Neue Tierhalter-Haftung: Das Tiroler Kuh-Urteil ändert auch für Pferdehalter einiges 10.04.2019 / News
Das Tiroler „Kuh-Urteil" wird auch für Pferdehalter manches verändern ... / Symbolfoto: Archiv Martin Haller
Nach der allgemeinen Empörung über das sogenannte „Kuh-Urteil“ in Tirol hat das Umweltministerium nun einen Gesetzes-Vorschlag für die Neuregelung der Tierhalter-Haftung vorgelegt. Erstmals wird dabei die „Eigenverantwortung“ von dritten Personen in das Gesetz aufgenommen – und das wird auch Pferdehalter betreffen.
Auslöser der geplanten Gesetzesänderung war der Zivilprozess gegen einen Tiroler Almbauern, dessen Kuhherde am 28. Juli 2014 im Tiroler Pinnistal eine 45-jährige deutsche Urlauberin zu Tode getrampelt hatte, die bei einer Wanderung mit ihrer Familie und ihrem Hund unterwegs gewesen war. Nach jahrelangem Rechtsstreit und einem umfangreichen Beweisverfahren mit 32 Zeugen, Durchführung eines Augenscheins und zwei Sachverständigen-Gutachten erging am 20. Februar 2019 das Urteil: Der Landwirt war zivilrechtlich in 1. Instanz zu einer Geldstrafe von 490.000,– Euro (Sofortzahlungen sowie monatliche Renten für den Ehegatten und den Sohn) verurteilt worden, darüberhinaus wurde die Haftung für künftige Folgen aus dem Unfall festgestellt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, der Bauer ist in Berufung gegangen.
Das Erkenntnis des Landesgerichts Innsbruck hatte einen landesweiten – auch medialen – Aufschrei und heftige Diskussionen zur Folge: Bei Landwirten sorgte es für Verunsicherung und Unverständnis – sie warnten vor einem „Ende der Almwirtschaft“, nachdem das Gericht den Bauern in der Pflicht gesehen hatte, die Alm an der stark frequentierten Stelle einzuzäunen. Dies wäre realitätsfremd und technisch undurchführbar, hieß es – und könne letztlich sogar zu einer Aufgabe der meisten Almen und einer Sperrung zahlreicher Almwege führen. Das wiederum löste Panik bei Tourismus-Vertretern aus, die vor Einbrüchen im Sommertourismus warnten und darauf hinwiesen, dass gerade die typische alpine Almwirtschaft ein unverzichtbarer Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt wäre, der nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfe.
Damit war endgültig auch die Politik auf den Plan berufen – Bundeskanzler Sebastian Kurz nahm sich des Themas persönlich an und präsentierte Mitte März einen „Aktionsplan für sichere Almen“, um das Problem in den Griff zu bekommen und für einen Interessen- und Risikoausgleich unter den betroffenen Gruppen zu sorgen. Wesentlichstes Ziel: Nicht nur die Bauern, sondern auch die Wanderer sollen in die Verantwortung genommen werden, wenn sie auf Almen unterwegs sind – auch eine Gesetzesänderung im Bereich der Tierhalterhaftung des ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) werde dies unterstreichen. Darüberhinaus soll bis Mitte April ein Verhaltenskodex ausgearbeitet werden und genau regeln, wie sich Wanderer im alpinen Raum generell zu verhalten haben, um Gefahren und Konflikte zu vermeiden.
Seit wenigen Tagen liegt nun der wichtigste Teil dieses Aktionsplans vor – nämlich die Änderung der bestehenden Tierhalterhaftung lt. AGBG. Diese ist auch Pferdehaltern bestens bekannt und besagt, dass derjenige für einen durch ein Tier verursachten Schaden verantwortlich ist „der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat.“ Nun wird in einem weiteren Absatz festgehalten, der Halter könne bei der Verwahrung der Tiere „auf anerkannte Standards der Viehhaltung zurückgreifen" und habe „die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Gefahren zu ergreifen". Zugleich wird eine „erwartbare Eigenverantwortung der Almbesucher" genannt, die sich „nach den durch die Alm- und Weidetierhaltung drohenden Gefahren, der Verkehrsübung und anwendbaren Verhaltensregeln" richte.
