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Pferde verbergen ihre Krankheit, wenn sie beobachtet werden
28.02.2020 / News

Pferde können große Schauspieler sein, wenn sie Schmerzen und Unbehagen vor dem Menschen verbergen wollen ...
Pferde können große Schauspieler sein, wenn sie Schmerzen und Unbehagen vor dem Menschen verbergen wollen ... / Symbolfoto: Archiv

Pferde, die in eine Klinik eingeliefert wurden, neigen dazu, sich in Gegenwart von Menschen zu „erholen“ und die Symptome ihrer Erkrankungen zu verstecken – eine Eigenart, die die Diagnose und Behandlung deutlich erschweren kann, wie eine aktuelle Studie zeigt.

 

Raubtiere haben die natürliche Fähigkeit, alte, kranke oder verletzte Beutetiere gleichsam mit Adlerblick zu erkennen – denn ein geschwächtes Tier ist eine einfache Beute, die man erheblich leichter und mit weniger Kraftaufwand zur Strecke bringen kann. Dies wissen natürlich auch die vermeintlichen Opfer – und versuchen, sofern und so gut dies möglich ist, ihren beeinträchtigten Zustand zu verbergen.

Diese einfache Logik ist auch dem Fluchttier Pferd wohlvertraut – und es hat daher großes Geschick entwickelt, Anzeichen von Krankheit, Schwäche oder Unwohlsein mit viel Raffinesse vor möglichen Beutegreifern zu verbergen. Leider aber lässt sich dieser evolutionäre Mechanismus auch dann nicht abschalten, wenn ihnen keine Gefahr droht – sondern ihnen ganz im Gegenteil eigentlich jemand helfen und ihre Schmerzen lindern möchte, ein Tierarzt zum Beispiel. Dies zeigt eine überaus interessante Studie, die von Catherine Torcivia und Sue McDonnell von der Veterinärmedizinischen Universität Pennsylvania durchgeführt wurde.

Die beiden Wissenschaftlerinnen, die ihre Ergebnisse vor kurzem in Zeitschrift ,animals’ veröffentlichten, konnten im Rahmen ihrer Untersuchung zeigen, dass Pferde, die zur Behandlung in eine Klinik aufgenommen wurden, in Gegenwart von Menschen kaum Anzeichen von Unbehagen oder Beeinträchtigung zeigen: „Wir hatten in unserer Klinik immer wieder den Eindruck, dass Pferde, wenn eine Person anwesend ist, dazu neigen, sich zu erholen und das anhaltende Unbehagen mehr oder weniger aufhört.“ Für den tierärztlichen Alltag hat diese Eigenschaft leider eine negative Auswirkung: Sie erschwert das Erkennen und die Diagnose von Schmerzen bei Pferdepatienten – und macht daher auch die Behandlung zu einer umso größeren Herausforderung.

Diese offensichtliche Tendenz von Pferden, Schmerzen oder Unwohlsein in Gegenwart von Menschen zu unterbrechen bzw. zu verbergen, wurde zwar schon in manchen Studien erwähnt, ist aber in der klinischen Praxis von Pferden noch immer nicht allgemein anerkannt – möglicherweise auch deshalb, weil entsprechende wissenschaftliche Belege für dieses Verhalten fehlen. Dem wollten die beiden Forscher abhelfen – und im Rahmen einer Untersuchung herausfinden, ob sich dieser Effekt tatsächlich nachweisen und verfizieren lässt.

Ihre Studie umfasste 20 Pferde privater Besitzer, die in die große Tierklinik des New Bolton Center der Universität von Pennsylvania eingeliefert wurden. Es waren Pferde unterschiedlicher Rassen und Altersgruppen. Jedes Pferd war in einer Einzelbox untergebracht und wurde rund um die Uhr mittels Videoaufzeichnung überwacht. In den umliegenden Boxen waren weitere Pferde-Patienten untergebracht. Jedes Pferd wurde in der Box von einer Betreuungsperson besucht – entweder um das Pferd zu beobachten bzw. zu untersuchen oder um eine Behandlung durchzuführen. Zusätzlich wurde sichergestellt, dass eine Stunde vor dem Besuch und eine Stunde danach keine anderen menschlichen Besucher im Stall anwesend waren. Die Besuche hatten eine Dauer von etwa dreieinhalb bis zu acht Minuten.

Das aufgezeichnete Filmmaterial des Besuchs sowie der Stunde davor und danach wurde anschließend von einem versierten Tierarzt analysiert, der das Verhalten der Pferde nach einem spezifischen Verhaltens-Katalog beurteilte, in dem insgesamt 65 unterschiedliche Verhaltensweisen von Pferden definiert waren, die mit Unbehagen in Verbindung stehen. Dies waren etwa die Verlagerung des Gewichts, das Scharren mit den Hufen, Schwierigkeiten beim Aufstehen bis hin zu Kopfschütteln, Schweifschlagen, Weben, angelegte Ohren und viele andere mehr.

