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Leitlinien Tierschutz im Pferdesport: Schwere Geburt mit schmerzhaften Kompromissen
06.10.2020 / News

Die neue ,Zwei-Finger-Regel
Die neue ,Zwei-Finger-Regel': So soll lt. der überarbeiteten Leitlinien nun der Abstand des Nasenriemens kontrolliert werden – mit zwei nebeneinanderliegenden Fingern. / Foto: Archiv

Mit einiger Verspätung sind sie nun fertig – die neuen Leitlinien zum Tierschutz im Pferdesport, deren Überarbeitung mehr als zwei Jahre gedauert hat. Die Kompromisse, die dabei gefunden wurden, sind mitunter schmerzhaft – so etwa die Herabsetzung des Mindestalters beim Anreiten junger Pferde und ein neuer „Maßstab" bei der Kontrolle der Nasenriemen-Verschnallung.

 

Im Vorjahr sorgte die Pressemitteilung der FN für erhebliche Aufregung und manch kritische Kommentare (auch von ProPferd, wie man hier nachlesen kann). Im Zuge der Überarbeitung der „Leitlinien Tierschutz im Pferdesport“ des Landwirtschaftsministeriums war empfohlen worden, das Mindestalter bei Ausbildungsbeginn von 3 Jahren auf 30 Monate herabzusetzen – ein Kompromiss, über den FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach meinte, dass er damit „sehr gut leben" könne, was für einige Empörung in den sozialen Medien sorgte und die FN zwei Tage später sogar zu einer Richtigstellung veranlasste. Darin hieß es, dass die Aussage von Soenke Lauterbach keinesfalls als ,Aufruf' zu verstehen war, grundsätzlich alle Pferde im Alter von 30 Monaten anzureiten – das sei so nicht gemeint gewesen. Stattdessen sei diese Grenze lediglich eine Orientierungsilfe – letztlich müsse der Zeitpunkt individuell für jedes einzelne Pferd getroffen werden: „Ob dies einige Monate früher oder später geschieht, ist individuell von der Entwicklung des Pferdes abhängig. Wichtiger noch als das Alter ist das richtige und schonende Anreiten", so die FN damals.

Diese Aufregung ist nun offensichtlich ausgestanden – nun liegen die neuen „Leitlinien Tierschutz im Pferdesport“ endlich vor, und auch die FN hat den empfohlenen Ausbildungsbeginn von 30 Monaten gleichsam unter Vorbehalt akzeptiert, so Soenke Lauterbach: „Es bedeutet ja nicht, dass man zwangsläufig ein 30 Monate altes Pferd reiten muss. Es hängt immer davon ab, was das Pferd anbietet und was mit dem Pferd gemacht wird. Im Grunde kann man sagen: Wer sich an unsere Richtlinien für Reiten und Fahren hält, ist auf der sicheren Seite. Der Bereich Zucht der FN ist mit unseren Zuchtverbänden gerade dabei, vor dem Hintergrund der neuen Leitlinien das Kör- und Vorbereitungssystem hinsichtlich Vorbereitung, Vorauswahl, Dauer und Intensität zu überdenken. Das BMEL plant außerdem eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema. Eine Initiative, die wir sehr unterstützen." Diese Bedenken der FN habe man auch in einem Differenzprotokoll festgehalten.

Für viele Pferdefreunde schmerzhafter ist wohl ein Kompromiss an anderer Stelle – nämlich bei der Verschnallung des Zaumzeugs bzw. des vieldiskutierten Nasenriemens. Hier heißt es unter Punkt 6.1.2.: „Die Zäumung muss passend und richtig verschnallt sein; sie darf weder die Atmung beeinträchtigen noch die Maultätigkeit des Pferdes unterbinden. Daher sollten zwei Finger eines Erwachsenen auf dem Nasenrücken nebeneinanderliegend unter Kinn- und/oder Nasenriemen passen (sog. Zweifingerregel, ggf. Messkeil z. B. der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES)." In den klassischen Richtlinien war die Zwei-Finger-Regel jedoch mit übereinanderliegenden Fingern angewendet worden – was zweifellos die pferdefreundlichere Variante war. Als Fortschritt ist aber immerhin zu werten, dass nun erstmals auch der Messkeil der Internationalen Gesellschaft für Pferdewissenschaften (ISES) als objektives Hilfsmittel zur Überprüfung der Nasenriemen-Verschnallung eingesetzt werden kann.

Durchgesetzt hat sich die FN in einer anderen Frage – nämlich der Unterbringung von Pferden bei Veranstaltungen. Dazu Soenke Lauterbach: „Es wurde gefordert, dass freier Auslauf auch Pflicht sein muss, wenn das Pferd auf einer Veranstaltung untergebracht ist. Das ist aber in den meisten Fällen nicht möglich und zuweilen sogar gefährlich für das Pferd, weil nicht überall genug Platz ist und sichere Zäune vorhanden sind. Es wäre also unverhältnismäßig gewesen und hätte das Aus für viele Veranstaltungen bedeutet, wenn diese Forderung durchgekommen wäre. Wir haben gut argumentiert und die Möglichkeit für eine kurzzeitige Abweichung von den Leitlinien für Veranstaltungen erreicht. Das heißt aber nicht, dass die Pferde dort 24 Stunden in der Box stehen dürfen. Wir stehen total dahinter, dass Pferde täglich freien Auslauf bekommen. Auf einer Veranstaltung muss diese ersetzt werden durch zum Beispiel longieren, grasen oder spazieren gehen. Das ist dann neben dem Reiten Pflicht, damit das Pferd auch auf der Veranstaltung ausreichend Bewegung bekommt. Auch müssen die Boxen in den Stallzelten den Leitlinien entsprechen. Nur in dieser Kombination ist es vertretbar, wenn auf Veranstaltungen beim Thema freie Bewegung kurzzeitig von den Leitlinien abgewichen wird."

Insgesamt zeigte sich der FN-Generalsekretär mit der nun vorliegenden Fassung der ,Leitlinien Tierschutz im Pferdesport' zufrieden: „Uns freut vor allem das klare Bekenntnis dazu, dass Pferde als unsere Sportpartner genutzt werden dürfen. Es gibt ja Menschen, die das in Frage stellen. Erfreulich ist auch, dass die sportfachlichen Regeln in den Händen der Verbände bleiben: Wettkampfregeln, Ausrüstung, Doping- und Medikationsregeln. Es ist uns gelungen, deutlich zu machen, dass unsere Regelwerke, die in Zusammenarbeit mit externen, unabhängigen Fachleuten erstellt werden, gut genug sind und auch von uns immer wieder kritisch hinterfragt werden. Zum Beispiel wurde unsere LPO-Formulierung zur Verschnallung des Reithalfters übernommen und das Kapitel zum Thema Anti-Doping- und Medikation entspricht unserem bestehenden Regelwerk. Wir begrüßen es auch, dass es jetzt ein Glossar gibt, in dem zum Beispiel Begriffe wie Rollkur und Hyperflexion erklärt werden und klar darin steht, dass das tierschutzwidrige Methoden sind."

Die neue Auflage der BMEL-Broschüre „Tierschutz im Pferdesport – Leitlinien zu Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten“ steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.

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