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Nachlese: Ein gesunder Pferderücken ist das A&O der Reiterei
09.06.2019 / News

Ausbilder und Sattelexperte Eberhard Weiß zeigte die Sattellage, bzw. erklärte die Auflageflächen an Hand eines Sattels.
Ausbilder und Sattelexperte Eberhard Weiß zeigte die Sattellage, bzw. erklärte die Auflageflächen an Hand eines Sattels. / Foto: Gabriele Krisch
Sattler Ralph Bleau zeigte das Innenleben eines Dressursattels und erklärte das Vorgehen beim Reinigen mit Glycerinseife.
Sattler Ralph Bleau zeigte das Innenleben eines Dressursattels und erklärte das Vorgehen beim Reinigen mit Glycerinseife. / Foto: Gabriele Krisch
Osteotherapeutin Birgit Volesky demonstrierte am 6jährigen Lusitanohengst „Hippus“ von Verena Hölzer, worauf beim Rücken-Check geachtet werden soll.
Osteotherapeutin Birgit Volesky demonstrierte am 6jährigen Lusitanohengst „Hippus“ von Verena Hölzer, worauf beim Rücken-Check geachtet werden soll. / Foto: Gabriele Krisch

Der erste „Dialog mit der Pferdeerfahrung“ 2019 am 1. Juni 2019 lockte bei frühsommerlichem Prachtwetter rund 30 Interessierte auf die Reitanlage El Rocio Chiemsee von Herman Willemsen. Im Zentrum stand dabei der gesunde Pferderücken – wie man ihn erreicht und auch durch einen möglichst optimal sitzenden Sattel erhalten kann.

 

In knapp fünf Stunden gaben am 1. Juni auf der Reitanlage El Rocio Chiemsee die Pferde-Experten Birgit Volesky (Osteotherapie), Eberhard Weiß (Ausbilder und Sattelexperte) und Ralph Bleau (Sattler) bei Demonstrationen am Pferd bzw. am Sattel einen anschaulichen Überblick über die Grundlagen für einen tragfähigen Rücken, die Rolle, die der Sattel dabei spielt, wie er aufgebaut ist und wie er durch nachhaltige Prüfung, Behandlung und Pflege möglichst lange passend genützt werden kann.

Der gesunde Pferderücken – Ziel und Basis guten Reitens
Birgit Volesky, Osteotherapeutin, möchte mit ihrer Arbeit „den Pferden eine Sprache geben ...“. Denn zu oft werden Schreckhaftigkeit, mangelndes Sozialverhalten gegenüber anderen Pferden, Rittigkeits- und Gehorsamsprobleme damit abgetan, dass „das Pferd halt etwas schwierig“ ist und dass man „drüberreiten“ soll. Die Fachfrau für den gesunden Pferderücken hält das in den meisten Fällen für gar keine gute Idee. Sie rät, in die Ursachenforschung zu gehen.

Volesky gibt den TeilnehmerInnen zunächst an Hand von Lusitanohengst „Hippus“ einen Überblick über den Trageapparat des Pferdes. Dann folgt eine Demonstration mit Blickschulung, auf welche Merkmale bei einem Selbst-Check, den jeder Pferdebesitzer regelmäßig durchführen sollte, geachtet werden muss. Aus den fünfzig Indikatoren für Fachleute hat Volesky elf auf einer Liste zusammengefasst, die an die Teilnehmerinnen ausgegeben wird und auch auf ihrer Webseite www.sportpferdecoaching.de herunter geladen werden kann.

Denn wichtig für jeden Pferdebesitzer ist es, sich im frühzeitigen Herstellen von Zusammenhängen zu üben. Rückenprobleme bei Pferden müssen nicht zwingend durch falsches Reiten ausgelöst werden. Das natürliche Verhalten der Pferde gibt immer wieder Anlass für Einschränkungen der Beweglichkeit - die sehr oft festgestellte „Trageerschöpfung“ wurde auch schon bei Pferden festgestellt, die noch nie geritten worden sind.

Eine Schlüsselstelle für einen gesunden tragfähigen Rücken ist laut Volesky der Übergang der Hals- zur Brustwirbelsäule, auch Cerviko-Thorakaler Übergang, kurz CTÜ genannt: Wenn der CTÜ blockiert ist, kann sich der Rumpf nicht heben und die Rückenmuskulatur nicht nachhaltig aufgebaut werden. Rittigkeitsprobleme sind vorprogrammiert. Indizien für einen blockierten CTÜ und einen dadurch verspannten Rumpftrageapparat sind - um nur einige zu nennen: Der Widerrist ist niedriger als die Kruppe, das Pferd ist überbaut. Die Hüfthöcker sind links und rechts nicht auf derselben Höhe. Das Pferd hat einen ausgeprägten Unterhals. Die Kruppe ist entweder extrem waagerecht oder extrem abgeschlagen.