Für jedes Pferd wurde nun die genaue Anzahl dieser mit Unbehagen verbundenen Verhaltensweisen pro Minute ermittelt – und zwar für jede der drei überwachten Phasen: also die Stunde vor dem Besuch, die Minuten des Besuchs sowie die Stunde nach dem Besuch.

Insgesamt wurden dabei 33 verschiedene Verhaltensweisen beobachtet, die auf Beschwerden bzw. Unwohlsein hindeuten. Bei allen Pferden betrug die durchschnittliche Anzahl der Verhaltenssignale vor den Besuchen 1,60 pro Minute. Nach dem Besuch lag der Durchschnitt bei 1,49 pro Minute, was nach Ansicht der Wissenschaftler kein signifikanter Unterschied war.

Verblüffend und in hohem Maße bemerkenswert war jedoch diese Entdeckung: Im Gegensatz zu den Phasen vorher und nachher betrug die durchschnittliche Anzahl der mit Unbehagen verbundenen Verhaltensweisen während des Besuchs nur 0,40 pro Minute. Dies entspricht einer Reduzierung von 77,4%! Bei sechs der Pferde hörten die beobachteten Beschwerde-Verhaltensweisen während des Besuchs sogar vollständig auf – die Pferde taten so, als fehlte ihnen gar nichts.

Eindeutiger konnte der Befund kaum ausfallen, wie Catherine Torcivia und Sue McDonnell in ihrem Resümee schreiben: „Die Daten bestätigen klar unseren klinischen Eindruck, dass mit Unbehagen verbundene Verhaltensweisen von Pferde-Patienten in einer Klinik auffällig unterbrochen werden, wenn sich Menschen nähern oder mit ihnen interagieren. Diese Stichprobe umfasste nur Patienten der orthopädischen Chirurgie. Unsere Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass eine ähnliche Unterbrechung derartiger Verhaltensweisen auch dann auftritt, wenn die Schmerzen aus anderen Quellen als dem Bewegungsapparat resultieren.“

Diese Eigenart von Pferden wirft für die tägliche Praxis einer Pferdeklinik erhebliche Probleme auf, wie die Wissenschaftlerinnen weiter ausführen: „Diese Tendenz, in Gegenwart potenzieller ,Raubtiere’ kaum Anzeichen von Unwohlsein oder Beeinträchtigung zu zeigen, verzögert die Erkennung von Verletzungen oder Krankheiten bei Pferden im Allgemeinen. Besonders besorgt sind wir darüber, dass diese signifikante Verringerung des beobachtbaren ,Unbehaglichkeits-Verhaltens’ in Gegenwart eines Betreuers oder Besuchers, dazu führen könnte, dass man dieses Unwohlsein unterschätzt – und das kann auf die gesamte klinische Behandlung eines Falls weitreichende Auswirkungen haben, die in der Pferdepraxis noch immer nicht allgemein anerkannt werden.“

Die Forscher schlagen daher vor, die Schmerzbewertung von Pferden gleichsam aus der Ferne per Videoüberwachung durchzuführen, wenn das klinische Umfeld also ruhig und das Pferd ungestört ist. „Eine ideale Methode wäre es, ein Beispiel-Video eines Pferde-Patienten zu erhalten, das länger ist, als man es persönlich beobachten könnte und das man im Schnelldurchlauf durchsehen könnte, um die Häufigkeit und das wiederholte Auftreten von Schmerzverhalten besser einschätzen zu können“, so die Wissenschaftler. „Entsprechend trainierte Video-Techniker lernen in der Regel sehr schnell, wie man Schmerzen bzw. Unbehagen beim Betrachten im Schnelldurchlauf erkennen kann. In unserem Labor erreichen diesbezüglich geschulte Techniker in der Regel innerhalb weniger Stunden ein akzeptables Maß an Zuverlässigkeit.“

So könne ein einstündiges Video kann innerhalb weniger Minuten 10- bis 20-mal in Echtzeit ,gescannt’ werden – der Zeitaufwand dafür wäre ähnlich wie bei einer normalen Stallvisite, bietet jedoch mehr und auch verlässlichere Informationen, so die Wissenschaftler.

Die Studie „In-Person Caretaker Visits Disrupt Ongoing Discomfort Behavior in Hospitalized Equine Orthopedic Surgical Patients“ von Catherine Torcivia und Sue McDonnell ist am 27. Jänner 2020 in der Zeitschrift ,animals’ veröffentlicht worden und kann in englischer Originalfassung hier nachgelesen werden.

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