News 

Rubrik
Zur Übersichtzurück weiter

Sichtung statt Leistung? Der olympische Sündenfall des OEPS
27.11.2019 / News

Der OEPS wirft die bisherige Praxis bei Olympia-Qualifikationen über Bord – anstelle des ,Olympic Ranking
Der OEPS wirft die bisherige Praxis bei Olympia-Qualifikationen über Bord – anstelle des ,Olympic Ranking' wird nun eine Sichtung entscheiden. / Symbolfoto: Archiv/Julia Rau

Bislang hat Österreich für Olympische Spiele stets jene Einzelreiter nominiert, die einen Quotenplatz lt. Weltrangliste bzw. ,Olympic Ranking' für Österreich gesichert hatten. Das hatte gute Gründe, doch diesmal macht es der OEPS ganz anders – warum nur? Ein Kommentar von Leo Pingitzer.
 
Eines vorweg zur Klarstellung: Es ist uns wirklich von Herzen egal, welche ReiterInnen Österreich bei Olympischen Spielen vertreten – es sollen die Besten fahren, die zuvor in einem fairen und für alle gleichen Verfahren ermittelt worden sind. Das wird wohl auch jeder heimische Pferdesportfreund so sehen – und eigentlich sollte dies auch der Standpunkt des Österreichischen Pferdesportverbandes (OEPS) sein.

Dass daran leider berechtigte Zweifel bestehen, haben wir bereits letzthin thematisiert (siehe diesen Kommentar dazu) – beim OEPS aber scheint diese Kritik nicht gerade für Einsicht gesorgt zu haben, ganz im Gegenteil: Er hat umgehend noch ein weiteres Schäuferl nachgelegt.

In einer ausführlichen Mitteilung hat der OEPS letzte Woche darüber informiert, wieso es doch noch möglich sein könnte, dass Österreich – trotz versäumter Team-Qualifikation – eine Mannschaft zu den olympischen Dressurbewerben nach Tokyo schicken darf. Kurz gesagt haben bei zwei qualifizierten Nationen (Brasilien und Südafrika) bislang noch nicht alle Reiter die einschlägigen Zulassungsvoraussetzungen (das sogenannte ,Minimum Eligibility Requirement’, MER) erfüllt. Sollte dies auch bis 31.12.2019 nicht gelingen, würden ein oder zwei sogenannte ,composite teams' – also ,zusammengesetzte' Teams – nachrücken, die aus den drei besten ReiterInnen einer Nation lt. ,Olympic Ranking' gebildet werden, und dabei wären Frankreich und Österreich in der besten Position. Sollte es kein ,composite team' aus Österreich nach Tokyo schaffen, wäre jedenfalls eine Einzel-Qualifikation so gut wie fix.

Soweit – so gut. Der weitaus spannendste Inhalt fand sich aber ganz am Schluss der Aussendung. Dort steht der bemerkenswerte Passus: „Für die Vergabe des Quotenplatzes wird der Österreichische Pferdesportverband ein Qualifikations-Prozedere festlegen. Egal ob Team- oder Einzel-Qualifikation, im Frühjahr 2020 wird der OEPS Sichtungsturniere durchführen, wo alle in Frage kommenden österreichischen Reiterinnen und Reiter vor einem hochrangigen, internationalen Richterkollegium gegeneinander antreten müssen."

Bemerkenswert daran ist, dass man es – jedenfalls in den vergangenen 15 Jahren und vermutlich auch davor – nie so gemacht hat: Es ist ein radikaler sportlicher Bruch. Bislang galt die selbstverständliche Praxis: Wer sich über das ,Olympic Ranking' einen Einzel-Quotenplatz sichern konnte, der hat diesen auch automatisch bekommen und durfte bei den Olympischen Spielen starten. Das galt für Victoria Max-Theurer bei ihren Einzel-Qualifikationen 2008, 2012 und 2016 ebenso wie für Renate Voglsang 2012 und für Harald Ambros 2008 und 2012. Derjenige, der Österreich durch seine internationalen Leistungen einen Olympia-Quotenplatz gesichert hatte, der durfte auch bei Olympia starten – das war bislang die unumstößliche Regel. Er war es, der diesen Startplatz überhaupt erst gesichert und ermöglicht hat – und sollte diesen auch als verdienten Lohn für die erbrachten Leistungen erhalten, wer sonst hätte einen legitimeren Anspruch?

