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Studie zum Reitergewicht: Ab 20 % des Pferdegewichts wird’s problematisch
22.02.2020 / News

Über die richtige Relation von Reiter- zu Pferdegewicht wird seit vielen Jahren heftig diskutiert – auch innerhalb der Wissenschaft.
Über die richtige Relation von Reiter- zu Pferdegewicht wird seit vielen Jahren heftig diskutiert – auch innerhalb der Wissenschaft. / Symbolfoto: Archiv Martin Haller

Werden Pferde mit einem Reitergewicht belastet, das 20 Prozent des Pferdegewichts beträgt, verursacht dies höhere Körpertemperaturen in belasteten Bereichen und höhere Herzfrequenzen im Vergleich zu einem leichten Reiter – das fanden polnische Forscher heraus.

 

Die Auswirkungen des Reitergewichts auf das Wohlbefinden des Pferdes sind auch in wissenschaftlicher Hinsicht vieldiskutiert und heiß umstritten. Einigkeit besteht lediglich darin, dass diese Auswirkungen nicht vom Reitergewicht allein bestimmt werden, sondern von einer Vielzahl weiterer Faktoren wie dem Pferdetyp, der Arbeits-Intensität, dem Trainingszustand des Pferdes, den Fähigkeiten des Reiters, der Ausrüstung etc. Diese Vielzahl an Einflussfaktoren erschwert die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas und führt mitunter zu scheinbar konträren Forschungsergebnissen. So sorgte zuletzt eine dänische Untersuchung für Diskussionen, an der 20 Pferd-Reiter-Paare beteiligt waren und bei der eine Erhöhung des Reitergewichts um 15 sowie um 25 % zu keinen Beeinträchtigungen von Herzfrequenz, Verhalten und Gangsymmetrie in einer einfachen Dressurprüfung führte. Die Reiter-Pferd-Gewichtsrelationen lagen dabei vor der Prüfung zwischen 12 und 19 %, bei 15 % Mehrgewicht zwischen 14 und 21 % und bei 25 % Mehrgewicht zwischen 15 und 23 %.

Zu einem abweichenden Ergebnis kommt nun eine aktuelle Studie polnischer Wissenschaftler, die einem deutlich anderen Design folgte: Die Forscher wollten die Unterschiede hinsichtlich Körpertemperatur und Herzfrequenz bei Pferden analysieren, die von zwei unterschiedlich schweren Reiterinnen einem leichten körperlichen Belastungstest unterzogen wurden. Sie verwendeten dafür insgesamt zwölf Freizeitpferde, Warmblutwallache im Alter von 10 bis 15 Jahren, von denen jedes etwa 470 kg wog.

Es wurden zwei professionelle Dressurreiterinnen mit gleicher reiterlicher Qualifikation eingesetzt, deren Körpergewicht im einen Fall etwa 20%, im anderen Fall etwa 10% des durchschnittlichen Körpergewichts der Pferde betrug. Absolviert wurde eine leichte Trainings- bzw. Aufwärmeinheit von 13 Minuten Schritt und 20 Minuten Trab, dies bei jeweils optimal angepassten Sätteln. Jede Reiterin ritt an einem Tag sechs Pferde – und am nächsten Tag die sechs Pferde ihrer Kollegin, womit jede Reiterin sämtliche zwölf Pferde unter dem Sattel hatte.

Eine Infrarot-Thermografiekamera wurde verwendet, um Bilder der Pferde vor der Arbeit, unmittelbar nach der Trainingseinheit sowie nach einer zehnminütigen Erholungsphase aufzunehmen. Gemessen wurde die Oberflächen-Temperatur der Kopf- und Halspartie, des gesamten Rumpfes (unterteilt in Schulterpartie, Rücken und Kruppe) sowie von Vorder- und Hinterbeinen. Zudem wurde unmittelbar nach der Aufnahme der Infrarot-Thermografiebilder auch die Rektaltemperatur jedes Pferdes gemessen. Ebenso wurde die Herzfrequenz der Pferde zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten erhoben, und zwar unmittelbar vor, während und 10 Minuten nach dem Ende jeder Trainingseinheit.

Wie die Ergebnisse zeigten, führte eine Gewichtsbelastung des Reiters von etwa 20% des Pferdegewichts zu einem erheblichen Anstieg der Oberflächentemperaturen der Halspartie sowie des gesamten Rumpfes – und zwar im Vergleich zu einem Reiter, der nur 10% des Körpergewichts des Pferdes wog. Auch die Herzfrequenz-Werte waren nach der Arbeit mit dem schwereren Reiter sowohl in der Phase nach dem Training als auch in der Erholungsphase signifikant höher. So betrugen die Herzfrequen-Mittelwerte unmittelbar nach der Trainingseinheit beim schweren Reiter 117,4, beim leichten Reiter hingegen nur 81,8. Nach der Erholungsphase lagen sie beim schweren Reiter bei 67,4, beim leichten Reiter bei 48,7.

