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Erschöpftes Pferd geritten: FEI untersucht Vorwürfe gegen US-Springreiter
18.07.2019 / News

US-Reiter Andy Kocher – hier mit Carollo bei seinem Sieg im Queen Elizabeth ATCO Cup – ist mit heftiger Kritik konfrontiert.
US-Reiter Andy Kocher – hier mit Carollo bei seinem Sieg im Queen Elizabeth ATCO Cup – ist mit heftiger Kritik konfrontiert. / Foto: Spruce Meadows Media/Mike Sturk Photo

Der US-Springreiter Andy Kocher steht in der Kritik, nachdem er eine schwere Derby-Prüfung beim Turnier in Spruce Meadows mit einem sichtlich erschöpften Pferd geritten ist, das am Tag zuvor einen anspruchsvollen 5-Stern-Grand Prix über drei Runden gewonnen hatte.

 

Der Pferdesport ist immer eine Gratwanderung – zwischen dem potenziell unbegrenzten sportlichen Ehrgeiz des Reiters auf der einen Seite und dem physischen Leistungsvermögen des Pferdes, das sehr wohl seine natürlichen Grenzen hat. Wie schmal dieser Grat sein kann, musste vor wenigen Tagen der US-Springreiter Andy Kocher am eigenen Leib erfahren – und zwar innerhalb von nur 24 Stunden.

Am Samstag, dem 6. Juli 2019, stand 35-jährige noch im gleißenden Scheinwerferlicht der Medien, nachdem er mit seinem zehnjährigen Wallach Carollo den mit 500.000,– US-Dollar dotierten 5-Stern-Grand Prix um den ,Queen Elizabeth ATCO Cup’ über drei spannende, aufreibende Runden im kanadischen Spruce Meadows gewonnen hatte. Es war der größten Triumph seines Lebens – und Andy Kocher außer sich vor Glück und Freude: „Mir fehlen die Worte – es ist ein Traum wahr genommen, und ich kann kaum begreifen, wie das alles geschehen konnte. Es ist mein größter Sieg“, so Kocher im Überschwang der Gefühle.

Doch nur einen Tag später war es mit dem Jubel auch schon vorbei: Andy Kocher hatte sich – zur Überraschung vieler – dazu entschlossen, sein Pferd Carollo neuerlich in einem Bewerb an den Start zu bringen, nämlich dem ,Sun Life Financial Derby’ – mit einem enorm schweren, mit zahlreichen Naturhindernissen gespickten Parcours eine der anstrengendsten, kräfteraubendsten Springprüfungen der Welt, wie Insider bestätigen. Entsprechend ungewöhnlich ist es, dass Reiter, die zuvor den Großen Preis um den ,Elizabeth-Cup’ gestartet waren, mit dem selben Pferd auch im Derby an den Start gehen.

Doch genau das tat Andy Kocher – und es endete mit einem Fiasko. Das Pferd wirkte schon bei den ersten Hindernissen müde und erschöpft, musste vom Reiter energisch angetrieben werden – und war heillos überfordert. Das Paar beendete seinen völlig missglückten Umlauf mit 28 Fehlerpunkten – ein auf Facebook gepostetes Video offenbart das gesamte Ausmaß der Desasters und erinnert leider frappierend an jenes Video aus dem Jahr 2017, das für einen österreichischen Springreiter so fatale Folgen hatte.

Die Kritik an Andy Kocher ließ nicht lange auf sich warten – ein veritabler Shitstorm braute sich zusammen und entlud sich mit aller Macht in den sozialen Netzwerken: Er solle sich schämen, sein Pferd auf solche Weise überfordert und misshandelt zu haben, so der Tenor. Am 8. Juli versuchte sich Kocher auf seiner Facebook-Seite zu rechtfertigen: „Einige großartige Pferd-Reiter-Kombinationen haben sowohl den Queen Elizabeth Cup und das Spruce Meadows Derby am selben Wochenende gewonnen – Carollo und ich wollten es daher versuchen, aber es sollte nicht sein. Carollo war nie zuvor über solche Hindernisse gegangen – und im Nachhinein betrachtet hätte ich meinen Ritt abbrechen sollen, als ich fühlte, dass er ängstlich war. Aber ich versuche immer, den Kurs zu Ende zu reiten – als Sportler und um dem Pferd Erfahrung sammeln zu lassen. Carollo sprang weiter als der Kämpfer, der er ist, daran besteht nach seinem großen Sieg am Samstag kein Zweifel. Ich entschuldige mich bei den Besitzern und Vorbesitzern von Carollo für den Feher, an dieser Prüfung teilgenommen zu haben.“ Und weiter schreibt Kocher: „Als Vorsichtsmaßnahme habe ich Carollo von einem Tierarzt komplett untersuchen lassen, und es ist alles in Ordnung. Er wird jetzt bis zu seinem nächsten Turnier eine wohlverdiente Pause erhalten – und ich freue mich darauf, was er als nächstes erreichen kann! Vielen Dank an meine Besitzer und mein Team, die das alles möglich gemacht haben!