Hier der vollständige Passus lt. dem vorliegenden Begutachtungsentwurf (neue Bestimmung in Fettdruck):
§ 1320. (1) Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.
(2) In der Alm- und Weidewirtschaft kann der Halter bei Beurteilung der Frage, welche Verwahrung erforderlich ist, auf anerkannte Standards der Viehhaltung zurückgreifen. Sonst hat er die im Hinblick auf die ihm bekannte Gefährlichkeit der Tiere, die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Gefahren und die erwartbare Eigenverantwortung anderer Personen gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die erwartbare Eigenverantwortung der Besucher von Almen und Weiden richtet sich nach den durch die Alm- und Weidetierhaltung drohenden Gefahren, der Verkehrsübung und anwendbaren Verhaltensregeln.“
Ob und was sich durch diese neu eingeführte Bestimmung konkret für Pferdehalter ändern würde, haben wir den Tiroler Rechtsanwalt und gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. Peter Lechner gefragt. Während sich bei der Verwahrung durch den Hinweis auf „anerkannte Standards der Viehhaltung" für Pferdehalter nichts ändert (Pferde gelten nicht als ,Vieh'), wird bezüglich der allgemeinen Tierhalterhaftung sehr wohl eine Neuregelung eingeführt, von der auch Pferdehalter betroffen sind. Der zentrale Punkt aus seiner Sicht sei die neu ins Gesetz aufgenommene „Eigenverantwortung“ der Besucher von Almen und Weiden, wodurch sich sehr wohl eine Einschränkung der bisher sehr strengen Tierhalterhaftung ergebe, so Dr. Lechner: „Dieses Beurteilungskriterium war im bisherigen Gesetzestext nicht enthalten. Abgestellt war nämlich bis dato lediglich auf die Tiergefahr und die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Halter, nicht aber auf das zu erwartende Verhalten anderer Personen. Durch die vorgesehen Ergänzung ist daher erstmals nicht nur auf das Verschulden des Tierhalters bei der Beurteilung der Haftung abzustellen, sondern auch eine Einschränkung dahingehend normiert, dass der Tierhalter die „erwartbare Eigenverantwortung“ der Besucher von Almen und Weiden für die Beurteilung der gebotenen Maßnahmen einkalkulieren darf. Diese „erwartbare Eigenverantwortung wird auf die drohenden Gefahren, die Verkehrsübung und die anwendbaren Verhaltensregeln“ abgestellt. Mit diesem Entwurf ist daher jedenfalls – allerdings nur für die Almen- und Weidewirtschaft – mit Sicherheit eine Einschränkung der Tierhalterhaftung zu erwarten, weil damit erstmals nicht nur auf die objektive Sorgfaltspflicht des Tierhalters, sondern auch auf das Kriterium des zu erwartenden Verhaltens der Besucher von Almen und Weiden abgestellt wird.“
Beim vieldiskutierten „Kuh-Urteil“, so Dr. Lechner weiter, wurde die Haftung des Landwirts bzw. Tierhalters nämlich „alleine auf die nach Auffassung des Erstgerichts mangelnde Sorgfaltspflicht des Almbauern abgestellt und ein nicht zu erwartendes Verhalten der zu Tode gekommenen Besucherin nicht geprüft und daher auch nicht in die Bewertung miteinbezogen. Die Hundehalterin hatte den Vorfall dadurch mitverursacht, dass sie ihren Hund nicht freigelassen hat. Durch die nunmehr im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens auch zu überprüfende Eigenverantwortung ist zu erwarten, dass ein derartiges Verhalten, wie dies bei der Hundehalterin festgestellt wurde, zumindest zu einer Haftungseinschränkung des Tierhalters führen wird, weil gerade dieses Verhalten der Besucherin nicht zu erwarten war, nachdem kundgemachte Verhaltensregeln dieses als verpönt bezeichnen.“ Folgerichtig könnte, so Dr. Lechner, ein unübliches, nicht zu erwartendes Verhalten sogar „ein Haftungsausschlussgrund“ werden – doch darüber werde letztlich erst die künftige Rechtssprechung entscheiden.
KommentareBevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...Weitere Artikel zu diesem Thema:06.10.2017 - Urteil: Pferdehalter haftet auch bei Unfällen von Mitreitern
Urteil: Pferdehalter haftet auch bei Unfällen von Mitreitern 06.10.2017 / News
Die Pferdebesitzerin kann auch für Unfälle von Mitreitern haften, die das Pferd verursacht – das hat das Oberlandesgericht Nürnberg entschieden. / Symbolfoto: Archiv
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter auch für Unfälle einer Reitbeteiligung haftet, die durch das Pferd verursacht werden.
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat in einem Fall, welcher u. a. die Halterhaftung bei einer Reitbeteiligung zum Gegenstand hatte, folgendes entschieden: Die Tatsache, dass eine Pferdehalterin mit einer Reiterin eine sogenannte Reitbeteiligung abgeschlossen hat, ändert nichts an der Haltereigenschaft. Es ist auch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass in diesen Fällen ein stillschweigender Haftungsausschluss zwischen Halterin und Reiterin vereinbart wurde.
Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung der geschädigten Reiterin. Diese hatte mit der Beklagten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie deren Pferd an drei Tagen pro Woche gegen Bezahlung eines Betrages von 100,00 € pro Monat nach Belieben ausreiten durfte. Die Geschädigte stürzte bei einem Ausritt auf der Koppel vom Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung, wobei das Verhalten des Pferdes für das Unglück ursächlich war. Die Reitbeteiligung ist von der Haftpflichtversicherung der Beklagten nicht erfasst.
Die Klägerin hat Klage zum Landgericht Nürnberg-Fürth erhoben und dort beantragt festzustellen, dass die Beklagte ihr den gesamten Schaden zu ersetzen habe, welcher im Rahmen der unfallbedingt notwendigen ärztlichen Behandlungen entstanden war bzw. noch entstehen wird. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Auslegung des abgeschlossenen Vertrages über die Reitbeteiligung ergebe, dass die Geschädigte und die Beklagte stillschweigend einen Haftungsausschluss vereinbart hätten.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und hatte damit teilweise Erfolg. Das Oberlandesgericht Nürnberg bejahte grundsätzlich eine Haftung der Beklagten, nahm aber lediglich eine Haftungsquote von 50 % an.
Nach Ansicht des Senats ändert die Reitbeteiligung nichts daran, dass die Beklagte zum Unfallzeitpunkt alleinige Halterin des Pferdes war. Sie hatte das Bestimmungsrecht über das Tier und trug sämtliche Aufwendungen, wie etwa für Futter, tierärztliche Behandlungen oder die Versicherung. Die Geschädigte zahlte hingegen nur ein geringes Entgelt für die gelegentliche Nutzung des Pferdes. Für die Haftung des Tierhalters komme es alleine darauf an, ob sich eine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Dies sei hier der Fall, weil das Pferd ohne Grund plötzlich losgerannt sei und es deshalb zu dem Unglück kam.
Der Senat geht auch davon aus, dass kein Haftungsausschluss zwischen der Geschädigten und der Beklagten vereinbart worden war. Diese Frage sei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ein Haftungsausschluss läge etwa dann vor, wenn die Geschädigte an der Überlassung des Tieres ein besonderes Interesse gehabt hätte. Die Reitbeteiligung habe zuvor nur wenige Monate bestanden. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass etwaige Schäden auch im Hinblick auf die Reitbeteiligung von ihrer Versicherung gedeckt seien.
