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Kritik an der FEI: ISES veröffentlicht Positionspapier über zu eng verschnallte Nasenriemen

06.11.2019 / News

Überprüfungen auf Turnieren zeigen: Je enger der Nasenriemen, desto häufiger sind auch Maulverletzungen zu beobachten.
Überprüfungen auf Turnieren zeigen: Je enger der Nasenriemen, desto häufiger sind auch Maulverletzungen zu beobachten. / Symbolfoto: Fotolia/Kseniya-Abramova

Die Internationale Gesellschaft für Pferdewissenschaften ISES hat ein neues Positionspapier vorgestellt, das sich der Frage von zu engen Nasenriemen insbesondere im Pferdesport stellt. Erster und wichtigster Adressat ist die FEI, deren bisherige Praxis zur Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung offen kritisiert wird. Hier das vollständige Positionspapier in deutscher Übersetzung.

 

ISES schickt voraus, dass – in Anbetracht der Ergebnisse mehrerer kürzlich durchgeführter Studien zum Nasenriemen – diese neue, aktuelle Stellungnahme eine frühere Version aus dem Jahr 2012 ersetzt und zusätzliche wissenschaftliche Belege für mögliche negative Auswirkungen einschränkender Nasenriemen auf Pferde berücksichtigt. (Anmerkung: Als ,einschränkend’ (,restrictive’) werden hier Nasenriemen bezeichnet, die so eng verschnallt sind, dass weniger als zwei Finger eines Erwachsenen zwischen Nasenriemen und Nasenrücken Platz haben.)

ISES gibt deshalb ein neues, aktualisiertes Positionspapier zu diesem Thema heraus, weil einschränkende Nasenriemen

– in vielen Pferdesportdisziplinen nach wie vor weit verbreitet sind;

– mit erhöhten physiologischen Stressreaktionen und einem erhöhten Vorkommen von Maulverletzungen verbunden sind, wodurch das Wohlergehen von Pferden beeinträchtigt wird;

– die Fähigkeit des Pferdes verringern, frei zu schlucken, zu gähnen, zu kauen und zu lecken;

– hohen Druck auf viele empfindliche Gewebsteile im und um den Kopf des Pferdes ausüben;

– Schmerzen, Beschwerden und Trainingsmethoden verdecken können, die nicht mit der Lerntheorie übereinstimmen;

– Reitern, die sich auf anhaltenden und restriktiven Druck stützen, anstatt angemessene und ethische Trainingsmethoden anzuwenden, einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschaffen können

– Einschränkende Nasenriemen sollten daher während des Wettbewerbs einer Regulierung und einer standardisierten Überprüfung auf dem frontalen Nasenrücken unterliegen.

Hintergrund
Pferde werden vor allem durch den Einsatz von Druck und durch das Lösen bzw. Entlasten von Druck trainiert – ein Vorgang, der als negative Verstärkung bekannt ist. Bei negativer Verstärkung erfolgt das Lernen, wenn der Druck nach Durchführung des gewünschten Verhaltens wieder gelöst wird (siehe ISES First Principles of Horse Training). Pferde wollen Druck vermeiden und werden verschiedene Reaktionen ausprobieren, um ihn zu reduzieren. Unglücklicherweise birgt das Anwenden von Druck das Risiko, übermäßigen Druck auszuüben oder ihn nicht zu lösen (siehe ISES-Positionserklärung zu aversiven Stimuli im Pferdetraining). In solchen Fällen ist das Lernen mit geringerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich – und das Wohlergehen des Pferdes kann beeinträchtigt werden. Ein eng anliegendes Reithalfter (also mit weniger als 2 Finger eines Erwachsenen zwischen Nasenriemen und Nasenrücken) ist ein Beispiel für ein Hilfsmittel, das einen konstanten Druck ausübt, der sich nicht lösen kann, wenn das Pferd eine gewünschte Reaktion bietet, anders als bei normaler Verwendung einer negativen Verstärkung. Es schränkt die Bewegungen von Mund, Kiefer und Zunge ein und kann Schmerzen und Verletzungen verursachen.

