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Ausbruchs-Künstler: Wieso Pferde fast jedes Schloss knacken können
30.06.2019 / News

Pferde haben mitunter viel Zeit, über Ausbruchs-Möglichkeiten nachzudenken – und sie lernen auch gerne von gewitzten Stallkameraden ...
Pferde haben mitunter viel Zeit, über Ausbruchs-Möglichkeiten nachzudenken – und sie lernen auch gerne von gewitzten Stallkameraden ... / Symbolfoto: Archiv Martin Haller
Sämtliche hier abgebildeten Absperrungen bzw. Verriegelungen konnten von den Pferden der Studie geöffnet werden.
Sämtliche hier abgebildeten Absperrungen bzw. Verriegelungen konnten von den Pferden der Studie geöffnet werden. / Foto: Krueger et al. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0218954
All diese Verschluss-Vorrichtungen konnten von Pferden geknackt werden – in zwei Fällen sogar das mit einem Schlüssel versperrte Schloss.
All diese Verschluss-Vorrichtungen konnten von Pferden geknackt werden – in zwei Fällen sogar das mit einem Schlüssel versperrte Schloss. / Foto: Krueger et al. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0218954

Erstmals haben Wissenschaftler die erstaunlichen Ausbruchs-Künste von Pferden dokumentiert: Es gibt kaum eine konventionellen Tür- oder Torverriegelung, sie sie nicht öffnen könnten – selbst Schlösser mit Schlüssel sind nicht vor ihnen sicher.

 

Prof. Dr. Konstanze Krüger zählt zu den führenden Expertinnen für Pferdeverhalten und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit sozialem Lernen und Kognition bei Pferden. Eines ihrer wissenschaftlichen ,Steckenpferde’ ist das Sammeln und Dokumentieren von sogenannten ,innovativen Verhaltensweisen' von Pferden – also von Beobachtungen, in denen Pferde gleichsam individuelle, kreative Lösungen finden müssen, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Ein beliebtes, immer wieder auftauchendes Thema sind dabei die erstaunlichen Ausbruchs-Künste mancher Equiden, die in der Lage sind, scheinbar mühelos verschlossene Boxentüren, Stalltore oder Koppelabsperrungen zu öffnen. Im Laufe der Jahre wurden so eine Vielzahl an persönlichen Berichten, Beobachtungen und Anekdoten zusammengetragen und in Form von Fragebögen erfasst. Darüberhinaus wurden, so Prof. Krüger, „auf der Internetplattform YouTube Videodokumentationen gesammelt, in denen Rohdaten von unbearbeiteten, klar beschriebenen und deutlich sichtbaren Fällen von Tieren ohne ausgeprägte Anzeichen einer Schulung oder von vermindertem Wohlbefinden ausgewählt wurden.“

Insgesamt hat Prof. Krüger – gemeinsam mit ihren KollegInnen Laureen Esch und Richard Byrne – auf diese Weise 513 Fallberichte über verriegelte Türen oder Tore gesammelt, die von Pferden geöffnet werden konnten. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler 49 Fälle ermitteln, in denen Schiebetüren und 33 Fälle, in denen vergitterte Türen oder Tore von den schlauen Vierbeinern aufgemacht werden konnten. Die von den Pferden dabei geknackten Schließmechanismen umfassten 260 Fälle von horizontalen und 155 Fälle von vertikalen Sperren bzw. Riegeln, des weiteren 43 Fälle, in denen Drehverschlüsse geöffnet wurden, dazu 42 Türgriffe, 34 Elektrozaun-Torgriffe, 40 Karabiner und sogar zwei mit Schlüsseln versperrte Schlösser.

Wie die AutorInnen ausführten, diente das Öffnen „in der Regel der Flucht, aber auch dem Zugang zu Futter oder zu Stallkameraden“, doch es gab auch Fälle, in denen die Pferde sich aus purer Neugier oder Verspieltheit als Ausbruchs-Künstler betätigten. Die Pferde bewiesen dabei erstaunliches Geschick und beachtliche Flexibilität: Während 56 Prozent der Pferde nur einen einzigen Mechanismus an einer Stelle öffneten, öffneten immerhin 44 Prozent verschiedene Arten von Mechanismen (Durchschnitt = 2, Min. = 1, Max . = 4) an verschiedenen Stellen (Durchschnitt = 2, Min. = 1, Max. = 5). Je komplexer der Mechanismus war, desto mehr Bewegungen wurden ausgeführt, von durchschnittlich 2 für Türgriffe bis 10 für Karabiner. Mechanismen, bei denen Kopf- oder Lippenverdrehungen erforderlich waren, erforderten mehr Bewegungen mit erheblichen Abweichungen zwischen den einzelnen Pferden.