Nach Ansicht des Senats haftet die Beklagte aber nur mit einer Quote von 50 %. Die Geschädigte sei im Moment des Unfalls Tieraufseherin gewesen. In diesem Fall bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß treffe und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden sei. Der Geschädigten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Nachdem letztlich der Reitunfall nicht mehr aufklärbar sei, führe dies dazu, dass das vermutete Mitverschulden der Geschädigten an dem Unfall den Anspruch mindere. Der Senat hält eine Quote von 50 % für angemessen.
Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Nürnberg,
(4. Zivilsenat, Endurteil vom 29. März 2017, 4 U 1162/13)
29.07.2016 - Umstrittenes OGH-Urteil: Überzogene Verwahrungspflicht des Pferdehalters
Umstrittenes OGH-Urteil: Überzogene Verwahrungspflicht des Pferdehalters 29.07.2016 / News
Dr. Peter Lechner ist Rechtsanwalt und gerichtlich beeideter Sachverständiger in Innsbruck. / Foto: privat
Der Oberste Gerichtshof hat vor kurzem die Haftung einer Pferdehalterin festgestellt, obwohl das Pferd als ruhig und unproblematisch galt und der Halterin kein subjektives Verschulden anzulasten war. Rechtsanwalt Dr. Peter Lechner sieht das Urteil kritisch – hier sein Kommentar.
Mit Urteil OGH 25.5.2016, 2 Ob 70/16 g, hat der Oberste Gerichtshof wohl eine Erfolgs-, nicht aber – wie bisher – eine Gefährdungshaftung des Pferdehalters unterstellt und damit das Haftungsrisiko für den Pferdehalter weit überzogen!
Ausgangspunkt war, dass eine versierte Reiterin ihre zum Vorfallszeitpunkt 13-jährige Haflingerstute, die sie bereits 4-jährig gekauft und ausgebildet, auch auf Turnieren und Messen vorgestellt und laufend geritten hat, nach dem Reiten ordnungsgemäß mit Stallhalfter und Führstrick auf eine nicht eingezäunte Wiese zum Grasen geführt hat. Die bis dato völlig unauffällige, ruhige und unproblematische Stute hat sich – aus nicht festgestellten Gründen – losgerissen und ist in der Folge mit einem Rollerfahrer kollidiert.
Das Erstgericht hat eine Haftung der Pferdehalterin ausgesprochen und damit begründet, dass dieser ein Sorgfaltsverstoß deshalb anzulasten sei, weil sie „im Wissen, dass jedes Pferd durchgehen könne“, die Stute nicht auf eine Wiese zum Grasen führen hätte dürfen, „wo mangels Zaunes der Fluchtweg offen sei und das Pferd überdies bei der Flucht einen von Kraftfahrzeugen benützten Weg ‚queren‘ könne“, und zwar ausdrücklich unter Bedachtnahme darauf, dass die Stute als nicht schreckhaftes Tier bekannt war.
Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen und darauf verwiesen, dass „in der konkreten Situation die Verwahrung der an sich gutmütigen und auch an Straßenverkehr und Verkehrslärm gewöhnten Stute durch die Pferdehalterin ordnungsgemäß sei, es immer wieder vorkomme, dass Pferde auch von erfahrenen Reitern nicht unverzüglich unter Kontrolle gebracht werden könnten“ und darauf Rücksicht genommen werden müsse, dass die Sorgfaltspflichten eines Pferdehalters nicht überspannt und dadurch das Halten von an und für sich ungefährlichen Haustieren unmöglich gemacht würde. Der Unfall sei durch eine äußerst unglückliche Verkettung der Umstände passiert.