Das Wohlergehen der Pferde hat im Pferdesport einen hohen Stellenwert. Der Verhaltenskodex der Federation Equestre Internationale (FEI) zum Wohle des Pferdes besagt, dass „Ausrüstung so konstruiert und angebracht sein müssen, dass das Risiko von Schmerzen oder Verletzungen vermieden wird“ (FEI, 2019). Weiter heißt es, dass Pferde „keinen Methoden ausgesetzt werden dürfen, die mit Missbrauch verbunden sind oder Angst verursachen“. In Bezug auf Reithalfter heißt es in den FEI-Dressurregeln (Artikel 428): „Bei jedem Turnier darf ein Reithalfter niemals so fest angezogen sein, dass es dem Pferd Schaden zufügt, und muss entsprechend dem Nasenriemen-Protokoll lt. Stewards-Handbuch überprüft werden.“

Aktuelle Trends bei der Verwendung von Nasenriemen
Traditionelle Richtlinien für das Verschnallen des Nasenriemens empfehlen, diesen so locker anzulegen, dass beim Befestigen zwei Finger darunter Platz haben (siehe etwa Reiner Klimke: Grundausbildung des jungen Reitpferdes). Jüngste Studien haben jedoch gezeigt, dass bei international eingesetzten Turnierpferden, hauptsächlich in den Sparten Vielseitigkeit und Dressur (n = 737),  nur 7% der überprüften Nasenriemen locker genug verschnallt waren, um zwei Finger zwischen Nasenriemen und frontalem Nasenrücken zu platzieren (Doherty et al., 2016). Im Gegensatz dazu waren 44% so fest angezogen, dass gar kein Messgerät an dieser Stelle unter den Nasenriemen gepasst hat (Doherty et al. 2016).

Die Anwendung von übermäßigem Druck oder unzureichender Druckentlastung während des Reitens und Trainings kann auf mangelnde Kenntnis der Lerntheorie zurückzuführen sein (Brown und Connor 2017, Warren-Smith und McGreevy 2008, Wentworth-Stanley 2008). Unangemessene Trainingstechniken basieren häufig auf erhöhtem Druck, um bestimmte gewünschte Reaktionen zu erzwingen (McLean und McGreevy 2010). Die aktuellen Trends bei der Verwendung des Nasenriemens sind wohl ein weiteres Indiz für diesen weit verbreiteten Mangel an Kenntnissen der Lerntheorie in der Welt des Pferdesports.

Die Auswirkungen von zu engen Nasenriemen auf Gesundheit, Verhalten und Leistungsfähigkeit
Eine Studie an Turnierpferden (n = 3143) hat einen signifikanten Zusammenhang zwischen einschränkenden Nasenriemen und Verletzungen an den Maulwinkeln aufgezeigt und nahegelegt, dass solche Verletzungen durch eine Beschränkung der Nasenriemenspannung verringert werden könnten (Uldahl und Clayton 2019). In der Studie wurde die Nasenriemen-Verschnallung in drei Kategorien gemessen: weniger als 2 cm, 2-3 cm und mehr als 3 cm Abstand unter dem Nasenband. Die Häufigkeit von Maulverletzungen war bei Pferden in der Kategorie mit dem lockersten Nasenriemen um 68% niedriger als bei Pferden in der Kategorie mit dem engsten Nasenriemen (weniger als 2 cm). Es wurde auch gezeigt, dass einschränkende Nasenriemen die Fähigkeit von Pferden verringern, zu schlucken, zu gähnen, zu kauen und zu lecken (Fenner et al. 2016). Darüber hinaus waren sie mit einer erhöhten mittleren Herzfrequenz und einer erhöhten Augentemperatur bei Pferden verbunden, die nicht an das Tragen von Nasenriemen gewöhnt waren (McGreevy et al. 2012). Die Reduzierung des Nasenriemen-Spitzendrucks führte zu verbesserter Gangqualität mit erhöhter Hankenbeugung und verbesserter Vorderbein-Aktion (Murray et al. 2015).

Das gerittene Pferd wird versuchen, seine Zunge zu bewegen oder das Maul zu öffnen, um Schmerzen bzw. Beschwerden, die durch den Druck des Gebisses verursacht werden, abzumildern oder zu beseitigen. Einschränkende Nasenriemen verhindern offenkundig solche Verhaltensweisen, verstärken den Druck und verdecken Anzeichen von Schmerz und Unbehagen (Fenner et al. 2016).