Auch die Frage, woher die Pferde ihre bemerkenswerten Fähigkeiten hatten bzw. wie sie diese entwickeln konnten, wurde von den AutorInnen untersucht: 74 im Fragebogen berichtete Pferde hatten Möglichkeiten, das Verhalten bei Stallkameraden zu beobachten – doch beachtliche 183 Tiere hatten diese Möglichkeit nicht, was darauf hinweist, dass diese gelernt haben, Türen und Tore entweder individuelles Probieren oder durch das aufmerksame Beobachten von Menschen zu öffnen. Pferde scheinen beiden Varianten gegenüber aufgeschlossen zu sein, so die Wissenschaftler: „Ganz allgemein können wir das Lernen durch Versuch und Irrtum als wichtigsten Mechanismus, um das Öffnen von verschlossenen Türen oder Toren zu lernen, keinesfalls ausschließen. Pferde haben aber vielleicht auch gelernt, mit den Schließvorrichtungen umzugehen, in dem sie Menschen dabei beobachtet haben. In diesem Fall haben sich die Pferde innovative Techniken zum Öffnen angeeignet, indem sie Menschen beobachtet haben – denn sie mussten schließlich andere Körperteile verwenden und sich dem Verriegelungsmechanismen aus anderen Winkeln annähern. Interessanterweise waren Pferde, die zuvor Gelegenheit hatten, den Türöffnungs-Vorgang bei Stallkameraden zu beobachten, unter jenen Probanden überrepräsentiert, die auch nach dem Öffnen der verschlossenen Tür im Stall geblieben sind."

Auch zunehmende Erfahrung begünstigte die Effizienz, mit der Türen geöffnet werden konnten; Pferde, die in der Lage waren, mehrere Türtypen zu öffnen, bewegten sich weniger pro Schloss als jene, die nur einen Türtyp öffnen konnten: „Diese Pferde scheinen verstanden und verallgemeinert zu haben, wie man verschlossene Türen oder Tore öffnet", so die AutorInnen.

Insgesamt zeigten sich die Wissenschaftler von den Ausbruchs-Künsten der gelehrigen Vierbeiner sichtlich beeindruckt – und kamen zu dem Schluss, dass Pferde in der Lage sind, eine viel breitere Palette von mechanischen Sperr-Vorrichtungen zu öffnen als bislang angenommen, wobei sie dies meist mit dem Maul tun. „Obwohl die meisten Pferde durch einfache Riegel oder Griffe gesichert werden und die meisten Berichte sich auch auf solche Vorrichtungen beziehen, erwiesen sich überraschend viele Verschluss-Mechanismen – darunter auch Karabiner und Elektrozaun-Torgriffe – als durchaus anfällig für das Öffnen durch Pferde."

Das Resümee der Wissenschaftler ist daher – jedenfalls in bestimmter Hinsicht – für Pferdebesitzer durchaus beunruhigend: Den herkömmlichen Verriegelungen kann man nur beschränkt vertrauen: „Wir konnten keinen Grad an Komplexität bei Sperr-Vorrichtungen feststellen, der über die Lernfähigkeit des Pferdes zum Öffnen hinausgegangen wäre. Daher sind alle im Alltag verwendeten Vorrichtungen, auch Karabiner und Elektrozaun-Torgriffe, potenziell anfällig für das Öffnen durch Pferde. Dies sollte im Hinblick auf die sichere Verwahrung von Pferden berücksichtigt werden, um durch Ausbrüche verursachte Schäden zu minimieren."

Mit anderen Worten: Pferden sind Ausbrüche jederzeit zuzutrauen – zumal dann, wenn sie gute Beobachter sind oder schlaue Stallkameraden haben, von denen sie sich manches abschauen können. Man sollte seine geliebten Vierbeiner jedenfalls nie unterschätzen – aber das wissen die meisten Pferdebesitzer ohnehin ...

Die Studie „Animal behaviour in a human world: A crowdsourcing study on horses that open door and gate mechanisms" von K. Krüger, L. Esch und R. Byrne ist am 26. Juni 2019 in der Zeitschrift PLoS ONE erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

Auch dieses Youtube-Video zeigt die erstaunlichen Ausbruchs-Künste eines wahren vierbeinigen Schlaumeiers: Hut ab!

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(YouTube)

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