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Dank Clickertraining: Nanu ist das malende Pferd

02.09.2019 / News

Nanu in Aktion: Zuerst musste die Stute das richtige Gefühl entwickeln, wann der Pinsel das Papier berührt, um beim Malen nicht zuviel Druck auszuüben.
Nanu in Aktion: Zuerst musste die Stute das richtige Gefühl entwickeln, wann der Pinsel das Papier berührt, um beim Malen nicht zuviel Druck auszuüben. / Foto: Archiv Martin Haller
Seither hat sie eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen: Sie kann beinahe selbstständig malen und drückt ihre tägliche Verfassung oder Stimmung in den Gemälden aus.
Seither hat sie eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen: Sie kann beinahe selbstständig malen und drückt ihre tägliche Verfassung oder Stimmung in den Gemälden aus. / Foto: Archiv Martin Haller
Nanus kleine Galerie kann sich mittlerweile sehen lassen ...
Nanus kleine Galerie kann sich mittlerweile sehen lassen ... / Foto: Archiv Martin Haller
Mag. Silke Stolz: „Ich habe ein unreitbares Reitpferd, das keine Finger besitzt und trotzdem malen kann."
Mag. Silke Stolz: „Ich habe ein unreitbares Reitpferd, das keine Finger besitzt und trotzdem malen kann." / Foto: Archiv Martin Haller

Die Stute Nanu war misshandelt worden und schwer traumatisiert – erst unter seiner neuen Besitzerin lernte sie wieder, Vertrauen zu fassen und mit Menschen zu kooperieren. Mit Hilfe des Clickertrainings konnte sie erstaunliche Ausbildungs-Fortschritte machen – und sogar das Malen lernen. Ein Erlebnisbericht von Tierärztin Mag. Silke Stolz.

 

Bei den Lakota-Indianern gab es den sogenannten „verrückten Krieger" oder Heyoka. Diese Heyoka lebten einen außergewöhnlichen Lebensstil, indem sie das Gegenteil von dem ausführten, was andere gewöhnlich taten. Man nennt sie auch Contraries. „Nein" heißt „Ja" und „Hallo" bedeutet „Auf Wiedersehen!“... Wenn ich bei meinem Pferd bin, fühle ich mich diesen verkehrten Menschen sehr verbunden. Oft werde ich gefragt, warum ich mich nicht auf dieses Pferd setze, um zu reiten. Meine Antwort darauf lautet: „Man kann es nicht reiten. Aber es kann malen“.

Nanu ist eine falbe, schöne Stute aus Ungarn und kam im April 2013 zu mir. Schon bei der ersten Begegnung gab es Anzeichen dafür, dass nicht alles stimmte, was der Händler erzählte und was in der Verkaufsanzeige stand. Unter anderem war das Pferd deutlich jünger als angegeben. Zudem wies es Narben in der Fessel und am Mähnenkamm auf. Im Nachhinein stellte sich heraus: Nanu war in der Vergangenheit misshandelt worden und schwerst traumatisiert. Sie war unnatürlich ängstlich und reagierte panisch auf alles, das auch nur im Entferntesten auf eine Bestrafung hindeutete. Ein vertrauensvoller Umgang mit Menschen war unmöglich, und sobald jemand mit ihr arbeiten wollte, verspannte sie sich am ganzen Körper und zog wie ein ängstlicher Hund den Schweif ein. Ein Verhalten, das ich in diesem Ausmaß noch nie bei einem Pferd beobachtet hatte.

Alle Ausbildungsmethoden, die auf Druck und Strafe basieren, waren bei Nanu von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie auf das geringste Anzeichen von Strafe mit Panikattacken reagierte (und es noch tun würde). Damit stellte sie eine Gefahr für sich selbst und alle in ihrer Umgebung dar. Ein erster Reitversuch endete mit einem Buckler und einem Sturz direkt nachdem ich mich in den Sattel gesetzt hatte.