Wieso dies plötzlich nicht mehr gelten soll, darüber kann man nur mutmaßen, Einblick in interne Entscheidungen gibt der OEPS ja nicht – und der Hinweis, dass man es im „Wildwasser-Kajak" (!) auch so handhabe, ist eher skurril als überzeugend. Was also ist diesmal anders als in den Jahren 2008, 2012 und 2016? Die Möglichkeit, ein ,composite team' zu entsenden, kann es schwerlich sein – denn auch dieses würde auf Basis des ,Olympic Ranking' gebildet, nur dass hier eben die drei bestplatzierten ReiterInnen zum Zug kommen würden, und nicht nur eine/r. Was also ist so grundlegend anders als 2016? Nun, soweit wir sehen ist der einzige augenfällige Unterschied der, dass diesmal im ,Olympic Ranking' der Dressur erstmals nicht Victoria Max-Theurer, sondern eine andere Reiterin die beste Österreicherin ist – und damit (sofern dies so bleibt) auch Anspruch auf eine Olympia-Teilnahme hätte (sei es als Einzelreiterin oder als Mitglied eines ,composite teams'). Wollte man dieser – für die OEPS-Präsidentin möglicherweise traumatischen – Vorstellung einen Riegel vorschieben?

Diesen Eindruck kann man jedenfalls gewinnen, denn in sportlicher Hinsicht spricht so gut wie alles für die bisherige Praxis: Die internationalen Leistungen über einen Zeitraum von 12 Monate hinweg – d. h. auf unterschiedlichen Turnieren, bei unterschiedlichen Bedingungen und vor unterschiedlichen Richtern – sind sportlich allemal aussagekräftiger und höher zu bewerten als die Resultate von zwei oder drei Sichtungsturnieren, bei denen allein der OEPS die Rahmenbedingungen und die Richter festlegt – noch dazu, wenn dieser OEPS bzw. seine Präsidentin gerade im Geruch steht, die Tochter der Präsidentin zu begünstigen.

Auch ein anderes, pragmatisches Argument spricht sehr für die bisherige Variante: Denn mit dem ,Olympic Ranking' steht eine absolut objektive, unangreifbare und bestens argumentierbare Entscheidungsbasis für die Olympia-Beschickung zur Verfügung, die von jedem offen eingesehen und überprüft werden kann – was kann einem Sportverband Besseres passieren? Keine mühsamen Diskussionen und Streitereien mit nicht berücksichtigten Athleten und Angehörigen, keine Mauscheleien um Freunderlwirtschaft und Schiebungs-Gerüchte – und keine medialen Gefechte, warum diese/r fahren durfte und jene/r zuhause bleiben musste! Eigentlich ein paradiesischer Zustand für einen Verband, sollte man meinen. Aber nicht für den OEPS – denn der wirft alles Bisherige über Bord und führt nun auch hier seine beliebten Sichtungen ein. Das ,Olympic Ranking' soll nicht mehr entscheidend sein, sondern die Bewertungen bei  Sichtungsturnieren, die nach den Regeln und Rahmenbedingungen des OEPS durchgeführt werden.

Tatsächlich haben Sichtungen – vor allem in Sportarten mit Richterbewertungen – vielfach einen zweifelhaften Ruf und sind mit einem negativen Image behaftet: Sie seien deutlich stärker Willkür und Zufällen ausgesetzt und auch leichter beeinflussbar als z. B. eine Weltrangliste. Nicht umsonst kursiert in der heimischen Dressurszene das Bonmot „Denn beim Sichten können wir's uns richten!" Sportlich haben sie jedenfalls den Nachteil, nur eine – mehr oder weniger breite – ,Momentaufnahme' zu liefern, mit allen damit verbundenen Zufälligkeiten und Risiken (äußere Faktoren, schlechte Tagesverfassung, Formtief, gesundheitliche Beeinträchtigungen usw.), die viel stärker ins Gewicht fallen. Und ob eine ,Sichtungs-Tour' mit mehreren Turnieren ausgerechnet im Olympia-Jahr eine so tolle Idee ist, sei ebenfalls dahingestellt, denn die Formkurve sollte eigentlich für die Olympischen Spiele und nicht für die Sichtungen optimiert werden. Formüberprüfungen sind natürlich wichtig und ok – aber ohne den Stress und den Druck einer Sichtung und mit ganzer Konzentration in Richtung Olympia.

Wie solche Veranstaltungen beim OEPS ablaufen, verdeutlicht wohl am besten die heuer durchgeführte Sichtung für die Dressur-EM in Rotterdam. Die beiden Pflicht-Termine waren das CDI Achleiten und das CDI in Cappeln – beides Turniere von OEPS-Präsidentin Elisabeth Max-Theurer, die auch jeweils Präsidentin des Organisationskomitees und somit als Veranstalter auch für die Richterbestellung hauptverantwortlich war. Damit wollen wir natürlich nichts unterstellen – aber es zeigt die sportliche Allmacht des OEPS bzw. seiner Präsidentin über solche Sichtungen, und dies impliziert natürlich auch die Möglichkeit der Einflussnahme (allein schon durch die Festlegung von Sichtungsort- und -zeit sowie die Auswahl der Richter). Jeder andere Verband würde wohl alles tun, um eine solche Optik zu vermeiden – noch dazu zu einem Zeitpunkt, in dem die Öffentlichkeit bereits hellhörig für dieses Thema geworden ist. Doch im OEPS scheint das niemanden zu stören – frei nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!