Das Wichtigste ist den Rumpftrageapparat so aufzubauen, damit das Reitergewicht nachhaltig getragen werden kann. Dies dauert circa zwei Jahre. Nur mit einem funktionsfähigen Rumpftrageapparat ist feines und lockeres Reiten möglich.

Der Sattel und unterschiedliche Pferdetypen, Engpassfaktoren, Schlüsselstellen
Im zweiten Vortrag mit Demonstrationen am Pferd geht Ausbilder und Sattelexperte Eberhard Weiß auf das komplexe System von Reiter und Pferd ein: „Hier geht es um zweimal Anatomie und zweimal Psyche, die aufeinander treffen und miteinander können sollen. Der Sattel ist ein Teil dieses komplexen Zusammenspiels. Fakt ist, dass der Sattel immer einen Kompromiss darstellt, perfekt gibt es nicht.“

Weiß zeigt am Exterieur unterschiedlicher Pferde die Muskulatur, die eine Rolle bei der Sattelung spielt: Im Wesentlichen geht es um die Körperregion um den Trapezmuskel. Ein Spanier, ein Friese, ein Lusitano und ein Araber stehen zur Verfügung – an ihnen demonstriert Weiß anschaulich, wie und wo dieser Muskel zu finden ist und zeigt die Form der Sattellage: hinter der Schulter konvex, in der Mitte flach, hinten konkav.

Dann räumt er mit einem Irrglauben auf, der sich hartnäckig hält: die Auflagefläche des Sattels solle möglichst groß sein. Tatsächlich entspricht die Sattellage eines Pferdes ca. einer Handbreite. Eine gute Sattelung zeichnet sich laut Weiß auch dadurch aus, dass das Pferd „den Sattel vorne loswerden kann, damit der Reiter in der Bewegung des Pferdes zu sitzen kommt“. Der Sattel muss jedenfalls mit der Bewegung mitgehen können.

Sehr anschaulich beschreibt er das Zusammenspiel von Sattel und Trapezmuskel an Hand des „Poor Performance Problem“, bei dem v.a. Galoppern nach einer gewissen Zeit des Rennens im wahrsten Sinn des Wortes die Luft ausgeht: Wenn der Trapezmuskel über einen längeren Zeitraum gequetscht wird, kann das Pferd nicht mehr richtig atmen. Der Trapezmuskel muss also frei sein.

Absolute No-Gos bei einem Sattel sind Falten in der Polsterung und innen montierte Bügelschlösser, die von innen fühlbar sind. Hier gilt das Prinzip der Prinzessin auf der Erbse: Selbst viele Kissen, Pads und Satteldecken helfen nicht, wenn etwas drückt.

Woran erkennt der gute Ausbilder ein Sattelproblem auf den ersten Blick? Das Pferd zeigt bereits im Schritt eine durchgedrückte Karpalgelenksfußung. Wird dieses Symptom übrigens übersehen und der Sattel nicht korrigiert oder getauscht, kommt es zur Trachtenfußung, die dann noch schwieriger zu korrigieren ist. Ein weiterer Check, ob der Sattel korrekt passt: Bei einer 6m-Volte muss der Sattelkranz immer mittig über der Wirbelsäule stehen.

Weiß endet mit einem kleinen Exkurs in die Exterieurbeurteilung: Ein hoher Widerrist mit langen Dornfortsätzen bürgt für Galoppier- und Sprungkraft. Ellenbogenfreiheit ist ein wichtiges Kriterium, das das Pferd erfüllen sollte. Denn hier kommt der Gurt und seine Bedeutung ins Spiel: auch er muss Beweglichkeit gewährleisten! Die hintere Strupfe hält, die vordere stabilisiert.

Auch Eberhard Weiß rät abschließend allen Anwesenden dringend an, bei allen Teilen des komplexen Systems Pferd/Reiter laufend am Ball bleiben ...

Der Sattel, Passform und Pflege
Tiefere Einblicke - im wahrsten Sinn des Wortes – in den Aufbau und die Bestandteile eines Sattels gewährte Ralph Bleau. Bleau hat die Sattlerei bei Max Benz von der Pike weg gelernt. Das unterscheidet ihn und seine Arbeit wesentlich von der der Sattelverkäufer, die eine bestimmte Marke vertreten und anpassen können.

Anschaulich erklärt Bleau den Aufbau und die Bestandteile, gab Tipps, woran gute Verarbeitung erkannt wird und plauderte aus dem Nähkästchen des Leder- und Sattelfachmanns. Als Anschauungsmaterial dienen ausrangierte Sättel, die aufgeschnitten gute Einblicke ins Innenleben und die Bestandteile boten.

