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Tödliche Weidekrankheit: So kann man das Risiko für seine Pferde senken
26.02.2020 / News

Nahezu jede Pferdeweide hat auch Bäume oder ist von sochen umgeben – umso wichtiger ist es, die gefährlichen Ahorn-Arten zu erkennen.
Nahezu jede Pferdeweide hat auch Bäume oder ist von sochen umgeben – umso wichtiger ist es, die gefährlichen Ahorn-Arten zu erkennen. / Symbolfoto: Archiv Martin Haller

Die atypische Weidemyopathie fordert Jahr für Jahr zahlreiche Pferdeleben, obwohl der Auslöser für die tödliche Krankheit seit einigen Jahren bekannt ist. Eine aktuelle Studie gibt nun Empfehlungen, durch welche Maßnahmen man das Vergiftungsrisiko herabsetzen kann.

 

Lange Zeit gab der plötzliche Tod von Weidepferden, der vor allem im Frühjahr und im Spätherbst zu beobachten war, Tierärzten und Wissenschaftlern Rätsel auf. Erst im Jahr 2012 gelang es, die Ursache der bis dahin rätselhaften sogenannten „atypischen Weidemyopathie" (AM) aufzudecken: Wissenschaftler der University of Minnesota in St. Paul (USA) um Dr. Stephanie Valberg konnten in einer Studie nachweisen, daß ein Gift hinter der meist tödlich verlaufenden Muskelerkrankung steckt, konkret eine abnormale Aminosäure namens Hypoglycin A – kurz HGA genannt –bzw. deren Metaboliten (Stoffwechselprodukte) MCPA.

HGA kommt in den Samen des Eschen-Ahorns (Acer Negundo) vor und führt zu einer massiven Schädigung der aeroben Muskelfasern, die in der Mehrzahl der Fälle tödlich endet – man geht von einer Todesrate bis zu 70 % aus. 2015 gelang deutschen Wissenschaftlern im Rahmen einer umfangreichen Studie der Nachweis, dass HGA auch in den Samen des Bergahorns (Acer pseudoplatanus) enthalten ist, der in Europa weit verbreitet und auch auf zahlreichen Pferdeweiden anzutreffen ist. Das Resümee der Wissenschaftler: „Es ist daher dringend zu empfehlen, Pferde am besten nicht auf Weiden grasen zu lassen, auf denen sich Bergahorne befinden"

Obwohl damit die Ursache für die atypische Weidemyopathie eindeutig geklärt und auch über diverse Medien und Pferdeportale kommuniziert worden war, ist es seither zu keiner nennenswerten Abnahme der tödlichen Krankheitsfälle gekommen – wie eine nun erschienene Studie zeigt, in der umfangreiche statistische Daten zu den Myopathie-Fällen der letzten Jahre veröffentlicht sind. Die Zahlen stammen aus einem Forschungsprojekt der Universität Lüttich, die ein europaweites Meldesystem für derartige Fälle etabliert hat – die sogenannte ,Atypical Myopathie Alert Group’. Obwohl die Zahlen wohl nur die Spitze des Eisbergs zeigen – die Meldungen erfolgen auf freiwilliger Basis und sind daher unvollständig – geben sie einen einzigartigen Überblick über die Entwicklung der Krankheitsfälle.

Insgesamt verzeichnet die Universität Lüttich zwischen 2006 und 2019 exakt 3.039 Krankheitsfälle in insgesamt 14 europäischen Nationen. Die höchste Zahl an Erkrankungen wurde im Jahr 2018 (424 Fälle) verzeichnet, die geringste im Jahr 2012 (31 Fälle). Die extremen jährlichen Schwankungen weisen daraufhin, dass die Zahl der Krankheitsfälle offenkundig stark vom Wettergeschehen beeinflusst wird: Treten zu bestimmten kritischen Zeitpunkten starke Winde auf, welche die Samen in großen Mengen von den Bäumen reißen und über einen weiten Radius verteilen, so erhöht dies offenbar die Belastung von Weiden und das damit verbundene Erkrankungsrisiko deutlich. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Jahre mit auffallend wenig Erkrankungen (2008: 41 Fälle, 2015: 68 Fälle).