Mit dem eingangs zitierten Urteil hat der Oberste Gerichtshof aber diese Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes verworfen und eine für Tierhalter und Praktiker schlichtweg nicht nachvollziehbare Argumentation für die Annahme einer Haftung der Tierhalterin geführt:
Zunächst wird im zitierten Urteil darauf verwiesen, dass gemäß § 1320 ABGB für den Fall, dass jemand durch ein Tier beschädigt wird, derjenige dafür verantwortlich ist, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, sei verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er „für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte“. Nachfolgend wird – durchaus zutreffend! – darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung „das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung nicht überspannt werden“ dürfe und vom Tierhalter nicht eine Verwahrung von in der Regel gutmütigen und ungefährlichen Haustieren verlangt werden könne, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließt. Vielmehr müssten jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können. Dabei habe der Tierhalter die objektiv erforderliche Sorgfalt einzuhalten und auch zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhalten hat. Wenn ihm dieser Beweis nicht gelinge, hafte er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten, weil die besondere Tiergefahr dadurch berücksichtigt werde, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt werde.
Augenscheinlich aufgrund einer völligen Verkennung der Natur der Pferde und der praktischen Pferdehaltung verweist der OGH in seinen Schlussfolgerungen darauf, dass „aufgrund des unberechenbaren Verhaltens von Pferden als Fluchttiere Pferde (auch angesichts ihrer Größe und des dadurch gegebenen Risikos eines Schadens) nicht als ungefährliche Haustiere angesehen werden“ könnten. Obwohl die Pferdehalterin im vorliegenden Fall ihr Pferd beaufsichtigt habe, könne sie das aber insofern nicht entlasten, „als das Ausbrechen eines Pferdes niemals ausgeschlossen werden“ könne und ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes nicht möglich sei. Die Tierhalterin habe „mit der zur Verhinderung einer Schädigung Dritter unzureichenden Beaufsichtigung des Pferdes nicht bewiesen, dass sie für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Pferdes gesorgt hätte. Dazu wäre nach den angeführten Entscheidungen eine ausreichende Umzäunung der Wiese erforderlich gewesen.“
Im Succus bedeutet diese Argumentation, dass ein Führen eines Pferdes – noch dazu gleichgültig, ob am Halfter mit Führstrick oder Kette oder mit Reithalfter – für den Fall, dass das Pferd sich – aus welchen Gründen immer – losreißt und ein Mensch verletzt wird, eine Haftung des Tierhalters begründet, wenn keine Umzäunung vorhanden ist, und zwar selbst dann, wenn das Pferd bis dorthin völlig unauffällig war.
Eine derartige Ausdehnung der Tierhalterhaftung ist einzigartig und wohl auch nicht vertretbar; denn damit wird die Gefährdungshaftung, die bis dato auch vom Obersten Gerichtshof judiziert worden ist, zur reinen Erfolgshaftung. Wie kann ein Pferd verladen, auf die Koppel gebracht oder vorgeführt werden, wenn jedes Mal eine Umzäunung errichtet werden muss?
Die Entscheidung widerspricht aber auch den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs selbst, wo er doch zunächst darauf verweist, dass das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung nicht überspannt werden und vom Tierhalter nicht eine Verwahrung von in der Regel gutmütigen und ungefährlichen Haustieren verlangt werden dürfe, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließe und es nur jene Vorkehrungen benötige, die unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können.
Bei der Beurteilung des Risikos beim Halten von Pferden ist davon auszugehen, dass die rund 120.000 Pferde, welche in Österreich gehalten werden (Quelle: Pferd Austria, 2014), wohl nicht per se als gefährliche Haustiere angesehen werden dürfen. Vergleicht man nämlich diese Anzahl von gehaltenen Pferden mit der Zahl der durch Pferde verursachten Unfälle, so kann daraus wohl nur der Schluss gezogen werden, dass Pferde grundsätzlich als ungefährliche Haustiere gesehen werden können, weil das mit ihnen verbundene Risiko in der Praxis beileibe nicht so groß ist, wie es der OGH augenscheinlich unterstellt.
