangen sind, sie diesen gegenüber ein besonders hohes Maß an Zuwendung zeigen.

Resümee
Die Forscher abschließend: „Eine Gruppenzusammensetzung, die dem natürlichen sozialen System mit beiden Geschlechtern (Jungpferden und Fohlen) und einer stabilen Mitgliedschaft erwachsener Pferde ähnelt, bietet wahrscheinlich die beste soziale Umgebung für alle Pferde, da sie ein sehr niedriges Aggressionsniveau aufweist. Dies ist vermutlich auch die beste Voraussetzung für junge Pferde, um soziale Fähigkeiten zu erlernen, da ältere und erfahrene Pferde anwesend sind und die Möglichkeit besteht, sich mit anderen zusammenzutun. Solche Gruppen – oder Gruppen, in denen Hengste durch erwachsene Wallache ersetzt werden – könnten auch sehr einfach in der täglichen Haltungspraxis umgesetzt werden. Gleichaltrige Gruppen sollten hingegen vermieden werden, insbesondere dann, wenn sie aus jungen, einander unbekannten Pferden bestehen, da hier mit besonders hohen Aggressions-Levels gerechnet werden muss.

Die Häufigkeit gegenseitiger Pflege war bei den verschiedenen Gruppentypen sehr ähnlich – während die Häufigkeit agonistischer Verhaltensweise sich deutlicher unterschied. Die beiden kleinen, instabilen Jährlings-Gruppen zeigten am häufigsten gegenseitige Fellpflege; die Pferde zeigten in großen Gruppen, in denen sie mehr Freunde hatten, weniger Pflegeverhalten – und interessanterweise zeigten es jene Pferde am häufigsten, die nur sehr wenige Freunde hatten.“

Die Studie „Significance of group composition for the social welfare of pastured horses" von H. Sigurjonsdottir und H. Haraldsson ist in der Zeitschrift ,animals’ am 5. Jänner 2019 erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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