Die Zahl der Erkrankungen scheint also sehr von ungünstigen Witterungsbedingungen und weniger vom Verhalten der Pferdebesitzer beeinflusst zu werden – obwohl diese eigentlich über den Auslöser, nämlich den Bergahorn, Bescheid wissen sollten. Dies könnte zwei naheliegende Ursachen haben: 1) Die Pferdebesitzer können den Bergahorn nicht korrekt erkennen bzw. von anderen ungiftigen Ahorn-Arten unterscheiden, und 2) Die Pferdebesitzer wissen nicht, dass ihre Weiden möglicherweise mit Bergahorn-Samen oder -Sprösslingen kontaminiert sind, weil die Bäume vielleicht weiter entfernt stehen und daher nicht als Gefahrenquelle betrachtet werden. Beides könnte zutreffen, wie die Forscher in ihrer aktuellen Studie ausführen – und das hat Jahr für Jahr gravierende Folgen für Pferde, die auf belasteten Weiden grasen und so einer beträchtlichen Gefahr ausgesetzt sind.

Wie aber können Pferdebesitzer dieser Gefahr begegnen – oder sie zumindest durch bestimmte Weide-Praktiken und Vorsichtsmaßnahmen verringern? Diese Frage steht im Zentrum der Studie – und die Wissenschaftler geben darauf eine ganze Reihe von Empfehlungen und Verhaltensregeln.

1) Gefahrenbereiche erkennen
Von entscheidender Bedeutung ist für alle Pferdebesitzer das Wissen, ob sich auf seinen Weiden oder im weiteren Umfeld Bergahorn-Bäume befinden, von denen eine Vergiftungs-Gefahr ausgeht. Die verfügbaren Daten zeigen, dass 20 % aller Besitzer eines an Myopathie erkrankten Pferdes nicht beantworten konnten, ob sich auf seiner Weide Bergahorn-Samen oder -Sprösslinge befinden oder nicht. Trotz der im Internet verfügbaren Materialien und Infos (z. B. Wikipedia) haben Pferdebesitzer und sogar Tierärzte immer noch Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Ahorn-Bäume zu unterscheiden – immerhin gibt es weltweit 561 Ahorn-Arten. Der Rat der Wissenschaftler: „Im Zweifelsfall sollte man sich professionelles Fachwissen holen, um einen Baum zu identifizieren – Botaniker oder Forstwirte können dabei hilfreich sein.“

2) Kontakt mit giftigem Pflanzenmaterial unterbinden
Je nach Wetterlage können bestimmte Ahorn-Arten ihre Samen bis zu mehreren hundert Metern verbreiten, daher ist eine Kontamination der Weide mit Samen oder Sprösslingen nicht unbedingt mit dem Vorhandensein eines Baumes auf der Weide verbunden. Im Frühherbst, insbesondere nach windigen oder stürmischen Tagen, ist Pferdebesitzern zu empfehlen, den Belastungsgrad ihrer Weide zu überprüfen. Das Entfernen von Samen kann helfen, Myopathie-Fälle zu verhindern. Wenn die Ahorn-Samen jedoch zu zahlreich und/oder zu weit innerhalb des Geländes verteilt sind, sollte die Weide für Pferde gesperrt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Weide zu unterteilen und die Beweidung auf jene Flächen zu beschränken, die frei von abgefallenen Samen bzw. Sprösslingen sind. Auch die Verteilung von Pferdemist-Resten auf der Weide (z.B. mit einer Kettenegge) kann das Risiko einer Myopathie-Erkrankung erhöhen, so die Wissenschaftler: Dabei werde offenbar auch das toxische HGA über eine größere Fläche verteilt und das Vergiftungsrisiko vergrößert.

3) Überweidung und Feuchtwiesen vermeiden
In mehreren Untersuchungen wurde die dauerhafte Benutzung einer Weide als Risikofaktor ermittelt. Dies ist höchstwahrscheinlich auf die damit verbundene Überweidung, sprich: einer Abnahme der Grasnarbe zurückzuführen, die letztlich die Aufnahme der giftigen Ahorn-Samen und -Sprösslinge begünstigt. Aus den Daten ergibt sich, dass in 64% der gemeldeten Myopathie-Fälle die Weide weitgehend kahl war oder sogar keine Grasnarbe mehr aufgewiesen hat. Diese Beobachtung deckt sich auch mit früheren epidemiologischen Studien. Ein durchdachtes Weidemanagement mit entsprechender Rotation ist daher unbedingt zu empfehlen, um seinen Pferden stets intakte Weideflächen anbieten zu können. Eine saftige, grüne Weide ist die beste Garantie dafür, dass die Pferde hauptsächlich Gras fressen und die Aufnahme von Samen und Sprösslingen unterbleibt.
Weiden, die besonders Myopathie-gefährdet sind, haben Bergahorn-Bäume (Acer pseudoplatanus) in ihrer Nähe. Die Benutzung dieser Weiden sollte während der riskanten Jahreszeiten vermieden werden.