Auch kann der Argumentation dahingehend nicht gefolgt werden, dass Pferde unberechenbares Verhalten zeigen würden; denn grundsätzlich sind Pferde berechenbar, sonst wären ja weitaus mehr Unfälle mit ihnen festzustellen und wäre auch eine Ausbildung per se nicht möglich. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang wohl auf die im Rahmen der Hippotherapie oder in der Jugendausbildung oder gar beim Behindertenreiten eingesetzten Pferde – Ein Einsatz gerade in diesen Bereichen wäre bei der vom OGH eingenommenen Beurteilung gänzlich auszuschließen!
Seinen mangelnden Zugang zur Pferdehaltung beweist der zuständige Senat wohl, wenn er ausführt, dass ein Zurückhalten eines durchgehenden Pferdes nicht möglich sei; denn in der Praxis ist dies dahingehend zu relativieren, dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ob ein Pferd zurückgehalten werden kann oder nicht. Es gibt in der Praxis zahlreiche Beispiele, wo ein Durchgehen von vornherein verhindert wird. Ich bin mir auch sicher, dass es vielen Pferdehaltern gelungen ist, ein durchgehendes Pferd zu parieren.
Negiert wird in der Entscheidung aber vor allem, dass – wie vom OGH selbst zitiert! – jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden müssen, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des Tieres billigerweise erwartet werden können. Wie diese nach der bisherigen gesicherten Rechtsprechung mit der gegenständlichen Entscheidung des OGH ins Einvernehmen zu bringen ist, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar, nachdem die Stute festgestellterweise „bis zum Unfall keine Untugenden zeigte und sich auch bei Trubel ruhig und unproblematisch verhielt“. In der einschlägigen Fachliteratur wird das Führen eines Pferdes mit Stallhalfter und Führstrick nur dann als nicht ausreichend beschrieben, wenn besondere Gründe vorliegen, eine stärkere Einwirkung auf das Pferd zu haben. Dies wäre beispielsweise bei heftigen Pferden, bei wiederholtem Durchgehen oder bei besonderem Trubel gefordert. Der festgestellte Sachverhalt, wonach es sich um eine erfahrene Pferdehalterin, ein ruhiges und ausgeglichenes und ebenso ausgebildetes Pferd handelt, welches nach dem Reiten, also nach ausreichender Bewegung, auf eine Wiese geführt wird, hätte wohl keinen auch noch so erfahrenen Pferdehalter veranlasst, ein anderes Verhalten zu zeigen.
Bei Anlegung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs ist nach den allgemein üblichen Regeln und Verhaltensweisen zu urteilen. Sie sind daher jedenfalls von der Pferdehalterin eingehalten worden, weil wohl alle anderen Pferdehalter in dieser Situation gleich gehandelt hätten und keinerlei pferdetechnische Regel anderes Verhalten verlangt hätte.
Die besprochene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zeigt, wie wichtig es ist, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, aber auch in derartigen Fällen darauf zu bestehen, einen Sachverständigen beizuziehen, um Zugangsdefizite der Richter ausgleichen zu können. Niemand, der mit Pferden zu tun hat, würde Pferde als „gefährliche Haustiere“ bezeichnen. Vielmehr wird jeder, der Pferde kennt, bestätigen, dass diese grundsätzlich gutmütig und kalkulierbar sind, auch wenn – durch ihre Natur als Fluchttiere – dies nicht durchgehend zugrunde gelegt werden kann. Auch hätte wohl kein normaler Pferdehalter anders gehandelt, als dies von der zur Haftung verurteilten Pferdehalterin an den Tag gelegt worden ist.