Ich war ratlos und überfordert und machte mich auf die Suche nach jemandem, der mich unterstützen konnte. Glücklicherweise war eine gute Freundin und Trainerin gerade mal wieder im Land und konnte helfen. Erika zeigte mir in einer kurzen Trainingseinheit wie das sogenannte Clickertraining funktioniert. Die Methode war so verblüffend einfach und logisch und funktionierte so gut, dass ich sie sehr schnell in vielen Lebensbereichen umsetzen konnte. Nanu war wie ausgewechselt. Und obwohl es lange dauerte bis sie tatsächlich Vertrauen fassen konnte, war der Umgang mit ihr viel einfacher geworden.

Anfangs konzentrierten wir uns vor allem auf Zirkustricks und Führübungen, danach auch auf das Longieren. Die wichtigste Übung bis heute ist das Kopfsenken. Damit kann sich Nanu auch in stressigen Situationen wieder beruhigen. Wie beim Menschen wirken Körperübungen harmonisierend auf die Emotionszentren im Gehirn. Wenn man lächelt, fühlt man sich schnell wohler und fröhlicher. Wenn sich ein Pferd aufregt, nimmt es den Kopf hoch. Eine tiefe Position des Kopfes wie beim Grasen signalisiert dem Körper: alles ist gut. So kann man über eine antrainierte, tiefe Kopfhaltung ein aufgeregtes Pferd beruhigen.
Das Schöne am Clickern ist, dass man beinahe ohne Druck arbeiten kann. Verhalten, das man sehen möchte, belohnt man. Andere Verhaltensweisen ignoriert man, was dazu führt, dass das erwünschte Verhalten häufiger und das unerwünschte Verhalten weniger häufig wird. Damit das Lernen schnell geht versucht man Voraussetzungen zu schaffen, die es dem Pferd leicht machen, das gewünschte Verhalten zu zeigen.

Endlich hatte ich gefunden, was ich schon als Kind immer gesucht hatte: eine Sprache, in der ich mich ganz klar mit meinem Pferd verständigen konnte. So werden schwierige Dinge leicht. Wir machen nur das, womit wir beide klarkommen. Reiten gehört nicht dazu. Nanu reagiert in Angstsituationen nach wie vor kurzzeitig panisch und unangemessen. Was weitgehend unproblematisch ist, solange man nicht auf ihr drauf sitzt. Sie lässt sich leicht beruhigen, aber die Angst sitzt immer noch tief. Nach einem weiteren Sturz, bei dem ich mir die Hand gebrochen habe, beschloss ich, nicht mehr aufzusteigen – nie mehr! Es gibt so viele andere Dinge, die wir gemeinsam tun und erleben können, dass es eigentlich keine Rolle spielt.

In den Sprachen der Indianer wird das Pferd oft als „großer Hund“ oder „Zauberhund“ bezeichnet. Wenn man mich nach der Rasse meines Pferdes fragt, sage ich meistens Golden Retriever. Das passt von der Farbe her, und apportieren kann sie auch. Mit den Jahren haben wir viel miteinander erlebt und beide unglaublich viel voneinander und zusammen gelernt. Wenn uns langweilig wird, suchen wir nach neuen Ideen. Im Rahmen einer Tiertrainingswoche habe ich Bilder gesehen, die von Tieren gemalt wurden. Am Ende der Woche habe ich eines der Bilder, es war von Kakerlaken gemalt, als Mitbringsel erstanden. In den Sommerferien, während der großen Hitze und noch größerer Bewegungsunlust meinerseits, entstand dann die Idee vom malenden Pferd. Was ich als langfristiges Projekt geplant hatte, konnte Nanu innerhalb von nur vier „Malkurs-Tagen“ perfekt umsetzen.

Am ersten Tag ging es einfach nur darum, den Pinsel im Maul zu halten. Durch die ihr schon gut bekannten Apportierübungen war das sehr einfach für Nanu. Allerdings tat sie sich ein bisschen schwer, den langen runden Pinsel zu halten.