4) Gesonderte Tränkmöglichkeiten bieten
Wie sich ebenfalls herausgestellt hat, stellen feuchte Weiden bzw. Feuchtwiesen ein besonderes Risiko für die atypische Weidemyopathie dar, weshalb man sie meiden sollte. HGA ist ein wasserlösliches Toxin, das durch direkten Kontakt von den Pflanzen ins Wasser gelangen kann. Diese Löslichkeit stellt einen erheblichen Risikofaktor dar,  weshalb auf gefährdeten Weiden jedenfalls eine gesonderte Versorgung mit frischem Trinkwasser (etwa über eigene Tränken bzw. Tanks) zu gewährleisten ist. Auch sollten in den risikoträchtigen Zeiten nur Weiden genutzt werden, die keine Flüsse und/oder freistehende Gewässer haben.

5) Weidezeit begrenzen
Neben dem bereits erwähnten durchdachten Weidemanagement – mit häufiger Rotation sowie dem Absperren besonders belasteter Flächen – hat sich interessanterweise auch die Begrenzung der Weidezeit auf weniger als sechs Stunden täglich als schützender Faktor herausgestellt. Bei 97,5 % der gemeldeten Myopathie-Fälle hatten die betroffenen Pferde mehr als sechs Stunden täglich auf der Weide zugebracht, was auch durch entsprechende Zahlen aus Großbritannien bestätigt wird. Je länger Pferde auf der Weide dem Toxin ausgesetzt sind, umso höher ist auch ihr Risiko. an atypischer Myopathie zu erkranken.

6) Für ausgewogene Ernährung sorgen
Wie Studien zeigen konnte, verringert auch das Verabreichen von ergänzenden Futtermittel (Heu, Stroh, Mischfutter, Hafer, Gerste, Mais etc.) während des ganzen Jahres das Risiko einer Erkrankung. Atypische Myopathie resultiert aus einem energetischen Ungleichgewicht nach HGA- und MCPG-Vergiftung. Eine ausgewogene Ration liefert dem Pferd nicht nur Energiesubstrate (insbesondere Kohlenhydrate), die den Energiestoffwechsel unterstützen, sondern auch Vitamine und Antioxidantien, von denen bekannt ist, dass sie die Überlebenschancen bei einer Myopathie-Erkrankung erhöhen. Auch ein Salzleckstein sollte den Pferden zur Verfügung stehen – dieser schützt natürlich nicht umfassend, stellt aber jedenfalls einen begünstigenden Faktor dar.

7) Heu von belasteten Weiden vermeiden
Dies gilt freilich nicht für Futtermittel, die von verunreinigten bzw. belasteten Weiden stammt. Wie britische Wissenschaftler unter der Leitung von Sonia Gonzalez-Medina herausgefunden haben, ist das Toxin HGA überaus hartnäckig und auch nach Maßnahmen wie Mähen, Trocknen, Silieren oder dem Einsatz von Herbiziden immer noch in bedenklichen Konzentrationen nachweisbar. HGA-hältige Bestandteile des Bergahorns waren auch nach 6 bis 8 Monaten Lagerung in Heu oder Silage immer noch vorhanden.

8) Besondere Vorsicht in Hochrisiko-Zeiten
Wie die Daten ebenfalls zeigen, traten 94 % aller gemeldeten Krankheitsfälle in den Hochrisiko-Zeiten im Frühjahr sowie im Herbst auf. Diese erstrecken sich über eine Periode von drei Monaten und beginnen jeweils im Oktober (also Oktober, November, Dezember) sowie im März (also März, April und Mai). Zu diesen Zeiten ist die Gefahr einer Aufnahme von Bergahorn-Samen bzw. -Sprösslingen am allergrößten – und in diesen Zeiträumen ist daher auch besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht geboten.

Das Resümee der Wissenschaftler: „Alle erwähnten vorbeugenden Maßnahmen sollten daher auch in diesen Hochrisiko-Zeiten – also zweimal jährlich jeweils über drei Monate hinweg – angewendet werden, beginnend im März für die „Frühlingsfälle“ und erneut im Oktober, um die sogenannten „Herbstfälle“ zu verhindern. Dies sind die kritischen Jahreszeiten, in denen die giftigen Samen und Sprösslinge auf gefährdeten Weideflächen vorhanden sind.“

Die Studie „Answers to the Frequently Asked Questions Regarding Horse Feeding and Management Practices to Reduce the Risk of Atypical Myopathy" von Dominique-Marie Votion, Anne-Christine François Caroline Kruse, Benoit Renaud, Arnaud Farinelle, Marie-Catherine Bouquieaux, Christel Marcillaud-Pitel und Pascal Gustin ist am 24. Februar 2020 in der Zeitschrift ,animals' erschienen und steht in englischer Originalfassung hier zum Download zur Verfügung.

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