Eigenartig erscheint aber auch, dass der Oberste Gerichtshof in seinem Urteil auf viele Entscheidungen verweist, nicht aber auf die Entscheidung 2 Ob 8/94 (2 Ob 9/94), deren Rechtssatz wie folgt lautet:
„Das Scheuen, Aufbäumen oder gar Durchgehen eines Pferdes, alles Umstände, die auch beim Führen am Halfter durch eine erwachsene Person niemals mit Sicherheit ausgeschlossen werden können, rechtfertigt für sich allein jedenfalls nicht die Annahme auffallend sorglosen Verhaltens des Pferdeführers.“
RA Mag. Dr. Peter Lechner, Innsbruck
30.06.2016 - OGH-Urteil: Pferdehalterin haftet auch ohne subjektives Verschulden
OGH-Urteil: Pferdehalterin haftet auch ohne subjektives Verschulden 30.06.2016 / News
Wer sein Pferd nicht sicher verwahrt, muss für die Folgen geradesteht – das bestätigt das OGH auch in seinem aktuellen Urteil. / Foto: Martin Haller/Archiv
Der OGH hält in einem aktuellen Urteil neuerlich fest: Eine Pferdehalterin haftet für Schäden, die durch das Ausbrechen ihres Pferdes verursacht werden, auch dann, wenn das Pferd zuvor stets ruhig und unproblematisch war.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) beschäftigte sich in einem aktuellen Erkenntnis wieder mit einem Fall, in dem es um die sogenannte ,Tierhalterhaftung' ging und bei dem es zu einer Kollision zwischen einem Mopedfahrer sowie einem Pferd gekommen war: Der Kläger war mit seinem Moped mit 30 km/h auf einem 3,5 m breiten Feldweg durch landwirtschaftliches Gebiet gefahren. Zu seiner Rechten befand sich ein Grundstück mit einer sichtabdeckenden Hecke, an die eine nicht eingezäunte Wiese angrenzte. Zu seiner Linken lagen Gatterbereiche samt Nutzgebäuden für Pferde. Die Beklagte hielt sich mit ihrem Pferd – einer 13-jährigen Haflingerstute, die sich bislang auch bei Trubel ruhig und unproblematisch verhalten hatte – in einer Entfernung von 50 bis 60 Metern zur Straße auf der Wiese auf. Sie hielt die Stute an einem Führstrick fest, der an einem Halfter angebracht war, als sich das Pferd aus unbekannter Ursache erschreckte. Beim Versuch, das Pferd festzuhalten, riss der Führstrick, das Pferd lief daraufhin über die Wiese und gelangte auf den Feldweg. Der Kläger reagierte zwar prompt, als er das Pferd auftauchen sah, konnte aber eine Kollision nicht mehr vermeiden: Er wurde beim Zusammenstoß verletzt, das Moped beschädigt – und klagte in der Folge auf Schmerzengeld, Verdienstentgang, Pflegekosten sowie Sachschaden am Fahrzeug in der Höhe von insgesamt 12.500,– Euro.
Der Kläger führte ins Treffen, daß die Beklagte das Pferd an einem nicht eingezäunten Ort nicht nur mit Halfter und Strick hätte führen dürfen, da Pferde bei Erschrecken nicht zurückgehalten werden könnten – sie hätte es stattdessen mit einem Steiggebiss, jedenfalls aber mit Zaumzeug führen müssen. Die Beklagte entgegnete, daß auch ein Zaumzeug ein Ausbrechen des Pferdes nicht verhindert hätte; dass der Haltestrick gerissen sei, stelle einen nicht erwartbaren und nicht beherrschbaren Zufall dar. Der Mopedfahrer sei zudem mit relativ überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen und hätte sich in der ihm bekannten Umgebung der Reitställe besonders vorsichtig verhalten müssen – daher treffe ihn jedenfalls das überwiegende Mitverschulden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vorerst statt: Auch wenn die Beklagte die Haflingerstute als nicht schreckhaftes Tier gekannt habe, so hätte sie doch im Wissen, dass jedes Pferd durchgehen könne, das Pferd nicht auf eine Wiese zum Grasen führen dürfen, wo mangels Zauns der Fluchtweg offen sei und das Tier überdies bei der Flucht einen von Kraftfahrzeugen benutzten Weg queren werde. Dies sei ihr als Sorgfaltsverstoß anzulasten, sie sei daher auch schadenersatzpflichtig.