Die Schnelllebigkeit unserer Zeit macht auch vor Sätteln nicht halt. Einen guten Sattel erkennt man am durchgefärbten Leder, das in der Herstellung ca. viermal so lange braucht wie das heute vielfach eingesetzte Leder. In früheren Zeiten bestand ein Sattel z.B. aus dem Leder eines Tieres, damit die Eigenheit des Leders aus verschiedenen Körperregionen eines Rindes sinnvoll eingesetzt werden können. Heute wird durchaus das Leder mehrerer Tiere verwendet, die unterschiedlichen Veränderungen im Gebrauch unterliegen. Die Produktion darf heute auch aus Kostengründen nicht mehr die Zeit beanspruchen, die ein Sattler früher in seine Meisterstücke investiert hat. Stecksysteme boomen. Langlebigkeit ist leider in unserer konsumorientierten Zeit auch bei Sätteln nicht mehr erwünscht. Ein Sattel fürs Leben, der von Zeit zu Zeit angepasst wird – dieses Prinzip gehört der Vergangenheit an.

Früher wurde allerdings die Polsterung des Sattels einmal jährlich erneuert, um den Veränderungen des Pferdekörpers im Lauf des Jahres Rechnung zu tragen. Daher empfiehlt der Sattler durchaus unterschiedliche Unterlagen, Decken, Pads, um variabel zu sein und rät zu regelmäßigen Sattelchecks durch den Profi. Die Erneuerung der Polsterung ist einfach möglich.

Zu guter Letzt gibt Bleau einen Überblick über die korrekte Pflege des Sattels: Einer Reinigung mit einer Glycerinseife, die die Lederporen öffnet folgt – wenn nötig – das Einölen, das dem Leder wieder Feuchtigkeit zurückgibt. Zum Schluss wird der Sattel dann noch mit einem Pflegemittel auf Bienenwachsbasis eingelassen. Eindringlich warnt Bleau vor den berühmten Drei in Eins-Mitteln, die dem Leder auf lange Frist nicht gut tun.

So geht es weiter: Vorschau auf die Dialoge 2 und 3
„Im Dialog mit der Pferdeerfahrung“ versteht sich als Veranstaltungsreihe, die die nachhaltige Ausbildung und Gesunderhaltung des Pferdes aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. 2019 stehen insgesamt drei Themennachmittage auf dem Programm, die zwischen den Theorie-, Demonstrations- und Praxisblöcken genügend Zeit zum Austausch mit den ExpertInnen bieten.

Die Idee hinter den „Dialog“-Nachmittagen ist, dass die TeilnehmerInnen lernen, Pferd und Reiter in ihrer Gesamtheit sehen. Es geht darum, das feine Zusammenspiel von Bewegungsapparat, Hufbeschaffenheit sowie Sattel und Reiter zu erkennen und entsprechend umsetzen zu können – sodass ein Pferd-Reiter-Paar sich nachhaltig erfolgreich und gesund miteinander weiterentwickeln kann: Auf einen reinen Theorievortrag folgen eine Demonstration am Pferd und ein Praxisteil.

Die fünfstündigen „Dialoge“ bauen inhaltlich aufeinander auf, können aber durchaus auch einzeln besucht werden – so geht es weiter:

– Sa. 17. August 2019:  Trainingskonzepte: Nachhaltiger Trainingsaufbau und was wir aus dem Humanbereich lernen können – mit Birgit Volesky, Cornelia Greifenberg und Eberhard Weiß

– Sa. 14. September 2019: Ausbildung: Methoden zur Entwicklung eines tragfähigen Rückens – mit Ann-Kathrin Schlicht, Cornelia Greifenberg und Eberhard Weiß

Am 17. August werden u.a. folgende Themen diskutiert: Wie trainiere ich mein Pferd, dass die gesamte Konstitution optimal aufgebaut wird? Welche Rolle spielen Faszien und der Stoffwechsel im Lauf des Jahres? Welche Schlüsse können Ausbilder aus Erkenntnissen aus dem Humanbereich ziehen? Was muss beim Aufbau einer Trainingseinheit in Betracht gezogen werden?

Der 14. September steht u.a. im Zeichen von Fragestellungen wie: Was steht hinter der HDV12 und warum ist deren Umsetzung heute sinnvoller denn je? Wie kann durch Arbeit an der Hand zum einen Abwechslung in die Arbeit gebracht und zum anderen gute Vorarbeit für die Arbeit unter dem Sattel geleistet werden? Welche Lektionen machen in welchem Alter und bei welchem Ausbildungsstand nachhaltig Sinn?

Gabriele Krisch

Weitere Infos zu den Seminaren (inkl. Link zum Anmeldeformular) findet man hier!

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