Studien haben gezeigt, dass Pferde kurzfristig einen geringeren Gebissdruck benötigen, um auf das Anziehen des Nasenriemens zu reagieren (Randle und McGreevy 2013, Pospisil et al. 2014). Diese erhöhte Empfindlichkeit gegenüber dem Gebissdruck beim Verschnallen des Nasenbands weist auf ein erhöhtes Unbehagen beim Anwenden des Gebissdrucks hin (möglicherweise aufgrund des Zusammenpressens oraler Strukturen wie der Zunge). Während ein geringerer Gebissdruck wünschenswerter und auch für den Reiter angenehmer wäre, ist die Verwendung von einschränkender Ausrüstung zur Erzielung einer erhöhten Reaktionsfähigkeit ethisch inakzeptabel. Im Gegensatz dazu bieten lockerer verschnallte Nasenriemen, mit denen das Pferd ein positives Verhalten zeigen kann, Reitern die Möglichkeit, in allen Disziplinen korrekt trainierte Selbsthaltung und das Reagieren schon auf feinste Hilfen zu demonstrieren.

Bereiche, in denen weitere Studien benötigt werden
Einschränkende Nasenriemen können extrem hohe Kräfte (bis zu 95 Newton) und Druckspitzen (über 1.000 mmHg) auf Haut, Nerven und Knochen unterhalb des Nasenriemens ausüben (Casey et al. 2013, Murray et al. 2015, Doherty 2016). Dies kann zu Beschwerden, zu Schmerzen und sogar zuVerletzungen führen. Die Auswirkungen derart eng verschnallter Nasenriemen auf die darunter liegenden Strukturen wurden bislang noch nicht untersucht.

Die Folgen von hohem Druck auf Schmerzrezeptoren in darunter liegenden Weichteilen oder anderen Strukturen des Pferdes sind bislang unklar. Angesichts der Tatsache, dass Pferde als empfindsame Wesen gelten (also Schmerz und Leid fühlen können), ist es wahrscheinlich und naheliegend, dass sie hohen Druck als unangenehm oder schmerzhaft empfinden. Polsterungen unter dem Nasenriemen könnten wohl einige dieser Folgen abmildern, aber auch die Oberfläche des Nasenriemens und somit den Bereich der Wange vergrößern, der gegen die Vormahlzähne (Prämolaren) gedrückt wird. Dies kann das Risiko einer Verletzung der weichen Innenseite der Wange erhöhen.

Nasenriemen-Verschnallung in pferdesportlichen Wettbewerben
Die Vorschriften und Richtlinien, die von den zuständigen Verbänden und Ausbildungsgremien des Pferdesports festgelegt werden, können das Wohlergehen von Pferden, die an einer Vielzahl von Disziplinen auf allen Ebenen teilnehmen, erheblich beeinflussen. Diese Institutionen sollten daher die Verwendung eines Standardmessgeräts zur Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung befürworten und gegebenenfalls durchsetzen. Die zuverlässigste und geeignetste Stelle zur Messung der Nasenriemen-Spannung ist die frontale Nasenebene. Diese Stelle ist leicht zu finden, verformt sich unter Druck nicht und spiegelt deutlich die tatsächliche Verschnallung des Nasenbands über benachbarten markanten Knochenstrukturen (linker und rechter Nasenknochen) wider. FEI-Stewards werden seit 2016 angehalten, die Verschnallung des Nasenriemens zu überprüfen, indem ein Finger zwischen der Wange des Pferdes und dem Nasenriemen eingeführt wird. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass selbst ein extrem enges Reithalfter es weiterhin ermöglicht, einen Finger oder ein Messgerät leicht zwischen die Wange des Pferdes und das Reithalfter zu platzieren, da das Gesicht des Pferdes an der Seite viel flacher und stellenweise konkav bzw. hohl ist (Doherty et al. 2017).

Der Mangel an gemeldeten Verstößen, bei denen Reiter für zu straffe Nasenriemen im Wettbewerb bestraft werden, deutet darauf hin, dass die Richtlinien und Empfehlungen zum Nasenriemen nicht objektiv überwacht werden. Subjektive Überprüfungen der Nasenriemen-Verschnallung, die ohne einen einheitlichen Ansatz und ohne Verwendung eines standardisierten Messinstruments an der frontalen Nasenebene durchgeführt werden, führen zu inkonsistenten Messungen und Ergebnissen. Dies kann eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Pferde zur Folge haben.

In Anerkennung der wachsenden Anzeichen für die nachteiligen Auswirkungen von zu engen Nasenbändern haben Reitsportverbände in Neuseeland, Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden und Schweden ihrerseits Vorschriften für die Verwendung von Nasenriemen erlassen. Diese Vorschriften sehen einen Abstand von 1 Finger (Neuseeland), 1,5 cm (Dänemark, Schweden und Niederlande) oder 2 cm (Schweiz) unter dem Nasenband in der frontalen Nasenebene vor, geben jedoch im Allgemeinen nicht die genauen Ausmaße eines Messinstruments an, mit dem dies überprüft werden soll. Während das ISES Noseband Taper Gauge in mindestens drei veröffentlichten Studien (McGreevy et al. 2012, Doherty et al. 2016, Fenner et al al. 2016) gibt es noch keine wissenschaftlichen Belege für die verhaltensbezogenen oder physiologischen Konsequenzen für das Pferd, wenn 1 Finger, 1,5 cm oder 2 cm Platz zur Verfügung gestellt werden.