Die Beklagte ging daraufhin in Berufung – und bekam dort Recht: Im Licht der allgemein zur Tierhalterhaftung bestehenden Rechtsprechung erscheine in der konkreten Situation die Verwahrung der an sich gutmütigen und auch an Straßenverkehr und Verkehrslärm gewöhnten Stute durch die Beklagte ordnungsgemäß. Es komme immer wieder vor, dass Pferde auch von erfahrenen Reitern nicht unverzüglich unter Kontrolle gebracht werden könnten. Die Sorgfaltspflichten dürften nicht überspannt und dadurch das Halten von an und für sich ungefährlichen Haustieren unmöglich gemacht werden. Der Unfall sei durch eine äußerst unglückliche Verkettung der Umstände passiert, das Klagsbegehren daher abzuweisen.
Gegen dieses Urteil ging nun der Kläger in Revision vor dem OGH – im Wesentlichen mit dem Argument, dass es noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage gebe, ob das Führen eines Pferdes mit einem Führstrick auch außerhalb eingezäunter Gebiete als sorgfaltswidrig anzusehen sei, wenn beim Durchgehen des Pferdes dieses nicht zurückgehalten werden könne und zu erwarten sei, dass es einen auch von Kraftfahrzeugen genutzten Weg überqueren werde. Die Revision wurde daher zugelassen.
Der Oberste Gerichtshof stellte mit Spruch vom 25. Mai 2016 das Urteil des Erstgerichts wieder her. Er stützte sich auf die bisherige Vorjudikatur und betonte, dass Pferde aufgrund ihres unberechenbaren Verhaltens als Fluchttiere und auch angesichts ihrer Größe und des dadurch gegebenen Risikos eines Schadens nicht als gutmütige und ungefährliche Haustiere, für die eine weniger strenge Verwahrungspflicht gelten kann, angesehen werden können. Daran ändert auch nichts, dass das gegenständliche Pferd bis zum Unfall keine Untugenden zeigte und sich bei Trubel ruhig und unproblematisch verhielt.
Die vorliegende Rechtssprechung stellt klar, daß der Tierhalter bei der Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres die objektiv erforderliche Sorgfalt einzuhalten hat. Er hat daher zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt; misslingt ihm dieser Beweis, haftet er für sein rechtswidriges, wenn auch schuldloses Verhalten (RIS-Justiz RS0105089). Der Gesetzgeber hat in § 1320 ABGB keine (volle) Gefährdungshaftung normiert. Die besondere Tiergefahr wird dadurch berücksichtigt, dass nicht auf das subjektive Verschulden des Halters, sondern auf die objektiv gebotene Sorgfalt abgestellt wird – und diese sei im vorliegenden Fall durch die Beklagte nicht erfüllt worden.
Die Beklagte trifft somit der Vorwurf, dass sie das Pferd nicht ausreichend verwahrte – dazu wäre eine ausreichende Umzäunung der Wiese erforderlich gewesen, so das OGH. Dies führt zu ihrer Haftung nach der genannten Gesetzesstelle – daher war das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Das vollständige Urteil des OGH kann hier nachgelesen werden.
HINTERGRUND
Mit dem Problem der Tierhalterhaftung haben sich die Gerichte in Österreich bereits des öfteren beschäftigt, wie auch Rechtsanwältin Dr. Nina Ollinger in einem ausführlichen ProPferd-Interview dargelegt hat: Der Maßstab für die Haftung ist für Pferdehalter besonders streng, da § 1320 ABGB nicht auf das subjektive Verschulden abstellt, sondern auf die objektive Haftbarkeit: Und diese trifft eben den Pferdehalter – auch wenn er an einem Unfall keine subjektive Schuld trägt.
Hier geht's zum Interview mit Dr. Nina Ollinger.
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