Zu allem Überfluss stand in den dazugehörigen ,Sichtungs- und Kaderkriterien Dressur 2019' auch noch dieser denkwürdige Satz: „In begründeten Fällen ist es dem Dressurreferat und dem Sportdirektor vorbehalten, Entsendungen zu internationalen Turnieren und/oder eine Kaderaufnahme auch dann vorzunehmen, wenn die entsprechenden Kriterien nicht erfüllt wurden, dies aber in Interesse des Referats liegt, oder diese auch in begründeten Fällen zu widerrufen, obwohl die Kriterien erfüllt wurden." Lesen Sie das ruhig ein zweites Mal – es ist ein echtes Gustostück, denn hier steht nichts anderes, als dass man sich diese 13 Seiten umfassenden ,Kriterien' eigentlich in die Haare schmieren kann, denn diese Kriterien werden ohnehin nur dann angewendet, wenn dies „im Interesse des Referats" liegt – und wenn nicht, dann eben nicht. Wenn Du als Reiter die Kriterien erfüllst – oder sogar übererfüllst – resultiert daraus niemals irgendeine Art von Anspruch. Und umgekehrt: Auch wenn Du die Kriterien nicht erfüllst, kannst Du trotzdem ausgewählt werden, wenn wir das wollen. So sehen Sichtungsregeln beim OEPS aus – noch irgendwelche Fragen?

Zuletzt sei auch noch ein anderes Argument gegen den Schwenk des OEPS in Sachen Olympia-Qualifikation angeführt – nämlich ein psychologisches: Den betroffenen Athleten wird so jeglicher Leistungsanreiz und jegliche Motivation genommen. Denn es ist völlig wurscht, ob man im ,Olympic Ranking' der beste oder der fünftbeste österreichische Reiter ist – die Entscheidung über einen Olympia-Start fällt ohnehin erst bei einer Sichtung, wo die Karten völlig neu gemischt werden. Und es kann nur allzu leicht passieren, dass derjenige, der Österreich einen Olympia-Startplatz gesichert hat, dann doch zuhause bleiben muss – und ein anderer auf seinem Ticket zu Olympia fährt. Würden Sie das fair finden? Und können Sie sich vorstellen, wie sich ein solcher Reiter dann fühlen muss – wenn seine sportliche Leistung unbelohnt bleibt und ein anderer die Früchte seiner Erfolge erntet?

Vor allem zeigt man den heimischen Dressurreitern damit nochmals ganz deutlich, wer in Österreichs Dressur das Sagen hat und wer – Leistung hin oder her – die wichtigen Entscheidungen trifft, nämlich der OEPS und seine Präsidentin. Egal, wie sehr Du Dich anstrengst: Nichts ist Dir sicher, wenn Du nicht nach unserer Pfeife tanzt – ab sofort auch nicht mehr ein Startplatz bei Olympia, selbst wenn Du der/die Beste im ,Olympic Ranking' bist. Das ist die implizite Botschaft der eingangs erwähnten OEPS-Aussendung – und ein weiterer sporlicher Sündenfall, weil die Leistungen eines ganzen Jahres herabgewürdigt und beseitegewischt werden, nur weil sie von der falschen Reiterin erbracht wurden. Unterm Strich bleibt eine fatale Optik: Solange Tochter Victoria Max-Theurer im ,Olympic Ranking' vorne lag, war dies für eine Olympia-Qualifikation völlig ausreichend – nachdem das heuer erstmals nicht der Fall sein könnte, macht man es plötzlich anders.

Für den Pferdesport insgesamt ist diese Optik einfach nur katastrophal – und ein Image-Schaden von kolossalem Ausmaß. Wir haben aber noch ein viel größeres Problem: Wie soll man mit einer Präsidentin argumentieren, deren sportliches Vorbild Wildwasser-Kajak ist? Hier ist wirklich guter Rat teuer,

meint Ihr

Leopold Pingitzer

PS: Sagen Sie mir ruhig Ihre Meinung: redaktion@propferd.at

Kommentare

Bevor Sie selbst Beiträge posten können, müssen Sie sich anmelden...
Zur Übersichtzurück weiter

 
 
ProPferd.at - Österreichs unabhängiges Pferde-Portal − Privatsphäre-Einstellungen