Aus diesem Grund probierte ich in der zweiten Einheit einen Pinsel mit flachem Griff. So einen, wie man ihn in der Küche fürs Backen verwendet. Das ging gleich viel besser, und so versuchten wir in derselben Einheit gleich noch mit dem Pinsel das Papier zu treffen. Das Papier war für sie einfach ein Target, das ich ihr auf einem Klemmbrett vor die Nase hielt. Ein Target ist ein Ziel, das sie mit einem Körperteil - in diesem Fall mit der Nase -, berühren soll. Das Spannende an dieser Übung war, dass die Berührung nicht mit einem Teil Ihres Körpers, sondern über den Pinsel erfolgen sollte. Da ich das Klemmbrett in den Händen hielt konnte ich es so positionieren, dass sie eine erste Ahnung für dieses neue Gefühl entwickeln konnte.

Am dritten Tag habe ich das Papier an die Stallwand genagelt. Das machte die Zielübungen schwieriger, und Nanu musste auch aufpassen, nicht mit zu viel Druck an das Papier zu kommen. Da sie direkt vor ihrem Maul nichts sehen kann, musste sie erst das Gefühl kennen lernen, wann der Pinsel das Papier berührt. Mit dem Signalgeräusch vom Clicker konnte ich diese richtigen Momente genau markieren, sodass sie wusste, worauf sie sich konzentrieren muss.

Am vierten Tag hat Nanu dann mit Wasserfarben ihr erstes Kunstwerk gemalt. Seither hat sie eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen. Sie kann beinahe selbstständig malen und drückt ihre tägliche Verfassung oder Stimmung in den Gemälden aus. Man kann Stimmungen wie Nervosität, Zorn oder Ruhe genau erkennen…

Die Materialien mussten natürlich pferdegerecht ausgesucht werden. Die Farben müssen ungiftig und wasserlöslich sein und der Pinsel braucht einen breiten Griff, damit er gut im Maul liegt. Die Staffelei sollte völlig stabil stehen, wenn die Künstlerin mal impulsiver wird. Und weil das ganze so viel Spaß gemacht hat, durfte der kleine Niwi, übrigens ein echtes Indianerpferd, auch mitmachen. Mit seinen drei Jahren und einer großen Vorliebe für das Podest hat er in der gleichen Zeit gelernt, wunderbare Hufabdrücke in bunten Farben aufs Papier zu setzen. Solche Aktivitäten bringen Pferde (und natürlich auch andere Tiere) in eine erhöhte Lernbereitschaft, regen sie geistig an und helfen prima gegen Langeweile. Außerdem sind die Bilder von Nanu und Niwi wunderschön. Sie eignen sich als modern-abstrakte Kunstwerke besonders für zeitgeistige Wohnräume.

Ich habe ein unreitbares Reitpferd, das keine Finger besitzt und trotzdem malen kann. Und darum  machen wir alles ein bisschen anders und ein bisschen bunter! Unser Tipi und unser Leben!
TA Mag. Silke Stolz

ZUR AUTORIN
Mag. vet. med. Silke Stolz ist aktive Reiterin, besitzt das Maltalent Nanu (ungarische Stute) und den jungen Mustang Niwi; sie ist Mutter des kleinen Kilian, der seine Zukunft aber derzeit eher im Autorennsport oder der Raumfahrt sieht. Ihr Mann Thorsten unterstützt ihre Pferdeleidenschaft und ihr Interesse an Kommunikation mit Tieren – gemeinsam haben sie noch das Hobby „Mittelalter". Silke bildet ihre beiden Pferde nach der Clicker-Methode aus, die sie nach jahrelanger Ausbildung sehr gut beherrscht und auch weitergibt. Sie hat sich als Tierärztin auf Pferde-Zahnheilkunde spezialisiert und gilt – obwohl selbst keineswegs betagt – als „dienstälteste" derartige Fachärztin Österreichs. Silke Stolz verbringt jede freie Minute am Ponyhof Schrattenberg bei Scheifling (STMK), wo ihre Pferde eingestellt sind und wo sie die wunderschöne Umgebung und das tolerante „Stallklima" genießt.

Kontakt: www.nanu.click, E-Mail: office@nanu.click

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