Angesichts der wissenschaftlich fundierten Beweise für das hohe Vorkommen zu engen Nasenriemen und ihrer Folgen für das Wohlbefinden der Pferde sollte die Überwachung der Nasenriemen-Verschnallung bei allen Pferdesportarten Vorrang haben.

Weitere Maßnahmen sind erforderlich
Die ISES stimmt darin überein, dass weitere Forschungen zu folgenden Themenfeldern erforderlich sind:

– optimale Anpassung des Nasenriemens, um zu gewährleisten, dass das Wohlbefinden gerittener Pferde nicht beeinträchtigt wird.

– Auswirkungen auf das Wohlbefinden eines Pferdes, wenn natürliche orale Verhaltensweisen (Schlucken, Kauen und Lecken) aufgrund eines zu engen Nasenriemens eingeschränkt sind.

– Unterschiede zwischen akzeptablen Maulbewegungen während des Reitens und solchen, die auf Schmerzen/Beschwerden bzw. Verwirrung und daraus resultierende Konflikte beim Pferd zurückzuführen sind.

– Ausbildung von Pferdetrainern, Betreuern und Reitern in der richtigen Anwendung der Lerntheorie ist erforderlich, um zu verhindern, dass über die Ausrüstung zuviel Druck während des Reitens oder Trainings auf das Pferd ausgeübt wird

– Es ist erforderlich, dass die Wettbkampfrichter geschult werden, damit sie zwischen erwünschtem „Ansprechen auf das Gebiss“ und einem Verhalten unterscheiden können, das möglicherweise auf eine Abwehr bzw. Ablehnung bzw. eine Reaktion auf Schmerz oder Unbehagen hinweist.

– Es liegt in der Verantwortung der Verbände und Leitungsgremien im Pferdesport, sich an der weiteren Forschung zu beteiligen – in Form von Finanzierung, Zusammenarbeit, offener Kommunikation und aktiver Teilnahme – und so dazu beizutragen, dass die verbleibenden Fragen in Bezug auf mögliche, durch zu enge Nasenriemen verursachte Gefahren für das Wohlergehen gerittener Pferdes beantwortet oder auch hinterfragt werden können.

Empfehlungen
Sofern wissenschaftliche Erkenntnisse nichts anderes nahelegen, empfiehlt ISES den leitenden Institutionen und Verbänden folgende Maßnahmen:

A. Einführung und Durchsetzung entsprechender Nasenriemen-Regeln in allen Pferdesportdisziplinen, wobei in allen Fällen ein objektives Messinstrument mit Standardumfang wie die ISES-Nasenriemen-Messschablone (ISES Noseband Taper Gauge) mit Zwei-Finger-Messumfang zu verwenden ist;

B. vorzuschreiben, dass die Messung des Abstands unter dem Nasenriemen zu jeder Zeit in der frontalen Nasenebene (Nasenbein) durchgeführt wird;

C. zur Kenntnis nehmen, dass das Öffnen des Mauls auf unerwünschte Faktoren wie Schmerzen, Unwohlsein und Fehler im Training zurückzuführen ist und kein Anzeichen von Widerstand darstellt; und akzeptieren, dass jede körperliche Einschränkung der Kieferbewegung das Wohlergehen des Pferdes gefährden kann;

D. eine größere Transparenz darüber einräumen, wie Entscheidungen in Bezug auf zulässige Ausrüstung und deren Anwendung getroffen werden, und ausreichende Nachweise dafür erbringen, dass die Reglements die Pferde tatsächlich vor Schäden und Verletzungen schützen;

E. die Regeln und Praktiken, die sich auf das Wohlergehen der Pferde auswirken, kontinuierlich überpfüfen und überarbeiten – und zwar mit einem evidenzbasierten Ansatz, der die neuesten Forschungen hinsichtlich Tierschutz und Veterinärwissenschaften berücksichtigt.

Das vollständige ISES-Positionspapier zu einschränkenden Nasenriemen kann man in englischer Originalfassung hier nachlesen.

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