Beim leichteren Reiter stieg hingegen nur die Oberflächen-Temperatur am Rücken an, während die durchschnittlichen Temperaturen von Kopf und Gliedmaßen durch die Belastung des Pferdes nicht signifikant beeinflusst. Auch der erwartete Anstieg der Rektaltemperatur nach der Trainingseinheit schien vom Gewicht des Reiters nicht beeinflusst zu werden.

Das Resümee der Wissenschaftler: „Eine Gewichts-Belastung des Reiters, die ungefähr 20% des Pferdegewichts beträgt, führte selbst bei leichter Arbeit zu einem erheblichen Anstieg der Oberflächentemperatur der Halspartie, des Vorder-, Mittel- und Hinterteils des Rumpfes – und zwar im Vergleich zu den Temperatur-Werten dieser Körperteile bei nur 10 % Gewichtsbelastung. Die Temperatur der Kopfpartie und besonders der Beine durch die Gewichtsbelastung wurden hingegen nicht wesentlich beeinflusst.“

Das Problem eines zu großen Reitergewichts könnte sich künftig noch verschärfen, da viele Gesellschaften mit dem Thema ,Fettleibigkeit’ konfrontiert sind, so die Forscher abschließend: „Das Tragen schwerer Lasten verringert das Wohlbefinden des Pferdes erheblich und beeinträchtigt die Bewegungsmechanik. Dies kann auf Dauer bei Pferden zu Gesundheits- und Lahmheitsproblemen im Rücken und in den Gliedmaßen führen. Derzeit gibt es keine strengen Gewichtsbeschränkungen für Reiter. Wir sind jedoch der Meinung, dass Pferdehalter diesem Problem mehr Aufmerksamkeit widmen sollten.“

Die Studie „Distribution of Superficial Body Temperature in Horses Ridden by Two Riders with Varied Body Weights" von Izabela Wilk, Elżbieta Wnuk-Pawlak, Iwona Janczarek, Beata Kaczmarek, Marta Dybczyńska und Monika Przetacznik ist am 21. Februar 2020 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

 

Auch TVT bestätigt: 15 % sind akzeptabel

Auch die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e.V. (TVT) bestätigt diese Ergebnisse weitgehend: Im Merkblatt zum „Reitergewicht“ und der Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden“ aus dem Jahr 2019 fasst man die Forschungsergebnisse so zusammen: „In wissenschaftlichen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Pferde eine Gewichtsbelastung von 10 % ihres eigenen Körpergewichtes unabhängig von ihrer Konstitution und ihrem Trainingszustand problemlos verkraften. Eine Forderung nach einer maximalen Gewichtsbelastung von 10 % ihres Körpergewichts für Pferde kann jedoch als unrealistisch angenommen werden.
Eine Gewichtsbelastung von ca. 15 % ihres eigenen Körpergewichtes verkraften Pferde normalerweise ebenfalls noch, ohne Schäden davonzutragen. Dabei kommen kräftige Pferde mit einer breiten Lendenregion und einem hohen Röhrbeinumfang mit dieser Gewichtsbelastung besser zurecht, als eher schmale, zierliche Pferde. Untersuchungen in Großbritannien (3) zeigten, dass die meisten der untersuchten Pferde mit einem BWR von 14,2 % bis 16,6 % den Forderungen nach einer maximalen Gewichtbelastung von 15 % entsprachen."

Die klare Schlussfolgerung der TVT: „Unter Berücksichtigung weiterer Faktoren wie Trainingszustand, Art der Leistung und Pferdetyp kann eine Gewichtsbelastung von ca. 15 % der Körpermasse eines Pferdes als realistisch und akzeptabel angesehen werden.

Bei einer Gewichtsbelastung von 20 % ihres eigenen Körpergewichtes kommt es bereits zu merklichen Veränderungen vor allem in der Muskulatur der betroffenen Pferde in Form von Verspannungen und Verhärtungen. Eine so hohe Gewichtsbelastung kann daher nur unter optimalen Bedingungen toleriert werden, wenn die Pferde, wie beispielsweise Islandpferde, einen entsprechend belastbaren Körperbau aufweisen, in einem sehr guten Trainingszustand sind und die geforderte Leistung eher moderat ist."

Das gesamte Merkblatt (Nr. 187) zum Thema ,Reitergewicht' findet man hier.

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