Für viele Pferdefreunde klang das nicht gerade nach tiefempfundener Reue – und machten Andy Kocher weiter schwere Vorwürfe. So schrieb ein User: „Nicht böse sein – aber Deine erste Entschuldigung sollte Carollo gelten. In etwa so: ,Ich entschuldige mich aus tiefstem Herzen dafür, dass ich – oh, schon nach dem dritten Spring – nicht bemerkt habe, dass Du erschöpft bist und ich Deinen guten Willen missbraucht habe, indem ich Dich zum Weitermachen aufgefordert habe.’ Hier geht es nicht um den Fehler, für das Derby genannt zu haben – hier geht’s um ein kolossales Defizit in Sachen Horsemanship, ein erschöpftes Pferd zum Weitermachen anzutreiben – das ist das Problem? Was genau hat Dein Pferd aus den herumfliegenden Hindernissen für Lehren gezogen? Da sind Kinder am Parcours und vor den Fernsehschirmen, die Dir beim Reiten zusehen und davon träumen, dort zu sein, wo Du bist. Sei ein Mann und sei ein Vorbild!

Auch einer der Vorbesitzer von Carollo (der möglicherweise noch einen kleinen Anteil besitzt – diese Frage ist nicht restlos geklärt, Anm.), der Niederländer Roy Wilten, meldete sich am 12. Juli auf seiner Facebook-Seite zu Wort, und zwar mit einer heftigen Anklage: „Es ist sehr traurig, dass manche Leute nicht wissen, wann es genug ist und wie sie für ihre Pferde zu sorgen haben, nachdem sie eine 5-Stern-Prüfung über drei Runden und eine Höhe von 1,60 m in Spruce Meadows gewonnen haben. Noch nachdem er erkannt hatte und gesehen hat, wie müde er am nächsten Tag war – und auch noch Witze darüber gemacht hat – war er immer noch so gierig und hat mehr gewollt, als die Gesundheit des Pferdes zugelassen hätte. Pferde sollten deine besten Freunde sein. Ich bin angewidert – und jeder andere sollte das auch sein!“ Das Posting von Roy Wilten – mit zwei dazu eingebetteten Videos – wurde bislang über 3.500 Mal geteilt und über 2.000 Mal kommentiert.

Für Empörung sorgte nicht nur das Video des Ritts – das viele als ,schmerzhaft anzuschauen’ bezeichneten – sondern auch die Tatsache, dass die offiziellen Funktionäre vor Ort, Stewards und Richter, nicht eingegriffen und das Paar nicht abgeläutet hatten, obwohl dies möglich und zweifellos auch berechtigt gewesen wäre. So heißt es in den FEI-Regulativen, dass Funktionäre bei Fällen von Misshandlung bzw. Missbrauch (horse abuse) die Befugnis des Einschreitens haben, wenn „ein Pferd auf eine Weise behandelt wird, die Schmerzen oder Unbehagen verursacht“. Dazu gehört auch, ein erschöpftes, lahmes oder verletztes Pferd zu reiten. Die Untätigkeit der zuständigen Funktionäre ist eine weitere traurige Parallele zum bereits angesprochenen Fall des österreichischen Springreiters.

Der Druck der sozialen Medien und der Öffentlichkeit blieb indes nicht ohne Folgen und hat mittlerweile auch die Sportverbände auf den Plan gerufen: In einer ersten Stellungnahme der FEI heißt es: „Wir prüfen diese Angelegenheit und haben, während wir auf die offiziellen Berichte des ausländischen Richters und des ausländischen Veterinärdelegierten warten, proaktiv Kontakt mit den bei der Veranstaltung tätigen Offiziellen aufgenommen. Wir sind auch mit dem nationalen Reitsportverband des Athleten in Kontakt." Auch der US-Pferdesportverband (USEF) hat sich zu Wort gemeldet: „Andy hätte eine andere Entscheidung treffen und seinen Ritt abbrechen sollen. Er hat dies auch persönlich zum Ausdruck gebracht und seine Fehleinschätzung zugegeben. USEF ist in ständigem Kontakt mit der FEI, nachdem dies eine FEI-Veranstaltung war – wir beobachten laufend, welche Maßnahmen die FEI ergreifen wird, bevor wir weitere Entscheidungen treffen.

Für Vorbesitzer Roy Wilten reicht das alles nicht. Wie er dem Portal ,The Chronicle of the Horse’ sagte, möchte er bei der FEI und bei seinem nationalen Verband eine Regeländerung herbeiführen, um die Anzahl der Bewerbe, an denen Pferde in einem bestimmten Zeitraum teilnehmen dürfen, einzuschränken. „Es geht nicht nur um Carollo“, so Wilten, „hier geht es um alle Pferde und darum, die Regeln zu ändern, um alle Pferde zu schützen und sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“

Man darf gespannt sein, wie die FEI den Fall betrachtet. Andy Kocher ist sich einstweilen keiner Schuld bewusst – und sieht auch die Ermittlungen der FEI gelassen: Wie er gegenüber dem Magazin ,Horse&Hound’ bestätigte, habe er bisher nichts von der FEI gehört: „Und ich nehme an, ich werde auch nichts hören, denn ich habe keine Regel verletzt.“ Naja ...

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